Protokoll der Sitzung vom 19.06.2009

Frau Abgeordnete Doht aus dem Ausschuss für Bau und Verkehr erhält das Wort zur Berichterstattung.

Frau Präsidentin, meine Damen und Herren, der Punkt 2 des Antrags der Fraktion DIE LINKE wurde ohne Diskussion in der letzten Plenarsitzung dem Ausschuss für Bau und Verkehr zur Beratung überwiesen. Der Ausschuss befasste sich in seiner 43. Sitzung am 14. Mai 2009 zum ersten Mal mit dem Antrag. Man kam dort fraktionsübergreifend überein in der darauf folgenden Ausschus-Ssitzung am 4. Juni 2009, den Geschäftsführer der Nahverkehrsservicegesellschaft, Herrn Heepen, als Beauftragten der Landesregierung im Ausschuss anzuhören. Diese Anhörung kam nicht zustande, da Herr Heepen diesen Termin kurzfristig abgesagt hat, nämlich kurz vor der Ausschuss-Sitzung. Wir standen dann im Ausschuss vor der Frage, wie wir weiter mit dem Antrag umgehen. Die Suche nach einem weiteren Ausschusstermin, um das Thema noch mit Herrn Heepen zu beraten, führte nicht zum Ergebnis, so dass dann eine kurze inhaltliche Diskussion zu Punkt 2 des Antrags stattfand und der Ausschuss mehrheitlich empfahl, den Antrag in Drucksache 4/4906 Nummer 2 abzulehnen.

Ich eröffne die Aussprache. Für die CDU-Fraktion hat sich der Abgeordnete Schugens zu Wort gemeldet.

Frau Präsidentin, meine Damen und Herren, ich möchte zu Punkt 2 noch mal kurz Stellung nehmen. Im Ausschuss ist mehrheitlich dieser Punkt schon verneint worden. Bedauerlicherweise konnte die Anhörung, die wir uns vorgenommen haben, nicht erwirkt werden. Wie es auch sei, die Umstände waren so.

Ich möchte zu dem Punkt noch mal kommen. Wir haben von der Landesregierung das letzte Mal schon die Auffassung gehört zu den Dingen, die rechtlich

gesehen werden. Wir konnten das nicht vertiefen im Ausschuss, weil die Anhörung nicht stattfand. Aber wir haben in Thüringen erstens ein Nahverkehrskonzept und zweitens ein Vergabekonzept. Wir vertrauen als Fraktion darauf, dass die Kriterien, die hier gefordert werden von der LINKEN, weitestgehend berücksichtigt werden. Dazu kommt, dass wir in das Tarifrecht nicht eingreifen können und wollen. Sie wissen, meine Damen und Herren, die sieben Betreiber von Verkehrslinien in Thüringen haben Tarifverträge und gestalten ihre Leistung auch auf Basis dieser.

Zweitens: Wir haben bei einem Betreiberwechsel nicht die Sorge aufgrund dessen, dass Fachkenntnis grundsätzlich vorausgesetzt wird. Sie wissen, das Eisenbahnnetz in Deutschland ist eines der sichersten, allein von der Bewertung des Eisenbahnbundesamtes. Wir gehen davon aus, dass nur zugelassene Eisenbahnunternehmen überhaupt einen solchen Betrieb durchführen können. Damit wären die Punkte, die als zweiter Unterpunkt in dem Fachbereich benannt werden, wie Ersthelferausbildung und Ähnliches, eigentlich für uns gegeben.

Drittens setzen wir darauf, dass die Vergabe ordnungsgemäß durchgeführt wird, das heißt Kriterien erstellt werden, die am Ende eines Ausschreibungsergebnisses Qualität, Effizienz des Verkehrs und auch Wirtschaftlichkeit für uns erzielen und die Tarif- und sozialen Belange oder Standards der Mitarbeiter berücksichtigen.

Wir gehen auch davon aus, dass keine vergabefremden Kriterien aufgenommen werden sollten. Dazu müsste sicherlich, wenn denn überhaupt in Deutschland noch eine Rechtsgrundlage geschaffen werden. Der Verkehr, der in Thüringen ausgeschrieben wird, ist ein regionaler Verkehr und hat wenig zu tun mit den europäischen Kriterien, die vorgegeben sind.

Meine Damen und Herren, deshalb bitte ich Sie, der Beschlussvorlage des Ausschusses zu folgen, und danke für Ihre Aufmerksamkeit.

(Beifall CDU)

Für die SPD-Fraktion hat sich Frau Abgeordnete Doht zu Wort gemeldet.

Frau Präsidentin, meine Damen und Herren, um es gleich vorweg zu sagen, wir schließen uns nicht der Beschlussempfehlung aus dem Ausschuss an, sondern stimmen dem Punkt 2 des Antrags der Fraktion DIE LINKE zu.

(Beifall DIE LINKE)

Wenn wir noch einmal genau hinschauen, hier geht es um die Existenz eines gültigen Betriebsvertrags, Tarifvertrags, wenn Strecken neu ausgeschrieben werden, es geht um die Verpflichtung zur Berufsausbildung, es geht darum, dass sich die bestehenden Tarif- und Sozialstandards als Folge der Neuvergabe nicht verschlechtern dürfen. Das sind für uns alles sehr vernünftige Dinge. Wir vertrauen da nicht nur auf die Landesregierung und auf die Nahverkehrsservicegesellschaft, weil, ich hatte es vorhin bei einem anderen Punkt zum Demographiebericht schon gesagt, diese Landesregierung hat bislang wenig Anlass zu diesem Vertrauen gegeben. Wir haben das Thema Mindestlöhne besprochen und sie hat sich immer dort, wo sie selbst als Landesregierung in der Lage war, Einfluss auf Tarifbildungen, auf Löhne zu nehmen, dieser Verantwortung verweigert.

(Beifall SPD)

Wir stellen uns dieser Verantwortung, deswegen stimmen wir dem und auch den anderen Punkten zu, die hier gefordert sind, wie die Einhaltung von Fahrzeiten oder die Verpflichtung, dass die Beauftragung von Subunternehmen ausgeschlossen wird, dass das Betriebs- und Fahrpersonal ausgebildet sein muss. Das sind billige Forderungen, denen wir uns anschließen, nicht nur im Interesse der Beschäftigten, sondern letztendlich auch im Interesse der Fahrgäste. Wenn wir wieder mehr Fahrgäste auf die Bahn im Regionalverkehr bringen wollen, dann müssen wir auch für die entsprechenden Bedingungen sorgen, dass die Fahrgäste sich wohlfühlen, dass sie einen Ansprechpartner finden. Man könnte fast noch weitergehen und sagen, wir wollen letztendlich wieder Zugpersonal in jedem Zug, aber wir wollten diesen Antrag damit nicht überfrachten, in der Hoffnung, dass Sie vielleicht doch noch zustimmen. Eines will ich auch sagen: Sie haben im Ausschuss immer gesagt, ja, hinter den Forderungen stehen wir und die machen das alles so, aber wir können das ja nicht machen, weil uns das letztendlich die EU verbietet. Da will ich Sie auf das Ergebnis einer Veranstaltung der Bundesarbeitsgemeinschaft SPNV hinweisen, die im März in Fulda stattgefunden hat und unter dem Motto stand „Wettbewerb auf Kosten der Beschäftigten? Vorgabe von Sozialstandards in Ausschreibungen nationaler und europäischer Rahmen“. Ich verzichte jetzt darauf, das inhaltlich voll vorzutragen. Ich komme nur zu dem, was Ergebnis dort war, zu den Handlungsoptionen und dem Fazit und da heißt es unter anderem: „Lohndumping im SPNV kann durch den Landesgesetzgeber und den Aufgabenträger durch Vorgabe von Sozialstandards vermieden werden.“ Bitte schön, dann tun Sie das doch! Stimmen Sie diesem Antrag zu

(Beifall SPD)

und dann geben wir diese Sozialstandards vor. Es heißt weiter: „Wettbewerb auf Kosten der Beschäftigten? Die rechtlichen Rahmenbedingungen lassen die Vorgabe von Sozialstandards und eine Tariftreueerklärung zu. Es ist eine politische Entscheidung des Landesgesetzgebers und des Aufgabenträgers, ob sie Lohndumping im SPNV zulassen.“ Deswegen fordere ich Sie heute noch einmal auf, hier eine politische Entscheidung zu treffen, die Lohndumping im SPNV nicht zulässt.

(Beifall SPD)

Frau Abgeordnete Doht, einen kleinen Moment bitte, der Abgeordnete Schugens würde Ihnen, glaube ich, eine Frage stellen wollen. Gestatten Sie das?

Aber bitte.

Sie unterstellen, dass wir in Thüringen Lohndumping hinnehmen im ÖPNV; haben Sie Beweise dafür?

(Zwischenruf Abg. Lemke, DIE LINKE: Sie schließt das nicht aus.)

Ich unterstelle es nicht, wir haben es bis jetzt auch nicht, aber letztendlich stehen die ganzen Strecken zur Neuvergabe aus und das, was in anderen Bundesländern teilweise der Fall ist, könnte auch in Thüringen Wahrheit werden.

(Unruhe CDU)

Für die Fraktion DIE LINKE hat sich der Abgeordnete Lemke zu Wort gemeldet.

Frau Präsidentin, meine Damen und Herren, lassen Sie mich zu Anfang auf das, was Herr Schugens hier von sich gegeben hat, kurz eingehen.

Herr Schugens, können Sie es nicht verstehen oder wollen Sie es nicht verstehen? Sie erzählen hier einen Blödsinn, der...

(Unruhe CDU)

Herr Abgeordneter Lemke, „Blödsinn“ ist ordnungsrufwürdig.

Gut, das zeigt, dass Sie von der Branche null Ahnung haben, aber Sie informieren sich auch nicht. Sie sind nie da, wo Sie etwas lernen können. Aber CDU muss ja nichts lernen, Sie beherrschen ja alles.

(Unruhe CDU)

Sie haben recht, sieben Betreiber sind in Thüringen momentan am Markt. Sie vergessen aber zu sagen, dass sich 69 Betreiber um Verkehrsleistungen im SPNV bemühen. Damit wissen Sie genau, dass wir hier einen Dumpingwettbewerb haben, also tun Sie nicht so. Oder Sie wissen es nicht besser, dann habe ich es Ihnen jetzt gesagt. Sie erzählen hier, Fachkenntnisse sind unbedingt vorhanden. Auch das ist wieder ein Beweis, dass Sie sich nicht auskennen. Es ist momentan so, dass nach einer kurzen Anlernphase Menschen auf Loks gesetzt werden und diese Geschosse überall in Deutschland durch die Gegend fahren. Sie haben keine Ahnung. Immer muss erst etwas passieren, dann wachen Sie in der Mitte auf.

(Zwischenruf Abg. Heym, CDU: Brüll doch nicht so rum, das geht doch auch leiser.)

Ihr versteht es doch sonst nicht, vielleicht bleibt es dann drin.

Subunternehmen sind ausdrücklich zugelassen, so wie die Ausschreibungsbedingungen momentan sind.

(Unruhe CDU)

Auch da wissen Sie nicht, wie es geht. Wissen Sie, wie Subunternehmen momentan im SPNV-Wettbewerb laufen? Es werden Hülsen gebildet, da ist weder Personal noch Material vorhanden, nur um Wettbewerbe zu gewinnen. Auch das scheinen Sie nicht zu wissen oder Sie nehmen es nicht zur Kenntnis.

(Zwischenruf Abg. Tasch, CDU: Also, das ist ja unmöglich.)

Da bleibt es wenigstens drin, vielleicht bei einigen von Ihnen.

(Zwischenruf Reinholz, Minister für Wirt- schaft, Technologie und Arbeit: Da braucht man ja Gehirn.)

Das fehlt ja bei Ihnen völlig.

Herr Schugens, Sie müssen doch den Leuten sagen, was Sie mit ihnen veranstalten wollen. Wenn Sie nur einmal zur Kenntnis nehmen, dass alle 12 bis 15 Jahre die Verträge wechseln. Das bedeutet, dass für jeden Eisenbahner in seinem Eisenbahnerleben vier Mal der Betreiber wechseln kann, dass er vier Mal veränderte Sozialstandards hinnehmen muss und vor allen Dingen vier Mal veränderte Tarifstandards hinnehmen muss. Und dann sagen Sie, Sie wollen nicht in die Tarifhoheit eingreifen. Sie tun es doch, indem Sie den Leuten zumuten, Errungenes preiszugeben, wo sie sich noch nicht einmal dagegen wehren können. Das tun Sie schon.

Herr Schugens, ich will Ihnen noch etwas sagen: Dass man Tarifstandards und Sozialstandards nicht festschreiben kann, ist schlicht falsch. Frau Doht hat es schon gesagt, aber ich werde es Ihnen noch einmal deutlich sagen, vielleicht fruchtet es ja.

(Zwischenruf Abg. Schugens, CDU: Sie haben doch nicht recht.)

Als unmittelbar geltendes europäisches Recht erlaubt Artikel 4 Abs. 5 in der neuen Verordnung 1370 den zuständigen Behörden, bestimmte Sozialstandards einschließlich Tarifverträgen für betroffene Arbeitnehmer im Falle des Betreiberwechsels vorzugeben.

Herr Schugens, einfach einmal informieren und dann reden wäre ganz hilfreich.

Der Exporteinbruch, die anhaltende Vertrauenskrise auf den Finanzmärkten und die daraus resultierende Unsicherheit bei Unternehmen stehen dafür, dass Millionen Arbeitsplätze akut bedroht sind. Der SPNV steht seit längerer Zeit in einem Dumpingwettbewerb. Es geht leider nicht, Herr Schugens, nur um Qualität, Effektivität und Kundenzufriedenheit, sondern immer mehr nur um reine Kostenersparnis, denn technisch, strukturell und organisatorisch sind die Möglichkeiten längst ausgeschöpft. Man muss sich die Felder suchen, die da heißen: Löhne, Gehälter, Urlaub. Alles das sind soziale Errungenschaften. Die sind nicht vom Himmel gefallen, die haben die Menschen erkämpft in ganz harter Tarifarbeit, Herr Schugens. Davon haben Sie noch nie etwas gehört, das ist mir schon klar. Da der SPNV eine sehr personalintensive Dienstleistung ist - Herr Schugens, und das wissen Sie - und die Personalkosten sich bei diesen Dienstleistungen um die 60 Prozent des Gesamtetats bewegen, ist das natürlich das Feld, wo man wirklich sparen kann. Deswegen findet Dumpingwettbewerb statt. Wettbewerber unterbieten sich im Sozialabbau und der Tarifflucht. Die Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter und auch ihre Interessenvertreter, auch die Interessenvertreter, die Sie ja schützen

wollen, weil Sie nicht in das Tarifrecht eingreifen wollen, stehen dem Treiben machtlos gegenüber und können nur zuschauen. Hier müssten wir eingreifen. Hier müssten Standards vorgegeben werden, um Erreichtes zu sichern und zu erhalten. In der Vergangenheit war es so, dass jede Neuvergabe, Herr Schugens, zur Verschlechterung der tariflichen und sozialen Standards geführt hat, immer auf dem Rücken der Beschäftigten. Wenn Sie das wollen, dann sagen Sie das den Beschäftigten. Durch die Ausschreibung wird Druck auf bestehende Standards erhöht, angemessene Ausbildungs- und Qualitätsniveaus treten in den Hintergrund. Auch in dieser Branche, ich habe es Ihnen schon gesagt, 400-EuroKräfte, kurze Anlernzeit, die setzt man auf diese Gefährte. Da hängt eine Tonnenlast dran, Sie wissen das. Es reicht, um eine Brücke in Eschede einzureißen, und da sind 400-Euro-Kräfte drauf ohne richtiges Gelerntes.

(Unruhe CDU)