aussprechen. Denn was diese Frau, deren Alter man nur schätzen kann, wo man aber weiß, dass sie sehr vieles erlebt hat, über Erinnern und über Versöhnung gesprochen hat und über tatsächliche Friedenserziehung, nicht nur im Sinne der großen kriegerischen Auseinandersetzungen, das war beeindruckend.
Nun liegt ein Antrag von 37 Abgeordneten der CDUFraktion vor, der, Mike Mohring hat es ausführlich begründet, insbesondere darauf abzielt, die Unwürdigkeit von Menschen, die mit dem MfS und AfNS zusammengearbeitet haben, per Antrag festzustellen. Meine Fraktion hält diese einseitige Reduzierung des historischen Datums auf das Thema „Staatssicherheit“ für außerordentlich problematisch und ich bin wieder froh darüber, dass Mike Mohring die Kulturstaatsministerin Christina Weiss zitiert hat, die gesagt hat, dass die DDR natürlich nicht ohne diese Akten zu bewerten ist. Aber die Akten sind auch nicht ohne die DDR zu bewerten. Damit richtet sich diese Aufforderung an jeden, der in der DDR gelebt hat, der Verantwortung übernommen hat, der gehandelt hat unter ganz konkreten Bedingungen, und deshalb, lieber Mike Mohring, wünschte ich mir,
dass wir uns manchmal unsere Geschichte erzählen. Da würde für mich dann auch ein bisschen deutlicher, was Sie immer damit meinen, wenn Sie „wir“ sagen. Sie haben nämlich sehr viel zitiert und gesagt: „Ich gebe dem Recht“. Ich hätte mir Ihre ganz persönliche Meinung zu verschiedenen Vorgängen auch ganz gerne angehört.
Der 9. November hat also als historisches Datum viele Facetten und ich bekenne, diejenigen, die den 9. November 1989 selbst erlebten, werden noch die Gefühle reproduzieren können, als sie gehört haben, ich sag es jetzt einmal so plakativ: „Die Mauer ist gefallen.“ Fast unglaublich schauten wir auf die Bildschirme und meinten, dass jetzt eigentlich eine Tür aufgegangen ist, durch die Wind hereinweht. Und so viel Offenheit, und so viel Öffentlichkeit, wie in den darauf folgenden und auch davor liegenden
Wochen war, glaube ich, nie, jedenfalls nicht in meinem Leben. In Deutschland wurde vor europäischem Hintergrund, man darf das nicht vergessen, und im europäischen Kontext ein neues Kapitel von Geschichte eingeleitet und über unseren Teil, über den Thüringer Teil, haben wir vorhin etwas reflektiert. Andererseits hatten eben viele einen anderen 9. November vor den Augen, und zwar als Datum der Erinnerung an die Pogrome der Reichskristallnacht. Auch damals haben sich die Menschen sehr unterschiedlich verhalten, als die Synagogen brannten, als die jüdischen Geschäfte zertrümmert wurden. Wenngleich sie vielleicht nicht unbedingt diese Vorgehensweise teilten, haben doch viele weggesehen und geschwiegen.
Aus guten Gründen - daran erinnere ich Sie einfach - hat man in der Bundesrepublik den „Tag der Deutschen Einheit“ nicht auf den 9. November gelegt, sondern auf ein anderes Datum. Denn allein die Ambivalenz, die in diesen beiden, von mir zitierten Ereignissen liegt, gebietet unbedingte Nachdenklichkeit. Nun frage ich mich vor diesem Hintergrund: Welche Beweggründe haben 37 Abgeordnete der CDUFraktion - warum nicht alle, warum 37? Was wollen Sie an einem Tag, an dem die Regierungserklärung zur politischen Kultur im Freistaat Thüringen auf der Tagesordnung steht, die danach fragt, wie sich die politische Kultur, wie sich Lebenslagen, wie sich Stimmungslagen und wie sich Denkprozesse in diesen 15 Jahren entwickelt haben? Wenn man den Antragstext liest - ich habe es bereits gesagt -, orientieren Sie auf eine Facette, nämlich das Staatssicherheitssystem. Dieses ist zentraler Bestandteil Ihres Antrags und Mike Mohring hat das jetzt sogar noch etwas weiter vertieft. Er hat insbesondere da
rauf abgehoben, dass es um die Akten geht. Ich werde dann noch einiges dazu sagen, bin aber trotzdem wiederum froh darüber, dass der Begründungstext Ihres Antrags eben nicht so einseitig fokussiert ist, sondern dass Sie dort durchaus eine breitere Sicht auf einen 9. November aufmachen. Aber im Antragstext, der dann zur Abstimmung steht, da steht eindeutig, dass Sie als Teil der parlamentarischen Gesellschaft in Thüringen einem anderen Teil absprechen, dass er für dieses hohe Haus würdig sei. Nun frage ich Sie: Müsste man nicht gerade vor dem Hintergrund der 9. November diese Entscheidung an den Souverän geben? Und dort liegt sie auch, und man darf sich nicht über die Entscheidung des Wählers aus einem Haus wie dem Parlament erheben. Denn damit geraten Sie in die Gefahr, dieses Thema parteipolitisch zu instrumentalisieren und auch zu interpretieren.
Jetzt möchte ich Ihnen doch einige Fragen in diesem Zusammenhang stellen. Sie fragen nicht, welche Verantwortung jeder Einzelne im politischen System der DDR getragen hat. Sie machen einen Hauptgegner aus. Der Hauptgegner ist derjenige, der offiziell oder inoffiziell für das Staatssicherheitssystem gearbeitet hat und der eine Akte hat und von dem man die Akte in die Hand nehmen kann. Dabei wissen Sie natürlich selbst, dass in dem von uns selbst eingeführten und von uns zu akzeptierenden Regularien, nämlich den Gesetzen dazu, ein Verfahren vorgesehen ist, wonach die Akte, wenn sie dann aus der jetzigen Birthler-Behörde vorliegt, die Einzelfallprüfung und die Anhörung des Einzelnen verlangt. Nun, denke ich, ist so etwas nicht eingeführt worden aus irgendeinem unbekannten Grund, sondern um nachzufragen, warum sich ein Einzelner in welchem System wie verhalten hat. Eigentlich, und da bin ich wieder bei Ruth Lapide, geht es doch in der Erinnerungskultur immer darum, Wege in die Zukunft zu öffnen. Sie hat das übrigens sehr viel schöner zum Ausdruck gebracht in ihrem Vortrag. Sie sprach davon, dass jede friedliche Entwicklung einer Zukunft auch davon abhängt, wie man auch mit denen umgeht, die Schuld auf sich geladen haben. Und sie sprach es vor ihrem eigenen religiösen Hintergrund aus. Da verbietet es sich nach meiner Auffassung, einen Sündenbock zu finden und ihn mit der Schuld beladen in die Wüste zu schicken.
Ich denke, dieses Bild erschließt sich Ihnen. Ich möchte auch nach 15 oder 16 Jahren heute noch wissen, warum ein Einzelner sich für das Staatssicherheitssystem anwerben ließ. Hat man ihn erpresst? War er freiwillig bereit, diese Entscheidung zu treffen? Konnte er Nein sagen und wenn er Nein sagen konnte, warum hat er es eigentlich nicht getan? Die häufige Ambivalenz zwischen Opfer und Täterschaft - das ist nicht meine Erfindung, das kann
man nachlesen, meines Erachtens auch bei Maatz kann man das nachlesen - wird durch eine Herangehensweise, wie Sie sie pflegen, überhaupt nicht berücksichtigt. Und das heißt dann eben, um es etwas einfacher zu sagen, dass zwischen schwarz und weiß keinerlei Schattierungen zu finden sind. Ich glaube, das ist weder historischen Anlässen noch dem Nachdenken zu solchen historischen Anlässen angemessen.
Lassen Sie mich aber auch feststellen, und ich bitte Sie, das auch so zu verstehen, wie ich es sage: Ob am 9. November oder an jedem beliebigen anderen Tag - es gilt, der Opfer zu gedenken. Wir stellen nicht die Täter über die Opfer, denn die Opfer sind in der Regel die Schwachen. Das Schicksal politisch Verfolgter und derer, die wegen ihres Glaubens, wegen ihrer Überzeugungen an der beruflichen Karriere gehindert wurden, muss deutlich benannt werden. Wir wissen alle auch aus der Debatte aus diesem Haus, dass manches überhaupt nicht mehr zu korrigieren ist, was Menschen in ihrer Biographie angetan worden ist, wenn ihre Biographie durch staatliches oder eben durch das Einwirken der Staatssicherheit zerstört worden ist.
Mut zum Widerstand gegen Ungerechtigkeit leisten aber unter den jeweiligen gesellschaftlichen Bedingungen immer sehr wenige Menschen. Das war, glaube ich, in fast allen gesellschaftlichen Strukturen so. Oft oder meistens werden sie sogar allein gelassen. Da gibt es vielleicht noch die indirekte, die heimliche Sympathie für sie, aber die, die tatsächlich aufbegehren gegen Zustände, die sind am Anfang oft sehr allein und es richten sich ganze Machtapparate gegen sie. Auch das ist ein Ergebnis des Nachdenkens über den 9. November und wir sollten immer wieder überlegen: Sind wir in der Lage, tatsächlich das umfassend für uns zu bewerten?
Ich sage auch, einer der entscheidenden Fehler des real existierenden Sozialismus, übrigens nicht nur in der DDR, das muss ich einfach dazu sagen, war, dass Opposition als unnütz galt, das war die Minimalvariante, oder eben als feindliche Handlung verurteilt oder verfolgt wurde. Dazu sage ich Ihnen heute: Dafür schäme ich mich. Ich habe die Konsequenz dieser Äußerung für mich zu DDR-Zeiten nicht begriffen. In der DDR, das sage ich Ihnen auch, wurden elementare Grund- und Freiheitsrechte verletzt und es wurden auch Verbrechen gegen die Menschlichkeit begangen. Ja, Mike Mohring, es gab Tote. Dafür gibt es keine Rechtfertigung! Das wiegt wiederum umso schwerer vor einem Hintergrund, der von uns - und jetzt spreche ich für meine Fraktion -, der vor unseren Hintergrund, die wir mit dem Ziel des Sozialismus eine bessere Gesellschaft verfolgten, als Fehler entweder nicht erkannt oder zugelassen wurde. Wissen Sie, wie bitter für uns manche Er
kenntnisse, die 1989 Stück für Stück auf den Tisch kamen, waren. Und das ist eigentlich auch eine Frage nach diesem „wir“. Wer waren denn die „wir“, die 1989 agierten. Vor solchem Hintergrund, meinen wir, hat man immer über sein eigenes Leben nachzudenken, die Verantwortung nicht abzudelegieren, übrigens auch nicht mit Anträgen, nach denen mit Mehrheit Beschlüsse gefasst werden. Für sich selbst hat man Schlussfolgerungen zu ziehen und ich meine, da gebe ich Ihnen wieder Recht, das gilt insbesondere für die, die ein öffentliches Mandat haben und im Mittelpunkt der Aufmerksamkeit vieler Menschen stehen. Bloß, dann gilt es eben für alle und nicht für ausgewählte Personengruppen.
Wenn wir über politische Kultur nachdenken, dann muss man auch einige Sorgfalt in der Betrachtung von DDR-Geschichte walten lassen. Sinngemäß war im Thüringen-Monitor nachzulesen und der Ministerpräsident reflektierte darauf in seiner Regierungserklärung, dass man die Leute einbeziehen muss in ein demokratisches System, dass man also alles tun muss, um möglichst viele Leute so einzubeziehen, so dass sie die demokratische Ordnung für sich als die richtige betrachten. Betrachtet man vor diesem Hintergrund das politische System der DDR, fällt doch auf, dass insbesondere nach 1945 und dann auch mit der Staatsgründung 1949 sehr viele Menschen davon ausgingen - übrigens, Schriftsteller, die später zu Oppositionellen wurden, haben das auch aufgeschrieben -, dass man mit dieser neuen deutschen Gesellschaft einen konsequenten Bruch mit dem Nationalsozialismus, mit dem Faschismus vornehmen wollte, dass man etwas Anderes, etwas Besseres aufbauen wollte. Letzten Endes haben sich dort viele verortet und auch die Frage der Macht aus dieser Richtung gestellt.
Es ist natürlich zu kritisieren, zu hinterfragen und die Frage überhaupt aufzumachen: Warum haben genau die Menschen, die zum Teil in den Zuchthäusern und Konzentrationslagern saßen, danach zugesehen, wenn ein System wie das Staatssicherheitssystem gegen den Nachbarn vorging und Opposition verunglimpfte? Diesen Prozess des Nachdenkens und des Dahinterkommens hinter solche Motivationen und des Lernens daraus müsste man doch eigentlich öffentlich befragen. Was fand dort eigentlich statt und wie verhalten sich Menschen heute in solchen Situationen und vor solchen Entscheidungsprozessen? Denn ich glaube, eine der wichtigsten Fragen zur Entwicklung von Demokratie in die Zukunft ist die, wie jemand heute mit seiner Biografie umgeht, wenn er für künftige Dinge Entscheidungen treffen möchte. Auch dazu möchte ich, weil vorhin viel aus den Gerichtsurteilen des Bundesverfassungsgerichts zitiert worden ist, eine kleine Passage aus dem Urteil des Bundesverfassungsgerichts aus dem Jahr 1997 zitieren, bei der es um die Eignung für die Beschäftigung im öf
fentlichen Dienst geht. Dort heißt es: „Dazu gehört die Berücksichtigung des Zeitfaktors. Persönliche Haltungen können sich ebenso wie Einstellungen zur eigenen Vergangenheit im Laufe der Zeit ändern.“ Danach folgen noch einige andere Begründungen zu solchen Wandlungsprozessen eines Menschen. Verurteilung kann doch nicht auf ewig angelegt sein. Wenn wir die Schwierigkeit dieser Gesellschaft und ihre zum Teil heute wieder debattierten Problemlagen betrachten, müssen wir doch gemeinsam eigentlich alles dazu tun, aus dem, was wir selbst erlebt haben, die richtigen Schlussfolgerungen für die Zukunft zu ziehen. Und da erfahrungsgemäß die Pluralität dieser Schlussfolgerung eigentlich zu den eigentlichen Motoren zählt, müssten wir doch zulassen, dass wir miteinander für die Zukunft arbeiten. Ich habe vorhin Heiko Gentzel interessiert zugehört, als er sagte: Lasst uns doch mal hinter manchem einfach einen Schlussstrich ziehen, was uns trennt, und überlegen, was uns in die Zukunft bringt. Ich meine übrigens bei dem Schlussstrich nicht die Schließung der Staatssicherheitsakten, sondern ich meine die gleichberechtigte Teilhabe aller Mitglieder dieses Parlaments an den Gestaltungsprozessen der Zukunft. Eine offene Diskussion muss übrigens allen Beteiligten ihre Würde lassen und sie muss die Möglichkeit eröffnen, dass Beweggründe, Zwänge, Fehler und Versagen, auch eigene Schuld eingestanden werden kann.
Mit der häufig praktizierten Art und Weise des Ausgrenzens und der öffentlichen Vorverurteilung von Menschen, glaube ich, kommen wir kein Stück weiter. Und ich behaupte, dass gerade darin die Gefahr besteht, dass der Einzelne seine Biografie, seine gelebte Biografie nur noch als „biografische Fußnote“ betrachtet, nämlich wenn er das betrachtet, was er bis 1989 getan hat. Verstehen Sie mich bitte recht, ich rede nicht denen das Wort, die die Tätigkeit im Staatssicherheitssystem bagatellisieren. Sicher gibt es da welche - übrigens ist mir noch keiner über den Weg gelaufen, aber mir wird es immer mal gesagt -, die kaum Unterschiede zwischen der Tätigkeit - ich weiß jetzt nicht, was Sie gesagt haben, Herr Mohring - beim Kulturbund und beim MfS meinen feststellen zu können. Sie hatten vorhin so ein Bild aufgemacht. Ich plädiere für eine ehrliche Auseinandersetzung über gelebte Geschichte und ich plädiere für den Lernprozess. Vor diesem Hintergrund möchte ich einige wenige, nur wenige Anmerkungen machen zu jenen Selbstgerechten, die nach 1989, ohne Freiräume genutzt zu haben, für sich selbst definierten, dass sie schon immer dagegen waren. Trotz beruflicher Karriere waren sie immer dagegen, ihren Hochschulabschluss haben sie im Untergrund erworben, die Parteien, denen sie angehörten, die waren völlig unbelastet vom politischen System der DDR, die wussten gar nicht, dass man sich auf die führende Rolle der SED eingeschworen hatte, und ihre Mitgliedschaft - und das sage ich auch ausdrücklich - in
Die heutige Zugehörigkeit zu Parteien und Institutionen wird zum Teil wie ein Ablasszettel benutzt und die Biografie verklärt. Ich hoffe, es sitzt keiner von diesen unter uns, denn ich gebe einfach nur etwas wieder, was in dieser Gesellschaft auch sehr heftig debattiert wird. Denn solche Selbstgerechten möchte ich schon fragen: Wo haben sie sichtbar und hörbar kritisch ihre eigene Verantwortung in den Mittelpunkt der Debatte gestellt, wo haben sie mit ihrer eigenen Vergangenheit abgerechnet und vor allem - ich habe immer den Lernprozess betont - was haben sie für heutiges Tun daraus gelernt? Ich sage Ihnen, die PDS hat sich das nicht einfach gemacht. Ich gestehe Ihnen, mir ist es auch schwer gefallen, vor dem Hintergrund des Antrages mich Ihnen so zu öffnen. Aber ich tue es trotzdem. Die PDS bekennt sich zu ihrer Vergangenheit und hat sich von Fehlern und Irrtümern eindeutig distanziert. Der Gründungskonsens der PDS im Jahre 1990 gab Grundlage und Orientierung dafür. Sie können das nachlesen. In mehreren öffentlichen Äußerungen konnte nachgelesen werden, wie wir mit unserer Vergangenheit umgehen. Wir haben uns so oft für begangenes Unrecht entschuldigt, dass unsere eigenen Mitglieder der Partei schon gefragt haben, wie oft und an welcher Stelle und für wie viele Teile eures Lebens wollt ihr euch denn noch entschuldigen? Aber wir haben es getan.
Ich erinnere an unsere Äußerungen - bitte lesen Sie die auch mal nach - zum Beispiel zum Mauerbau und zur Vereinigung von KPD und SPD als Zwangsvereinigung. Wir haben uns dazu geäußert. Und die Prozesse im Inneren dieser Partei, die waren schmerzlich, die waren insbesondere für die, die längere Zeit und in besonderer Art mit dem System verbunden waren, viel schmerzlicher, als wenn man einfach sein Mäntelchen in den Wind gehangen und gesagt hätte, ich bin 1989 als neuer Mensch wieder auferstanden. Wie viele Menschen mussten damit brechen, dass sie ein Ideal von einer sozialistischen Gesellschaft hatten und dieses Ideal im real existierenden Sozialismus der DDR eigentlich überhaupt nicht stimmte? Diese Auseinandersetzung hat uns vorangebracht. Diese Auseinandersetzung hat uns auch zu Auffassungen gebracht, die wir heute haben, nämlich zur Wertschätzung der Opposition, zum Mut zum Widerstand, zum Aussprechen dessen, was wahr ist und zur Akzeptanz, dass die Freiheit auch immer die Freiheit des anders Denkenden ist. Wir ringen programmatisch um einen Ansatz - das ist übrigens
auch nicht so leicht -, der Menschenrechte in der Einheit von Freiheits-, Gleichheits- und Teilhaberechten vereint. Wir fragen nicht, Freiheit oder soziale Sicherheit, sondern wir meinen und können die Debatte der evangelischen und katholischen Kirche aus ihrem Papier zur wirtschaftlichen und sozialen Lage einbeziehen, dass Menschenrechte in dieser Form - Freiheits-, Gleichheits- und Teilhaberechte - untrennbar miteinander verbunden sind, wenn man eine bessere Gesellschaft gestalten möchte.
Wir wissen, dass wir dabei auch heute irren können, dass wir Auseinandersetzungen führen müssen, dass mancher uns auf diesem Weg verlässt und leider - sage ich - ein Teil uns verurteilt, als wären wir diejenigen, auf die man die Last von 40 Jahren DDR abladen könnte und uns in die Wüste schicken könnte.
Ich habe Ihren Antrag nicht so verstanden. Ich habe ihn deshalb nicht so verstanden, weil er eine andere Begründung hat. Aber der Antragstext als solcher, der hat schon den Grundtenor dessen, was ich eben als Befürchtung angedeutet habe. Ich wünsche mir, dass Sie noch einmal darüber nachsinnen, wie wir mit unserer Vergangenheit und wie wir mit dem Befund aus dem Thüringen-Monitor umgehen, und dass wir, obwohl der Entschließungsantrag vorhin abgelehnt worden ist, einen Konsens dazu finden, dass wir diese Debatte vor heutigem Hintergrund öffentlich in diesem Saal durchführen, damit wir uns den Blick frei machen, so dass wir die Aufgaben für die Zukunft dieser Gesellschaft auch mit dem Blick auf das Vergangene und in der gleichberechtigten Auseinandersetzung von Ideen miteinander erstreiten. Ich glaube, das verlangt der Wähler von uns. Vor diesem Hintergrund tut es mir Leid, Ihr Antrag taugt für diese Auseinandersetzung nicht.
Frau Präsidentin, werte Kolleginnen und Kollegen, auch wenn es ein bisschen den Anschein haben konnte, die 37 CDU-Abgeordneten haben heute keine Debatte zum 9. November beantragt, der Antrag, den Sie uns hier auf den Tisch des Hauses gelegt haben, wäre dafür auch völlig ungeeignet. Über diesem Antrag steht: "MfS und AfNS-Mitarbeit und die Folgen für die Ausübung öffentlicher Ämter". Zugegeben, eine wichtige Facette von Vergangenheitsaufarbeitung, aber um anhand dieses einzigen
Themas ein komplexes Datum wie den 9. November zu diskutieren, ist dieser Antrag nicht geeignet. Ich will zu diesem Antrag einiges sagen und mit einer persönlichen Bemerkung beginnen.
Für mich haben Parlamente eine sehr hohe Wertschätzung. Deshalb bin ich der Auffassung, wer wissentlich und willentlich für die Staatssicherheit der DDR gearbeitet hat, sollte heute nicht in einem Landtag und auch nicht im Bundestag sitzen.
Ich bin deshalb dieser Auffassung, weil die Tätigkeit für die Staatssicherheit geprägt war einerseits von der Verletzung von Grundsätzen der Rechtsstaatlichkeit und andererseits auch von der Missachtung von Menschenrechten. Diese Auffassung wird auch von meiner Fraktion geteilt. Um diese Haltung deutlich zu machen, hat sich ein Teil meiner Fraktion entschieden, diesem Antrag zuzustimmen. Ich will hier trotzdem noch einmal die Frage stellen: Was soll der Antrag zum heutigen Zeitpunkt? Man kann sich dem Verdacht kaum entziehen, als habe dieser Antrag in Wirklichkeit ein Ziel: Er soll sagen, hier in der CDU sitzen die Guten und dort sitzen die Bösen. Die Selbstgerechtigkeit, Herr Mohring, mit der Sie hier vorgetragen haben, die Selbstgerechtigkeit eines jungen Mannes, der gerade 17 Jahre alt war zur Wende, bestätigt mich in dieser Auffassung.
Denn zu den Sachverhalten Stasi-Tätigkeit und Parlamentszugehörigkeit oder Stasi-Tätigkeit und Tätigkeit im öffentlichen Dienst sagt dieser Antrag nichts aus, was nicht ohnehin in den Gesetzen steht. Ja, er greift nicht einmal die aktuelle Rechtsprechung des Thüringer Verfassungsgerichts zu dieser Frage auf. Als politische Aussage in Erinnerung an den 9. November ist er nach meiner Überzeugung von solcher Einseitigkeit, dass er untauglich ist, diesem Datum gerecht zu werden.
Ein Beitrag zur politischen Kultur, wie Sie in der Begründung formulieren, ist er damit mit Sicherheit nicht. Um deutlich zu machen, was wir von diesen Motiven halten, hat sich ein Teil meiner Fraktion entschieden, gegen Ihren Antrag zu stimmen oder sich zu enthalten. Offensichtlich haben ja auch einige CDU-Abgeordnete die Peinlichkeit dieses Antrags empfunden und ihn deshalb nicht unterschrieben.
Lassen Sie mich etwas zur rechtlichen Bewertung sagen: Ungeachtet der Tatsache, dass ich selbst und auch die Mitglieder meiner Fraktion der Auffassung sind, wer für die Staatssicherheit gearbeitet hat, sollte
heute nicht in einem Parlament sitzen, unsere Verfassung - und die haben Sie wie wir gemeinsam wesentlich mit geprägt - lässt es nicht zu, dass jemand wegen früherer Stasi-Tätigkeit aus dem Parlament ausgeschlossen wird. Das wurde mit dem Verfassungsgerichtsurteil vom 25. Februar 2000 klar und deutlich festgestellt. Nämlich § 8 des Thüringer Gesetzes zur Überprüfung von Abgeordneten, der den Ausschluss aus dem Parlament vorsieht, wurde für verfassungswidrig und für nichtig erklärt. Ich stelle an dieser Stelle fest, es gab seit diesem Urteil keinen Versuch, von keiner Fraktion des Hauses, die Verfassung so zu ändern, dass ein solcher Ausschluss wegen Stasi-Tätigkeit aus dem Parlament möglich wäre. Auch der Bundesgesetzgeber hat ausdrücklich darauf verzichtet, den Ausschluss aus dem Parlament wegen Stasi-Tätigkeit zu ermöglichen. Er hat nämlich die Beurteilung und Würdigung der StasiVorwürfe bewusst der Öffentlichkeit überlassen. Sie sollen durch ihre öffentliche Meinungskundgabe und im Rahmen ihrer Wahlentscheidungen die Frage beantworten, ob der oder die betreffende Abgeordnete das Volk im Parlament vertreten soll oder nicht. Unbeschadet unserer einzelnen persönlichen Auffassung, die jeder dazu hat, ich finde, dass dieser Grundsatz einer kritischen Öffentlichkeit der richtige Grundsatz in einer Demokratie ist.
Ich will an dieser Stelle auch erwähnen, dass die Überprüfung der Abgeordneten für die laufende Legislaturperiode noch gar nicht abgeschlossen ist, und es wäre klug, das Ergebnis abzuwarten, bevor wir hier im Hause eine Debatte dazu führen.
Zum Zweiten stellen Sie in Ihrem Antrag noch einmal die Bedeutung des Artikels 96 Abs. 2 der Thüringer Verfassung heraus. Nach dieser Verfassungsbestimmung gibt es eine widerlegbare Vermutung, dass diejenigen, die für die Staatssicherheit gearbeitet haben, ungeeignet für den öffentlichen Dienst sind. Zu diesem Artikel heißt es im Verfassungskommentar von Linck/Jutzi/Hopfe, ich zitierte: „Artikel 96 (2) wird nur vorübergehend praktische Bedeutung haben. Sein Inhalt ist aber gerade in der Zeit des Aufbaus einer demokratischen und rechtsstaatlichen Verwaltung ein wichtiges politisches Signal. Als solches wollte der Verfassungsgeber Artikel 96 (2) verstanden wissen.“ Vorübergehende praktische Bedeutung in der Aufbauphase - das ist der Schwerpunkt, den der Kommentar an dieser Stelle sieht. Der in Rede stehende Artikel enthält eine widerlegbare Vermutung und deshalb ist Einzelfallprüfung erforderlich. Und bei dieser Einzelfallprüfung ist nicht nur die Art und Weise der Zusammenarbeit, des Umgangs mit der Stasi-Tätigkeit zu werten, vielmehr muss nach der einschlägigen Rechtsauffassung auch das Verhalten nach der Stasi-Auflösung und insbe
sondere die demokratische Bewährung desjenigen oder derjenigen eine wichtige Rolle bei der Einschätzung spielen. Und dieser Grundsatz gibt auch der Überzeugung Ausdruck - und ich finde, hier hat Frau Klaubert Recht in dem, was sie gesagt hat -, dass Menschen die Chance haben müssen, sich zu ändern und dass Menschen die Chance bekommen müssen, sich zu bewähren unter neuen Bedingungen, dass Menschen auch die Chance von Wiedergutmachung bekommen müssen. Mit zunehmender zeitlicher Entfernung vom Wendejahr 1989 wird deshalb diese Verfassungsbestimmung - da bin ich überzeugt - weiter an praktischer Bedeutung verlieren.
Weshalb die CDU jetzt - 16 Jahre nach dem Mauerfall - diesen Verfassungsartikel noch einmal so in den Mittelpunkt stellen möchte und so herausstreicht, lässt sich aus meiner Sicht nur mit parteipolitischen Erwägungen begründen. Wenn Sie einen wirklich ehrlichen Beitrag zum 9. November hätten leisten wollen, dann wäre auch eine selbstkritische Betrachtung notwendig gewesen. Ich will das nicht in der Ausführlichkeit tun, wie Frau Klaubert das hier angesprochen hat, aber einige Sätze dazu sagen, denn die DDR, deren Ende mit dem Mauerfall eingeleitet wurde, bestand nicht nur aus der Stasi, es gab auch diejenigen, die politische Verantwortung für das Unrechtsregime getragen haben, ohne für die Staatssicherheit zu arbeiten, und auch dieser Verantwortung muss man sich stellen.