Meine Damen und Herren, Herr Ramelow, ich habe heute Morgen in den Nachrichten gehört, Sie haben dieses als eine Sternstunde bezeichnet. Ich würde auch nicht so weit gehen, ähnlich wie Herr Abgeordneter Schemmel, aber es ist schon eine besondere Situation, dass wir einen Kompromiss auf dem Tisch haben, der offensichtlich von allen drei Fraktionen getragen wird. Wir haben schon einige Anträge hier im Parlament gehabt, die einmütig von allen drei Fraktionen abgestimmt und befürwortet worden sind. Es waren Anträge in schweren Stunden. Ich denke beispielsweise an unsere Stellungnahme zum Brandanschlag auf die Synagoge in Erfurt, oder ich denke an das Massaker am Gutenberg-Gymnasium. Wir sind heute von solchen schweren Stunden Gott sei Dank weit entfernt und dennoch haben wir hier Anträge auf dem Tisch, die wir gemeinsam im Konsens verabschieden werden.
Meine Damen und Herren, an dieser Stelle frage ich natürlich auch, ob Volksbegehren, wenn sie denn erfolgreich sind, und Volksentscheide nicht auch ein Fingerzeig an die parlamentarische Demokratie, und zwar an die repräsentative parlamentarische Demokratie sind, ein Fingerzeig dahin, ob die Demokratie richtig funktioniert, wenn die Repräsentanten möglicherweise eine Stimmung infolge nicht genügend aufgenommen haben, und das Volk sich dann direkt zu Wort melden muss. Dennoch, Herr Hahnemann, gegen eines verwahre ich mich ganz entschieden, wir sind 1989 auf die Straße gegangen mit dem Ruf: "Wir sind das Volk." Wir haben etwas geändert als dieses Volk.
Aber ich verwahre mich ausdrücklich dagegen, das Aufstehen des Volkes gegen eine Diktatur zu vergleichen mit unserer heutigen parlamentarisch-demokratischen Ordnung. Es ist zweierlei.
Es ist zweierlei, dass, wie wir 1989 auf die Straße gegangen sind und wenn heute ein Verein, eine Bürgerbewegung oder wer auch immer, eine direkt demokratische Entscheidung einfordert. Wir müssen dafür Sorge tragen, dass die direkte Demokratie eben nicht auch zu einem Missbrauch führen kann.
Meine Damen und Herren, das ist die Situation damals gewesen als wir die Verfassung erarbeitet haben. Ich sehe in Sonderheit Herrn Lippmann dabei an, der Unterausschussvorsitzende, der sehr, sehr viel Arbeit da hineingelegt hat. Es war eine fragile Demokratie damals noch. Es waren Zeiten, wo kein Landtagsplenum stattfand, ohne dass zwei oder drei Demonstrationen vor dem Landtag stattfanden.
(Zwischenruf Abg. Dittes, PDS: Demonstra- tionen sind doch kein Ausdruck einer fragilen Demokratie. Sie sind deren Ausdruck.)
Meine Damen und Herren, diese beiden Gesetze bedeuten einen guten Kompromiss. Das sage ich hier mit aller Entschiedenheit, einen guten Kompromiss, hinter dem die CDU steht. Ich denke, die drei im Thüringer Landtag vertretenen Parteien haben gezeigt, dass sie bereit sind, Kompromisse im Interesse der Menschen in wichtigen Fragen und in wichtigen Lagen dieses Landes zustande zu bringen. Deswegen, meine Damen und Herren, werden heute nicht Erbsen gezählt, wer mehr erreicht hat, wer mehr nachgegeben hat, wer das erreicht hat, was er wollte und wer was eingebracht hat, sondern es wird heute darüber abgestimmt, ob der Kompromiss in Gänze tragfähig sein wird. Es ist eben auch ein gutes Zeichen, ich habe darauf vorhin verwiesen, dass das ein historischer Augenblick ist, weil wir das erste Mal in diesem Plenarsaal tagen. Aber ich bringe trotzdem beides zusammen und sage, es ist ein gutes Zeichen, dass der erste Tagesordnungspunkt der ersten Sitzung im neuen Plenarsaal diese beiden Gesetze behandelt.
Meine Damen und Herren, zu den Regelungsansätzen ist schon einiges gesagt worden, so dass ich wohl hier dazu nicht viel sagen muss. Lediglich das eine, dass in diesem Kompromiss wir uns allesamt sehr weit bewegt haben, beispielsweise der Bürgerantrag, von ursprünglich 120.000 Stimmen, die erforderlich waren, reduziert auf 50.000 Stimmen, die freie Sammlung und die amtliche Sammlung hereingebracht haben, meine Damen und Herren, diese Regelung finde ich in keinem anderen Gesetz in einem Land der Bundesrepublik Deutschland und auch die Absenkung der Quoren von 14 Prozent auf 10 Prozent bei freier Sammlung bzw. auf 8 Prozent bei amtlicher Sammlung.
Meine Damen und Herren, die Abläufe werden transparenter und praktikabler. Von der Einleitung einer Unterschriftensammlung beispielsweise wird der Verfassungsgerichtshof über die Zulässigkeit eines Volksbegehrens entscheiden und auch was das Rederecht der Vertrauenspersonen angeht, haben wir klare Regelungen getroffen.
Vor wenigen Tagen haben wir 10 Jahre Thüringer Verfassung auf der Wartburg gefeiert. Wenn wir heute die Verfassung ändern, heißt das nicht, dass sich die Verfassung des Freistaats Thüringen etwa nicht bewährt hat, sondern ganz im Gegenteil in den letzten 10 Jahren hat sich diese Verfassung bewährt.
Wenn wir heute an einer Stelle etwas ändern, ich habe es schon angedeutet, dann hat das auch etwas damit zu tun, dass sich die Situation im Freistaat Thüringen auch positiv verändert hat. Eines lassen Sie mich an dieser Stelle aber noch einmal deutlich sagen: Vorrang vor allen Formen direkter Demokratie hat für die CDU im Lande immer noch die repräsentative parlamentarische Demokratie.
Herr Abgeordneter Hahnemann, Sie haben vorhin den Artikel 45 angeführt: Das Volk verwirklicht seinen Willen durch Wahlen, Volksbegehren und Volksentscheid. So steht es dort.
Meine Damen und Herren, ich will nicht, dass man anonym seine Unterschrift gibt und hinterher sich einen Teufel darum schert, was denn daraus geworden ist.
Gerade mit Blickrichtung auf die PDS sage ich dieses. Sie sind doch die Weltmeister im Lande, was die namentlichen Abstimmungen angeht.
Doch genau, damit das Volk weiß, wer hat wie abgestimmt. Genau das will ich bei dem repräsentativen demokratischen Parlamentarismus, dass auch das Volk sagen kann, diese Fraktion hat so und so abgestimmt, diese Fraktion hat auch dafür gerade zu stehen.
Deswegen sage ich, die repräsentative parlamentarische Demokratie wird auch in Zukunft und soll auch in Zukunft den Vorrang haben.
Meine Damen und Herren, ich möchte mich an dieser Stelle bei allen Beteiligten herzlich bedanken, die diesen Kompromiss zustande gebracht haben, bei den Fraktionsvorsitzenden, zum Teil auch Landesvorsitzenden der Parteien. Besonderen Dank sage ich auch meinem Vorgänger und jetzigen Ministerpräsidenten Dieter Althaus,
der entscheidend dazu beigetragen hat, dass es zu diesem Kompromiss gekommen ist. Ich möchte den Mitgliedern des Justizausschusses und des Unterausschusses herzlich danken, aber ich möchte auch den beteiligten Mitarbeiterinnen und Mitarbeitern der Fraktionsgeschäftsstellen und der Landtagsverwaltung danken, dass wir so weit gekommen sind.
Meine Damen und Herren, ich glaube, der größte Sieg der parlamentarischen Demokratie wäre es allerdings, wenn möglichst wenig Maßnahmen der direkten Demokratie greifen müssten. Wenn wir die Stimmungslage und die Forderungen der Bevölkerung so aufnehmen und kanalisieren würden, dass wir sie hier im Parlament beraten. Ich hoffe und ich wünsche, dass die Abstimmung zu diesem Kompromiss sehr einmütig erfolgen wird. Recht herzlichen Dank.
Frau Präsidentin, meine sehr verehrten Damen und Herren, dies ist, so denke ich, ein guter Tag für Thüringen und ein großer Tag für den Thüringer Landtag. Der neue Plenarsaal hätte nicht besser eingeweiht werden können als mit den abschließenden Lesungen der Gesetzentwürfe zur Änderung der Verfassung und des Verfahrensgesetzes im Zusammenhang mit der Verbesserung der Möglichkeiten der direkten Bürgerbeteiligung bei gleichzeitiger Wahrung des von der Verfassung unabänderlich vorgegebenen Vorrangs der repräsentativen Demokratie.
Meine Damen und Herren, fast ist man versucht zu sagen, der Weg war lang und steinig. Ausgangspunkt dieses Wegs sind sicher die bundesweiten Bestrebungen gewesen, mehr direkt demokratische Elemente in die Länderverfassungen aufzunehmen bzw. die vorhandenen direkt demokratischen Elemente zu stärken. Solche Bestrebungen gibt es seit den 90er-Jahren nahezu bundesweit und sie haben auch in anderen Bundesländern zu zum Teil erheblichen verfassungs- und einfachgesetzlichen Änderungen geführt. In Thüringen hat sicher das Volksbegehren "Mehr Demokratie in Thüringen" aus dem Jahr 2000 eine ganz wichtige Rolle gespielt, das die Unterstützung von über 360.000 Bürgern gefunden hat. Die Initiatoren sind jedoch mit diesem Volksbegehren deutlich über das verfassungsrechtlich zulässige Ziel hinausgeschossen, so dass die Landesregierung zur Anrufung des Thüringer Verfassungsgerichtshofs gezwungen war. Dieser hat dann im September 2001 mit deutlicher Mehrheit der Richterstimmen die Unvereinbarkeit dieses Volksbegehrens mit der Thüringer Verfassung festgestellt. In der Folgezeit hat dann bereits im Oktober 2001 der Thüringer Landtag auf Antrag der CDU-Fraktion Eckpunkte einer zukünftigen gesetzlichen Regelung zur Stärkung des bürgerschaftlichen Engagements in Thüringen formuliert und die Landesregierung gebeten, entsprechende Gesetzentwürfe vorzulegen. Parallel zu den daraufhin im Justizministerium erarbeiteten Gesetzentwürfen zur Änderung der Thüringer Verfassung und zur Änderung des Thüringer Gesetzes über das Verfahren bei Bürgerantrag, Volksbegehren und Volksentscheid haben auch PDS und SPD entsprechende Gesetzentwürfe vorgelegt. Die Gesetzentwürfe von PDS und SPD einerseits und der Landesregierung andererseits unterschieden sich nicht unerheblich. Nach Auffassung der CDU-Fraktion und der Landesregierung gingen die Gesetzentwürfe von PDS und SPD immer noch deutlich über das verfassungsrechtlich Zulässige hinaus. In dieser Auffassung sahen sie sich bestätigt durch die Stellungnahmen namhafter Verfassungsrechtler bei der Sachverständigenanhörung im Sommer des vergangenen Jahres.
Meine Damen und Herren, danach kam Bewegung in die Sache. Den Parteien- und Fraktionsvorsitzenden gelang es, einen Kompromiss zu finden, der im Mai dieses Jahres auf einer Landespressekonferenz vorgestellt wurde. Er beinhaltet folgende wesentliche Festlegungen überwiegend zur Ausgestaltung von Volksbegehren: Wahlrecht zwischen freier und amtlicher Sammlung für die Initiatoren, Ausschluss der freien Sammlungen an dafür nicht geeigneten Orten, Widerrufsrecht der Unterzeichner von Volksbegehren, Unterstützungsquorum beim Volksbegehren von 10 Prozent bei freier Sammlung und von 8 Prozent bei amtlicher Sammlung, Sammlungsfrist beim Volksbegehren von vier Monaten bei freier Sammlung und von zwei Monaten bei amtlicher Sammlung, Zustimmungsquorum beim Volksentscheid von 25 Prozent bei einfachen Gesetzen und von 40 Prozent bei verfassungsändernden Gesetzen, Unterstützungsquorum von 50.000 Unterschriften beim Bürgerantrag. In der Folgezeit war im Justizausschuss und in einem hierfür eigens gebildeten Unterausschuss des Justizausschusses noch Dreierlei zu tun. Zum einen mussten die Punkte, über die bei den Verhandlungen zwischen den Partei- und Fraktionsvorsitzenden Einigung erzielt worden war, rechtstechnisch umgesetzt werden. Zum Zweiten musste noch über zahlreiche, wenn auch weniger bedeutsame Punkte, über die noch keine Einigung erzielt worden war, ein Konsens herbeigeführt werden. In diesem Zusammenhang wurde das aus dem Jahre 1994 stammende Verfahrensgesetz zu Bürgerantrag, Volksbegehren und Volksentscheid einer Generalüberarbeitung unterzogen, bei der insbesondere die praktischen Erfahrungen mit diesem Gesetz eingeflossen sind. Und zum Dritten mussten schließlich auch die insoweit erzielten Konsenspunkte rechtstechnisch umgesetzt werden.
Meine Damen und Herren, die Arbeit ist abgeschlossen, der Justizausschuss und sein Unterausschuss haben erfolgreich gearbeitet. Ich freue mich, dass das Justizministerium und ich hierzu einen Beitrag leisten konnten. Der Justizausschuss hat dem Plenum im Konsens aller Fraktionen verabschiedete Beschlussempfehlungen zur Änderung der Thüringer Verfassung und des Verfahrensgesetzes vorgelegt und, ich denke, das Ergebnis überzeugt. Wir haben moderne Regelungen geschaffen, welche die Möglichkeiten der direkten Bürgerbeteiligung stärken, ohne die Funktionsfähigkeit der parlamentarischen Demokratie zu gefährden, ohne über die verfassungsrechtlichen Grenzen hinauszugehen, die der Thüringer Verfassungsgerichtshof in seinem Urteil vom September 2001 festgelegt hatte. Wir haben praktische Erfahrungen der Vergangenheit aufgenommen und das Verfahrensrecht handhabbarer gemacht. Alle Beteiligten können deshalb mit dem erzielten Kompromiss zufrieden sein und, ich glaube, sie sind es auch.
Meine Damen und Herren, mit diesem Gesetzentwurf wird ein wichtiger Beitrag zur Stärkung des bürgerschaftlichen Engagements und damit auch zur politischen Kultur ge
leistet. Es muss unser aller Anliegen sein, der zum Teil zu beobachtenden Entfremdung zwischen Bürgern und Politik entgegenzuwirken.