Protokoll der Sitzung vom 12.09.2003

Da Sie drei Punkte sehr konkret angesprochen haben, will ich Ihnen die Auffassung der Landesregierung ganz klar sagen, die ich nun überall und ohne jegliche Differenzierung gesagt habe. Gemeindefinanzreform - sie ist lange überfällig. Schuld daran, dass wir sie noch nicht haben, ist Rotgrün. Sie war für das letzte Jahr angekündigt.

(Beifall bei der CDU)

Wenn sie jetzt kommt, sind wir dafür, eine solche Gemeindefinanzreform zu unterstützen, aber nicht diese Gemeindefinanzreform, weil wir es für Unfug halten, wenn man fast 800.000 Freiberufler zukünftig in die Gewerbesteuer einbezieht, weil das nur eine Verwaltungsaufblähung bedeutet. Weil Sie nämlich gut genug wissen, dass zukünftig dann die Freiberufler noch einmal ihre Einkommenssteuer und ihre Gewerbesteuer miteinander verrechnen müssen und dass das nur Verwaltung kostet und wiederum einen Druck auf den Mittelstand und die Freiberufler ausübt. Das ist Unfug in einer Zeit, wo wir auf Wachstum setzen.

(Beifall bei der CDU)

Sie haben ein Problem mit den Spitzenverbänden, weil die Spitzenverbände Ihnen gesagt haben, sie wollen die ertragsunabhängigen Einkünfte in die Gewerbesteuer einbeziehen. Das haben Sie nicht umgesetzt. Das ist nicht ein Unionsproblem, das ist ein SPD-Problem, wobei ich Ihnen sage, auch wir werden dagegen sein, die ertragsunabhängigen Einkünfte mit in die Gewerbesteuer einzubeziehen, weil auch das konjunkturschädlich ist.

(Beifall bei der CDU)

Deshalb bleibt - nach dem, was vor uns liegt - nur der Weg, Gewerbesteuerumlage zurückführen auf das, was vor dem Jahr 2000 war - das ist unser Vorschlag seit Jahren, der geht übrigens zu Lasten der Länder und des Bundes und zweitens die einmalige Erhöhung der Umsatzsteuerbeteiligung der Kommunen, auch das geht zu Lasten der Länder - und zum Dritten, eine deutliche Reduzierung der Aufgaben für die Kommunen. Diese drei Vorschläge liegen seit Wochen im Bundesrat. Das ist unser Angebot an die Bundesregierung. Wenn wir uns darauf für das Jahr 2004 einigen können, sind die Gemeindefinanzen für das nächste

Jahr erst einmal gesichert und dann können wir in Ruhe in Deutschland mit Kommunen, Ländern und dem Bund über eine dauerhafte Lösung diskutieren.

Zum zweiten Stichwort Sozialhilfe und Arbeitslosenhilfe: Das gehört überhaupt nicht zusammen mit der Gemeindefinanzreform, das meinen nur Sie. Auch da ist die Position der jungen Länder übrigens eindeutig. Unser Problem ist nicht zuerst ein Vermittlungsproblem. 1,5 Mio. Arbeitslose, 80.000 freie Stellen - wir haben nicht zuerst ein Vermittlungsproblem in den jungen Ländern, sondern wir haben ein Wachstumsproblem. Wenn wir die Arbeitslosen- und Sozialhilfe dann schon zusammenlegen und meinen, dass das das Wichtigste ist - ich halte es nicht für das Wichtigste, ich hielte es für viel wichtiger, erst einmal die Flexibilität am Arbeitsmarkt wieder zu erhöhen, den Kündigungsschutz zu flexibilisieren, die Tarifverträge zu flexibilisieren, das wäre viel wichtiger -, aber wenn es denn sein soll, dann unterstützen wir das. Aber wir wollen nicht, und das hat Mike Mohring hier deutlich gesagt, dass die Arbeitsstellen bei der Bundesanstalt für Arbeit geschaffen werden, denn die schafft ihr jetziges Problem schon nicht zu lösen.

(Beifall bei der CDU)

Natürlich muss man darüber diskutieren, wo dann die Arbeitslosen- und Sozialhilfeempfänger zusammen für den Arbeitsmarkt auch vermittelt werden können. Ich glaube nicht daran, dass das aus Nürnberg heraus erfolgreicher geschieht. Das hat bisher, jedenfalls in den letzten 13, 14 Jahren, nie gestimmt, sondern ich glaube daran, dass man auch die kommunale Verantwortung mit nutzen muss, aber nur - und auch das steht in unserem Konzept, im Bundesrat können Sie es nachlesen - wenn eine hundertprozentige Refinanzierung der Kosten der Kommunen erfolgt. Selbstverständlich, wer die Lasten abgibt, muss auch die Kosten tragen.

(Beifall bei der CDU)

Ein Drittes, auch da sind wir uns übrigens parteiübergreifend in den jungen Ländern einig, weil es so ist, dass wir zuallererst ein Beschäftigungsproblem, also ein Wachstumsproblem haben, wird es dazu kommen, wenn man Arbeitslosen- und Sozialhilfe einfach zusammenlegt, dass wir innerhalb eines Tages Kaufkraftverlust in Millionenhöhe bekommen werden. Wir haben etwa fünfmal so viel Arbeitslosenhilfeempfänger wie Sozialhilfeempfänger, eine ganz andere Situation als in 11 alten Ländern. Deshalb ist es legitim und auch richtig, dass man, wenn schon Herr Stolpe nicht daran denkt, was seine Aufgabe wäre, die Arbeitsminister der jungen Länder sagen, wenn ihr das wirklich macht, müsst ihr daran denken, dass ihr von heute auf morgen dem Wirtschaftskreislauf 1 Mrd.  entzieht. Das wird nicht Wachstum befördern, sondern wird erneut Rezession befördern. Deshalb muss das kompensiert werden und es ist frech und von Unkenntnis getragen, was Herr Clement darauf gesagt hat.

(Beifall bei der CDU)

Lassen Sie mich noch ein letztes Wort zu dem ominösen Thema "Steuerreformvorziehung" sagen: Zum Ersten sage ich Ihnen, das habe ich vor der Sommerpause hier schon gesagt, wie da der Bundeskanzler mit den Ministerpräsidenten aller Länder umgegangen ist, ist stillos für die Politik. Es war aber so, dass wir immer - und da haben Sie Recht - gesagt haben, dass eine Steuerreform, die Eingangs- und Spitzensteuersatz senkt, die Konjunktur positiv beeinflusst und auch die psychologischen Effekte bei der Wirtschaft stärkt. Das haben wir immer gesagt und es gibt von mir keine andere Aussage, dass ich deshalb einer solchen Vorziehung der Steuerreform am Ende zustimme. Aber, und dieses "aber" muss man sagen und leider in den letzten Wochen noch deutlicher, wenn die Wirtschaft und jeder Einzelne den Eindruck hat, das Politik nicht redlich ist, dass sie Steuerreform sagt und die Senkung festlegt, aber 1 Stunde später über die Pendlerpauschale, über die Eigenheimzulage, über die Belastung der Freiberufler ihnen das Geld wieder aus der Tasche zieht, dann werden Sie nachdenklich und dann werden Sie in Zweifel kommen, ob der Staat Ihnen wirklich eine Steuervergünstigung geben will, oder ob er nicht doch nach der Methode geht, in die eine Tasche stecke ich den Euro rein und aus der anderen Tasche ziehe ich 2  

Sehr geehrter Herr Höhn, wenn der Bundeskanzler es ernst meint, dann beschließt er diese Steuerreform schnell, hätte sie schon vor der Sommerpause einbringen können, und er packt in dieses Paket nicht übermäßige neue Belastungen für die Bürgerinnen und Bürger, weil sonst der Konsumtionseffekt verfliegt. Das wissen Sie ganz genau. Wir werden zustimmen, aber wir werden auch deutlich machen, dass wir natürlich einer weiteren Belastung der Menschen, zum Beispiel im Ländlichen, durch das deutliche Absenken der Entfernungspauschale nicht zustimmen werden, denn in diesem Land sind wir froh, dass die Leute nicht nur in Erfurt und Gera und Suhl und in Weimar wohnen, sondern auch im Ländlichen, in Artern oder wo immer und dass sie ihre Mobilität nutzen können. Das muss gefördert und darf nicht bestraft werden.

(Beifall bei der CDU)

Insgesamt habe ich den Eindruck, dass es wirklich an Linie und an Konzept fehlt. Werfen Sie also nicht diese Konzeptionslosigkeit der Opposition vor, sondern schauen Sie mehr darauf, dass der Blick auf die jungen Länder auch in Berlin geschärft wird, Sie hätten gute Gelegenheit. Sie haben mich aufgefordert, gegen die vorhin dargestellten Gesetze im Deutschen Bundesrat zu stimmen oder sich dafür einzusetzen, dass sie mit Blick auf die neuen Länder verändert werden. Ich habe mich gefreut über diese Unterstützung, ich hätte mir gewünscht, dass Sie die Adresse Ihres Landesvorsitzenden gefunden hätten, der wäre direkter dran gewesen, aber wenn Sie denn unsere Hilfe brauchen, die bekommen Sie natürlich und selbstverständlich. Vielleicht können Sie im Nachgang noch dafür

sorgen, dass zumindest Ihr Landesvorsitzender davon erfährt, welche Gedanken Sie haben, damit nicht zwischen der SPD in Thüringen und der Vertretung in Berlin Widersprüche entstehen, das wäre schade.

(Beifall bei der CDU)

Meine sehr verehrten Damen und Herren, die heutige Debatte, sowohl von der PDS-Fraktion, auch von der SPD-Fraktion, war symptomatisch. Sie leisten überhaupt keinen Beitrag, diese wahrlich schwierige Situation mit zu meistern. Sie wissen genau, dass die Steuermindereinnahmen nicht Thüringer Verantwortung sind, sondern in allen Ländern in Deutschland und auch in den Kommunen gibt es gleiche Probleme und die Ursachen sind inzwischen umfassend erkannt. Helfen Sie also mit, dass wir einen Nachtragshaushalt auf den Weg bringen, der zwei Dinge leistet: die Investitionsquote so hoch wie möglich hält, weil damit Arbeit gesichert und neue Arbeit geschaffen wird, und auf der anderen Seite die Schwerpunkte, die für das Land wichtig sind, so umfassend wie möglich erhalten bleiben. Diese Schwerpunkte erhalten wir mit den Stichworten "Kinder", "Kernbereich der Hochschule", "Theater und Orchester", "Innere Sicherheit", "Kommunaler Finanzausgleich" und auch die Sicherung von langfristig wesentlichen Daten wie z.B. der Personalquote. Wenn Sie dann Vorschläge machen, wie man in diesem Rahmen einen Nachtragshaushalt anders aufstellt als wir, andere Kürzungen vornimmt, dann sind wir sehr gespannt auf Ihre Vorschläge. Aber nur Rhetorik, die auf die Zukunft verschiebt und den schwarzen Peter der Opposition in Berlin in die Tasche schiebt, ist etwas zu flach für eine Oppositionspolitik, die sich anschickt, im nächsten Jahr erfolgreich zur Wahl zu kämpfen.

Ich kann nur sagen, wir haben uns bemüht, in einer schwierigen Situation ein Konzept zu entwickeln, das die Stärken dieses Landes weiter stärkt, das aber auch die Zukunftsfähigkeit des Landes im Blick auf die Haushaltsordnung sichert. Deshalb ist der Weg zwischen dieser deutlich erhöhten Neuverschuldung, aber auch der Sicherung von wichtigen Investitionen ein schwieriger Weg. Ich denke, die Vorlage ist ausgewogen und ich bin gespannt, welche Vorschläge Sie konkret in den nächsten Wochen einbringen. Vielen Dank.

(Beifall bei der CDU)

Der Abgeordnete Ramelow, PDS-Fraktion, hat sich zu Wort gemeldet.

Verehrte Damen und Herren, wir können also heute feststellen, der Wahlkampf hat begonnen, wir haben die erste Wahlkampfrede gehört. Sehr geehrter Herr Ministerpräsident, wir danken für die Stilnoten, die Sie an alle verteilt

haben. Auch wenn ich sagen muss, die Erde ist keine Scheibe, Herr Ministerpräsident, die Erde ist nach wie vor rund und wir werden auch in Zukunft als Opposition nicht behaupten oder Ihnen zustimmen, wenn Sie vorgeben, dass die Erde eine Scheibe sei.

(Beifall bei der PDS)

Wenn Sie feststellen, dass es eine ideologische und inhaltliche Trennung zwischen Ihrem Weltbild und unserem Weltbild gibt, dann kann ich Ihnen nur zustimmen. Sie haben es gerade in einer Form offenbart, bei der ich nur unterstreichen kann, ein derartig rückwärts gewandtes konservatives Weltbild habe ich schon lange nicht mehr in einer so geschlossenen Art und Weise gehört, dass man in einer Situation, bei der 5 Mio. Menschen vom Arbeitsmarkt ausgeschlossen sind, den Betriebsräten die Schuld gibt und dann aber verlangt, dass die Flexibilisierung in den Betrieben erhöht werden soll, gleichzeitig aber die Überstunden der Polizei hier verschwiegen werden. Herr Ministerpräsident, die Verantwortung für 600.000 Überstunden in der Thüringer Polizei tragen Sie

(Beifall bei der PDS)

und die Verantwortung über die Streichung der Stellen tragen auch Sie. Und Herr Ministerpräsident...

Herr Abgeordneter Ramelow, gestatten Sie eine Anfrage des Abgeordneten Althaus?

Ja, gerne.

Bitte, Herr Althaus.

Können Sie mir ein einziges Zitat aus meiner Rede sagen, bei dem ich den Arbeitslosen die Schuld für die Situation in Deutschland gegeben habe?

Sehr geehrter Herr Kollege Althaus, ich würde Sie auch bitten, zuzuhören.

Sie haben das gerade getan. Vielleicht sind Sie nicht Herr Ihrer Worte und Ihres Geistes, Sie haben das aber getan.

(Unruhe im Hause)

Also, ich verbitte mir...

(Unruhe im Hause)

(Beifall bei der CDU)

Ich verbitte mir einfach von Ihnen Ihre Unverfrorenheit und Unverschämtheit, mich zu bezichtigen, ich sei nicht Herr meines Geistes.

(Unruhe im Hause)

Wie man unschwer feststellen kann, ist mein Geist bei mir im Kopf und ich sage, der Herr sei bei mir, wenn ich mir so einen Kram von Ihnen anhören muss, dass Sie mir jetzt vorwerfen, was ich gesagt habe oder nicht, wir können das gerne gemeinsam im Protokoll nachlesen.

(Beifall bei der PDS)

Ich will es noch mal deutlich sagen, Herr Ministerpräsident, und Sie sollten sich einfach mal daran gewöhnen, in einer Situation von 5 Mio. Arbeitslosen den Betriebsräten die Schuld zu geben, wie Sie es am Beispiel "Sponeta" gemacht haben, ist eine Unverschämtheit, eine Unverfrorenheit.

(Beifall bei der PDS)

(Unruhe im Hause)

Der gesamte Umbau der deutschen Industrie, die schwersten Krisen, die wir in Westdeutschland im Ruhrgebiet oder im Automobilbau hatten, sind gelöst und gemeistert worden mit Betriebsräten, mit starken Tarifpartnern und mit einer freien Form von Verhandlungen, die Sie einfach so abtun und sagen: Betriebsräte seien das Investitionshemmnis. Sehr geehrter Herr Ministerpräsident, hätten Sie Ideen vorgeschlagen, wie tatsächlich Arbeitsplätze entstehen, bei denen Menschen in Lohn und Brot kommen, dann würden wir unsere Achtung vor Ihnen haben. Aber einfach nur die Schuld an die Betriebsräte oder an den Kündigungsschutz zu geben, ist nicht akzeptabel.

Eine Bemerkung sei mir auch erlaubt, sehr geehrter Herr Ministerpräsident, dass Sie unsere Vorschläge abtun zu dem Thema Vermögenssteuer und Erbschaftssteuer und das begründen mit der Forderung, wir würden damit den Mauerbau wieder fordern, das muss ich einfach nur zurückweisen und sagen, einen solchen Unsinn kann ich überhaupt nicht nachvollziehen. Es würde uns schon genügen, in der Bundesrepublik endlich eine ehrliche Diskussion über das Thema Vermögens- und Erbschaftssteuer im euorpäischen Maßstab zu haben.

(Beifall bei der PDS)