Protokoll der Sitzung vom 16.10.2003

(Beifall bei der CDU)

Für die PDS-Fraktion hat sich der Abgeordnete Dr. Hahnemann zu Wort gemeldet.

Frau Präsidentin, meine Damen und Herren, der von der SPD-Fraktion vorgelegte Gesetzentwurf ist wohl gut gemeint, nach unserer Auffassung aber selbst vor dem Hintergrund des wesentlich bescheideneren Anspruchs weitestgehend untauglich. Das muss aber nicht verwundern. Wer sich eigentlich rückhaltlos hinter Geheimdienste stellt, verbaut sich schon mit dieser Grundauffassung die Fähigkeit tatsächlicher kritischer Betrachtungen. Wir haben unsere Auffassungen zu diesem Gesetzentwurf sowohl in der ersten Beratung als auch im Ausschuss hinlänglich deutlich gemacht. Ich will unsere Kritikpunkte noch einmal kurz benennen:

1. Die Anhebung der bisherigen Eingriffsschwelle für die Beobachtung von Abgeordneten auf G-10-Straftaten bedeutet nichts weiter als eine Privilegierung von Abgeordneten gegenüber anderen und zugleich eine Ausweitung auf kriminelle Straftatbestände. Das aber bleibt inkonsequent. Es erhebt sich nämlich die Frage: Warum denn nur bei Abgeordneten? Was zum Beispiel ist mit dem Schutzbedürfnis von Rechtsanwälten, Pastoren, Ärzten oder Journalisten? Wer schützt die Mandantengespräche, die Seelsorge, die Patientenakte oder die journalistische Recherche vor der Neugier der Geheimdienste?

2. Natürlich haben Abgeordnete eine besondere Position auch in ihrer Stellung gegenüber Geheimdiensten. Sie sollen für eine umfassende und effektive Kontrolle des Verfassungsschutzes sorgen, also müssen sie den Schutz der Bürgerschaft

(Zwischenruf Abg. Fiedler, CDU: Und Nach- wirkungen des MfS werden genau beobach- tet.)

vor Ausforschungen im Auge haben - Herr Fiedler, den Schutz der Bürgerschaft vor Ausforschungen im Auge haben. Dieser Aufgabe kann die PKK auch dann nicht näher kommen, wenn sie in Zukunft nicht mehr geheim, sondern nur nicht öffentlich tagen würde. Das bietet doch nicht nur nicht mehr Transparenz und mit der Information der Fraktionsvorsitzenden eher noch eine größere Gefahr der politischen Instrumentalisierung.

3. Die Regelung einer generellen Auskunftspflicht ohne Nachweis eines Interesses ist eine nur scheinbare Besserung. Die Auskunft kann nicht nur abgelehnt werden, die Ablehnung bedarf auch keiner Begründung, wenn der Zweck der Ausforschung nach Auffassung der Verfassungsschützer gefährdet wird. Dann erhält nur die Datenschutzbeauftragte persönlich Auskunft und Akteneinsicht. Wie schön für die Betroffenen! Nach unserer Einschätzung sollte die Eingriffsschwelle für den Verfassungsschutz zur Datenerhebung und -speicherung für alle Bürgerinnen und Bürger heraufgesetzt und konkretisiert werden. Die Beobachtung von Abgeordneten ist doch die absolute Ausnahme. Üblicherweise sind doch ganz andere Personengruppen Ziel von Ausforschungen - und dieses ebenso unbegründet wie bei Mandatsträgern. Die PKK sollte öffentlich tagen und Betroffene ein uneingeschränktes Auskunftsrecht haben. Nur so kann verhindert werden, dass sich ein Geheimdienst zu einem Amt der Ämter entwickelt. Gewiss, meine Damen und Herren...

(Zwischenruf Abg. Fiedler, CDU: Ich würde auf den Markt gehen.)

Dann ist es kein Geheimdienst mehr, Herr Fiedler. Sie sehen also, trotz aller Missverständnisse und allen Wunschhörens in den Ausschuss-Sitzungen, wir bleiben bei unserer Forderung nach Negation des Verfassungsschutzes in seiner jetzigen Form und in seiner jetzigen Arbeitsweise. Wir bleiben bei unserer Forderung nach Abschaffung von Geheimdiensten überhaupt.

(Zwischenruf Abg. Fiedler, CDU: Das endet noch mal...)

Was sind denn, meine Damen und Herren, die eigentlichen Probleme des Verfassungsschutzes und seiner Tätigkeit? Es geht hier nicht allein um die Bespitzelung der parlamentarischen Opposition durch den Verfassungsschutz. Da ist das V-Leute-Problem. Thüringen war mittendrin in der größten V-Mann-Affäre der bundesdeutschen

Geschichte. Thüringens Tino Brandt war ein Grund für das Ende des NPD-Verbotsverfahrens, und zwar ein ganz maßgeblicher. Und Sie, Herr Innenminister, mögen so oft wie Sie wollen noch wiederholen, dass das nicht so gewesen ist, der Wortlaut des Urteils des Bundesverfassungsgerichts sagt das eindeutig und weist eindeutig den Anteil Thüringens am Scheitern dieses Verfahrens aus. Konsequenzen wurden nicht gezogen. Die restlose Aufklärung dieser Affäre steht bis heute aus. Der Thüringer Verfassungsschutz hat der politischen Kultur schon jetzt einen erheblichen Schaden zugefügt. Eine ernsthafte Evaluierung und Kontrolle des Inlandgeheimdienstes ist überfällig. Das kann nur eine unabhängige Geheimdienstkommission leisten, die schonungslos die Aufgaben, die Befugnisse, die Arbeitsmethoden und die Strukturen des Verfassungsschutzes auf den Prüfstand stellt. Eine derartige Kommission müsste mit weit reichenden Kompetenzen wie Akteneinsichts-, Befragungs- und Zutrittsrecht und aktiven Kontrollrechten ausgestattet sein. Zusammen mit dem Heraufsetzen von Eingriffsschwellen, personellem und finanziellem Abbau, einer inhaltlich und methodischen Umorientierung der Behörde und umfassenden Auskunftsrechten der Betroffenen würde der Verfassungsschutz als Institution zwar nicht angetastet, die Aktivitäten jedoch deutlich begrenzt und anders gestaltet werden. Ich habe meiner Fraktion die Ablehnung des Gesetzentwurfs empfohlen. Danke schön.

(Beifall bei der PDS)

Für die SPD-Fraktion hat sich der Abgeordnete Pohl zu Wort gemeldet.

Frau Präsidentin, meine Damen und Herren, die von uns vorgelegte Gesetzesnovelle entstand aus der Intention, für das Landesamt für Verfassungsschutz klare Regelungen zu formulieren, eine größere Kontrolle und mehr Transparenz zu erreichen. Unsere Überzeugung, dass der Verfassungsschutz in Thüringen auch heute noch Sinn macht, ist immer wieder fest verwoben mit der Einsicht in die Notwendigkeit der direkten Kontrolle der Verfassungsschutzbehörden durch das Parlament.

(Beifall bei der SPD)

Auch von der Erfahrung, von uns selbst erlebten Geschichte ausgehend, gibt es eben auch immer nur einen Schluss: Niemals darf in unserem demokratisch verfassten Staatswesen die Gefahr bestehen, dass eine Behörde quasi ein Eigenleben führt. Genauso wie die gesamte Verwaltung haben natürlich auch die Verfassungsschutzbehörden dem Staatswesen und damit den Bürgern zu dienen. Unser Grundsatz war und ist: Die Arbeit des Landesamtes für Verfassungsschutz und seine wirksame Kontrolle müssen stets eine Einheit bilden und auch stets als

eine Einheit gesehen werden. Damit stelle ich auch immer wieder klar, dass der Verfassungsschutz Teil unseres gesellschaftlichen Systems ist und nicht außerhalb stehen darf. Meine Damen und Herren, zur Erinnerung: Die mögliche Erfassung von Daten, ich sage mögliche Erfassung von Daten, über einen Landtagsabgeordneten war damals das auslösende Moment unseres Novellierungsvorschlags. Durch das Bekanntwerden dieses Vorganges ging es uns in unserer Gesetzesvorlage darum, zum einen klare Regelungen zu schaffen und zum Zweiten wollen wir auch, dass die Gründe der Ablehnung eines Auskunftsersuchens eines Betroffenen an den Verfassungsschutz aktenkundig gemacht werden. Darüber hinaus soll dem Landesbeauftragten für den Datenschutz grundsätzlich hierüber Auskunft erteilt und Akteneinsicht gewährt werden.

Meine Damen und Herren, unsere freiheitliche Demokratie ist das Maß, an dem sich natürlich auch die Verfassungsschutzbehörden messen lassen müssen. Das Parlament muss dies kontrollieren können. Diese Möglichkeit einer effektiven Kontrolle des Verfassungsschutzes, z.B. durch die eigens dafür eingerichtete Parlamentarische Kontrollkommission, existiert wohl in Thüringen. Wir wollen dieses Gremium nicht abschaffen, wir wollen aber, dass dieses auch in Zukunft immer ein echtes Kontrollgremium ist. Dazu gehört auch z.B., dass die PKK nach eigenem pflichtgemäßen Ermessen über die Vertraulichkeitsstufe geheim bestimmen darf. Das heißt aber nicht, dass wir sagen, die PKK soll in jedem Fall öffentlich tagen, denn öffentlich tagen heißt ja im Grunde genommen, diese Behörde macht sich überflüssig. Neben der Option für Mitarbeiter des Verfassungsschutzes, sich direkt an die Parlamentarische Kontrollkommission zu wenden, treten wir auch dafür ein, dass die PKK im Einzelfall externe Sachverständige mit einer Untersuchung beauftragen kann. Meine Damen und Herren, mit dieser Novelle wollten wir auch dem Verfassungsschutz klare Vorgaben für seine Informationserhebung gegenüber Abgeordneten geben. Der Abgeordnete und seine Arbeit müssen vor unkontrollierbarem Zugriff geschützt werden. Hier handelt es sich nicht um eine Privilegierung einer bestimmten Personengruppe, sondern es dient dem Schutz der Arbeit eines Verfassungsorgans. Mit unserer Gesetzesnovellierung wird nicht gehindert, sondern es wird geregelt und es wird Missbrauch vorgebeugt. Meine Damen und Herren, mit den von uns vorgeschlagenen Änderungen haben wir kein Neuland betreten, sondern mit der allgemeinen Erweiterung der Rechte der PKK haben wir ähnliche Regelungen vorgeschlagen, die der Bund schon seit geraumer Zeit praktiziert. Meine Damen und Herren, wir bitten Sie auf der Grundlage unserer im Ausschuss und auch hier noch einmal vorgebrachten Argumente, der von uns eingebrachten Gesetzesnovellierung zuzustimmen. Ich danke Ihnen.

(Beifall bei der SPD)

Für die Landesregierung hat sich Innenminister Trautvetter zu Wort gemeldet.

Sehr geehrte Frau Präsidentin, meine sehr geehrten Damen und Herren, die Landesregierung hat zu Inhalten und Hintergründen des Gesetzentwurfs in der 78. Plenarsitzung bereits ausführlich Stellung genommen. Ich möchte daher an dieser Stelle nunmehr lediglich feststellen, dass die ablehnende Haltung der Landesregierung zu dem Gesetzentwurf durch die Ergebnisse der Expertenanhörung bestätigt worden ist.

(Beifall bei der CDU)

Einiges ist schon gesagt worden. Ich möchte nur vielleicht einmal ein paar Stellungnahmen bringen. So wurden insbesondere die Vorschläge zur Informationserhebung mit nachrichtendienstlichen Mitteln bei Abgeordneten, das ist in Ihrem Gesetzentwurf der Artikel 1 Nr. 1, als verfassungspolitisch nicht unbedenklich bzw. nachrichtendienstlich unvertretbar, praktisch kaum durchführbar und rechtlich zweifelhaft angesehen. So weit die Experten. Die unter den Voraussetzungen des Artikel 1 Nr. 2 und 4 vorgesehene Speicherung und Weitergabe von Daten Abgeordneter wurde als nicht zweckmäßig und nicht mit geltendem Bundesrecht vereinbar bewertet. Herr Pohl, wenn Sie sagen, keine Privilegierung von Abgeordneten, der Vizepräsident des Bundesamtes für Verfassungsschutz, Dr. Fritzsche, sagt eindeutig: "Zudem stelle sie eine evidente nicht vermittelbare Ungleichbehandlung gegenüber jedem normalen Bürger dar."

(Beifall bei der CDU)

Herr Dr. Jacob bemerkt dazu: "Der Schutz parlamentarischer Tätigkeit sei im Übrigen ausreichend vom Schutzbereich der Immunitäts- und Internitätsregelungen umfasst." Ich glaube, das sind so die Kernaussagen aus der Anhörung und auch die weiteren im Entwurf vorgesehenen Regelungen fanden überwiegend keine Unterstützung durch die Experten. Die Beschlussempfehlung des Innenausschusses, den Gesetzentwurf abzulehnen, wird von der Landesregierung ausdrücklich begrüßt.

(Beifall bei der CDU)

Es liegen keine weiteren Redewünsche vor. Ich schließe die Aussprache. Die Beschlussempfehlung des Innenausschusses hat die Ablehnung des Gesetzentwurfs empfohlen. Demzufolge stimmen wir gleich über den Gesetzentwurf der Fraktion der SPD in der Drucksache 3/3093 in zweiter Beratung ab. Wer dem zustimmt, den bitte ich jetzt um das Handzeichen. Danke schön. Die Gegen

stimmen bitte. Das ist eine Mehrheit von Gegenstimmen. Damit ist der Gesetzentwurf abgelehnt. Ich schließe den Tagesordnungspunkt 3 und komme zum Aufruf des Tagesordnungspunkts 4

Thüringer Gesetz zur Vereinheitlichung des Disziplinarrechts Gesetzentwurf der Landesregierung - Drucksache 3/3309 dazu: Beschlussempfehlung des Justizausschusses - Drucksache 3/3633 dazu: Änderungsantrag der Fraktion der PDS - Drucksache 3/3676 ZWEITE BERATUNG

Als Berichterstatter ist Herr Abgeordneter Carius benannt worden. In zweiter Beratung bitte ich um die Berichterstattung durch Herrn Abgeordneten Carius.

Frau Präsidentin, meine sehr geehrten Damen und Herren, durch Beschluss des Landtags vom 5. Juni 2003 ist der Gesetzentwurf des Thüringer Gesetzes zur Vereinheitlichung des Disziplinarrechts an den Justizausschuss überwiesen worden. Dieser hat sich in vier Sitzungen und einer umfangreichen schriftlichen Anhörung damit befasst.

Nur ganz kurz die Ergebnisse der Anhörung: Seitens der Präsidenten der Landesgerichte gab es keine Einwände gegen dieses Gesetz. Vom Präsidenten des Thüringer Rechnungshofs, der im Moment leider nicht anwesend ist, gab es eine Anmerkung zu diesem Gesetz, wofür ich ihm noch einmal ganz herzlich danken möchte. Die war leider Ihrerseits fehlerhaft. Aber wir haben seine Aufmerksammachung auf diesen Fehler dankend entgegengenommen und auch berücksichtigt. Seitens der Berufsverbände und vom gemeinsamen Ausschuss der Hauptrichterräte wurde deutlich gemacht, dass die Abgrenzung zwischen Richtern und Staatsanwälten ihres Erachtens nach nicht ausreichend sei, wenngleich eingeräumt wurde, dass bereits in der Vorlage der Landesregierung ein wichtiger Kritikpunkt aufgenommen worden sei, den der Referentenentwurf nicht enthalten habe. Hiernach dürfe ein Ermittlungsführer im behördlichen Disziplinarverfahren gegen einen Richter nur ein Richter sein, der mit den Besonderheiten des Amtes vertraut sei. Die PDS-Fraktion hat sich dennoch in der Vorlage 3/1970 die standespolitischen Forderungen der Berufsverbände zu Eigen gemacht und schlug vor, dass Disziplinarverfahren nur vom jeweiligen Dienstgericht eingeleitet und eingestellt werden könnten. Dieser Meinung folgte der Ausschuss mit der übergroßen Mehrheit von SPD und CDU nicht, da erstens im Gesetzentwurf nur eine Rechtsanpassung vorgesehen war und zweitens in der Praxis bei geringfügigen Pflichtwidrigkeiten es sachgerechter ist und im Interesse des Richters liegt, dass wir nicht ein förmliches gericht

liches Verfahren haben. Die Beschlussempfehlung des Ausschusses lautet deshalb auf Annahme des Gesetzentwurfs. Danke.

Ich eröffne die Aussprache und bitte als Ersten Herrn Abgeordneten Koch zum Rednerpult.

Frau Präsidentin, meine Damen und Herren Abgeordneten, nach dem Grundgesetz und den Verfassungen der Länder sind Richter bekanntlich unabhängig und nur dem Gesetz unterworfen. Diese so genannte sachliche Unabhängigkeit der Richter richtet sich in erster Linie gegen Einflussnahmen und mögliche Einflussnahmen der Exekutive. Hieraus folgt nicht nur, dass dem Richter die Möglichkeit zur Herbeiführung einer Überprüfung durch ein unabhängiges Gericht eingeräumt werden muss, wenn er sich durch eine Maßnahme der Dienstaufsicht in seiner Unabhängigkeit beeinträchtigt sieht. Aus dem Gebot der sachlichen Unabhängigkeit folgt weiter, dass das Disziplinarrecht der Beamten nicht uneingeschränkt auf Richter übertragen werden darf. Ich vermute, insoweit dürfte Konsens zwischen mir und Minister Dr. Gasser sowie den übrigen Kollegen im Justizausschuss bestehen, aber ganz sicher bin ich mir da nicht. Sicher bin ich mir allerdings, dass es mit dem Konsens spätestens dann vorbei ist, wenn es darum geht, das soeben beschriebene Prinzip auf den vorliegenden Gesetzentwurf anzuwenden. Hier zeigt sich nämlich, dass die Regierung Althaus in der Kontinuität der Regierung Dr. Vogel und Justizminister Dr. Gasser in der Kontinuität seines Vorgängers steht, was praktisch bedeutet, hin zu mehr Obrigkeitsstaat statt zu mehr Demokratie.

Die Vertreter der Richterinnen und Richter sowie Staatsanwältinnen und Staatsanwälte beanstanden im Rahmen ihrer Anhörung, dass der Gesetzentwurf die bisherige Möglichkeit beibehält, durch Disziplinarverfügung einen Verweis zu verhängen. Sie berufen sich hierbei auf die einhellige Meinung in Rechtsprechung und Literatur, dass dies mit Blick auf die richterliche Unabhängigkeit nicht angemessen sei. Der Bundesgerichtshof hat in seinem Beschluss von 1977, in dem es um die Frage ging, ob dann, wenn eine schwerere Maßnahme als ein Verweis nicht in Betracht kommt, die oberste Dienstbehörde die Einleitung eines förmlichen Disziplinarverfahrens beantragen dürfe, die Zulässigkeit der Einleitung eines förmlichen Disziplinarverfahrens bejaht und in diesem Zusammenhang ausführt: Das Argument, das Disziplinarrecht sei Dienstherrenrecht und verlange von dem Dienstvorgesetzten eine materielle Disziplinarentscheidung soweit seine Kompetenzen reichen, dürfte im Bereich des Beamtenrechts zwar zutreffend sein, im Bereich des Richterrechts ließe sich dagegen im Hinblick auf den Grundsatz der richterlichen Unabhängigkeit und seiner Unantastbarkeit mit guten Gründen und in Übereinstimmung mit frü

herem preußischen Recht der Standpunkt vertreten, jede Disziplinarmaßnahme dürfe nur im Wege eines förmlichen Verfahrens durch das Dienstgericht verhängt werden. Dabei sollte uns auch der in dieser Entscheidung angedeutete historische Aspekt zu denken geben, meine Damen und Herren. Der nationalsozialistische Gesetzgeber änderte nämlich 1937 die bis dahin geltende Rechtslage in Preußen, nach der bei Richtern bis 1937 Disziplinarmaßnahmen ausschließlich nur in einem förmlichen Verfahren durch das Dienstgericht verhängt werden durften. Das Deutsche Richtergesetz hat dies zwar durch Änderungen der gesetzlichen Regelung von 1997 weit gehend zurückgenommen, beim Verweis jedoch die Zuständigkeit der obersten Dienstbehörde zum Erlass einer Dienstverfügung belassen, was wieder, zum wiederholten Male also, auf die einhellige Kritik in der Literatur und der Rechtsprechung stößt.

Meine Damen und Herren Abgeordneten, es muss auch in der zweiten Lesung dem Eindruck entgegengetreten werden, der Gesetzentwurf sei nicht mehr als eine bloße Anpassung an das geänderte Disziplinarrecht der Beamten, die gegenüber dem bisherigen Rechtszustand nichts Wesentliches ändere. Das Disziplinarverfahren nach der alten Disziplinarordnung war bekanntlich dreigeteilt in ein Vorverfahren, in ein förmliches durch einen unabhängigen Untersuchungsführer geleitetes Disziplinarverfahren und in ein gerichtliches Verfahren, wobei das förmliche Disziplinarverfahren bei den Richtern nur durch Beschluss des Dienstgerichts eingeleitet und eingestellt werden konnte. Bestand der Verdacht eines nicht nur geringfügigen Dienstvergehens, das nach Auffassung der obersten Dienstbehörde ein förmliches Disziplinarverfahren erforderlich erscheinen ließ, so fanden vor der Beantragung des förmlichen Disziplinarverfahrens nur kurze, weitestgehend eingeschränkte Vorermittlungen statt. Nunmehr ist zu befürchten, dass vor der Erhebung der Disziplinarklage durch die oberste Dienstaufsichtsbehörde umfänglich und in aller Tiefe ermittelt wird, dass eine Prüfung der Rechtmäßigkeit des Disziplinarverfahrens durch das Dienstgericht vorab nicht stattfindet und schließlich die Neutralität des gegenüber dem Ministerium weisungsabhängigen Ermittlungsführers nicht gewährleistet ist.

Die beabsichtigte neue Rechtslage ist daher mit der richterlichen Unabhängigkeit noch sehr viel weniger zu vereinbaren als der bisherige bereits unbefriedigende Rechtszustand. Minister Dr. Gasser will uns glauben machen, dies sei völlig unbedenklich, weil der Richter schließlich jederzeit die Möglichkeit habe, das Dienstgericht anzurufen, wenn er sich in seiner richterlichen Unabhängigkeit durch eine Maßnahme der Dienstaufsicht beeinträchtigt sieht. Dem ist entgegenzuhalten, dass die nachträgliche Überprüfung durch das Dienstgericht regelmäßig zu spät kommt, wenn die Rechtsprechungstätigkeit bereits durch ein rechtswidriges Disziplinarverfahren beeinträchtigt worden ist.

Allein schon die Tatsache, meine Damen und Herren, dass ein im Nachhinein als rechtswidrig erkanntes Diszipli

narverfahren durchgeführt wird, beeinträchtigt den Richter in seiner laufenden Rechtsprechungstätigkeit. Und das ist genau der Punkt, an dem sich grundsätzlich das richterliche Disziplinarverfahren von dem Disziplinarverfahren der Beamten unterscheidet und unterscheiden muss.

Zu Recht haben daher Richtervertretungen im Anhörungsverfahren gefordert, dass die Einleitung disziplinarrechtlicher Ermittlungen und die Verhängung von Disziplinarmaßnahmen ausschließlich dem Dienstgericht vorbehalten sein sollten. Justizminister Dr. Gasser behauptete im Ausschuss, dass bei disziplinarrechtlichen Ermittlungen und der Verhängung eines Verweises als Disziplinarverfügung niemals der Kernbereich der Rechtsprechungstätigkeit berührt werde. Das ist meines Erachtens falsch. Typische Fälle im Kernbereich der richterlichen Tätigkeit, die gelegentlich der Dienstaufsicht zugänglich sein können, sind dienstliche Äußerungen eines Richters. Nehmen wir zum Beispiel an, in einer Entscheidung stehen wertende Äußerungen, durch die sich eine Partei beleidigt sieht, so kann dies die schwierige Frage aufwerfen, ob Maßnahmen der Dienstaufsicht einschließlich eines Disziplinarverfahrens gegen den Richter möglich sind. Die Beantwortung dieser Frage sollte dem Dienstgericht und nicht der Exekutive überlassen werden.

Im Anhörungsverfahren wurden von Seiten der Richterund Staatsanwaltsvertretungen noch weitere Defizite des Gesetzentwurfs aufgezeigt, auf die ich hier wegen ihrer Spezifik nicht weiter eingehen möchte, die für mich aber sachlich und nachvollziehbar dargestellt wurden und sich schon deshalb für mich eine Abwertung als Standespolitik, im Gegensatz zu Justizminister Dr. Gasser, verbieten würde.

Sehr geehrte Damen und Herren, der von uns eingebrachte Änderungsantrag führt bei seiner Annahme zu einer Änderung des Regierungsentwurfs in vier wesentlichen Punkten.

Erstens: Disziplinarmaßnahmen können nur durch Urteil im Disziplinarklageverfahren verhängt werden.

Zweitens: Besteht der Verdacht eines Dienstvergehens, was aus Sicht des Justizministers die Verhängung einer Disziplinarmaßnahme erforderlich erscheinen lässt, so ist die Einleitung eines Disziplinarverfahrens beim Dienstgericht zu beantragen.

Drittens: Die vorläufige Dienstenthebung und die Einbehaltung von Dienstbezügen sind nur möglich, wenn im Disziplinarverfahren voraussichtlich die Entfernung aus dem Dienst oder die Aberkennung des Ruhegehalts verhängt werden wird.

Viertens: Der Ermittlungsführer ist wie der bisherige Untersuchungsführer im förmlichen Disziplinarverfahren nicht weisungsabhängig gegenüber dem Minister.

Meine Damen und Herren, insbesondere von der Mehrheitsfraktion, ich hoffe nicht auf Ihre Zustimmung zu unserem Änderungsantrag und ich bin mir an dieser Stelle sicher, Sie werden mich nicht enttäuschen.