Protokoll der Sitzung vom 11.12.2003

sition und Entwicklung in der Gegenwart. Der biologische Faktor tut im Übrigen in diesem Zusammenhang das seine. Diese Gründe stehen nach wie vor für die Befristung des Gesetzes, sie haben ihren Niederschlag in Gerichtsurteilen gefunden; sie sind nicht nur rechtsstaatliche, sondern auch demokratische. Wer nämlich wirklich will, dass alle ehemaligen DDR-Bürger im demokratischen System der Bundesrepublik - ich apostrophiere - "ankommen", der muss auch allen die Möglichkeit dazu geben. Das geht nun einmal nicht über Stigmatisierung. Diese Gründe stehen aber auch und vor allem nicht nur dafür, die Abgeordnetenüberprüfung nicht zu verlängern, sondern auch dafür, über die Zugangsprüfung zum Beispiel zum öffentlichen Dienst neu nachzudenken, trotz des Falles Hausdorf.

(Beifall bei der PDS)

3. Die Erfahrungen mit der Abgeordnetenüberprüfung: Wie ist es gewesen mit der Abgeordnetenüberprüfung nach der Verabschiebung des Stasi-Unterlagengesetzes? Erinnern wir uns: Sie wollten per Landtagsbeschluss in der 2. Legislatur so hopplahopp eine Überprüfung der Abgeordneten einleiten und sie taten das auch. Einwendungen ignorierten Sie beharrlich. Also zwangen einige Abgeordnete der PDS-Fraktion die Landtagsmehrheit vor dem Verfassungsgerichtshof, die Überprüfung auf eine gesetzliche Grundlage zu stellen. Sie machten ein Gesetz zur Abgeordnetenüberprüfung, mit dem Sie es der politischen Mehrheit des Landtags anheim stellten, die angebliche Unwürdigkeit eines Landtagsmitglieds festzustellen und per Beschluss das Mandat abzuerkennen. Wieder ignorierten Sie alle Einwände. Sie suchten Ihr politisches Exempel. Die Abgeordnete Almut Beck hatte bereits bei ihrer Kandidatur keinen Hehl aus ihren Kontakten zum MfS gemacht, sie wurde nominiert, sie wurde gewählt.

(Zwischenruf Abg. Lippmann, SPD: Schlimm genug.)

(Zwischenruf Abg. Wunderlich, CDU: Über die Liste.)

Sie, meine Damen und Herren, aber wollten den Wählerwillen partout korrigieren. Die Einzelfallprüfung ließ nach unserer Auffassung berechtigte Zweifel an der unterstellten MfS-Tätigkeit der Abgeordneten Beck, Sie können das in unserem Sondervotum nachlesen. Sie aber, meine Damen und Herren, Sie wollten aburteilen. Auch hier schlugen Sie alle Einwände in den Wind. Sie erklärten Frau Beck für unwürdig, dem Landtag anzugehören, und glaubten, ihr per Mehrheitsbeschluss das Mandat aberkennen zu können. Die Abgeordnete klagte vor dem Verfassungsgericht und bekam Recht. Doch nicht nur das; der Verfassungsgerichtshof erklärte die Mandatsaberkennung für verfassungswidrig. Bis heute, meine Damen und Herren, haben Sie diese Passage nicht aus dem Gesetz entfernt. Mit Sternchen gekennzeichnet ziert diese undemokratische und nicht rechtsstaatliche Fehlleistung Ihres Umgehens mit Ge

schichte und Biographien die Textausgaben Thüringer Gesetzessammlungen.

(Beifall bei der PDS)

Sie hängen an diesem Sinnbild der Diffamierung des politischen Konkurrenten, denn sie identifizieren ja die PDS als Rechtsnachfolgerin der SED mehr oder weniger offen mit dem MfS.

(Zwischenruf Abg. Schemmel, SPD: Das ist sie ja schließlich auch.)

Auch hier, meine Damen und Herren, schlagen Sie historische und politische Einwände in den Wind und das entlarvt.

(Zwischenruf Abg. Tasch, CDU: Oh, das entlarvt.)

(Unruhe bei der CDU)

4. Ein Mangel der Geschichtsaufarbeitung: Von Anfang an, meine Damen und Herren, waren die Aufarbeitung der DDR-Geschichte und die Beurteilung von Biographien der Bürgerinnen und Bürger der neuen Bundesländer mit einem Grundmangel behaftet. Dieser Grundmangel war die Stasizentriertheit. Es war verheerend, wie herrschende Politiker nach der Wende das Entschuldungs- und Entantwortungsbedürfnis großer Teile der Bevölkerung aufgriffen und zur politischen Doktrin entfalteten. Exemplarische Schuldige mussten her und man fand sie in den SED-Funktionären und den DDR-Sicherheitsbehörden. Der Hass, die Verbitterungen, die Enttäuschungen, die Trauer und nicht selten auch Ambitionen unter den neuen Verhältnissen arbeiteten sich stellvertretend an den Angehörigen des MfS und ihren inoffiziellen Helfershelfern ab. Umgang mit Biographien wurde zur Entschuldung über die Stigmatisierung ausgewählter Personengruppen. Man hatte seine Sündenböcke, auf die man einschlagen konnte. Das aber verstellte die Sicht auf die historischen und strukturellen Gründe für das Versagen des so genannten realen Sozialismus und für die Entwicklung seines perversen Sicherheitsdenkens und Handelns und es lenkte ab, meine Damen und Herren, von der eigenen Verantwortung, vom selbstkritischen Umgang mit den eigenen Fehlern, dem Versagen, mangelnder Zivilcourage und anderem.

(Beifall bei der PDS)

Die Stigmatisierung der einen war der "Persilschein" für die anderen.

(Zwischenruf Abg. Schemmel, SPD: Also, nun werden Sie einmal ein bisschen vorsich- tig.)

Die Palette der politischen Fehlleistungen reicht da von Rentengesetzgebung mit Strafrechtscharakter über die Ge

setzgebung für den öffentlichen Dienst bis hin zur Abgeordnetenüberprüfung.

(Zwischenruf Abg. Michel, CDU: Stasi war unmenschlich und wer Stasi entschuldigt, ist auch unmenschlich.)

Da haben Sie Recht, beides von dem passiert nicht. So hat es nie ein Klima nach der Wende gegeben, wo man wirklich hätte zu seiner Biographie stehen können, ohne fürchten zu müssen, dass ein politischer oder ein sonstiger Konkurrent sich das zunutze macht. Dem, meine Damen und Herren, wollen Sie jetzt einen neuen Impuls verleihen?

(Zwischenruf Abg. Ellenberger, SPD: Noch wirrer geht es nicht mehr.)

5. Die Notwendigkeit eines anderen Umgangs: Die PDS steht zu ihrer Verantwortung für die Geschichte

(Unruhe bei der CDU)

und sie teilt die kritische Bewertung des undemokratischen Systems der DDR und deren entarteter Sicherheitspolitik, aber aus ihrer Sicht auf die Geschichte und die Biographien der Menschen. Deshalb geht sie einen anderen Weg hin zur "Würdigkeit" für ein Landtagsmandat. Jeder, der sich bewirbt, hat seine politische Biographie offen zu legen, nicht nur eine Zusammenarbeit mit dem MfS zu bekennen, zu erklären oder zu verneinen. Die Mitgliederversammlungen oder der Parteitag entscheiden dann, ob der- oder diejenige würdig ist, mit reinem Gewissen oder mit einer Belastung in den Wahlkampf zu gehen oder nicht. Wenn man auf diese Weise vor die Wählerinnen und Wähler tritt und gewählt wird, hat keine politische Mehrheit das Recht, diese Wahl nachträglich zu diskreditieren oder zu korrigieren.

(Beifall bei der PDS)

So versucht die PDS wenigstens in ihrem Inneren ein politisches Klima zu schaffen, das es Menschen ermöglicht, zu ihren Biographien zu stehen,

(Zwischenruf Abg. Ellenberger, SPD: Das müssen doch aber nicht gleich Abgeordnete sein.)

ohne zeitlebens ausgegrenzt zu sein.

Meine Damen und Herren, Sie mögen es nicht glauben wollen, aber Sie werden es zur Kenntnis nehmen müssen, wir reden die Verfehlungen und Untaten des MfS nicht klein, wir relativieren nicht die sicherheitspolitischen Perversionen der SED-Politik. Wir reden die undemokratische DDR nicht schön.

(Zwischenruf Abg. Ellenberger, SPD: Na doch.)

Wir haben auch nicht vor, für diejenigen, die ganz besonders große Angsthasen sind, den Landtag mit ehemaligen hauptamtlichen oder inoffiziellen Mitarbeitern des MfS zu überfluten. Wir plädieren aber dafür, beim Umgang mit Geschichte und Biographien endlich Wege zu suchen und zu finden, die es der Gesellschaft und dem Einzelnen ermöglichen, zu sich selbst zu stehen und Ähnliches in der Zukunft zu vermeiden.

(Beifall bei der PDS)

Wir sind auch dafür, etwas zu beenden, das sich politischzeitlich überholt und politisch-methodisch als untauglich erwiesen hat.

(Beifall bei der PDS, SPD)

Wir sind nicht, wie Ihnen jetzt vielleicht nahe liegen mag, für einen Schlussstrich, sondern für einen anderen, nicht parteipolitisch geprägten, sondern demokratisch und rechtsstaatlich geprägten Umgang mit der Geschichte und den Biographien der Menschen. Ihre Unternehmung aber ist populistisch, ist aufkommendes Wahlkampfgrollen, das vermutlich für den bewusst oder unbewusst beabsichtigten Zwecken überhaupt nicht taugt.

Wenn Sie, meine Damen und Herren, unbedingt etwas für die Würde des hohen Hauses tun wollen, ich wüsste da einiges.

(Zwischenruf Abg. Groß, CDU: Ja, wir auch.)

Seien Sie kritischer mit sich selbst, überdenken Sie Ihren Umgang mit der Opposition, unterlassen Sie die Beleidigungen der politischen Konkurrenten

(Unruhe bei der CDU)

und schaffen Sie die Bannmeile ab.

(Beifall bei der PDS)

Das diente der Würde des Parlaments mehr als die Suche nach jemandem, hinter dem man die eigenen historischen, persönlichen und politischen Verfehlungen verstecken kann. Danke schön.

(Beifall bei der PDS)

Es hat jetzt das Wort der Abgeordnete Schemmel, SPDFraktion.

Frau Präsidentin, meine sehr verehrten Damen und Herren, ich habe nicht vor, mich mit allen Argumenten von Herrn Hahnemann auseinander zu setzen, nicht weil ich dazu nicht in der Lage wäre, sondern weil mir einige allzu abstrus aus der Ecke hervorgeholt worden sind, aber ich glaube, um Sie herum sitzen eine ganze Menge Kolleginnen und Kollegen. Es muss wohl auf dem Parteitag im Dezember in Berlin gewesen sein, als sich die SED umbenannte in SED-PDS, da war ja gerade der Moment gegeben, sich von dieser alten Partei zu lösen. Da ist ja ganz bewusst dieser Schritt gegangen worden in der Nachfolge dieser SED zu bleiben. Ganz bewusst ist dieser Schritt dort gegangen worden, ich denke, einige von den Kolleginnen und Kollegen werden sich hier erinnern wollen.

(Zwischenruf Abg. Dr. Hahnemann, PDS: Ein sehr ehrlicher Schritt.)

(Zwischenruf Abg. Thierbach, PDS: Wann ist...)

Sie haben aber vorhin gerade diese Linie verleugnet und brechen wollen. Deswegen weise ich Sie bloß noch einmal gefälligerweise darauf hin, dass diese Linie von Ihnen

(Zwischenruf Abg. Dittes, PDS)