Wir nerven ja nicht nur Frau Pelke oder die Kolleginnen und Kollegen der SPD, wir nerven die anderen ja auch.
Wenn allerdings der Umstand, dass Sie genervt sind, darauf zurückzuführen ist, dass Sie Frau Nitzpon übel nehmen, dass sie hier vorn den Eindruck erweckt habe, dass wir dafür wären, dass Abgeordnete überhaupt keine Entschädigung bekommen, da kann ich Ihnen nur eins dazu sagen: Das hat sie einfach nicht gesagt und sie hat dazu auch keinen Anlass gegeben.
Das ist einfach eine Grundqualität von parlamentarischer Arbeit, die ich von jedem erwarte, ob er zu den regierungstragenden Teilen dieses Hauses gehört oder zur Opposition, dass man den anderen zuhört und sich nicht anschließend, wenn jemand hier vorne eine Position dargestellt hat, die Äußerungen so hinbaut, dass man auch dagegen argumentieren kann. Dann argumentieren Sie gegen die Äußerungen von Frau Nitzpon, aber unterstellen Sie ihr nicht irgendwelche Äußerungen, die sie nicht gemacht hat, und argumentieren Sie dann dagegen. Dann können wir überhaupt aufhören, miteinander zu reden.
Eines muss ich Ihnen noch sagen, Frau Pelke: Das Bild der Politiker in der Presse ist so weit nicht von der Wirklichkeit weg, und weil das so ist, haben wir...
Ich meine genau das, was ich gesagt habe: Das Bild von Politikerinnen und Politikern in der Zeitung ist so weit von der Wirklichkeit nicht weg.
Das Thema ist Streitpunkt bei Talkrunden, ist Aufmacher in Leitartikeln. Überall fehlt das Geld. Die Wirtschaft lahmt und die Zahl der Arbeitslosen steigt, und das nicht saisonbedingt. Herrschende Politik, meine Damen und Herren, bietet als Antwort auf diese Krise ein seltsames Sparen. Die Sozialversicherungsbeiträge steigen, die Sozialleistungen werden gekürzt, prekäre Beschäftigungsverhältnisse bei untertariflicher Bezahlung nehmen zu, und was dann so euphemistisch Nullrunde genannt wird, das entpuppt sich bei genauer Betrachtung als finanzielle Einbuße für die Leute. Die reale Nettolohnentwicklung in Thüringen ist rückläufig. Arbeitslose erhalten weniger Leistungen und immer mehr Beschäftigte im Niedriglohnsektor sind angewiesen auf ergänzende Sozialhilfe, um ihren Lebensunterhalt zu sichern.
Zu Recht machen zum Beispiel Beschäftigte der Wachdienste mobil, um für mehr Lohn und bessere Arbeitsbedingungen zu streiten. Die Arbeitgeber des öffentlichen Dienstes schalten gegenüber einer 3-prozentigen Lohnoder Gehaltsforderung und einer schrittweisen Angleichung der Einkommensverhältnisse in Ost und West mit Hinweis auf leere Kassen auf stur. Alles das, meine Damen und Herren, hat Folgen. Viele Menschen haben die Hoffnung auf Besserung verloren. Der Thüringen-Monitor belegt das. Die Gruppe der Befragten, die der wirtschaftlichen Situation in Thüringen ein schlechtes Zeugnis ausstellt, ist erstmals größer als die Gruppe der positiv Urteilenden. Ergebnis dieser Situation sind auch die vielen Pendler und die hohe Bereitschaft zur Abwanderung in die alten Bundesländer. Viele, die keine Arbeit finden, alt oder krank sind, leben schon jetzt in der Nähe der Armutsgrenze. Die Kürzungen im Landeshaushalt treffen aber gerade diese, zum Beispiel mit den Einschnitten in der Alten- und Pflegeversorgung, mit den Kürzungen bei der Aidshilfe oder bei Drogen- und Schuldnerberatung, und Politiker, meine Damen und Herren, tragen dafür die Verantwortung. Die Menschen erwarten nämlich zu Recht die Lösung dieser Probleme und der Erwartungsdruck gegenüber der Politik wächst. Mit leichtfertigen Versprechen oder rhetorischer Gesundbeterei lässt sich kaum noch jemand abspeisen.
Was jetzt gebraucht wird, ist Glaubwürdigkeit. Wer Wasser predigt, aber Wein trinkt, wird Vertrauen nicht erreichen. Wer der Bevölkerung Nullrunden empfiehlt, selbst aber die Hand nach der Staatsschatulle ausstreckt, wird ein weiteres Stück Vertrauen verspielen. Diäten, Ministergehälter, Pensionsansprüche sind immer in der öffentlichen Kritik, da haben Sie Recht, Herr Wolf. Das wissen wir, das haben wir oft genug erlebt. Wir wissen aber auch, dass die durchschnittlichen Reallöhne in Ostdeutsch
land stagnieren. Diese Tatsache hat selbst Herr Althaus am 15.03.2002 hier in diesem Hause bestätigt. Thüringen ist das Bundesland mit den niedrigsten Löhnen in der Bundesrepublik Deutschland. Sieht man vor diesem Hintergrund die Abgeordnetenbezüge und nicht nur vor Gerichtsurteilen, dann erkennt man deutlich eine Kluft eine Kluft, die der Bürger umso stärker empfindet, je mehr Opfer die Politik von ihm verlangt, selbst aber zu Opfern nicht bereit ist. Die Arbeit der Politiker selbst steht hier in der Kritik - eine Kritik, die allen Parteien gilt, zu der alle Vertreter aller Parteien Anlass gegeben haben. Im Zusammenhang mit der Regierungserklärung zum Extremismusbericht haben wir wachsende Partei- und Politverdrossenheit konstatiert. Auch der Umgang mit dem vorliegenden Antrag und den beiden Gesetzentwürfen wird mit darüber entscheiden, ob wir diese Prozesse ernst genug nehmen. Die bisherige Lösung, die Indexierung, führt nun einmal zu einer jährlichen automatischen Diätenanhebung. Der Thüringer Verfassungsgerichtshof hat sehr wohl in seinem Urteil vom Dezember 1998 festgestellt, dass das Indexierungsverfahren verfassungsrechtlich zulässig ist. Doch nicht alles, was rechtlich korrekt ist, ist auch politisch sinnvoll.
Meine Damen und Herren, wir Abgeordneten sind nichts Besonderes, aber bedingt durch unsere Funktion und unsere Aufgaben als Mandatsträger haben wir eine besondere Verantwortung gegenüber Bürgerinnen und Bürgern. Diese besondere Verantwortung kommt auch darin zum Ausdruck, dass die Abgeordneten in Diätenangelegenheiten in eigener Sache entscheiden würden. Sich dieser Verantwortung zu entledigen, indem man sich ein Verfahren mit höchstmöglicher Steigerungswahrscheinlichkeit schafft, ist nichts als eine Form von Flucht vor der Verantwortung.
Man wählt einen für die eigenen Interessen günstig gestalteten Mechanismus aus, setzt ihn in Gang oder lässt ihn in Gang setzen und behauptet dann, dass doch alles höchst interessenneutral vonstatten ginge, weil ja nicht einmal mehr das Parlament diesem Mechanismus in die Quere kommen kann. Allerdings wirkt das Eigeninteresse in dem Automatismus fort. Dadurch, dass keine öffentlichen Debatten um Diätenerhöhungen mehr stattfinden, die nun wahrlich nicht nur von der Opposition geführt werden, Herr Wolf, gerät die Tatsache, dass solche Erhöhungen jährlich stattfinden, praktisch völlig aus dem Blick der Öffentlichkeit, aus dem Blick der Öffentlichkeit, ich betone das, denn ich komme dahin zurück. Hinzu kommt, dass die Erhöhungen und die aktuellen Summen der Grundentschädigung und der steuerfreien Aufwandsentschädigung nicht im Text des Abgeordnetengesetzes, sondern nur in Bekanntmachungen ausgewiesen sind. Natürlich werden diese im Gesetz- und Verordnungsblatt abgedruckt, aber wer nimmt das in der Praxis denn zur Kenntnis? Das Indexierungsverfahren ist somit nur unter einem sehr rechtspositivistischen Blick interessenneutral oder gar frei vom Ruch der Entscheidung in eigener Sache.
Das ist eine Täuschung und es ist eine Selbsttäuschung. Die Ausgestaltung des Indexierungsverfahrens sichert das Eigeninteresse und entzieht die Diätenerhöhung dem Blick der Öffentlichkeit. Das Bundesverfassungsgericht verlangt aber eigentlich etwas anderes. Es sagt in seinem hinlänglich bekannten Diätenurteil - das kennen Sie alle hier im Saal: "Das demokratische und rechtsstaatliche Prinzip verlangt, dass der Willensbildungsprozess im Parlament, der zur Festsetzung der Höhe der Entschädigung und zur näheren Ausgestaltung der mit dem Abgeordnetenstatus verbundenen finanziellen Regelung führt, für den Bürger durchschaubar ist und das Ergebnis vor den Augen der Öffentlichkeit beschlossen wird. Dies ist die einzige wirksame Kontrolle. Die parlamentarische Demokratie basiert auf dem Vertrauen des Volkes. Vertrauen ohne Transparenz, die erlaubt zu verfolgen, was politisch geschieht, ist nicht möglich." Hinzu kommt, meine Damen und Herren das ist die eigentliche Crux an der Sache -, das Indexierungsverfahren verrät auch in der Ausgestaltung in erheblichem Maße das Eigeninteresse der Abgeordneten. Ich erinnere hier nur an ein paar Bewertungen aus Hans Herbert von Arnims 95er Stellungnahme zu diesem Problem. Die automatische Diätenanpassung fußt auf der Entwicklung der nominalen Bruttobezüge der abhängig Beschäftigten. Darin sind Sozialversicherungsbeiträge enthalten. Wie wir alle wissen, steigen die Sozialversicherungsbeiträge ständig an. Abgeordnete müssen solche Beiträge gar nicht oder nur teilweise zahlen.
Gleichzeitig steigen mit der Orientierung an den Bruttogehältern die Nettoeinkommen der Abgeordneten im Vergleich zu den Netto- und Realeinkommen der Arbeitnehmer überproportional an.
Das ist doch genau das Problem. Sie orientieren sich bei jeder Einzelregelung immer nach der sozialen Gruppe, die Ihnen von der Auslegung her günstig ist.
Das war doch das beste Beispiel, wenn wir uns hinstellen bei unserem Einkommen, und wir kriegen die Hälfte
unserer Beiträge aus der Staatskasse gestützt, dann wird mir entgegengehalten: Das geht doch den anderen Leuten genauso. Beim nächsten Mal werden uns die Beamten vorgehalten. Jedesmal suchen wir die Personengruppe raus, die günstig für uns ist. Genau das ist es, genau das ist die Crux bei dieser Regelung.
Die Bruttoeinkommen steigen seit Jahren anhaltend - das ist die Grundlage der Berechnung im Indexverfahren -, während die Netto- und die Realeinkommen der abhängig Beschäftigten seit Jahren sinken.
Oder ein anderes Beispiel: Der Automatismus wird nur in der Höhe der Entschädigung unterworfen. Die Entscheidung über die strukturelle Ausgestaltung trifft weiterhin der Landtag. Hier gibt es noch weitere Beispiele für, wie Herr Arnim es nennt, "Rosinenpickerei". Die Auswahl der Einkommensarten spricht für sich. Warum sind nicht auch die Einkommen der Arbeitslosen und Sozialhilfeempfänger berücksichtigt? Die Arbeitslosenhilfe z.B. gehört zu den Einkommensformen, die in den vergangenen Jahren tatsächlich gekürzt wurden.
Wenn die Hartz-Pläne durchgehen, meine Damen und Herren, wird sie im Paket mit der Sozialhilfe noch weiter heruntergefahren werden. Der Anpassungsmechanismus für die steuerfreien Aufwandsentschädigungen ist ähnlich vorteilhaft gestrickt. Er nimmt Bezug auf den Preisindex. Fallende Preise, d.h. negative Inflation, wird hierzulande wohl kaum jemand erlebt haben. Das spricht für sich, meine Damen und Herren.
Über das Problem der Indexierung hinaus sollte uns auch bewusst sein, dass wir Abgeordnete allein für Mehraufwendungen am Sitz des Landtags eine Summe genehmigen, die erheblich höher ist als das, was ein Sozialhilfeempfänger für die Deckung seines monatlichen Lebens bekommt. Er muss aus seinem viel niedrigeren Betrag auch noch Fahrkarten für öffentliche Verkehrsmittel finanzieren, während wir Abgeordnete eine kostenlose Fahrkarte haben.
Ich verstehe überhaupt nicht, warum Sie "Blödsinn" rufen! Kennen Sie das Gesetz, das für Sie zuständig ist, nicht?
Herr Kretschmer, wissen Sie, wer sich so äußert wie Sie, der brauchte sich nicht wundern, wenn Ihnen mal jemand sagen würde, dass jedes Wort Ihnen gegenüber Perlen vor die Säue geworfen wäre.