Protokoll der Sitzung vom 05.06.2003

Wir gehen davon aus, dass diese qualitativen Kriterien einer Verwaltungs- und Funktionalreform mindestens gleichwertig neben den Zielen, die Sie, meine Damen und Herren der SPD, aber auch die Landesregierung, benannt haben, stehen müssen, nämlich den Zielen der Entbürokratisierung, der Beschleunigung und eben auch des verminderten Kosteneinsatzes.

(Beifall bei der PDS)

Meine Damen und Herren der SPD, einer solch ganzheitlichen Betrachtung entspricht Ihr Antrag, den Sie heute dem Landtag vorgelegt haben, keinesfalls. Wir schlagen deshalb vor, im Innenausschuss den Antrag mit dem Ziel weiterzuberaten, weiter gehende Kriterien für einen Bericht zur Verwaltungsstruktur und zu Vorschlägen für eine Reform zu erarbeiten und eben nicht nur darauf abzielen, zu sagen, wir müssen Auffälligkeiten in Thüringen finden im Vergleich mit anderen Bundesländern, sondern tatsächlich auch Kriterien suchen, wo wir uns in einer Verwaltungsstruktur tatsächlich qualitativ von den Strukturen anderer Länder unterscheiden können und eben auch nicht mit dem Bericht anstreben, hier eine Nivellierung der Bundesländer oder der Strukturen in den Bundesländern anzustreben, sondern bewusst den qualitativen Schritt für eine Modernisierung zu gehen,

(Beifall bei der PDS)

weil wir dann auch erst die Möglichkeit haben, dass ein solcher Bericht die Voraussetzung und auch der Ausgangspunkt für eine tatsächliche Verwaltungs- und Funktionalreform in Thüringen ist, der eben nicht nur durch die Fraktionen des Thüringer Landtags dann getragen wird, sondern auch durch Interessenvereinigungen, Betroffenenverbände und auch durch Bürgerinnen und Bürger und, wenn Sie so wollen, durch die Öffentlichkeit.

(Beifall bei der PDS)

Meine Damen und Herren, sollte der Antrag allerdings diesen Weg in den Ausschuss nicht finden, wird meine Fraktion aufgrund der dargestellten Kritikpunkte nicht in der Lage sein, Ihrem Antrag zuzustimmen. Vielen Dank.

(Beifall bei der PDS)

Für die CDU-Fraktion hat sich der Abgeordnete Fiedler zu Wort gemeldet.

Frau Präsidentin, meine sehr verehrten Damen und Herren, der vorliegende Antrag von der SPD-Fraktion findet nicht unsere Zustimmung.

(Beifall bei der CDU)

Der ehemalige Finanzminister und jetzige Innenminister hat die Ausführung klar auf den Tisch gelegt. Bei Gesetzgebungsverfahren, bei ähnlichen Vergleichen wird Benchmarking schon durchgeführt. Man kann sich sicher trefflich darüber streiten, ob man nicht hätte vielleicht vor fünf Jahren manche Dinge schon machen können und dürfen, damals hatten Sie noch andere Meinungen, aber ich denke, das Entscheidende ist, dass jetzt die Dinge auf dem Prüfstand sind bzw. kommen. Wir brauchen dazu nicht noch unnützes Geld auszugeben für externe Gutachter, sondern das wird in der Landesregierung schon durchgeführt. Wir stimmen keiner Überweisung zu und lehnen den Antrag ab.

(Beifall bei der CDU)

Für die SPD-Fraktion hat sich der Abgeordnete Höhn zu Wort gemeldet.

Frau Präsidentin, meine Damen und Herren, Herr Kollege Dittes, ich kann Sie beruhigen. Ich weiß nicht, entweder haben Sie den Antrag nicht richtig gelesen oder wollen ihn eventuell nicht richtig verstehen, wir wollen eben nicht diesen rein fiskalischen Ansatz bei einer echten Verwaltungsreform in Thüringen. Das ist ja genau unser Vorwurf. Wenn Sie unsere Debatten der Vergangenheit aufmerksam verfolgt hätten, da ging es uns immer um eine weitgreifendere Debatte. Aber was wir tun sollten, Herr Dittes, wir sollten nicht den zweiten Schritt vor dem ersten tun. Bevor ich eine solche Reform auf den Weg bringe, brauche ich verlässliche Daten, da brauche ich einen verlässlichen Stand, wie die Verwaltungsstrukturen in Thüringen im Vergleich mit den guten anderen Ländern stehen. Das ist der Hintergrund dieses Antrags. Es ist noch kein - das betone ich ausdrücklich und dieser Antrag erhebt auch nicht diesen Anspruch - Konzept für eine Verwaltungsreform.

(Zwischenruf Abg. Dittes, PDS: Das hätte ich Ihnen auch nicht unterstellt.)

Aber wir müssen endlich einmal dahin kommen, dass wir wirklich mal ehrlich miteinander umgehen. Herr Minister, egal in welcher Funktion, die Landesregierung hat schon vor dem morgigen Mannschaftswechsel gern und vor allen Dingen viel über das Thema Verschlankung der Verwaltung und Verwaltungsmodernisierung geredet. Ich

will auch gern zugestehen, dass es erste Anfänge gibt. Ich weiß nicht, ob Sie es waren oder Kollege Dittes, das Beispiel der Katasterreformierung wurde hier genannt. Ich muss Ihnen ehrlich sagen, ich hatte den Eindruck, dass diese so genannte Reform der Katasterverwaltung eher den Wahlkreiszuschnitten der CDU gefolgt ist.

(Heiterkeit bei der CDU)

Aber von einer echten Reform kann ich an dieser Stelle nichts erkennen. Das heißt, außer einige Anfänge...

(Zwischenruf Abg. Fiedler, CDU: Wir haben alle einen Wahlkreis.)

Herr Fiedler, ich entnehme Ihrem Lächeln, dass ich da bei Ihnen offensichtlich Zustimmung finde. Danke.

Meine Damen und Herren, herausgekommen bei den bisherigen Bemühungen für eine echte Verwaltungsmodernisierung ist neben drei Stabsstellen in drei verschiedenen Ministerien nach unserer Auffassung bisher nicht viel. Sieht man einmal von den erfolgten Privatisierungen oder Kommunalisierungen ab, sind auch da die fiskalischen Effekte eher zweifelhaft. Beispiel gefällig?

(Zwischenruf aus der CDU-Fraktion: In Ber- lin.)

Meistens wurde es sogar teurer als vorher, wie das Beispiel der Privatisierung der Straßeninstandhaltung zeigt. Dort zahlen wir momentan drauf. Ich hoffe, dass die Entwicklung dorthin geht, die auch ursprünglich einmal mit dieser Privatisierung angedacht war. Die derzeitigen Ergebnisse lassen diesen Schluss nicht zu. Aber auch bei den erfolgten Kommunalisierungen wird es regelmäßig nicht billiger, da die Kommunen nicht immer oder, anders ausgedrückt, selten das vorhandene Personal für den jeweiligen Bereich komplett übernehmen. Ergebnis: Das Land behält einen Teil des Personals und muss die Aufgabe dennoch bezahlen. Das heißt, einen echten Einspareffekt gibt es da nicht. Ich muss Ihnen vorwerfen, auch wenn Sie das nicht gern hören, meine Damen und Herren von der Landesregierung, auch von der CDU-Fraktion, eine grundlegende Aufgabenanalyse und Ausgabenkritik und Effizienzevaluierung haben Sie bis heute nicht hinbekommen, obwohl Sie doch spätestens seit 1999 auf niemanden mehr Rücksicht nehmen mussten, weil ja hier schon einige Male das Beispiel der großen Koalition als so genannter Hemmschuh auf diesem Gebiet genannt worden ist. Sie haben seit 3 ½ Jahren allein die Chance dazu und es ist nichts passiert in dieser Richtung. Meine Damen und Herren, meine Fraktion, wir haben schon wiederholt auf diesen Missstand hingewiesen, dass Personalkürzungen beispielsweise in der Regel, sage ich, nach der Rasenmähermethode durchgeführt worden sind und es gibt bis heute kein schlüssiges Personalentwicklungskonzept. Das, was Sie uns als solches zu verkaufen versuchen, ist lediglich ein Personalabbaukonzept. Selbst das

kommt, weil es eben rein fiskalisch motiviert ist, ohne eine entsprechende Aufgabenanalyse aus. Da setzt unsere Kritik an. Dieses, meine Damen und Herren, das müssen Sie nun aber doch zur Kenntnis nehmen, Dahinwursteln in Sachen Verwaltungsverschlankung, Modernisierung hat mittlerweile dazu geführt, dass Thüringen in wichtigen Indikatoren stark im Ranking abgerutscht ist. Da nehme ich als Beispiel nur die neuen Länder. Wir haben bei der Investitionsquote - und das ist die größte Sünde - einen erheblichen Rückschritt zu verzeichnen, aber auf der anderen Seite leisten wir uns die zweithöchste Personalausgabenquote der neuen Länder. Das ist ein sehr deutliches Indiz für das Verschlafen notwendiger Handlungsschritte.

Meine Damen und Herren, wir haben die Landesregierung schon öfter aufgefordert, diese konzeptionslose Herangehensweise aufzugeben und unter Nutzung externen Sachverstands alle Aufgaben und Ausgaben des Landes zu durchleuchten. Wir haben, wenn Sie sich vielleicht erinnern, bei den Beratungen zum letzten Doppelhaushalt exakt einen solchen Antrag im Plenum mit eingebracht. Der nun vorliegende Antrag soll dafür sorgen, dass die Landesregierung zumindest verlässliche Ausgangsdaten für einen Modernisierungsprozess ermittelt. Nur wenn man weiß, wo man steht, wird man sachgerecht entscheiden können. Deshalb, nun muss ich leider wieder einen neuen Begriff, einen Fremdwortbegriff nennen, aber er hat sich in dieser Branche eben so verfestigt, das Prinzip der best practice, also der Vergleich mit den Besten auf dem jeweiligen Gebiet. Das ist die Methode, die auch in der Wirtschaft angewandt wird. Bisher hat die Landesregierung immer nur Parameter verglichen, in denen Thüringen gut weg kam und sich mit den Daten in der Regel selbst beweihräuchert. Damit, das sage ich Ihnen ganz deutlich, muss Schluss sein. In unserem Entschließungsantrag im Dezember vergangenen Jahres hatten wir formuliert, ich zitiere an dieser Stelle: "... die gesamte Thüringer Landesverwaltung durch externe Prüfer unter Berücksichtigung der langfristigen demographischen Entwicklung in Thüringen, der weiteren Effektivierung durch die Nutzung moderner Computertechnik sowie unter Nutzung von internem und externem Benchmarking eine Aufgabenanalyse sowie einer Zweck- und Vollzugskritik zu unterziehen." Das haben wir im Dezember schon gefordert und die Betonung und, Herr Minister, die Unterscheidung hier an dieser Stelle liegt auf dem Begriff extern. Das ist der entscheidende Punkt. Sie nutzen dieses Mittel zwar in Ansätzen, aber für eine umfassende Aufgabenkritik reicht das nach unserer Auffassung nicht aus. Wie sinnvoll ein solcher Ansatz ist, schreibt uns der Ostdeutsche Bankenverband, ich nehme an, die Kollegen bekommen auch jeden Monat diesen Infoport vom Ostdeutschen Bankenverband. Ich darf aus der Mai-Ausgabe einmal an dieser Stelle zitieren, Frau Präsidentin.

Herr Abgeordneter Höhn, bevor Sie zitieren, will ich gern einmal darauf hinweisen, dass kaum noch etwas zu ver

stehen ist und dass dem Ganzen mit der Aufmerksamkeit zu folgen ist, wie es auch der letzte Tagesordnungspunkt am heutigen Tag verlangt von allen!

Vielleicht sollte ich etwas lauter reden, vielleicht geht es dann.

(Zwischenruf Abg. Schugens, CDU: Er kann doch aufhören.)

Okay, das können wir machen.

Herr Abgeordneter, Sie reden laut genug. Der Saal ist einfach zu laut.

Also noch einmal. Zitat aus dem Infoport des Ostdeutschen Bankenverbandes: "Eine Stärkung der öffentlichen Investitionen, vor allem im Bereich der feststehenden Infrastrukturdefizite wird nur möglich sein, wenn es gelingt, die öffentlichen Konsumausgaben zurückzuführen. Dafür wiederum müssen zunächst Einsparpotenziale identifiziert werden. Länder und Gemeinden stehen hier vor derselben Herausforderung wie Unternehmen, die stetig um Kostenoptimierung bemüht sein müssen. Unternehmen nutzen dazu das Instrument des Benchmarkings. Dabei vergleichen Unternehmen ihre Produkte oder Produktionsabläufe mit denen der erfolgreichsten Wettbewerber (best practice). Ein finanzpolitisches Benchmarking im Sinne eines Vergleichs der Aufgabenfelder öffentlicher Haushalte ist für die Zukunft unverzichtbar. Daraus werden Basisinformationen zur gesamten Ausgabenstruktur und damit Anhaltspunkte für Einsparpotenziale gewonnen." Soweit der Ostdeutsche Bankenverband. Meine Damen und Herren, die CDU-geführten Landesregierungen in Sachsen-Anhalt und die Regierung in Brandenburg unter CDU-Beteiligung haben exakt dieses Modell angewandt. Es gibt einen Benchmarking-Report aus Brandenburg, wo man sich in allen öffentlichen Aufgabenfeldern mit dem Land Sachsen verglichen hat - in allen. Die Landesregierung in Brandenburg ist derzeit dabei, diese Auswertung vorzunehmen und die entsprechenden Maßnahmen einzuleiten. Es dürfte doch nun wirklich kein politisches Problem sein, diesen Ansatz für eine grundlegende Erhebung zunächst einmal auch in Thüringen durchzusetzen. Das muss man doch völlig ideologiefrei sehen, meine Damen und Herren.

Ich denke, und damit komme ich dann zum Schluss, die neue Landesregierung kann an dieser Stelle, bei diesem Antrag der SPD unter Beweis stellen, dass sie es ernst meint mit den neuen, eigenen Akzenten, die vom Ministerpräsidenten heute proklamiert wurden und vor allem mit den unvoreingenommenen Prüfungen sinnvoller Vor

schläge. So jedenfalls glaube ich ihn heute verstanden zu haben. Nehmen wir uns an der Wirtschaft ein Beispiel und zeigen wir gemeinsam, dass auch die Politik hin und wieder marktwirtschaftlich denken kann. Denn eines steht fest, meine Damen und Herren, davon bin ich überzeugt, die nächsten Jahre werden uns als Politiker noch schweren Prüfungen unterziehen. Wir müssen angesichts dramatischer Wachstumseinbrüche - und auch das sehe ich völlig unideologisch, wenn man sich in Europa umschaut und der damit verbundenen schmaleren Staatskassen noch ganz andere Wege gehen, die wir uns heute vielleicht noch gar nicht vorstellen können.

(Zwischenruf Abg. Jaschke, CDU: Für uns ist das selbstverständlich.)

Aber wir können heute damit anfangen. Deshalb bitte ich Sie um Zustimmung zu unserem Antrag. Danke schön.

(Beifall bei der SPD)

Es gibt noch eine Redemeldung durch die Landesregierung.

Herr Höhn, wir haben überhaupt nichts gegen Benchmarking. Sie können mir Bereiche nennen, wie Sie auch wollen, ich mache Ihnen für jeden Bereich, den Sie nennen, innerhalb von einer Woche eine Vergleichsrechnung. Ich habe nicht immer einen positiven Eindruck von den vielen hochgejubelten externen Gutachtern. Ich bin momentan gerade dabei, Wirtschaftsgutachten für Wasserund Abwasserzweckverbände durchzuarbeiten. Was da hineingeschrieben worden ist, da bin ich etwas ernüchtert über externe Gutachten.

(Beifall bei der CDU)

In der Regel ist 90 Prozent Poesie aus vorgefertigten Textbestandteilen und nur 10 Prozent Inhalt. Ich will Ihnen noch einmal so ein Beispiel nennen. Ich habe das Benchmarking-Gutachten für die Geschäftsfelder von Carl-Zeiss 1993 in die Hände bekommen. Da stand Oftalmologie auf der Abschussliste. Es wäre kein zukunftsträchtiges Geschäftsfeld. Mittlerweile ist Zeiss in Jena das Zentrum in diesem Bereich, nicht nur in Deutschland, sondern weit darüber hinaus.

(Beifall bei der CDU)

Das heißt, externe Gutachten werden oftmals auch deswegen gemacht, weil man sich vor eigener Verantwortung drückt und sagt, das hat ja ein Externer geschrieben. Da habe ich etwas dagegen.

Wir haben alle Zahlen vorliegen, im Statistischen Landesamt gibt es für jeden Bereich der öffentlichen Verwal

tung sämtliche Zahlen, wie viele Aufgaben werden dort durchgeführt, ich weiß, wie viel Familienprozesse, wie viel Arbeitsgerichtsprozesse, wie viel Zivilgerichtsprozesse und sonstige Prozesse gemacht werden, wie viel neue Anträge eingehen, wie viel erledigt werden und kann genau sagen, ist unsere Gerichtsbarkeit optimal ausgerichtet, oder ist sie nicht ausgerichtet. Schaffen bei uns diese Richter in der gleichen Zeit die gleiche Anzahl von entsprechenden Prozessen oder brauchen sie die doppelte Anzahl dazu. Ich kann ausrechnen, dass ein Mitarbeiter in der Landkreisverwaltung zur Berechnung eines Elternbeitrages für den Hort mehr Zeit zur Verfügung hat entsprechend unserer Kostenerstattung als ein Mitarbeiter im Finanzamt für eine Steuererklärung. Die ganzen Zahlen liegen vor. Benchmarking ist wichtig, aber ich bin ein großer Verfechter dafür, dass wir uns die Aufgabe stellen, intern objektiv und ehrlich miteinander umzugehen

(Beifall bei der CDU)

und ich verzichte im Benchmarking momentan gern auf externe Gutachter, die nur viel Geld kosten.

(Beifall bei der CDU)