Zu diesen Wahrheiten gehört eben auch, die CDU war Teil des politischen Systems der DDR, werte Kolleginnen und Kollegen.
Und auch heute sitzen in der CDU-Fraktion noch Abgeordnete, die schon in der DDR politische Verantwortung getragen haben, sei es in der Volkskammer oder sei es in einer Kreisverwaltung. Manche sollen ja für ihr engagiertes Eintreten für den Sozialismus in den Farben der DDR sogar Auszeichnungen erhalten haben. Wer nur nach Sündenböcken sucht, werte Kolleginnen und Kollegen von der Union, die er in die Wüste schicken kann, der verhindert eine wirkliche Aufarbeitung der DDR-Vergangenheit, und die - das zeigt auch der Thüringen-Monitor - wäre wirklich notwendig. Ich finde, werte Kolleginnen und Kollegen von der CDU, wenn Sie der politischen Kultur in unserem Land einen Dienst erweisen wollen, dann ziehen Sie Ihren Antrag bitte zurück.
Frau Präsidentin, meine Damen und Herren, wenn sich der Mensch erinnert, dann muss er auch den Mut haben, in die Asche zu sehen, die seine Jahre zurücklassen. Soll die Vergangenheit nicht unserer Zukunft im Wege stehen, so müssen wir uns alle verstärkt offen und ehrlich dieser von Hans Cibulka benannten Erinnerungskultur stellen. Die Auseinandersetzung mit der Vergangenheit macht aber nur dann Sinn, wenn ich mein eigenes Handeln auch in der Zeit der Diktatur reflektiere. Das heißt allerdings nicht, das schleichende Stasi-Gift der Zersetzung im Nachhinein zu verharmlosen. Zuträger haben durch ihre Verrätertätigkeit jegliches zwischenmenschliche Vertrauen untergraben und - ich weiß das aus eigener Erfahrung - selbst die Menschen verunsichert, für die zwischenmenschliches Vertrauen zu den höchsten Werten gehört. Am Schicksal der Verfolgten, der Perversion der Macht ist nichts zu beschönigen und auch nichts zu relativieren und doch hat der Thüringen-Monitor - wir haben das heute gehört - deutlich gemacht, es gibt hier merkwürdige Wahrnehmungsverschiebungen, Verdrängungsinteressen, Ignoranz und Amnesie. Gerade in diesem Kontext bedauere ich, dass diejenigen, die durch Verstrickung mit der Staatssicherheit Schuld auf sich geladen haben, nicht die Kraft und auch nicht den Anstand haben, von sich aus die Konsequenzen zu ziehen.
Meine Damen und Herren, das ist aber für mich nur eine Seite der Medaille. Glaubwürdigkeit, Wahrhaftigkeit, Wahrheit kann nicht allein heißen, mit dem Finger auf die anderen zu zeigen. Ich muss schon die eigene Geschichte befragen und mich mit eigenem Versagen auseinander setzen. Ich selbst nehme mich hier gar nicht aus. Noch heute schäme ich mich zum Beispiel dafür, der Einführung des Wehrunterrichts nicht deutlicher widersprochen zu haben. Ich könnte auch andere Beispiele anfügen, die mich immer umtreiben.
Damit, meine Damen und Herren, komme ich zu Ihnen von der CDU. Ich bin jetzt 15 Jahre hier im Parlament und ich habe von Ihnen noch nicht ein einziges, nicht ein einziges selbstkritisches Wort zu Ihrer eigenen Geschichte gehört.
es vorhin angesprochen haben. Man kann aber die Verantwortung für die eigene Vergangenheit nicht ablegen wie ein altes Hemd. Noch am 2. Oktober 1989, meine Damen und Herren, hat der Kreisverband Worbis der CDU zum 40. Jahrestag der DDR sich deutlich zum System bekannt. Ich zitiere: „Mit guten Taten für das Wohl des Volkes und für einen sicheren Frieden bereiten sich die Mitglieder des Kreisverbands Worbis der Christlich-Demokratischen Union Deutschlands auf den 40. Jahrestag der Deutschen Demokratischen Republik, des 1. deutschen Friedensstaates, vor. Uns christlichen Demokraten, die wir ihn mitbegründet und mitgestaltet haben, ist er seit vier Jahrzehnten gesellschaftliche Heimstatt, hier finden wir alle Möglichkeiten, verantwortlich mitzuarbeiten, mitzuplanen und mitzuregieren.“ Und dann heißt es hier: „Wir erreichen bei der Gestaltung des gesellschaftlichen Lebens in den Territorien aktive Mitarbeit von 258 Unionsfreunden als Abgeordnete und Nachfolgekandidaten der Volksvertretungen aller Ebenen, darunter ein Unionsfreund als Stellvertreter des Vorsitzenden des Rates des Kreises, 13 hauptamtliche Bürgermeister, zwei hauptamtliche stellvertretende Bürgermeister, ein hauptamtliches Ratsmitglied, 16 ehrenamtliche stellvertretende Bürgermeister, zwei Vorsitzende der Gemeindeverbände“, so könnte man das weiter fortführen - geschrieben am 2. Oktober 1989. Ich denke, angesichts dieser Tatsachen zu verschweigen, dass man Teil des Systems war, das ist unredlich.
Meine Damen und Herren, mein Fraktionsvorsitzender hat das schon gesagt, Sie haben Verantwortung getragen und dazu muss man sich auch bekennen.
Diesen Wahrheiten müssen Sie sich stellen und da Sie dies nicht tun, bleibt bei Ihrem Antrag der Verdacht der Instrumentalisierung. Das bedauere ich sehr.
Meine Damen und Herren, ich halte das für keinen - und da stimme ich meinem Fraktionsvorsitzenden zu - angemessenen Umgang mit dem 9. November. Erinnerung lässt sich nicht einfach wegwischen, sie lässt sich aber auch nicht einseitig instrumentalisieren. Sich der Vergangenheit zu stellen, und zwar immer auch der eigenen, muss stets Basis unserer demokratischen Kultur sein und ich rufe alle Fraktionen dieses Hauses dazu auf. Danke.
Frau Präsidentin, meine Damen und Herren, ich will zunächst eines klarstellen: Niemand in diesem Haus, soweit ich es überblicken kann, ist erst nach 1989 geboren. Das sagt der Antrag auch gar nicht aus.
Aber ich bin, sehr geehrter Herr Matschie, auch emotional sehr enttäuscht und überrascht über Ihre Rede und Stellungnahme zu unserem Antrag. Und ich will es in zwei Teile teilen, und zunächst erst noch mal ganz persönlich antworten, weil ich es auch politisch nicht verstehe. Es ist Ihre Partei und Ihre Fraktion, die dort, wo es geht, vor allen Dingen junge Menschen mehr in Demokratie einbinden will. Deshalb gibt es nicht zuletzt aus Ihrer Partei Anträge, auch schon 16-jährige Menschen in unserem Staat mit wählen lassen zu dürfen. Aber gleichzeitig, wie Sie das beantragen an dem einen guten Tag, sagen Sie am anderen Tag, so wie heute, dass Sie 17-jährigen Menschen nicht zutrauen, auch zu wissen und zu erkennen, dass sie in einer Diktatur gelebt haben und dass sie sich engagiert haben, dafür mitzuhelfen, dass diese Diktatur keinen weiteren Bestand hat.
Darüber bin ich überrascht, weil Sie auch in Ihren eigenen Reihen und Sie selbst auch in dieser Zeit sich engagiert haben, und viele in Ihren Reihen haben, die es auch getan haben und zum Teil noch jünger waren als 17. Und zu meinen, dass es eine Altersfrage sei, zu erkennen, ob man in einer Diktatur lebt und ob das gerecht oder ungerecht ist, was da passiert, das jungen Menschen abzusprechen, darüber bin ich enttäuscht, dass Sie das hier in diesem Parlament gesagt haben.
Und dann gibt es einen zweiten großen Teil, zu dem man Stellung nehmen muss. Da bin ich vor allen Dingen überrascht, dass die SPD-Fraktion da im gleichen Stil antwortet, wie wir es von der Linkspartei.PDS-Fraktion vielleicht auch erwartet haben, nämlich, dass es natürlich einen großen Unterschied dazu gibt, ob man vielleicht Aktivist gewesen ist, ob man Mitglied im Kulturbund von mir aus gewesen ist, ob man selbst Orden bekommen hat, ob man Mitglied in der FDJ gewesen ist, Mitglied in der Blockpartei CDU oder selbst Mitglied in der SED gewesen ist. All das ist nicht gleichzustellen mit dem, dass die Menschen bei der Stasi Menschenbiographien kaputtgemacht haben,
dass sie ins Gefängnis gekommen sind, dass Familien zerstört wurden. Das gleichzusetzen ist unerhört und ist eine Sauerei! Frau Präsidentin, den Ordnungsruf nehme ich gern entgegen.
Frau Klaubert hat vorhin gesagt, wir sollen in den Einzelfall gehen. Wir sollen individuell schauen, wer Schuld auf sich geladen hat. Ich will das gern tun, weil es dazugehört und notwendig ist. In diesem Buch - ich habe es mir extra herausgesucht für die Debatte und ich habe es wirklich fast 15 Jahre nicht mehr angeschaut - „Befehle und Lageberichte des MfS Januar bis November 1989“. Und wer nicht meint und weiß, wie Freiheit eingeschränkt wurde und wer das alles gleichsetzen will mit dem, was Sie vorhin gesagt haben, dem will ich gern noch einmal zitieren aus einem internen Lagebericht der MfSDokumentenverwaltung Nummer 103590 - es muss ja alles seine Ordnung haben - vom 19.05.1989 und der bezieht sich auf die Wahl im Mai 1989, wer sich daran erinnert, wo sich erste Proteste festgemacht haben und gezeigt wurde, wie unfair und wie ungleich und wie unfrei wir behandelt worden sind. Dort heißt es in diesem Maßnahmekatalog: „Sachlich gehaltene Eingaben, andere Schreiben oder Erklärungen zum Wahlergebnis an staatliche Organe sind den zuständigen örtlichen Wahlkommissionen zu übergeben. Die Sekretäre der Wahlkommissionen werden wie folgt antworten: Die Wahlkommission hat anhand
der von Wahlvorständen entsprechend § 39 Abs. 1 des Wahlgesetzes exakt gefertigte Niederschriften, die ordnungsgemäße Durchführung der Wahlen geprüft, das Wahlergebnis festgestellt und veröffentlicht. Dem sei nichts hinzuzufügen. Anzeigen, die nach § 211 Strafgesetzbuch der DDR erstattet werden, sind ohne Kommentar entgegenzunehmen. Nach Ablauf der vorgesehenen Fristen für die Anzeigenbearbeitung ist von dem jeweils zuständigen Organ zu antworten, dass keine Anhaltspunkte für den Verdacht einer Straftat vorliegen, und es ist darauf zu verweisen, dass ordnungsgemäße Wahlen durchgeführt worden seien.“ Und alle die, die das nicht hingenommen haben, die sich dagegen gewehrt haben und die dann auch am Ende gesagt haben, vielleicht auch schon davor, ich reise aus, ich halte das nicht mehr aus, die sind von den Stasileuten kriminalisiert worden und darauf muss doch auch noch 16 Jahre danach hingewiesen werden dürfen.
Wir wollen darauf hinweisen, auch aus dieser Mitte heraus, als Gruppe - die gesamte Fraktion steht dahinter -, weil wir eigentlich nur einen Gruppenantrag mit zehn Mann machen wollten, aber die Masse der Fraktion spontan gesagt hat, wir wollen das nicht nur zehn überlassen, wir wollen alle mit unterzeichnen, weil wir gemeinsam dieselbe Auffassung vertreten, so wie es in dem Antrag steht. In diesem Parlament - und ich bin ziemlich stolz darauf, weil ich einer der Jüngsten bin, hier in diesem Hause mit sein zu dürfen - wollen wir es nicht akzeptieren, dass es Normalität ist, dass die Täter von dem letzten System, was wir vertrieben haben, hier gleichberechtigt mit uns am Tisch sitzen, auch wenn die Verfassung es erlaubt, wir wollen es nicht als normalen Zustand akzeptieren.
Deshalb haben wir auch einen Gruppenantrag gemacht, weil wir es individuell, ganz persönlich mit unserem eigenen Namen, jeder für sich wie er unterschrieben hat, auch wie unsere gesamte Fraktion mit 45 Mann auch dazu steht, weil wir es mit unserem eigenen Namen zum Ausdruck bringen wollten. Frau Klaubert hat vorhin darauf verwiesen, was die Frage von Opposition betrifft usw. und man müsse alles ins rechte Licht rücken, aber ich will eins dazu sagen, die Zeit heilt die Wunden nicht und die Wunden, die hinzugefügt wurden, die haben dicke Narben hinterlassen und die kann man nicht einfach wegwischen, indem man sagt, es ist viel Zeit vergangen. Weil hier einer in unserem Haus sitzt, das will ich sagen, ohne seinen Namen zu nennen, damit er sich nicht so wichtig fühlt, er hat erst im März 1988 seine Verpflichtungserklärung unterschrieben und ich will daraus zitieren, nicht nur seinen komischen Spitzelnamen,
den er sich ausgesucht hat, sondern ich will daraus zitieren, Frau Präsidentin, was er gesagt hat: „Mir ist bewusst, dass der Gegner durch die Organisierung und Inspirierung von übersiedlungsersuchenden DDR-Bürgern einen politischen Untergrund in der DDR und eine innere Opposition schaffen will. Deshalb sehe ich es als meine Pflicht an, dass MfS bei der Aufdeckung und Bekämpfung dieser Angriffe meine ganze Kraft zur Verfügung zu stellen.“ Und wer heute noch damit kokettiert, dass er so etwas gemacht hat, der darf nicht in so einem Haus sitzen und muss den Anstand haben, dieses Haus freiwillig zu verlassen.
Wer am Wochenende vielleicht Freizeit hat, weil er keine Termine wahrnehmen muss, dem empfehle ich das Buch „Dänen von Sinnen“; man kann es in unserer Landtagsverwaltung ausleihen. Dort beschreibt ein Thüringer seine Flucht in die dänische Botschaft 1988 in Berlin und wie ihn die Stasi aus dieser Botschaft wieder herausgeholt hat. Ich will aus dem Buch zitieren, weil genau derjenige, dessen Verpflichtungserklärung ich gerade zitiert habe, weil genau derjenige auch eine große Rolle gespielt hat. In dem Buch heißt es, ich will daraus zitieren, Frau Präsidentin: „Der ausreisewillige Freund Günter wird ständig von einem jungen dienstbeflissenden Frank Kuschel, der sich im Rathaus breit gemacht hat, entmündigend behandelt. Bei Nichterscheinen erfolgt Zuführung durch die Volkspolizei. Unlängst wurde er am frühen Morgen polternd aus dem Schlaf gerissen, zwei Polizisten donnerten so laut an seine Wohnungstür, dass alle Mieter des Hauses aufmerksam wurden - Gestapo-Methoden. Kuschel schickt sich an, durch einen besonders rigiden Stil schnell die Karriereleiter weiter emporzusteigen. Wenige Monate später darf er sich Bürgermeister in Großbreitenbach nennen. So wurde Herr O. L. vom damaligen stellvertretenden Bürgermeister für Inneres Frank Kuschel zur Erfassung als kriminell gefährdeter Bürger vorgeschlagen und vom Rat der Stadt am 21.07.88 als solcher erfasst." Kriminell vorgeschlagen, weil er dieses Unrechtssystem verlassen wollte. Darauf wollten wir mit diesem Antrag aufmerksam machen. Wer daraus nichts gelernt hat, der darf sich in diesem Parlament nicht zu Hause fühlen.
Frau Präsidentin, Herr Kollege Mohring, weil Sie mich in Ihrer Rede eben noch mal angesprochen haben: Es hilft ja nichts, wenn die Argumente nicht reichen, sich in Vorwürfe und Pathos zu flüchten. Ich habe hier keine Gleichsetzung gemacht zwischen Verbrechen, die die Staatssicherheit begangen hat, und beispielsweise einfachen Mitläufern in Parteien wie der SED oder der CDU. Das habe ich bewusst nicht getan.
Ich lasse mir das von Ihnen auch nicht unterstellen, das will ich hier noch mal sehr deutlich sagen, Herr Mohring.