Protokoll der Sitzung vom 04.04.2003

Meine Damen und Herren - Herr Ministerpräsident, Sie können sich auch noch äußern -, aber ich wollte nur eines sagen: Sie hätten lieber den Raumordnungsbericht, den Sie in Ihrer Legislaturperiode noch abgeben sollen, hier vortragen sollen. Aber dazu waren Sie wahrscheinlich nicht in der Lage, weil dazu eine Analyse der bisherigen Raumordnungsergebnisse nötig ist und die ist eben mit einem Top-Thüringen-Blick und Scheuklappen nicht zu machen.

(Beifall bei der PDS)

Das beweist eben auch gerade der sehr lange Anfang der Regierungserklärung. Es ist alles top. Eigentlich fragt man sich, wozu brauchen wir dann noch einen neuen Landesentwicklungsplan? Ich hätte mir eine Analyse gewünscht, welche Planungselemente gegriffen haben und welche Planungselemente zu Fehlentwicklungen geführt haben. Daraus hätte dann eine Schlussfolgerung kommen sollen, was wird fortgeführt und was wird neu geregelt. Diese Schlussfolgerungen hätten bis zu einer Funktional-,

Verwaltungs- und Gebietsreform gehen müssen. Aber, meine Damen und Herren, dazu sind Sie im Moment wohl nicht mehr fähig. Wegen Ihrer rosaroten Brille und wegen Ihrer Regionallobbyisten, die wir ja erst bei der Katasteramtsreform erleben durften, welche Wellen Sie schlagen können allein wegen der Beibehaltung einer Behörde in Ihrem Ort und wie wir auch heute erleben konnten unter dem Titel: Jeder klatscht bei seinem Bahnhof. Aber es geht um die gesamte Frage der Landesentwicklung. Und hierzu müssen wir uns wirklich Gedanken machen. Der Anfang der Analyse von Herrn Gnauck war in der uns schriftlich vorgelegten Regierungserklärung mit der Frage "Wo stehen wir?" überschrieben. Es hätte eigentlich ein Beginn einer Analyse sein können, aber, meine Damen und Herren, was kam? Ich möchte Ihnen einige Beispiele bringen.

Es wurde von der Verbesserung im regionalen Schienennetz gesprochen. Man kann wieder nach Sonneberg fahren. Das ist richtig und darüber freue ich mich auch. Ich habe das auch schon mehrfach genutzt. Aber, meine Damen und Herren, im gleichen Zeitraum seit 1993 sind ca. 300 km Schienennetz stillgelegt worden.

(Zwischenruf Dr. Vogel, Ministerpräsident: Na Gott sei Dank.)

Wenn das eine Verbesserung sein soll, vielen Dank.

(Beifall bei der PDS)

(Zwischenruf Abg. Zitzmann, CDU: Sie wis- sen doch auch warum.)

Das ist immerhin ein Viertel des Regionalnetzes, meine Damen und Herren. Wir haben ein Lob der Autobahnneubauten gehört, aber auf den Gemeindestraßen muss man teilweise aufpassen, dass einem die Räder nicht vom Auto fallen.

(Zwischenruf Abg. Wehner, CDU: Also, Herr Kummer, da schauen Sie einmal die Straßen an, wie sie früher aussahen.)

Es wurde auch kein Beitrag geleistet...

(Zwischenruf Abg. Wehner, CDU: Halten Sie den Mund und setzen Sie sich hin.)

(Glocke der Präsidentin)

Herr Abgeordneter Wehner.

Es wurde auch kein Beitrag geleistet zu den Forderungen in der Präambel des Landesentwicklungsplans von

1993, Mobilität umweltverträglich zu gestalten.

(Zwischenruf Abg. Wetzel, CDU: 20 Prozent...)

Ich komme zum nächsten Beispiel: Der Herr Minister sprach davon, dass 1.800 ha Brachflächennutzung durch die LEG erfolgten. 1.800 ha bei ca. 12.000 ha ungenutzter Altstandorte, die wir in Thüringen haben, und ca. 10 Fußballfelder, die wir täglich neu versiegeln. Es wurde von Erfolgen im Wohnungsneubau gesprochen, von 115.000 Neubauten, meine Damen und Herren; wir hatten seit 1993 einen Bevölkerungsverlust von 134.000 Einwohnern. Diese 134.000 Einwohner, selbst wenn wir diesen Verlust nicht gehabt hätten, hätten 115.000 Neubauten nicht gebraucht. Seit 1997 hätte spätestens dieser Neubau in dieser Dimension gestoppt werden müssen, und da reden wir nicht von den Einfamilienhäusern. Denn von diesen 115.000 Neubauten sind nur 50.000 Einfamilienhäuser und Eigentumswohnungen. Meine Damen und Herren, Sie reden dem Neubau immer noch das Wort, obwohl Abrissbirnen über Plattenbauten kreiseln. Sie treffen die Feststellung, dass es zu einer Stadt-Umland-Wanderung kam, die die zentralen Orte massiv geschwächt hat. Aber bei der Neuausweisung der Entwicklungskerne, wie sie vorgesehen ist, Beispiel Entwicklungskern Erfurt, der von Sömmerda bis Arnstadt gehen soll, da sollen die Kommunen auf freiwilliger Basis die Suburbanisierung verhindern.

Meine Damen und Herren, das konnten sie schon. Die Ergebnisse sind zu sehen. Das Problem der demographischen Entwicklung wird angesprochen. Die Feststellung wird getroffen, dass wir zu wenig Kinder haben und dass es zu einer überproportionalen Abwanderung junger Menschen im Alter von 18 bis 25 Jahren kommt. Meine Damen und Herren, für diese Menschen brauchen wir vernünftig bezahlte Arbeitsplätze statt Pendelmöglichkeiten.

(Beifall bei der PDS)

Die Leute haben einen Pkw, weil sie pendeln müssen und sie pendeln nicht, weil sie einen Pkw haben.

(Beifall bei der PDS)

Auf der Autobahn im Stau zu stehen, ist sicherlich kein Lebenswertgefühl.

(Zwischenruf Abg. Wetzel, CDU: Das ist wohl etwas Neues?)

Sie sagen, eine familien- und kinderfreundliche Gesellschaft ist nötig. Das stimmt, meine Damen und Herren, aber das dann damit abzutun, dass man sagt, wir haben die beste Familienförderung, das reicht, glaube ich, nicht. Dann braucht man wohl nichts ändern. Sie wissen ja sogar schon, welche Frauen 2020 die Kinder zur Welt bringen werden. Vielleicht kann mir der Minister einmal in einem privaten Gespräch sagen, ob meine Frau noch wel

che bekommt. Das würde mich interessieren.

(Unruhe bei der CDU)

(Zwischenruf Abg. Panse, CDU: Kommt drauf an von wem.)

Meine Damen und Herren, der Thüringen-Monitor 2002 spricht eine andere Sprache.

(Unruhe bei der CDU)

Und der sagt eben gerade, dass Zukunftschancen für junge Frauen fehlen.

Herr Abgeordneter Kummer, lassen Sie sich das Plenum einmal beruhigen. Wir haben genau eine Stunde und neun Minuten dem Minister zugehört. Jetzt können wir dem Abgeordneten Kummer zuhören.

(Zwischenruf Abg. Althaus, CDU: Er macht uns das Zuhören aber sehr schwer; es ist ja wie Karneval.)

Eine Stunde und neun Minuten möchte ich nicht reden.

Meine Damen und Herren, es fehlen innovative Angebote für Familien und es fehlt eine bessere Beratungsinfrastruktur bei Problemen. Wir müssen auch weg von Wertevermittlungen wie in der Werbung; ich weiß nicht, vielleicht ist sie Ihnen noch geläufig: mein Haus, mein Auto, mein Boot. Kinder sind nachhaltig und nicht das Rasen auf der Autobahn. Der Minister hat die Feststellung getroffen, dass die Gesellschaft älter wird. Auch das ist leider Realität. Aber die Konsequenz, z.B. ein Mobilitätsziel, dass man nach 2020 fast 100-prozentig die Autobahn in 30 Minuten erreichen kann, die kann doch nicht richtig sein. Denn wie viele Leute können dann noch Auto fahren in einer älter werdenden Gesellschaft? Es werden nicht mehr 97 Prozent sein. Und dass nichts zum öffentlichen Personennahverkehr gesagt wird, nichts zur stärker benötigten Vorhaltung altersgerechter Infrastruktur, ich möchte hier nur an die Beispiele Hausärzte, Seniorenheime und geriatrische Einrichtungen erinnern, das ist schon schwach.

(Beifall bei der PDS)

Meine Damen und Herren, es wurden hier Leitlinien vorgetragen. Leitlinien, die in den Vordergrund die nachhaltige Entwicklung stellen. Das können wir unterstützen, aber es fehlt die Umsetzung der hehren Ziele. Wie kommen wir zur Angleichung der Lebensverhältnisse an die der alten Länder? Wie kommen wir zu einer demographischen Stabilisierung aller Landesteile, zu mehr Entschei

dungsmöglichkeiten unserer finanziell gebeutelten und teilweise am Abgrund stehenden Kommunen? Hier sind kaum neue, dafür fragwürdige und widersprüchliche Angebote gekommen, zum Beispiel der Ausbau der Verkehrsinfrastruktur, die Industriegebietsausweisung über 100 ha - so wie wir gehört haben vor allem in Mittel- und Nordthüringen, auf besten landwirtschaftlichen Böden - stehen der Forderung nach Bewahrung besonders geeigneter landwirtschaftlicher Böden gegenüber.

(Zwischenruf Abg. Vopel, CDU: Aber vor fünf Minuten hat er mehr Arbeitsplätze gefordert.)

Aber brauchen wir dazu auf besonders geeigneten landwirtschaftlichen Böden Industriegebiete, Frau Vopel?

(Unruhe bei der CDU)

Vielleicht sollte man darüber nachdenken. Damit verlieren wir nämlich auch Arbeitsplätze in der Landwirtschaft, die ein wesentliches Rückgrat unserer Wirtschaft ist.

(Unruhe in der CDU)

In der Regierungserklärung ist vom Vorrang des Hochwasserschutzes in Überschwemmungsgebieten gesprochen worden. Es wurden Infiltrationsgebiete gefordert. Es wurden Speicherungsmöglichkeiten für Wasser gefordert. Das sind wichtige Ziele, aber, meine Damen und Herren, gucken Sie sich doch mal um, die Umsetzung des Wassergesetzes, hier müssten Anreize geschaffen werden. Wir haben das gefordert, aber diese Anreize werden nicht von Ihnen geschaffen.

Es ist der Ausbau von Hochschulen und der Forschungslandschaft, wahrscheinlich von einem Visionär in die Rede geschrieben worden. Die Sparpolitik der Landesregierung führt gegenwärtig zu Stellenabbau, Kurzarbeit und Investitionslücken in den Forschungseinrichtungen Thüringens.

(Zwischenruf Abg. Mohring, CDU: Es fehlt 1 Mrd.     

Wie ernst uns die ganze Frage ist, das sehen wir daran, dass eigentlich nach dem Landesentwicklungsplan von 1993 eine Hochschule in Gera hätte kommen müssen, die es ja immer noch nicht gibt.

Was sind nun Mittel zur Umsetzung der planerischen Ziele? Ich möchte hier zuerst auf das Zentrale-Orte-Konzept eingehen. Die Straffung der zentralen Orte begrüßen wir. Zentrale Orte haben die Funktion für die Bevölkerung Infrastruktur vorzuhalten und das in einer akzeptablen Erreichbarkeit für jeden mit dem öffentlichen Personennahverkehr. Aber nachdem man das Ziel des 93er Landesentwicklungsplans nicht schaffte, in allen vier Regionen für starke Oberzentren zu sorgen, streicht man dieses Ziel nun und will sich damit in zwei Regionen von

der Vorhaltung oberzentraler Funktionen verabschieden. Sollen da z.B. die Bürger von Hildburghausen und Sonneberg in Zukunft ins Oberzentrum Coburg fahren, welches nach Thüringer Maßstäben nie Oberzentrum würde? Herr Minister, die Gefahr besteht, dass die Menschen dann dort bleiben; leere Plattenbauten in Suhl zeigen das.

Die PDS fordert, dass oberzentrale Funktionen in allen vier Planungsregionen vorzuhalten sind. Dabei sollte man es den Regionen überlassen, ob das eine Stadt oder ein Städteverbund leistet. Dazu brauchen wir nicht erhöhte Schlüsselzuweisungen für den Titel eines Oberzentrums, sondern wir brauchen die Sicherung des dazu gehörigen Angebots für alle Thüringer und Thüringerinnen, und das in Thüringen.