Meine sehr verehrten Damen und Herren Abgeordneten, für die Politik der Thüringer Landesregierung heißt es, sich wie bisher vehement auf Bundesebene für die weitere Verbesserung der Situation der Opfer von SED-Unrecht einzusetzen. Das haben wir bisher getan, auch dank der Unterstützung aus den Beschlüssen des Thüringer Landtags, und das werden wir auch weiterhin tun. Ich danke Ihnen für die Aufmerksamkeit.
Dann frage ich jetzt, wer die Aussprache zum Sofortbericht wünscht. CDU-Fraktion, SPD-Fraktion, Fraktion DIE LINKE. Damit kann ich dann die Aussprache zum Sofortbericht und natürlich auch zum Entschließungsantrag der SPD-Fraktion eröffnen. Als erster Redner hat das Wort Abgeordneter Döring, SPD-Fraktion.
Frau Präsidentin, meine Damen und Herren, „das Vergangene ist nie tot, es ist nicht einmal vergangen“ - so William Faulkner. Wir brauchen den Mut zur ehrlichen Erinnerung. Wir gewinnen die Zukunft nicht ohne die Arbeit an der Vergangenheit. Dabei ist es gut und richtig, wenn verschiedene Wahrheiten über die DDR-Vergangenheit zusammengetragen werden. Es darf aber, wie Wolfgang Thierse bemerkt, eine Wahrheit nicht relativiert werden, die einer Geschichte von Unterdrückung und
Daher - und Frau Lieberknecht hat das gerade gesagt - ist es besonders wichtig, vor allem die Opfer zu Wort kommen zu lassen. Ihnen kommt ein ehrenvoller Platz in dieser Gesellschaft zu und diese Position muss immer wieder bewusst gemacht werden.
Meine Damen und Herren, in diesen Kontext ist auch die Arbeit der Landesbeauftragten gestellt. Der Tätigkeitsbericht mit den Handlungsfeldern Beratung, Bildungsangebot, Forschung und Aufarbeitung macht für mich und für meine Fraktion deutlich, wie notwendig die Arbeit dieser Behörde immer noch ist. Der Bericht zeigt für mich aber auch, dass es noch keinen Schlussstrich unter der parlamentarischen Aufarbeitung geben darf. Wenn man den Bericht anschaut und man die Rehabilitierungspraxis der ehemaligen Insassen von Jugendwerkhöfen anschaut, dann stellt sich die Frage, ob schon alle relevanten Opfergruppen im notwendigen Maße einbezogen wurden. Hier muss die Diskussion weitergeführt werden.
Meine Damen und Herren, im Bericht der Landesbeauftragten wird auch deutlich gemacht, dass es in Thüringen eine zunehmende Nachfrage der Schulen nach intensiv betreuten Projekten gibt, die sich teils über mehrere Tage mit den Fragen von SEDHerrschaft, MfS und dem Leben in der Diktatur auseinandersetzen. Das ist ein positives Signal, denn es reicht nicht aus, nur zu konstatieren, Schülerinnen und Schüler wissen zu wenig über die DDR. Wir müssen DDR-Geschichte verstärkt zum Thema der pädagogischen Reflexion an unseren Schulen machen. Es gilt, ein angemessenes, weder schönfärberisches noch dämonisierendes Bild der DDR zu vermitteln. Dabei müssen wir uns sehr wohl mit der Tatsache auseinandersetzen, dass es keinen gesamtgesellschaftlichen Konsens über die Bewertung der DDR gibt. Selbst Erlebtes und Nostalgisches der Eltern- und Großelterngeneration prägt zunehmend das Geschichtsbild der DDR. Problematische Tatsachen werden in der Wahrnehmung immer mehr zurückgedrängt, objektive Wirklichkeit wird durch gefühlte Wirklichkeit überdeckt. In der öffentlichen Wahrnehmung verlieren nachgewiesene Zusammenhänge ihre Gültigkeit und die DDR wird häufig auf den Alltag der Mitläufer und Verantwortungsträger reduziert. Opposition und passiver Widerstand wird kaum noch in den Blick genommen.
Meine Damen und Herren, gerade deshalb müssen wir über die Erinnerungsorte neue Zugänge zu diesem Thema finden, Zugänge, die Schülerinnen und
Schülern erlauben, eigene Haltungen zu den Ereignissen zu entwickeln auf der Grundlage soliden Wissens fern von Nostalgie und einseitiger Abrechnungsideologie.
Meine Damen und Herren, dazu brauchen wir eine hohe Qualität der Aufarbeitung und der Vermittlung im pädagogischen und dokumentarischen Bereich. Mit unserer Entschließung wollen wir eine Ausgabeermächtigung festschreiben, die im kulturellen Sektor verwendbaren Mittel aus dem Thüringen zugesprochenen SED-Vermögen gerade solchen Einrichtungen und Organisationen des Freistaats zukommen zu lassen, die sich der Aufarbeitung der DDR-Vergangenheit und der Demokratisierung widmen. Allein ein Blick auf das MfS-Gefängnis Andreasstraße macht ja deutlich, dass hier Handlungsbedarf besteht.
Meine Damen und Herren, Zukunft braucht humane Kompetenz. Nicht ohne Grund hat Marianne Birthler darauf hingewiesen, dass unsere Kinder und Enkel ein Recht darauf haben, die Geschichte ihres, unseres Landes kennenzulernen - im Guten wie im Schlechten. Um in der Demokratie stark zu sein, sie gestalten zu können, um Zivilcourage tatsächlich zu leben, brauchen sie auch das Wissen darüber, wie eine Diktatur funktioniert, wie und warum Menschen zu Verrätern wurden und wie andere auch unter schwierigen Bedingungen anständig blieben. Die Auseinandersetzung mit der Vergangenheit kann uns davor schützen, verfehlte Lebensmuster zu wiederholen. Eine konsequente Auseinandersetzung mit der DDR und mit dem DDR-Unrecht ist für künftige Generationen deshalb unerlässlich und muss auch an Schulen und auch an anderen Bildungseinrichtungen ihren gebührenden Platz erhalten.
Meine Damen und Herren, wenn wir uns der Erinnerung verweigern, wenn wir bei der Aufarbeitung der Vergangenheit beginnen zu beschönigen oder zu begradigen, werden wir den Kindern und Jugendlichen nicht die Situation vermitteln können, in der sich die DDR-Diktatur entwickeln konnte und die von Jürgen Fuchs in seinen „Vernehmungsprotokollen“ folgendermaßen beschrieben wurde: „Was ist denn, wenn die Lokomotiven wieder von den Brücken fallen und die frisch gebügelten Uniformen aus den Schränken geholt werden und die Stiefel dazu, was ist denn, wenn alles aufhört und etwas beginnt, etwas Lautes, in aller Stille, das strammsteht und immer näherkommt und nicht mehr haltmacht, immer näher, bis an dein Gesicht, ganz dicht heran und nicht haltmacht und immer weitermarschiert auf leisen Sohlen, was ist denn, wenn kein Wort mehr hilft und kein Buch und kein Schrei?“ Danke schön.
Frau Präsidentin, meine Damen und Herren, ich bedanke mich zunächst bei der Sozialministerin für den umfangreichen Bericht zur Tätigkeit der Landesbeauftragten, bedanke mich auch beim Kollegen Döring für seine Rede, der es eigentlich nicht viel hinzuzufügen gäbe. Ich bedanke mich drittens von dieser Stelle aus, es war noch keine Gelegenheit dazu, Frau Ministerin, für den Forschungsbericht zur sozialen Lage der Opfer des SED-Regimes in Thüringen. Ich gebe vorab zu bedenken, dass der Begriff Opfer gerade im Jubiläumsjahr der Revolution 1989 auch befremdet, denn viele, die in der DDR politischen Widerstand geleistet haben, begriffen sich mit Recht als Aktive und Akteure. Beim Lesen von Stasi-Akten stellt sich durchaus das Gefühl ein, eher die Spitzel und mehr ihre Auftraggeber waren die Opfer - Opfer eines mittelmäßigen Systems, dessen plumpe Doktrin schwachen Menschen Halt gaben, Opfer einer geschlossenen zukunftslosen Ideologie, die das eigene Denken ersparte, oft auch Opfer eigener serviler Charakterlosigkeit. 1989, das bedeutet Aufbruch, Aufbruch aus der Unmündigkeit und Trostlosigkeit, aus der Unfreiheit, aus der erzwungenen Anpasserei und vor allem aus der Opferrolle. Es gab Unzählige, die unter dem SED-Staat persönlich schwer gelitten haben, deren Leben - wie auch immer - physisch, psychisch zerstört wurde. Es gab und gibt nachwirkend unzählige gebrochene Biografien, Menschen, die nicht wieder auf die Beine gekommen sind, die die Chance der Freiheit nicht wirklich nutzen konnten. Der Bericht der Landesbeauftragten belegt, dass nicht zuletzt die jüngeren Verfolgten heute, materiell gesehen, die Folgen des ihnen zugefügten Unrechts tragen müssen. Der Bericht benennt ausdrücklich Handlungsbedarf bei der beruflichen Rehabilitierung verfolgter Jugendlicher und Schüler. Die Auseinandersetzung mit dem SED-Staat insgesamt ist lange nicht am Ende. Im Gegenteil, es geht weiterhin um fundamentale politische Aufklärung um der Zukunft willen - gerade in Zeiten, in denen Differenzen verwischt, Begriffe flott entwertet, ein gescheitertes politisches System relativiert, ideologiebedingtes Unrecht absichtsvoll verharmlost wird. „So was ist nur in diesem Scheiß-Staat möglich“ heißt es an passender Stelle in Uwe Tellkamps Roman „Der Turm“. Über dieses „So was“ und dessen gespensterhaftes Fortleben müssen wir gerade in den Schulen deutlich mehr reden. Es geht um den ideologischen Charakter eines Staates, der alle Kennzeichen einer politischen Diktatur trug, alle Zeichen einer geschlossenen Gesellschaft, alle Merkmale einer primären politischen Justiz. Wir
wollen, dass ein solcher „Scheißstaat“, das war ein Zitat, Vergangenheit bleibt. Keineswegs nur im 20. Jubiläumsjahr der 1989er-Revolte muss die Auseinandersetzung mit dem Staat namens DDR fundamental politisch geführt werden, denn es geht um die Erkenntnis der Gefahr, die in Ideologiedebatten liegt. Es geht um Verführung auch als Perspektive und es geht um Verantwortung. Es gehört wohl zu den Fehlern in der Aufarbeitung des SED-Staates, dass die Stasi quasi zum politischen Hauptübel erklärt wurde, als sei sie das entartete Organ einer wohlwollenden Regierung gewesen. So ist das MfS das handgreifliche Symbol eines Staates, der abgrundtiefe Angst vor seinem Volk hatte, aber durch die Konzentration der Aufklärung, der Abrechnung und auch der politischen Wut auf Schild und Schwert der Partei wurden die Befehls- und Hierarchiestufen, die Verantwortlichkeiten verdreht. Die SED hatte die totale Macht, das MfS war deren Mittel. Das betraf noch die Kreisebene, die Kreisdienststellen. DIE LINKE ist keine neue Partei, sondern die Rechtsnachfolgerin der SED. In einem Prozess vor der Pressekammer des Berliner Landgerichts hat DIE LINKE vor wenigen Tagen ausdrücklich versichert, sie habe die Rechtsnachfolge der SED angetreten. An Eides statt hat Bundesschatzmeister Holluba erklärt, ich zitiere: „Die LINKE ist rechtsidentisch mit der Linkspartei.PDS, die es seit 2005 gab, und der PDS, die es vorher gab, und der SED, die es vorher gab.“
Hintergrund eines Rechtsstreits in Berlin war die ungeklärte Frage, wie viel Vermögen die SED ins Ausland verschoben hat. Allein zwischen Januar und Juli 1990 - so hatte der Leiter der Gedenkstätte Hohenschönhausen, Hubertus Knabe, unter Bezugnahme früherer Angaben der Partei gesagt - verringerte sich das SED-Vermögen auf wundersame Weise von 9,5 auf 3,5 Mrd. DDR-Mark. DIE LINKE strengte einen Protest an, um dementieren zu können, was die Partei früher gesagt hatte, erklärte eben Schatzmeister Holluba an Eides statt, dass DIE LINKE Rechtsnachfolgerin der SED, also befugt sei, die früheren Angaben zurückzunehmen. DIE LINKE hat das Verfahren gewonnen, aber politisch verloren. Sie ist Rechtsnachfolgerin. Nun darf sie zwar auch dementieren, dass es etwa die Mauer gegeben hätte, aber zugleich steht sie in der politischen und juristischen Verantwortung für die Wirklichkeit. Das nennt man ein Eigentor und das fordert auch keine politische Dialektik im Angriff mehr heraus, denn nun werden wir über das Vermögen der SED, LINKEN und deren Verwendung etwa für eine Gedenkstättenstiftung erneut reden müssen.
Deshalb unterstützen wir die Entschließung der SPDFraktion, SED-Vermögen für die Aufarbeitung der DDR-Geschichte einzusetzen, ausdrücklich.
Meine Damen und Herren, das demokratische System hat eine immense Integrationskraft gezeigt, es hat 1989 keine rumänische Variante gegeben. Diese wurde nicht wirklich durch soziale Ausgrenzung der gescheiterten Nomenklatura kompensiert. Die Idee wurde nicht verboten, ihr Vermögen de facto nicht eingezogen. Verzeihen ist im Übrigen individuell, persönlich und kann sich politisch nur auf diejenigen beziehen - auch nach 20 Jahren -, die sich zu unserem Rechtsstaat bekennen und sein Gegenteil retrospektiv und perspektivisch grundsätzlich verwerfen - den undemokratischen, unfreiheitlichen Unrechtsstaat. Diejenigen, die jedoch damit prahlen, einem totalitärem Regime wissentlich und willentlich gedient zu haben, sich in dessen Rechtsnachfolge und in Parlamentsunwürdigkeit sonnen, die politische Wirklichkeit namens DDR und die tatsächlichen Herrschaftsstrukturen nachträglich selbstzufrieden leugnen, auch weil sie sie nicht erleiden mussten, für diejenigen sollte man Schopenhauers Erkenntnis bereithalten. Vergeben und vergessen heißt, kostbare Erfahrung zum Fenster hinauswerfen.
Auf einen zweiten Fakt in der Aufarbeitung möchte ich wenigstens hinweisen, der erklärt, warum die Verniedlichung und Verkuschelung des SED-Staates durchaus funktioniert. Die Abschlussbilanz wurde nicht radikal gezogen, auch die wirtschaftliche nicht. Günther Mittag - keineswegs unbeteiligt am Desaster - stellte im September 1991 rückblickend fest, ich zitiere: „Ohne die Wiedervereinigung wäre die DDR einer ökonomischen Katastrophe mit unübersehbaren Folgen entgegengegangen, weil sie auf Dauer allein nicht überlebensfähig war.“ Denke sich nur, was heute hier los wäre, wenn es die DDR noch gäbe, unbeschreiblich. Da läuft es mir heiß und kalt über den Rücken - Mord und Totschlag, Elend und Hunger.
Meine Damen und Herren, insoweit der Tätigkeitsbericht der Landesbeauftragten auf die Wiedergutmachung von SED-Unrecht Bezug nimmt, ist die Unterstützung der Opfer seit Jahren Schwerpunkt im Arbeitsprogramm der CDU-Fraktion. Die Landesregierung hat zahlreiche entsprechende Vorhaben auf den Weg gebracht und durchgesetzt, wie jene, die im Zusammenhang mit der Einführung einer Opfer- oder besser Ehrenpension stehen. So hat sich im Berichtszeitraum Positives für die Situation derjenigen getan, die unter der SED-Diktatur gelitten haben. Der soziale Abstand zwischen Verfolg
ten und Verfolgern darf nicht weiter wachsen. Wenn die Bundesrepublik die Revolution 1989 als die einzig erfolgreiche demokratische Revolution der Deutschen in ihre Geschichte integrieren will, kann sie die Menschen, die sie herbeigeführt und getragen haben, nicht unversorgt lassen. Das gesteuerte Leben durch andere, das Leben im Falschen, hat Menschen zerstört, hat soziale Beziehungen zersetzt. Viele oppositionelle Ausreiseantragsteller und andere konnten in der DDR keine später vom Grundgesetz geschützten Versorgungsrechte erwerben. So werden heute diejenigen nicht angemessen versorgt, die dafür gesorgt haben, dass für die Staatskader eines bankrotten Regimes bestens gesorgt ist. Die Überleitung der Ansprüche aus der Zusatz- und Sonderversorgung in der DDR in die gesetzliche Rentenversicherung Deutschlands hat die Gerechtigkeit nicht größer werden lassen. Dem DDR-Zusatzversorgungssystem waren auch Mitarbeiter des Staatsapparats zugeordnet. Die sogenannte Sonderversorgung betrifft auch Angehörige des MfS.
In Thüringen betrugen die Ausgaben im Haushaltsjahr 2008 für die Zusatzversorgungen rund 255 Mio. €, für die Sonderversorgung rund 120 Mio. €. Natürlich ist politischer Widerstand immer mit Risiko verbunden, sonst wäre er kein Widerstand, aber es ist nicht einzusehen, dass Oppositionelle nach ihrem Sieg - und es war ein Sieg - aufgrund der erlittenen Nachteile teilweise auf Sozialhilfeniveau leben, zumindest deutlich schlechter versorgt sind, als die Exnomenklatura.
Meine Damen und Herren, zu wünschen ist abschließend, dass die Opferverbände und Aufarbeitungsinitiativen, so unterschiedlich sie sind, deutlich mehr Schlagkraft entwickeln, viel einheitlicher und zielstrebiger agieren. Wir brauchen diese Stimme, die Andreasstraße soll dafür der Ort werden, mit Affinität zu totalitärer Beglückung, mit erprobter Anpassungsintelligenz in einer Diktatur, mit ideologischem Konformismus lässt sich kein freies Gemeinwesen entwickeln.
Der Tätigkeitsbericht 2008 der Landesbeauftragten unterstützt uns bei der Einschätzung, dass es weiterhin notwendig ist, die politische Rehabilitation fortzusetzen und die Aufklärung zu intensivieren. Ich danke im Namen der CDU-Fraktion Frau Neubert für ihr großes, unentbehrliches Engagement. Vielen Dank.
Frau Präsidentin, meine Damen und Herren Abgeordneten, ich möchte mich zu allererst bei der Ministerin bedanken für den sehr sachlichen Bericht zur Arbeit der Landesbeauftragten, der informell in jeder Weise war und möchte mich auf einige Aussagen konzentrieren sowohl dieses Berichts als auch der Ausführungen meiner Vorredner.
Der Kollege Döring hatte mit einem Zitat begonnen, das möchte ich auch tun. Thomas Mann schreibt in seinem Josef-Roman; er beginnt den Roman mit dem Satz: „Tief ist der Brunnen der Vergangenheit, sollte man ihn nicht unergründlich nennen.“ In diese Unergründlichkeit der Vergangenheit, glaube ich, schauen wir, wenn wir auf Dinge der DDR sehen, alle mit einem eigenen Blick. Jeder mit seiner persönlichen Biografie, jeder mit seiner persönlichen Erfahrung und jeder mit dem Blick, zu verstehen, wie dieses politische System sich organisiert hat, und wie es funktioniert hat. Dabei kann man durchaus zu verschiedenen Blickrichtungen kommen.
Ich möchte aber an dieser Stelle sagen, die Diskussion ist im Moment sehr entfacht, sicher auch wegen der 20 Jahre friedliche Revolution in der DDR. Da, Herr Krause, möchte ich zuallererst zu Ihnen sagen, es war eine Revolution, die getragen war von dem Anspruch - das können Sie in der Dokumentation der Reden vom 4. November 1989 nachlesen - eine gerechte, friedliche Gesellschaft aufzubauen, in der Freiheitsrechte gewährt werden, in der Menschen ihr individuelles Leben ausleben können und mit dem Anspruch, einen demokratischen Sozialismus zu gestalten. Das war der Anspruch am 4. November, das will ich hier ganz deutlich sagen. Wie die historischen Entwicklungen dann gegangen sind, wie sich der Prozess insgesamt verändert hat, das wissen wir alle. Aber ich will hier aussprechen, dass es damals so gewesen ist, man kann es nachlesen. Es sind auf dieser Demonstration großartige Bilder einer Gesellschaft entwickelt worden, in der Gerechtigkeit, Menschlichkeit, Güte und Freiheit existent sein können. Ich glaube, niemand in diesem Raum hier möchte eine solche Gesellschaft nicht haben und zu dem Vermitteln eines solchen Gesellschaftsbildes gehört aus meiner Sicht auch, und das will ich im Hinblick auf den Redebeitrag von Herrn Krause noch sagen, dass wir alle ein gelebtes Leben in der DDR hatten und diese individuelle Lebensleistung des Einzelnen muss anerkannt und bewertet werden, je nachdem wie sie sich dargestellt hat. Ich würde darum bitten, das politische System und die individuellen Lebensleistungen miteinander so abzugleichen, dass die Menschen, die in diesem Land gelebt haben, sich nicht entwertet fühlen. Jeder, der die individuellen Lebensleistungen entwertet, entwertet auch sein eigenes Leben. Es sind viele auch hier
im Raum nicht neugeboren, sondern haben in dem Land gelebt. Ich glaube, diesen Kontext muss man herstellen, auch bei der Aufarbeitung der Geschichte. Ich denke, für Aufarbeitung von Geschichte in einem solchen kurzen Zeitraum ist es sowohl für Historiker sehr schwierig als auch für diejenigen, die in dem Land gelebt haben und sich jetzt in diese andere neue Gesellschaft und dieses neue Land hineingelebt haben und dort leben, den unverstellten Blick auf die Geschichte zu finden. Insofern stimme ich allen meinen Vorrednern zu, dass ich sage, die Geschichte der DDR muss aufgearbeitet werden. Es muss aufgearbeitet werden, dass es ein Land war mit einem politischen System, das seinen Bürgern die individuellen Freiheitsrechte verwehrt hat, ganz grundhaft, das die Mauer aufgebaut hat, das seine Bürger „davor schützen wollte“, sich selbst zu bestimmen, selbst zu sagen, wo und wie sie leben wollen. Das möchte ich an dieser Stelle klar und deutlich herausstellen.
Hören Sie einmal zu, Herr Wehner, mein eigener Bruder ist 1980 über die grüne Grenze, wie es damals hieß, abgehauen. Wir haben sieben Jahre lang nichts von ihm gehört, dann irgendwann einmal über das Westradio und haben ihn dann auch wiedergefunden. Ich kann da durchaus mitreden, worüber Sie reden wollen. Deshalb spreche ich auch so deutlich aus, dass man auch die politischen Vergehen der DDR ganz deutlich benennen muss, und zwar nicht nur die Vergehen der Staatsführung. Das war systemimmanent und das möchte ich ganz deutlich sagen, auch für meine Fraktion, glaube ich.
Auf der anderen Seite erwarte ich aber, dass man, wenn man über das Leben von Menschen in diesem Land redet, auch in einer Debatte zum Bericht der Landesbeauftragten, nicht zuallererst, wie wir das in den letzten zwei Tagen hier so oft erlebt haben, immer wieder auch über die Parlamentsunwürdigkeit Abgeordneter spricht. Es gibt kein rechtsstaatliches Verfahren, es ist niemand in einem Gerichtsurteil rechtsstaatlich für schuldig befunden worden. Niemand ist rechtsstaatlich verurteilt worden, weil er, das sage ich jetzt, informell für die Staatssicherheit oder zum Beispiel für die K 1 gearbeitet hat. Aber Sie ächten hier diese Menschen mit dem Begriff der Parlamentsunwürdigkeit. Ich habe erst in der vergangenen Woche, glaube ich war es, in einer Fernsehsendung gesehen bei Herrn Kerner, wo ein Benediktinermönch gefragt wurde, ob man einem Menschen vergeben muss, der um Vergebung bittet und dieser Mönch hat gesagt: Ja. Vielleicht sollten wir alle einmal darüber nachdenken, wie wir
mit Schuldfragen umgehen, wie wir auch die Menschen selbst in der Gesellschaft positionieren und wie wir sagen, wollen wir miteinander leben oder nicht. Was ich mir bei der Geschichtsaufarbeitung wünschen würde, ist, was ich in Jena am Beispiel der Denkmalsdiskussion erlebt habe. Es ist durchaus möglich, dass sich Menschen unterschiedlicher politischer Herkunft in einem sachlichen Diskussionsprozess mit dem Thema Verfolgung in der DDR auseinandersetzen können, ohne in Ideologiekriege zu verfallen, sondern ihre unterschiedlichen Positionen, ihre unterschiedlichen Sichtweisen in diesen Prozess einbringen. Das würde ich mir hier auch wünschen.
Nun möchte ich zu den beiden Anträgen kommen. Der Antrag der SPD-Fraktion verweist darauf, dass man die Mittel, die jetzt vorhanden sind, für die Rehabilitation der Opfer, der - wie Sie sagen - durch das SED-Regime in der DDR Verfolgten, einsetzen und zur Verfügung stellen sollte. Wir unterstützen das, diese Mittel für politische Bildung im weitesten Sinne und im Speziellen auch dafür zur Verfügung zu stellen. Ich glaube, dass die objektive Aufarbeitung auch von Geschichte ein ganz wesentlicher Prozess ist. Sie können sich aufregen, wie Sie wollen, Historiker haben nun mal die Aufgabe, Geschichte objektiv zu betrachten. Wir, sowohl ich als auch Sie als Politiker, betrachten Geschichte natürlich auch mit einem politischen Blick. Aber genau das, was Sie hier mit Ihren Zwischenrufen beklagen, hatte die DDR zum Beispiel getan, Wissenschaft politisch zu indoktrinieren. Davor sollten wir uns hüten und die Datenbasis anders ansetzen.
Ebenso unterstützen wir den Antrag der CDU-Fraktion, insbesondere was die berufliche Rehabilitation von verfolgten Schülern anbelangt, wobei ich denke, dass es tatsächlich ein sehr schwieriger Prozess ist, dort die Maßstäbe genau zu definieren. Aber dazu hatte Frau Lieberknecht bereits gesprochen. Ich glaube auch, dass es sehr wichtig ist, dass man auch denjenigen, die in Jugendwerkhöfen waren, in den Rehabilitierungsprozessen Gerechtigkeit widerfahren lässt. Unsere Fraktion unterstützt das. Wir wünschen uns in der gesamten Debatte, dass wir dazu kommen, miteinander auch darüber sprechen zu können. Wie haben wir in dem Land gelebt? Wie haben wir das Land gesehen? Wo war dieses politische System bei einem Anspruch, eine andere neue, gute, gerechte Gesellschaft aufbauen zu wollen, in seinem Grunde nicht dazu fähig, weil die Macht- und Herrschaftsstrukturen das nicht hergegeben haben. Diesen Diskurs wünsche ich mir für uns alle. Danke.
Mir liegen keine weiteren Redeanmeldungen vor. Dann kann ich die Aussprache zu dem Sofortbericht und zum Antrag der SPD-Fraktion schließen. Ich gehe davon aus, dass das Berichtsersuchen erfüllt ist. Dagegen erhebt sich kein Widerspruch.
Abstimmen werden wir nur zum Entschließungsantrag der Fraktion der SPD, weil der CDU-Antrag nur das Berichtsersuchen vorsah. Ausschussüberweisung ist nicht beantragt worden. Ich lasse demzufolge gleich über diesen Antrag abstimmen. Er hat die Drucksachennummer 4/5192. Wer diesem zustimmt, den bitte ich um das Handzeichen. Danke schön. Ich frage nach den Gegenstimmen. Es gibt keine Gegenstimmen. Ich frage nach den Stimmenthaltungen. Es gibt keine Stimmenthaltungen. Dieser Antrag ist einstimmig angenommen worden.
Ergebnisse der Breitbandinitia- tive „Thüringen Online“ Antrag der Fraktion DIE LINKE - Drucksache 4/5128 -
Die Fraktion DIE LINKE hat nicht das Wort zur Begründung beantragt. Herr Minister Reinholz gibt den Sofortbericht.