Protokoll der Sitzung vom 17.10.2003

1. Welche Modifizierungen sieht die Gesetzesinitiative Niedersachsens zur Änderung von § 18 Strafvollzugsgesetz vor?

2. Unterstützt und - gegebenenfalls - mit welcher Begründung unterstützt die Landesregierung die Gesetzesinitiative Niedersachsens?

Herr Minister Gasser, bitte schön.

Frau Präsidentin, meine sehr geehrten Damen und Herren Abgeordneten.

Zu Frage 1: Das Land Niedersachsen beabsichtigt, im Wege einer möglichen Bundesratsinitiative den in § 18 Abs. 1 Satz 1 Strafvollzugsgesetz verankerten Grundsatz der Einzelunterbringung von Strafgefangenen während der Ruhezeit zu lockern. Bisher ist dazu lediglich ein Referentenentwurf des niedersächsischen Justizministeriums bekannt. Nach diesem Vorschlag soll die Einzelunterbringung von Strafgefangenen während der Ruhezeit zwar grundsätzlich erhalten bleiben, die gemeinschaftliche Unterbringung von Strafgefangenen während der Ruhezeit aber unter anderen Voraussetzungen als nach bisherigem Recht zulässig sein. Nach bestehendem Recht ist eine gemeinsame Unterbringung von Strafgefangenen während der Ruhezeit zulässig, sofern diese hilfsbedürftig sind oder eine Gefahr für ihr Leben und ihre Gesundheit besteht. Im Übrigen ist im geschlossenen Vollzug eine gemeinsame Unterbringung von Strafgefangenen zur Ruhezeit ohne ihr Einverständnis nur vorübergehend und aus zwingenden Gründen zulässig. In Anstalten, mit deren Errichtung vor In-Kraft-Treten dieses Gesetzes in Thüringen nach Beitritt zur Bundesrepublik Deutschland am 03.10.1990 begonnen wurde, gilt, dass abweichend von § 18 Strafvollzugsgesetz Gefangene während der Ruhezeit auch gemeinsam untergebracht werden dürfen, solange die räumlichen Verhältnisse der Anstalt dies erfordern. Da eine länger andauernde Überbelegung einer Anstalt nicht als nur vorübergehend im Sinne von § 18 Abs. 2 Satz 2 Strafvollzugs

gesetz angesehen werden kann, zielt der niedersächsische Vorschlag darauf ab, auch in den nach dem In-Kraft-Treten des Strafvollzugsgesetzes errichteten oder kernsanierten Vollzugsanstalten und einzelnen Hafthäusern Hafträume auch ohne Zustimmung des Gefangenen aus Gründen der Vollzugsorganisation, z.B. Mangel an Haftplätzen für eine Einzelunterbringung infolge länger währender Überbelegung einer Anstalt, mit mehreren Gefangenen belegen zu dürfen.

Zu Frage 2, Herr Abgeordneter Dr. Koch: Aus Sicht der Thüringer Landesregierung erscheint der Vorschlag zur Änderung des Strafvollzugsgesetzes mit dem Ziel der gemeinschaftlichen Unterbringung von Gefangenen während der Ruhezeit diskussionswürdig. Die Änderung des § 18 Strafvollzugsgesetz erscheint eine grundsätzlich denkbare Lösung, um den aus der derzeitigen Rechtslage folgenden Problemen zu begegnen. Gleichwohl gibt es auch Aspekte, die gegen die vorgeschlagene Neufassung des § 18 sprechen. Insbesondere würde dadurch das Prinzip der Einzelunterbringung von Gefangenen während der Ruhezeit bis auf Weiteres für weite Bereiche des Justizvollzugs aufgegeben. Angesichts der Tatsache, dass die gegenwärtig bundesweit herrschende Überbelegung nicht kurzfristig durch Schaffung ausreichender zusätzlicher Haftraumkapazitäten abgebaut werden kann, wird auch eine Ausweitung der Übergangsbestimmung des Strafvollzugsgesetzes zur Belegung diskutiert. So könnte nach § 101 Strafvollzugsgesetz eine weitere Übergangsvorschrift eingefügt werden, die auch in Anstalten, mit deren Errichtung nach dem 1. Januar 1977 begonnen wurde, eine gemeinsame Unterbringung von Gefangenen während der Ruhezeit zulässt, soweit in den Justizvollzugsanstalten des betreffenden Landes nicht genügend Einzelhafträume zur Verfügung stehen. Die Einfügung einer solchen Bestimmung könnte auch in Gestalt einer zeitlich befristeten Übergangsvorschrift erfolgen. Gegenwärtig werden die Vorteile und Nachteile der einzelnen Lösungsmöglichkeiten zwischen den Justizverwaltungen erörtert. Die Meinungsbildung ist noch nicht abgeschlossen.

Gibt es Nachfragen? Das ist nicht der Fall. Danke schön. Wir kommen zur Frage in Drucksache 3/3621, bitte Herr Abgeordneter Hahnemann.

Abhören von "Verteidigergesprächen"

Die "Frankfurter Allgemeine Zeitung" vom 1. Oktober 2003 berichtet über Fälle, bei denen die saarländische Polizei Informationen aus richterlich angeordneten Abhörmaßnahmen aufgezeichnet, zusammengefasst und den jeweiligen Ermittlungsakten hinzugefügt hat.

In Rheinland-Pfalz gäbe es eine Verwaltungsvorschrift, nach der das Abhören von "Verteidigergesprächen" nicht

erlaubt ist bzw. Informationen aus solchen umgehend vernichtet werden müssen.

Ich frage die Landesregierung:

Wie und auf welcher Grundlage wird oder würde in Thüringen mit solchen Fällen umgegangen?

Herr Minister Gasser, bitte schön.

Frau Präsidentin, meine sehr geehrten Damen und Herren Abgeordneten, die Mündliche Anfrage des Abgeordneten Dr. Hahnemann beantworte ich für die Landesregierung wie folgt: Die Thüringer Justiz beachtet die geltende Rechtslage.

(Beifall bei der CDU)

Eine Überwachung der Telekommunikationsanschlüsse eines Verteidigers nach § 100 a StPO zum Zwecke des Abhörens von Gesprächen mit seinen Mandanten ist gemäß § 148 StPO unzulässig. Dies hat der Bundesgerichtshof in seinem Urteil vom 5. November 1985 klargestellt. Soweit bei der Überwachung des Beschuldigten zufällig auch Gespräche mit dessen Verteidiger aufgezeichnet werden, dürfen die dabei gewonnenen Erkenntnisse nicht zu Beweiszwecken im Strafverfahren verwendet werden. Dies bedeutet auch, dass, soweit von Seiten der Strafverfolgungsbehörden auf den Abhör- und Aufzeichnungsvorgang Einfluss genommen werden kann, die Überwachung des Gesprächs abzubrechen ist. Ein Eingang der gleichwohl aufgezeichneten Verteidigergespräche in die Ermittlungsakte dürfte zulässig sein. Im Bundesjustizministerium wird aber eine gesetzliche Regelung diskutiert, nach der Erkenntnisse aus derartigen Überwachungen jedenfalls zu Gunsten des Beschuldigten verwendet werden dürfen. Eine Verwaltungsvorschrift, die die Vernichtung von gleichwohl aufgezeichneten Verteidigergesprächen anordnet, ist nicht erforderlich. Ich gehe davon aus, dass den Staatsanwälten und den Richtern des Freistaats Thüringen - bei Richtern bei einem sich gegebenenfalls anschließenden Strafverfahren - höchstrichterlich entschiedene Verwertungsverbote bekannt sind und diese auch bei der richterlichen Entscheidungsfindung berücksichtigt werden.

(Beifall bei der CDU)

Ich sehe keine Nachfragen. Danke schön. Wir kommen zur letzten Frage in Drucksache 3/3648. Bitte Frau Abgeordnete Wolf.

Urteil des Europäischen Gerichtshofs (EuGH) zur Anrechnung von Bereitschaftszeiten

Nach einem Urteil des EuGH ist die Bereitschaftszeit von Klinikärzten als Arbeitszeit zu werten. Auch in anderen Bereichen sind Bereitschaftszeiten üblich, welche bisher nicht vergütet werden. Im Besonderen betroffen davon sind Frauenhäuser, die nach der entsprechenden Richtlinie (mit zum Teil weniger als zwei vollbeschäftigten Mit- arbeiterinnen) an sieben Tagen der Woche 24 Stunden am Tag erreichbar sein müssen.

Ich frage die Landesregierung:

1. Ist das Urteil auf Bereitschaftszeiten in Frauenhäusern übertragbar?

2. Wenn nein, warum nicht?

3. Wenn ja, welche Auswirkungen hat dies?

4. Welche Maßnahmen wird die Landesregierung unternehmen?

Frau Staatssekretärin Meier, bitte schön.

Frau Präsidentin, sehr geehrte Damen und Herren, für die Landesregierung beantworte ich die Mündliche Anfrage der Frau Abgeordneten Wolf wie folgt:

Zu Frage 1: Nein, das Urteil ist auf Bereitschaftszeiten in Frauenhäusern und Schutzwohnungen nicht übertragbar.

Zu Frage 2: Das Urteil des Europäischen Gerichtshofs vom 9. September 2003 zum Bereitschaftsdienstfall Jäger bezieht sich ausschließlich auf Bereitschaftsdienste, die in den Räumen des Arbeitgebers geleistet werden. Das heißt, die Ärztin oder der Arzt leisten ihren Bereitschaftsdienst in Form persönlicher Anwesenheit im Krankenhaus. Bei der Bereitschaft der Mitarbeiterinnen von Frauenhäusern und Schutzwohnungen handelt es sich im Gegensatz dazu um eine Rufbereitschaft, die dadurch gekennzeichnet ist, dass der Arbeitnehmer sich nicht an einer vom Arbeitgeber bestimmten Stelle bereithalten, sondern nur jederzeit erreichbar sein muss, um seine beruflichen Aufgaben auf Abruf wahrnehmen zu können.

Zu Frage 3 und 4: Im Übrigen sind die durch die Europäische Gerichtshofentscheidung erforderlichen Veränderungen in der Arbeitszeitgestaltung in der Verantwortung der zuständigen Träger festzustellen und zu veranlassen.

Ich sehe keine Nachfragen, oder doch. Frau Staatssekretärin, könnten Sie bitte noch einmal nach vorne kommen. Bitte, Frau Abgeordnete Wolf.

Auch wenn ich Ihre Antwort gut nachvollziehen kann, ist es ja trotzdem unzweifelhaft, dass auch eine Rufbereitschaft mit einem erhöhten Arbeitsaufwand oder zumindest mit einer Einschränkung im persönlichen Leben verbunden ist. Also z.B. der Fahrtüchtigkeit am Abend, der Erreichbarkeit, dass man nicht einfach seine Freizeit wild verplanen kann, und, und, und... Gibt es irgendwelche Überlegungen, wie diese doch erhebliche Einschränkung der persönlichen Freiheit in der Freizeit in irgendeiner Weise vergolten werden kann?

Die Förderrichtlinien für Frauenhäuser setzen nicht notwendig die Rufbereitschaft voraus. Dennoch wird in den meisten Frauenhäuser Rufbereitschaft geleistet, einmal indem man sich zusammenschließt mit entsprechenden Polizeiinspektionen und zum anderen werden die Rufbereitschaften im Ehrenamt geleistet.

Weitere Nachfragen sehe ich nicht. Danke schön. Wir können den Tagesordnungspunkt 24 abschließen.

Ich rufe den Tagesordnungspunkt 19 auf

Berichtsvorlage der Enquetekommission "Erziehung und Bildung in Thüringen" Antrag der Abgeordneten Bechtum, Dittes, Döring, Emde, Prof. Dr. Goebel, Grob, Lehmann, Nitzpon, Panse, Pelke, Dr. Pidde, Dr. Stangner, Tasch, K. Wolf, und Zitzmann - Drucksache 3/3634 dazu: Änderungsantrag der Abgeordneten Bechthum, Dittes, Döring, Emde, Prof. Dr. Goebel, Grob, Lehmann, Nitzpon, Panse, Pelke, Dr. Pidde, Dr. Stangner, Tasch, K. Wolf und Zitzmann - Drucksache 3/3661

Werden Begründungen gewünscht für diesen Antrag? Dann muss ich erst einmal schauen. Dann gibt es auch keine Wortmeldungen, wie ich hier sehe. Wir werden zunächst über den Änderungsantrag abstimmen. Wer dem Änderungsantrag in Drucksache 3/3661 zustimmen will, den bitte ich um das Handzeichen. Gegenstimmen? Gibt es nicht. Stimmenthaltungen? Dieser Änderungsantrag ist ein

stimmig angenommen.

Wir stimmen jetzt über den Antrag in Drucksache 3/3634 ab unter Berücksichtigung des eben abgestimmten Änderungsantrags. Wer dem Antrag zustimmen will, den bitte ich um das Handzeichen. Gegenstimmen? Gibt es keine. Stimmenthaltungen? Auch dieser Antrag ist einstimmig angenommen. Wir können Tagesordnungspunkt 19 dann gleich auch wieder abschließen und ich rufe den Tagesordnungspunkt 20 auf

Überstundenabrechnungen bei der Thüringer Polizei Antrag der Fraktion der PDS - Drucksache 3/3640

Ich sehe keine Wortmeldungen hier auf meiner Liste für eine Begründung. Bitte, dann gibt die Landesregierung ihren Sofortbericht. Herr Minister Trautvetter.

Sehr geehrte Frau Präsidentin, meine sehr geehrten Damen und Herren. Zunächst trete ich nachdrücklich der Unterstellung entgegen, die Landesregierung verschleiere hier irgendetwas. Das Gegenteil ist der Fall.

(Beifall bei der CDU)

Das Innenministerium hat, nachdem die Vorwürfe im Herbst 2000 bekannt wurden, die erforderlichen Untersuchungen eingeleitet und sofort reagiert. So wurde ein Erlass herausgegeben, wie bei Mehrarbeitsvergütung zu verfahren ist, um Fehler in der Zukunft zu vermeiden. Im Übrigen wurde im November 2000 die Auszahlung von Mehrarbeitsvergütung vorerst gestoppt, um bis zu einer Klärung der Rechtslage möglicherweise ungerechtfertigte Zahlungen zu verhindern. Bei den Prüfungen ist, lassen Sie mich dies vorwegnehmen, deutlich geworden, dass es sich hier um Einzelfälle handelt, die alle differenziert betrachtet werden müssen. Von einem Polizeiskandal zu reden, so wie es die Opposition allzu schnell tut, ist abwegig, und auch jetzt wird nichts verschwiegen. Wir waren und wir sind an einer lückenlosen Aufklärung interessiert. Beachten Sie aber bitte, dass es sich hier um laufende Ermittlungen handelt, die natürlich nicht zuletzt im Interesse einer umfassenden Aufklärung des Sachverhalts eine gewisse Zurückhaltung in der Berichterstattung gebieten.

Zur Sache selbst: Zu diesem Sachverhalt sind die Überprüfungen bzw. Ermittlungen auf zwei Ebenen durchgeführt worden und werden es noch. Die verwaltungsmäßigen Prüfungen erfolgen durch das Thüringer Innenministerium. Die Staatsanwaltschaft Erfurt führt Untersuchungen im Rahmen eines Ermittlungsverfahrens durch. Ich werde zunächst auf die einzelnen Anstriche und Fragen eingehen.

Zum ersten Anstrich: Es wurde der Vorwurf erhoben, dass Angehörige der Thüringer Polizei Mehrarbeit nicht auf der Grundlage der einschlägigen Rechtsvorschriften abgerechnet haben und Überzahlungen zu vermuten sind. Die Staatsanwaltschaft Erfurt ermittelt gegen unbekannt wegen Betrugs zum Nachteil des Freistaats Thüringen.

Zum zweiten Anstrich: Aufgrund von Hinweisen aus den Haushaltsbereichen der nachgeordneten Behörden wurde unter Einbeziehung der Arbeitsgruppe Interne Ermittlungen dieser Sachverhalt bekannt. Im Innenministerium wurde eine zentrale Arbeitsgruppe, in allen nachgeordneten Behörden und Einrichtungen wurden dezentrale Arbeitsgruppen eingerichtet. Deren Aufgabe war es, die Arbeitszeitnachweise und Mehrarbeitszeitabrechnungen aller Polizeibeamten zu überprüfen. Der zentralen Arbeitsgruppe wurden die Arbeitszeitnachweise von acht Führungsbeamten vorgelegt. Der Staatsanwaltschaft Erfurt sind die Verdachtshinweise in einer Zeugenvernehmung innerhalb des Ermittlungsverfahrens "Rotlicht" bekannt geworden.

Zum dritten Anstrich: Die Untersuchungen durch die Arbeitsgruppe des Innenministeriums laufen seit November 2000. Der Abschlussbericht datiert vom 16. Mai 2001. Die Staatsanwaltschaft erhielt auf entsprechende Anfragen im Mai 2003 Unterlagen zur Prüfung möglicher Strafbarkeiten. Ein Zeitpunkt des Abschlusses aller Maßnahmen kann noch nicht benannt werden.

Zum vierten Anstrich: In der Thüringer Polizei sind seit Einführung des bundesdeutschen Rechts in Thüringen die Festlegungen der Verordnung über die Gewährung von Mehrarbeitsvergütung für Beamte in Verbindung mit der dazugehörigen Allgemeinen Verwaltungsvorschrift zur Verordnung über die Gewährung von Mehrarbeitsvergütung für Beamte in der jeweils aktuellen Fassung für die Vergütung von Mehrarbeit maßgeblich. Andere Regelungen zur Abrechnung von Mehrarbeitszeit gibt es nicht.