Protokoll der Sitzung vom 19.06.2009

(Beifall DIE LINKE)

Jetzt kommen Sie auf den Gedanken und sagen, Sie wollen das wieder reparieren. Ich sage, wir sind uns ja durchaus bewusst, dass der politische Irrtum auch zur Politik gehört. Aber Sie vermitteln hier den Eindruck, als wäre die Situation, in der wir jetzt sind, irgendwie vom Himmel gefallen und Sie müssen hier jetzt retten. Der Sozialstaat, der kann tatsächlich gerettet werden, aber nicht durch eine so selektive Maßnahme wie ein Verschuldungsverbot, sondern da müssen wir uns wirklich mit den Einnahmen be

schäftigen. Ich werde darauf noch einmal zurückkommen.

(Beifall DIE LINKE)

Wie haben Sie den Sozialstaat zerstört? Steigende Kinderarmut. Klar hat Thüringen die geringste Arbeitslosenquote, aber wir sind auch beim Lohnniveau bis unten. Das ist nämlich der Preis, den die Beschäftigten dafür gezahlt haben. Wenn Ihre Theorie immer stimmt, dass angeblich geringere Löhne und Lohnverzicht der Wirtschaft dient, müssten wir hier wirtschaftspolitisch blühende Landschaften und zumindest ein höheres Niveau haben als gegenwärtig. Sie haben Hartz IV in diesem Lande gemeinsam mit SPD und Grüne eingeführt, das ist Armut per Gesetz. Wer mit Hartz-IV-Empfängern zu tun hat, weiß das. Es ist doch völlig - ich sage es noch einmal - asozial, bei denen auch noch das Kindergeld mit dem Regelsatz zu verrechnen.

(Beifall DIE LINKE)

Bei uns wird das Kindergeld nicht mit unseren Diäten verrechnet, aber bei denen, die von künftig 359 € leben müssen, da wird das Kindergeld angerechnet. Was ist denn das für eine Politik? Oder Rente mit 67. Damit haben Sie alles dafür getan, dass das Gemeinwesen gefährdet ist. Sie haben damit Verfassungsbruch begangen, Artikel 1 „Die Würde des Menschen ist unantastbar.“

(Beifall DIE LINKE)

(Unruhe CDU)

Darum müssten Sie sich kümmern, meine sehr geehrten Damen und Herren. Die Unternehmen und die Vermögen wurden in diesem Lande seit 2000 jährlich um rund 40 Mrd. € entlastet. Das, was als Gegenleistung versprochen war, nämlich existenzsichernde Arbeit, die ist ausgeblieben.

(Zwischenruf Abg. Dr. Scheringer-Wright, DIE LINKE: Genau!)

Die kommen ja nicht mehr ohne Staat zurecht. Die funktionieren nicht mehr ohne Staat. Das Bankenwesen funktioniert nicht mehr ohne Staat. Die Wirtschaft funktioniert nicht mehr ohne Staat. Da philosophieren Sie hier immer noch und sagen: Die Marktkräfte werden das schon in irgendeiner Art und Weise richten. Das ist nicht so. Aber wenn der Staat hilft - das ist ja richtig, dass wir helfen - dann müssen wir uns aber auch Gedanken machen, dass natürlich jeder nach dem Leistungsprinzip sich an der Finanzierung des Staates entsprechend beteiligt.

(Beifall DIE LINKE)

Das, was Sie jetzt fordern, müssen Sie sich mal überlegen, wenn Sie das mal auf den privaten Bereich umlegen. Da nehme ich mal uns selbst, das können wir alle nachvollziehen: Wir haben ungefähr ein Einkommen von 50.000 € im Jahr aus der Tätigkeit als Landtagsabgeordnete - mancher macht ja noch nebenbei etwas.

(Unruhe CDU)

Das heißt, bei der jetzigen Schuldenbremse im Bund hätte ich einen Kreditrahmen von 175 € bei einem Jahreseinkommen von 50.000 €.

(Heiterkeit CDU)

Wenn Sie das jetzt im privaten Bereich sehen, eigentlich müssten die Banker zu Ihnen kommen und müssten sagen: Habt Ihr einen Patscher? Ihr macht uns den ganzen Finanzmarkt kaputt. Die Kreditwirtschaft ist natürlich eine wesentliche Säule dieses Systems. Der Staat war da auch Nachfrager. Schon allein dieses Beispiel macht deutlich, welche Hemmnisse Sie dann einführen. Es hat doch keinen Zweck, wenn Sie die Staatsaufgaben nur fiskalisch betrachten. Das Difu-Institut hat gesagt, wir haben einen Investitionsbedarf in den nächsten 15 Jahren von 704 Mrd. €. Da könnte man sagen, wir machen keine Verschuldung mehr, wir investieren nicht mehr und machen die Augen zu, dass Infrastruktur verfällt. Die Folgekosten sind viel höher. Ich hatte die Gelegenheit vor 1989, das zu erleben, was es heißt, wenn Infrastruktur zerfällt. Da waren auch andere dabei. Herr Schröter hat mitgemacht, Frau Diezel, Herr Mohring war in der Karriereleiter Gnade seiner späten Geburt noch nicht so weit oben. Heute wäre er 1. Sekretär der Bezirksleitung der FDJ Gera, bin ich überzeugt. Aber er hätte bestimmt auch einen Hochschulabschluss.

(Heiterkeit CDU)

(Zwischenruf Dr. Sklenar, Minister für Landwirtschaft, Naturschutz und Umwelt: Was soll denn der Blödsinn?)

Das heißt, das muss man ja mit betrachten, weil Daseinsvorsorge sich nicht nur fiskalisch bezieht, sondern wir müssen auch Infrastruktur und dergleichen mit berücksichtigen. Auch das spricht gegen eine Schuldenbremse.

Jetzt wird immer gesagt, der Staat gibt zu viel aus, deswegen müssen wir das begrenzen. Jetzt haben unabhängige Wirtschaftsinstitute mal die Staatseinnahmen gemessen am Bruttoinlandsprodukt ermittelt. Die Staatseinnahmen sind von 2000 bis 2008 von 7,5 auf 6,8 Prozent gesunken. Die Staatsausgaben sind im gleichen Zeitraum von 7,8 auf 7,3 Prozent

gesunken. Also es stimmt nicht, wie immer dargestellt wird, dass der Staat angeblich zu viel einnimmt und zu viel ausgibt. Gemessen am Bruttoinlandsprodukt ist der Nachweis nicht zu erbringen. Es ist natürlich klar, dass doch jede Kostenentwicklung sich auch in den öffentlichen Haushalten niederschlägt auf der Ausgabenseite. Insofern müssen natürlich auch die Staatseinnahmen sich an diesen Kostenentwicklungen beteiligen. Wer dann von ungerechtfertigten Steuermehreinnahmen spricht, der ruiniert volkswirtschaftlich dieses System. Aus dieser Denke müssen wir raus und das bedient die CDU auch mit einer Neiddiskussion, indem sie immer wieder sagt, wir wollen Steuern erhöhen. Aber Ihre Leute wie Herr Zimmermann als Wirtschaftstheoretiker - schlagen eine Mehrwertsteuererhöhung auf 25 Prozent vor - mit welcher Folge? Das bereiten Sie verfassungsrechtlich vor, diese Politik, nämlich eine weitere Umverteilung von unten nach oben, denn die Mehrwertsteuererhöhung trifft uns nicht als Abgeordnete, wir konsumieren genau noch so, aber es trifft die, die von Hartz IV leben müssen, von anderen Transferleistungen oder von niedrigen und mittleren Einkommen.

(Beifall DIE LINKE)

Das bereiten Sie verfassungsrechtlich vor. Sie bereiten also verfassungsrechtlich vor den weiteren Abbau oder die Zerstörung des Sozialstaates mit Ihren jetzigen Aktivitäten.

(Zwischenruf Dr. Sklenar, Minister für Landwirtschaft, Naturschutz und Umwelt: So ein Blödsinn, Ihr wollt das machen.)

Warum - damit will ich abschließen - schlagen Sie denn nicht vor, dass wir in der Verfassung einen Grundsatz aufnehmen, dass jeder verpflichtet ist, entsprechend seiner Leistungsfähigkeit sich an der Finanzierung des Gemeinwesens zu beteiligen? Das wäre doch ein Verfassungsgrundsatz. Es steht zwar drin, dass Eigentum verpflichtet,

(Beifall DIE LINKE)

(Unruhe CDU)

aber das hat ja nicht zu mehr Steuergerechtigkeit und dergleichen geführt. Da appelliere ich wirklich auch an die SPD, darüber nachzudenken, was sie im Rahmen von rot-grüner Bundesregierung tatsächlich mit dazu beigetragen hat. Sie hat die CDU regelrecht dazu eingeladen, die Finanzierung des Gemeinwesens völlig infrage zu stellen.

Nochmals, auch wir als LINKE sehen das Problem der Staatsverschuldung, aber wir sehen die Lösung darin, dass das Gemeinwesen ordentlich und sozial

gerecht finanziert wird. Dazu brauchen wir sicherlich auch Konjunkturmaßnahmen und dazu braucht man auch Regelungen, wie mit den bisherigen Schulden, die aufgenommen wurden, die auch nicht vom Himmel gefallen sind, umgegangen wird. Aber so eine isolierte Betrachtung und jetzt einfach nur einmal zu sagen, weil es der Stimmungslage in der Gesellschaft entspricht, das ist klar, wenn Sie hier vor den Landtag gehen oder auch die Zuschauer auf der Tribüne fragen, jeder wird sagen, na klar, Schuldenbremse ist doch etwas Schönes. Nur, Sie müssen die Konsequenzen sowohl volkswirtschaftlich als auch sozialpolitisch und gesellschaftlich hier darlegen. Wenn Sie tatsächlich zu Ihrem Wort stehen, dass Sie wieder mehr soziale Markwirtschaft wollen, dann müssen Sie schon mit anderen Konzepten kommen als hier nur mit der Schuldenbremse. Danke.

(Beifall DIE LINKE)

Gibt es weitere Wortmeldungen? Das ist nicht der Fall. Dann bitte, Frau Ministerin Diezel.

Frau Präsidentin, meine sehr geehrten Damen und Herren, also, Herr Kuschel, wenn Sie hier den Zusammenbruch des Sozialstaates darstellen, dann halte ich Ihnen ein paar Zahlen entgegen. Der Bundeshaushalt hat ca. 270 Mrd. €. Ein Drittel allein davon geht in den Sozialetat und da proklamieren Sie hier den Zusammenfall des Sozialstaates. Ich erinnere an die Senkung der Steuersätze, ich erinnere an die Erhöhung des Kindergeldes, ich erinnere an die Rentenerhöhung. Ich habe das in mehreren Reden hier von diesem Pult aus schon gesagt, wir werden bei den Steuereinnahmen, wir werden bei der Wirtschaftsentwicklung, auch wenn die prognostizierten 4 bis 6 Prozent in diesem Jahr sehr dramatisch sind, auf ein Niveau der Jahre 2005 und 2006 zurückfallen, nicht auf das Niveau von 1989.

Meine sehr geehrten Damen und Herren! Herr Pidde, Sie und sowohl Herr Huster wie Herr Kuschel versuchen ja hier immer diese systemische Krise herbeizureden. Es ist eine konjunkturelle Krise, es ist eine Strukturkrise der Automobilindustrie und es ist eine Finanzkrise und die ist zeitgleich und deswegen sind die Auswirkungen weltweit zu spüren und weltweit zeitgleich so dramatisch, aber sie ist keine Systemkrise. Die soziale Marktwirtschaft hat sich bewährt.

(Beifall CDU)

Herr Dr. Pidde, Ihre Bilder sind ja immer so hübsch, das mit dem Rasenmäher und dem Elektrokabel, ich hatte den Eindruck gehabt, mit Ihrer Rede sind

Sie über das Kabel gefahren.

(Heiterkeit CDU)

Herr Dr. Pidde, ich frage mich bei Ihrer Fraktion immer, bei Ihrer ganzen Rede, wenn das 2020 richtig ist, wo ja die Bundestagsfraktion mit zugestimmt hat, auch die Ministerpräsidenten, die wenigen, die Sie noch haben, in der Föderalismuskommission, wenn das 2020 richtig ist, und man jetzt zugestimmt hat, warum kann das jetzt nicht richtig sein, hier in Thüringen.

(Zwischenruf Abg. Höhn, SPD: Auch Sie, auch Thüringen hat der Grundgesetz- änderung zugestimmt.)

Wir haben zwei Haushaltsjahre ohne Schulden gemacht. Sagen Sie mir das doch mal. Wir haben zwei Haushaltsjahre gegen Ihre Vorschläge,

(Unruhe SPD)

wenn wir die gemacht hätten, wenn wir die umgesetzt hätten, dem zustimmt hätten, hätte ich heute in diesem Landtag wahrscheinlich doch einen Nachtragshaushalt vorlegen müssen

(Zwischenruf Abg. Matschie, SPD: Sie kennen das Grundgesetz wohl nicht?)

mit neuen Schulden. Nein, wir haben die Rücklagen aufgehoben. Wir haben sie verwendet jetzt für die Finanzierung des Konjunkturpakets und für die Steuerausfälle. Deswegen frage ich mich, wir haben zwei Haushaltsjahre mit Überschuss, nicht nur Nullverschuldung, sondern Überschuss. Und deswegen sollen wir jetzt nicht beschließen, dass wir das in Zukunft so handhaben wollen, auch wenn Krisensituationen sind, die Atmung möglich ist innerhalb der Verschuldungsgrenze, oder wenn Notsituationen sind, durch Naturkatastrophen es möglich ist, Verschuldung aufzunehmen, aber natürlich mit einem Tilgungsplan, so wie man das normalerweise bei jeder Investition und im Haushalt selbst auch macht. Man muss wissen, wann man die Schulden wieder getilgt hat - in einem absehbaren Zeitpunkt. Und wie Mike Mohring es gesagt hat, diejenige Legislatur, die Abgeordneten, die hier in diesem Hause sitzen, müssen entscheiden, dass Sie es auch mit tilgen. Es muss also ganz konkrete Auswirkungen haben, oder auf die nächste Legislatur, aber es muss ganz konkrete Auswirkungen haben, die auch mit bei den Wahlen entscheiden. Deswegen wollen wir jetzt dieses Schuldenverbot. Wir wollen jetzt dieses Schuldenverbot. Und wenn wir nach Ihren und nach Ihren Anträgen beim letzten Doppelhaushalt gehandelt hätten, hätten wir jetzt schon wieder neue Schulden aufnehmen müssen, und wir hätten wieder Zinsen

zahlen müssen. Das heißt, wir haben deswegen auch rein rechnerisch, weil wir Ihren Anträgen nicht zugestimmt haben, 40 bis 50 Mio. € Zinsen gespart. Wo würden wir den hinmarschieren mit den Zinsen? Wo würden wir denn hingehen? 1 Mrd. € mindestens, Mike Mohring hat auch noch eine optimistische Rechnung aufgemacht, 1 Mrd. € mindestens Zinslast. Und das schränkt die Spielräume ein, zurückgehende Mittel in der EU-Förderung, zurückgehende Mittel …

(Glocke der Präsidentin)

Auch wenn Sie noch so viel dazwischen schreien, die Zahlen werden nicht anders, Herr Matschie, Sie haben ja immer Probleme mit den Zahlen

(Zwischenruf Abg. Matschie, SPD: Mit Ih- ren Zahlen.)