Frau Präsidentin, meine Damen und Herren Kollegen, man könnte jetzt sagen in Abwandlung eines Sprichworts: Von den Höhen der Demokratie in die Ebenen, oder sollte man sagen den Dschungel der Paragraphen und Gesetze zurück. Mit dem hier vorliegenden Gesetzentwurf befindet sich ein Regelungswerk in erster Lesung, das ja sehr disparate Rechtsbereiche zusammengefasst hat. Doch geht es hier nicht um einen geheimnisvollen - das hat der Herr Minister gesagt - politischen roten oder schwarzen Faden, sondern es geht ganz pragmatisch um eine Sammlung verschiedener Anpassungen und Ausbesserungen, ohne dass die drei Teile Nachbarrecht, Ausführungsgesetz zum Berufsvormündervergütungsgesetz und Gesetz zur Aufhebung des Gesetzes zur Unterbringung von besonders rückfallgefährdeten Straftätern einen inneren politischen Zusammenhang hätten.
Die Änderungen des Nachbarrechts sind unter praktischen Gesichtspunkten nicht zu kritisieren. Es ist sinnvoll, das Nachbarrecht mit der novellierten Bauordnung und dem überarbeiteten BGB kompatibel zu machen. Es ist auch z.B. nichts dagegen einzuwenden, dass eine Grenzwand beseitigt werden darf, wenn der Nachbar keine rechtlichen Möglichkeiten mehr hat, einen Anbau zu realisieren.
Meine Damen und Herren, selbst die Änderung des § 51 ist unter dem Gesichtspunkt zu begrüßen, dass hier die Funktion der Freiflächen an den Grundstücksgrenzen klar erkennbar geregelt wird. Es ist nun klargestellt, dass alle „Gegenstände“, egal ob Spalier oder Baum, die den Grenzabstand nicht einhalten, zu beseitigen sind.
Ich komme noch dazu. Diese Regelungsklarheit dient der Vermeidung von Nachbarschaftsstreit. In diesem Sinn ist auch diese gesetzliche Klarstellung hervorzuheben, dass das Zurückschneiden nach Anschluss des weiter gehenden Beseitigungsanspruchs nicht mehr möglich sein soll, so wie das Herr Minister jetzt auch in seiner Einbringung gesagt hat. Obwohl mir bewusst ist, dass es um diese Frage nicht wenige Gerichtsprozesse gibt, und da kommt der berühmt berüchtigte Maschendrahtzaun. Mehr möchte ich aber zum Nachbarrecht überhaupt nicht an dieser Stelle in erster Lesung sagen. Man muss nicht überflüssige Worte verlieren, wo es leider schon viel zu viele vermeidbare Rechtsstreitigkeiten gibt.
Auch die Änderungen zum Ausführungsgesetz zum Vergütungsrecht der Berufsvormünder sind logisch hinsichtlich des Arguments der Sachnähe des inhaltlich zuständigen Ministeriums. Allerdings, und hier möchte ich einen anderen Aspekt kurz streifen, kann man die Frage stellen, ob eine Befristung des Gesetzes sinnvoll ist. Die Befristung macht Sinn besonders bei gesetzlichen Regelungen, die die Entwicklung in neuen Rechtsmaterien betreffen. Bei Ausführungsgesetzen als Folgeerscheinungen von übergeordneten Bundesgesetzen macht meines Erachtens eine zeitliche Begrenzung tatsächlich nur Sinn, wenn sie mit einer Befristung im Bundesgesetz einhergeht.
Nun aber zum - aus Sicht meiner Fraktion - politisch bedeutsamen Regelungsbereich des Gesetzentwurfs der nachträglichen Sicherungsverwahrung.
Herr Minister hat es auch angedeutet bei der Einbringung, hier ist natürlich durchaus noch Diskussionsbedarf, nicht nur auf Landes-, sondern auch auf Bundesebene. Nun legt die Landesregierung doch ein Aufhebungsgesetz zu den Thüringer Regelungen zur nachträglichen Sicherungsverwahrung vor, obwohl natürlich die Landesregierung und die CDUMehrheit im Landtag 2004 einen entsprechenden Gesetzentwurf der PDS-Fraktion damals scharf kritisierte und - lassen Sie mich es durchaus so formulieren - brüsk abgelehnt hatte. Der mittlerweile in Fraktion der Linkspartei.PDS umbenannten Fraktion ist es bewusst und sie unterstellt an der Stelle, dass dieses nicht einem grundsätzlichen politischen Sinneswandel geschuldet ist. Herr Minister hat angedeutet, man muss weiter darüber mit den Sicherungsverwahrungen entsprechender Beispiele nach
gehen. Vielmehr ist die von der Landesregierung, der CDU-Fraktion dazu beklagte Sicherheitslücke durch den neuen § 66 b des Strafgesetzbuchs geschlossen worden. Ein Bundesverfassungsgerichtsurteil vom Februar 2004 hat entschieden, dass die nachträgliche Sicherungsverwahrung in die Gesetzeskompetenz des Bundes fällt und damit im Strafgesetzbuch verankert werden muss.
Meine Damen und Herren, wir wissen auch, dass die Landesregierung in Mecklenburg-Vorpommern Gesetzesvorschläge in die Diskussion gebracht hat, die eine nachträgliche Sicherungsverwahrung auch für Ersttäter vorsieht. Dennoch möchte ich an dieser Stelle nochmals kurz auf die ernst zu nehmenden Bedenken eingehen, die gegen eine nachträgliche, ja eigentlich gegen Sicherungsverwahrung überhaupt spricht. Diese Bedenken konnten auch die Regelungen des § 66 b Strafgesetzbuch nicht ausräumen. Die jetzt geltenden rechtlichen Regelungen waren im Gesetzgebungsverfahren erheblicher Kritik ausgesetzt. Darin kommt deutlich zum Ausdruck, dass die Abwägung zwischen dem Schutz möglicher zukünftiger Opfer und dem Recht auf Freiheit des Täters nicht einseitig zulasten des Täters getroffen werden kann. Dabei ist vor allem zu berücksichtigen, dass selbst bei einer umfassenden forensischen Begutachtung, auch durch mehrere Gutachter, eine wirklich zutreffende Gefährdungsprognose darüber hinaus, wie sich der Täter im Lebensalltag in Freiheit verhalten wird, nicht zu geben oder zumindest sehr schwierig. Sie, Herr Minister, haben im Ausschuss ein Beispiel gebracht, mit welchen Problemen Gutachter und auch im späteren Verlauf die entscheidenden Behörden zu kämpfen haben.
Wer kann schon von sich behaupten, ein entsprechender Hellseher zu sein, wie sich menschliches Verhalten in Zukunft geben wird. Dies gilt insbesondere, wenn die Prognose ausgehend von den „künstlichen“ Bedingungen des Strafvollzugs oder anderer Einrichtungen getroffen werden soll. In diesem Zusammenhang sind auch neuere Urteile des Bundesverfassungsgerichts, des BGH zu sehen, die bestimmen, dass die nachträgliche Sicherungsverwahrung nicht allein deshalb angeordnet werden kann, weil der Täter sich in Haft weigert, an einer Therapie teilzunehmen. Hinzu kommt: Eine abgewogene Gerichtsentscheidung über diese Frage im Einzelfall wird auch dadurch erschwert, dass die entscheidenden Personen nicht unbeeinflusst durch öffentlichen Druck zu ihren Einschätzungen kommen. Denn meist handelt es sich - Herr Minister hat es auch angedeutet in diesem Fall - bei der nachträglichen Sicherungsverwahrung um sehr spektakuläre Fälle. Diese werden in der Öffentlichkeit sehr intensiv diskutiert. Damit hier kein Missverständnis aufkommt, ich will nicht einseitig für die Seite der Täter Partei ergreifen. Die potenziellen zukünftigen Opfer von ge
fährlichen Gewaltverbrechern haben das verfassungsmäßige Recht auf Leben und Unversehrtheit und damit auch auf präventive Maßnahmen der Gesellschaft. Jedes Gewaltverbrechen bringt nicht wieder gut zu machendes Leid an Opfern und ihren Angehörigen, Freunden etc. Dennoch - Wut, Trauer und Mitleid sind eben, wie der Volksmund schon sagt, schlechte Ratgeber, wie wir wissen, und sollten nicht dazu führen, blind zu werden für schwierige Probleme der Gesamtsituation. Vor allem die Verantwortlichen, die mit Gesetzgebung und Gesetzesanwendung zu tun haben, sollten hier ihren Blick für die Dinge behalten und sich der Problematik in ihrer gesamten Komplexität zuwenden.
Ein Indiz für diese komplexe Problematik scheint mir zu sein, dass in den letzten zwei Jahren in Thüringen und durch Thüringer Gerichte zwar sieben Anträge auf nachträgliche Sicherungsverwahrung gestellt wurden, aber bisher nur einem rechtskräftig stattgegeben wurde, während eine angeordnete nachträgliche Sicherungsverwahrung vom BGH aufgehoben wurde, zwei Fälle in Revision sind, einer zurückgenommen wurde und die restlichen noch vor Entscheidungen oder entsprechendem Werdegang stehen. Wenn man trotz allem nachträgliche Sicherungsverwahrung als Mittel des Opferschutzes bejahen will, dann ist das nur in der Form juristisch vertretbar, dass die Entscheidung in angemessenen Zeitabständen immer wieder von jeweils neuen und unabhängigen Gutachtern überprüft wird. Denn wie Sie wissen, laut Bundesverfassungsgericht muss jeder Betroffene die Chance haben, auch derjenige, der zu einer lebenslangen Freiheitsstrafe verurteilt ist, wieder in den normalen Lebensalltag zurückzukehren.
Der Opferschutz ist umfassend zu berücksichtigen, das haben auch die Richter des Bundesverfassungsgerichts in ihrer Entscheidung zu den Landesgesetzen über nachträgliche Sicherungsverwahrung betont. Und dennoch hatten sie an den Gesetzen, die sich zum größten Teil auch mit den Thüringer Regelungen decken, starke inhaltliche Bedenken. Vor allem die abweichende Meinung dreier Richter in diesem Urteil zeigt, dass selbst Bundesverfassungsrichter diese inhaltlichen Bedenken gegen die Landesregelung hatten. Sie entschieden, dass die nachträgliche Sicherungsverwahrung nicht mit dem Rückwirkungsverbot vereinbar ist. Für weitere Gegenargumente möchte ich die Interessierten auf den ausführlichen Redebeitrag meines Kollegen Dr. Hahnemann verweisen, der in der letzten Legislaturperiode zu dem Gesetzentwurf im Frühjahr 2004 hier im Plenum gesprochen hat.
All diese Fakten zeigen, die Linkspartei.PDS-Fraktion befindet sich mit ihren Bedenken und Kritiken bei der nachträglichen Sicherungsverwahrung in gu
ter Gesellschaft. Es gibt keinen einfachen und reibungslosen Ausgleich zwischen dem Recht der Täter, im Laufe ihres Lebens die Möglichkeit zu haben, wieder in Freiheit zu kommen, und dem Recht zukünftig potenzieller Opfer auf Leben und Unversehrtheit, wie es im Grundgesetz verankert ist. Ich bedanke mich.
Frau Präsidentin, meine sehr verehrten Damen und Herren, zu diesem von der Landesregierung vorgelegten Artikelgesetz in drei Teilen möchte ich aus Sicht meiner Fraktion Folgendes anmerken:
Zu dem Teil, der das Thüringer Nachbarrechtsgesetz betrifft: Es ist schon ausgeführt worden von meinem Kollegen, die Änderungen an dieser Stelle halten wir für nachvollziehbar und für sinnvoll, wenn sie auf den Bezug zur geänderten, zur novellierten Thüringer Bauordnung abstellen. Allerdings stellt sich die Frage, die neue Bauordnung ist seit rund zwei Jahren in Kraft, warum man erst jetzt auf die Idee kommt, das Nachbarrecht entsprechend anzupassen, zu novellieren. Was die Änderungen, die über diesen Aspekt der Bauordnung hinausgehen, speziell hier den § 51 Nachbarrechtsgesetz, diesen Beseitigungsanspruch bei Verletzung bestimmter Grenzabstände, angeht, auch diese Änderungen halte ich für adäquat; vor allen Dingen spreche ich da auch als manchmal Betroffener in meinem Heimatort. Ich bin mir allerdings nicht ganz sicher, ob diese neuen Regelungen, die wirklich zur Klarstellung dienen können, dafür geeignet sind, die Lust mancher Zeitgenossen auf Streit mit dem Nachbarn etwas einzudämmen getreu dem Motto, was schon einer unserer Dichterfürsten, Friedrich Schiller, festgestellt hat: „Es kann der Frömmste nicht in Frieden leben, wenn es dem bösen Nachbarn nicht gefällt.“
Nein, das erspare ich mir an dieser Stelle. Ich hätte ja noch für den Herrn Staatssekretär Baldus ein anderes Zitat. Leider ist er nicht anwesend, aber vielleicht kann er es dann in der Rede nachlesen. Vom Dichter Friedrich Rückert habe ich noch ein interessantes gefunden: „Erst nach dem Nachbar schaue, sodann ein Haus dir baue.“ - aber das nur nebenbei.
Zum zweiten Teil des Thüringer Ausführungsgesetzes: Zum Berufsvormündervergütungsgesetz - ein ziemliches Wortungetüm - möchte ich aufgrund der doch im Wesentlichen redaktionellen Bedeutung nicht weiter eingehen und sogleich zum dritten Teil dieses Artikelgesetzes kommen und da, lieber Herr Minister Schliemann, kommen Sie mir so einfach nicht davon, das muss ich mal ganz deutlich sagen. Ich möchte an dieser Stelle ein Zitat oder eine Formulierung einflechten aus dem Urteil des Bundesverfassungsgerichts. Dort heißt es: „Zum Strafrecht im Sinne des Artikels 74 Abs. 1 Nr. 1 des Grundgesetzes gehört die Regelung aller staatlichen Reaktionen auf Straftaten, die an die Straftat anknüpfen, ausschließlich für Straftäter gelten und ihre sachliche Rechtfertigung aus der Anlasstat beziehen.“ „Die Länder“, so heißt es weiter, „sind nicht befugt, die Straftäterunterbringung zu regeln.“
Meine Damen und Herren, Herr Minister, meine beiden Herren Minister - ich glaube, das fiel auch noch unter die Amtszeit von Herrn Minister Dr. Gasser als Justizminister -, deutlicher konnte es das Bundesverfassungsgericht wohl nicht ausdrücken mit diesen Leitsätzen, als es vor rund zwei Jahren, am 10. Februar 2004, das bayerische Gesetz zur Unterbringung besonders rückfallgefährdeter hochgefährlicher Straftäter und auch das Gesetz des Landes SachsenAnhalt über die Unterbringung besonders rückfallgefährdeter Personen für mit dem Grundgesetz unvereinbar erklärte. Diese schallende Ohrfeige traf aber nicht nur Bayern und Sachsen-Anhalt. Die Abdrücke sind auch bei Ihnen, meine Damen und Herren von der Landesregierung, heute noch zu beobachten. Denn ich darf daran erinnern, der uns allen fast nicht mehr bekannte damalige Justizminister Dr. Birkmann ließ wenige Monate vor seinem Abgang ein Thüringer Gesetz über die Unterbringung besonders rückfallgefährdeter Straftäter in den Landtag einbringen, das schon am 3. April 2003 in Kraft getreten ist. Zum Glück ist diesem Gesetz keine allzu lange Anwendungsdauer vergönnt gewesen. Den Schlussstrich, das muss man so konstatieren, den ziehen Sie, meine Damen und Herren von der Landesregierung, heute selbst. Noch mal zur Erinnerung: Die Bundesregierung legte - dazu muss man sagen, die vormalige Bundesregierung - nach dem Urteil aus Karlsruhe bereits am 2. April 2004 den Entwurf eines Gesetzes zur Einführung der nachträglichen Sicherungsverwahrung vor, das am 29. Juli 2004 in Kraft getreten ist. Insofern muss man auch mal die Thüringer Presse an dieser Stelle korrigieren, die geschrieben hat, dass es bis heute nicht in Kraft getreten sei - das aber nur nebenbei.
Ich will aber, meine Damen und Herren, obwohl dieses Thüringer Gesetz über die Unterbringung besonders rückfallgefährdeter Straftäter sozusagen heute klammheimlich unter diesem schon beschriebe
nen Wortungetüm in diesem Artikelgesetz beerdigt werden sollte, auf zwei Dinge ganz deutlich zu sprechen kommen: Erstens, warum die Fraktion der SPD geradezu erleichtert darüber ist, dass dieses Gesetz heute aufgehoben wird, und zweitens, warum dies nicht schon viel früher hätte passieren können.
Zum ersten Punkt: Die SPD-Fraktion hat damals dem Gesetz über die Unterbringung in seiner Schlussabstimmung am 6. März 2003 nicht zugestimmt, und nicht nur, weil wir das Gesetz für überflüssig hielten, nein, meine Damen und Herren, wir haben damals dagegen gestimmt, weil wir schon damals verfassungsrechtliche Bedenken gegen den aufgezeigten Weg der Landesregierung hatten, die nachträgliche Sicherungsverwahrung, und das ist der Kern der ganzen Debatte, präventiv, also mittels polizeilicher Regelungen gesetzlich zu verankern. Sie kennen alle, oder die meisten von Ihnen kennen noch unseren ehemaligen Volker Schemmel, man kann ihn ja auch durchaus einen Verfassungspropheten nennen; er sagte nämlich anlässlich der zweiten Beratung zu diesem Gesetz, ich darf ihn mit seiner Zustimmung ausdrücklich zitieren: „Wir haben verfassungsrechtliche Bedenken bei dieser polizeirechtlichen Lösung. Wir wissen vor allen Dingen auch nicht, ob Polizeirecht letztendlich ausreichend ist für einen unbefristet auszusprechenden Freiheitsentzug.“ Das Bundesverfassungsgericht hat Volker Schemmel und meiner Fraktion Recht gegeben.
Meine Damen und Herren, die Fraktion der SPD hat diesem Gesetz aber auch deshalb ihre Zustimmung versagt, weil sie damals wie heute die Zuständigkeitsregelung des § 3 dieses Gesetzes für sachfremd hielt. Danach - ich darf daran erinnern - ist die Strafvollstreckungskammer für die Anordnung, für die Fortdauer, für die Aussetzung, für den Widerruf der Aussetzung und die Erledigung der Unterbringung, also letztendlich der nachträglichen Sicherungsverwahrung zuständig. Die Richter der Strafvollstreckungskammer waren oder sind aber nicht dieselben Richter, die über die Straftat des Straftäters urteilten und das Strafmaß auch verhängten. Aber gerade das ist nach unserer Auffassung zwingend erforderlich, wenn man eine so genannte Gefahrenprognose für den Täter im Rahmen der Überlegung erstellt, ob nachträglich Sicherungsverwahrung überhaupt angeordnet wird. Der Bundesgesetzgeber hat genau diese Bedenken aufgegriffen und mit dem § 74 f und § 120 a des Gerichtsverfassungsgesetzes Regelungen geschaffen, die auch wirklich sicherstellen, dass die Tatgerichte, also die Richter, die auch über die Straftat urteilten, für die Anordnung der nachträglichen Sicherungsverwahrung zuständig sind. Deswegen, meine Damen und Herren, ist meine Fraktion froh, dass die Thüringer Landesregierung jetzt endlich auf den Schrottplatz der Geschichte geworfen wird.
Herr Abgeordneter Höhn, das haben Sie jetzt sicher falsch gesagt. Sie wollten die Thüringer Landesregierung auf den Schrottplatz der Geschichte werfen.
Nein. Ich wollte damit ausdrücken, dass das Gesetz auf den Schrottplatz der Geschichte geworfen wird. Entschuldigen Sie. Das andere, daran müssen wir noch ein bisschen arbeiten.
Die zweite Frage, die ich gestellt habe, war die Frage nach dem Zeitpunkt der Aufhebung dieses Gesetzes: Warum erst jetzt? Diese Frage, meine Damen und Herren der Landesregierung, Herr Minister, die müssen Sie uns schon beantworten. Das von mir erwähnte Bundesgesetz gilt seit dem 29. Juli 2004, also seit etwa eineinhalb Jahren. Fast könnte man den Eindruck bekommen, Sie hätten nur auf eine günstige Gelegenheit gewartet, das dringend notwendige Aufhebungsgesetz an ein anderes - ich sage es einmal etwas vorsichtig - nicht so ganz bedeutungsvolles Gesetzeswerk anzudocken, um damit die Problematik etwas zu verschleiern. Vielleicht ist aber auch Ihr gemächliches Handeln darin begründet, dass Sie die Umsetzung von Urteilen des Bundesverfassungsgerichts, die Ihnen politisch nicht in den Kram passen, gern etwas auf die lange Bank schieben. Ein schlechtes Beispiel dafür sind die verfassungswidrigen Regelungen im Thüringer Polizeiaufgabengesetz und im Thüringer Verfassungsschutzgesetz, obwohl die eindeutigen Urteile aus Karlsruhe seit März 2004 - Stichwort „Wohnraumüberwachung“ - und Juli 2005 - Stichwort „präventive Telekommunikationsüberwachung“ - vorliegen, gibt es dazu aus dem zuständigen Ministerium außer Hinhalteparolen und vagen Zeitvorstellungen keine konkreten Novellierungspläne. Wie angekündigt, meine Fraktion wird deshalb im März einen Gesetzentwurf zur Herstellung verfassungsmäßiger Zustände im Thüringer Polizei- und Sicherheitsrecht diesem hohen Hause vorlegen, damit, so hoffen wir, dann zumindest sich spätestens auch das zuständige Ministerium ernsthaft mit dieser Novellierung beschäftigt. Danke schön, meine Damen und Herren.
Frau Präsidentin, meine Damen und Herren, mit dem Tagesordnungspunkt 5 steht heute ein Artikelgesetz zur Beratung in erster Lesung an. Ich meine, mit Ausnahme des Artikels 3 sind es zwar notwendige, aber wenig spektakuläre Materien, wie die drangvolle Enge im Plenarsaal auch zeigt.
Zu Artikel 2: Mit dem Vormünder- und Betreuungsvergütungsgesetz vom 21. April 2005, das am 1. Juli 2005 in Kraft getreten ist, hat sich, wie bereits benannt, ein redaktioneller Änderungsbedarf ergeben, da das Thüringer Ausführungsgesetz an die neue Rechtslage im Bund angepasst werden muss. Schlicht und einfach, die bisherige Bezugnahme auf das Berufsvormündervergütungsgesetz wurde durch Bezugnahme auf das Vormünder- und Betreuungsvergütungsgesetz ersetzt, das ist vollkommen korrekt. Im Kern, um das auch noch einmal kurz zu sagen, geht es richtig darum, dass durch die Ermächtigung des Landesgesetzgebers bestimmte, durch Prüfung erfolgreich abgeschlossene Umschulungs- oder Fortbildungsmaßnahmen einer abgeschlossenen Lehre bzw. einer abgeschlossenen Hochschulausbildung gleichgestellt werden können. Das ist auch richtig.
Etwas mehr Anpassungs- und Novellierungsbedarf ergibt sich natürlich zum Artikel 1, der Änderung des Thüringer Nachbarrechtsgesetzes. Ursächlich hierfür ist, dass die Regelungen des BGB durch die Schuldrechtsreform im Bereich der Verjährung grundlegend neu gestaltet wurden und darüber hinaus, wie auch schon angesprochen, wird der im Jahr 2004 novellierten Bauordnung und der Vereinfachung des Bauantragsverfahrens Rechnung getragen. Auch die Klärung von Rechtsunsicherheiten im Bereich des Beseitigungsanspruchs des Nachbarn bei abstandswidrigen Anpflanzungen ist durchaus erforderlich. Dazu kommt eine notwendige Klarstellung im Hinblick auf den Beseitigungsanspruch bei abstandswidrig errichteten Spaliervorrichtungen und Pergolen.
Die CDU-Fraktion begrüßt ausdrücklich, dass Regelungslücken, die sich in der Praxis ergeben haben, geschlossen werden. Dass sich ein Gesetz zum nachbarrechtlichen Interessenausgleich so gut bewährt hat, war ja nicht ganz so selbstverständlich vorauszusehen, aber es hat 13 Jahre hervorragend funktioniert und, ich denke, das muss man auch einmal positiv konstatieren.
Artikel 3 beinhaltet nun die Aufhebung des Thüringer Gesetzes über die Unterbringung besonders rückfallgefährdeter Straftäter. Das Bundesverfassungsgericht hat mit Urteil vom 10. Februar 2004 im Verfahren zur Überprüfung der Landesgesetze aus Bayern und Sachsen-Anhalt entschieden, dass nicht die Länder, sondern der Bund für ein Gesetz zur nachträglichen Sicherungsverwahrung zuständig ist. Diese Position habe ich persönlich immer erwartet. Es gab auch eine Vielzahl von Bundesratsinitiativen, die seit 1997 den Bund zum Tätigwerden aufgefordert haben. Ich denke, Herr Höhn, das sollten Sie auch nicht vergessen, da Sie gerade auf diesen Punkt in Ihrer Rede so abgestellt haben. Das waren insbesondere Anläufe von Bayern, Baden-Württemberg, Hessen und Thüringen. Den ohnehin problematischen Worten des damaligen Bundeskanzlers Schröder, ich zitiere: „Wegsperren, aber für immer“, sind damals keine Taten gefolgt. Im Gegenteil, die damalige Bundesregierung hingegen hat die Zuständigkeit des Bundes verneint und die Länder aufgefordert, selbst tätig zu werden. Also, wenn es hier um Ohrfeigen für irgendjemand geht, dann wegen fahrlässigem Nichttätigwerdens an die damalige Bundesregierung.
Ich meine, es war unter den gegebenen Umständen vollkommen folgerichtig, dass in Thüringen gehandelt und ein Gesetz verabschiedet wurde, dass die nachträgliche Unterbringung von gefährlichen Straftätern vorsieht, wenn sich mit hoher Wahrscheinlichkeit abzeichnet, dass diese nach ihrer Haftentlassung erneut schwerste Straftaten begehen. Dieser schwierigen Aufgabe hat das Bundesverfassungsgericht mit seiner Entscheidung durchaus im Text der Entscheidung auch Rechnung getragen. Warum nach der Entscheidung des Bundesverfassungsgerichts nicht die Pflicht zur sofortigen Aufhebung des Landesgesetzes bestand, ist bereits in aller epischen Breite und Ausführlichkeit auch hier im Landtag erörtert worden. Ich verweise Sie auf die Protokolle der 101. Sitzung des Landtags in der 3. Legislaturperiode. Übrigens war in diesem Zusammenhang auch eine Erörterung an dieser Stelle in Anknüpfung an Herrn Blechschmidt und Ihre Äußerungen, dass die nachträgliche Sicherungsverwahrung eben keine Strafe ist und deshalb hier es nicht um ein Rückwirkungsverbot geht, sondern es ist eine Maßnahme der Sicherung und Besserung; aber auch da empfehle ich Ihnen einfach noch einmal das Nachlesen der Protokolle. Es war schon damals klar, dass es vom weiteren Handeln des Bundes abhängt, ob und wann das Landesgesetz aufzuheben ist. Der Bund hätte zum Beispiel auch die Möglichkeit gehabt, mittels einer so genannten Länderöffnungsklausel die Kompetenz der Landesgesetzgeber für entsprechende gesetzliche Regelungen zu begründen. Der Bund hat sich für die zielführendere Lösung, wie ich auch mei
ne, eine eigene gesetzliche Regelung zu treffen, entschieden. Das war aber damals nicht absehbar. Die nachträgliche Sicherungsverwahrung, ob durch Bundes- oder Landesgesetz, ist ein sinnvolles, ganz unbestritten ein notwendiges und ein rechtsstaatlich zulässiges Instrument. Durch das Gesetz zur Einführung der nachträglichen Sicherungsverwahrung vom 23. Juli 2004 wurden durch den Bund bereits Verbesserungen des Schutzes der Bevölkerung vor gefährlichen Rückfalltätern erreicht. Gleichwohl weist das zur Verfügung stehende Instrumentarium nach meinem Gefühl noch Defizite auf. Das betrifft unter anderem die Anordnung der Sicherungsverwahrung gegen Heranwachsende und im Strafurteil bei Ersttätern. Unter diesem Aspekt sind auch die von der Bundesregierung angekündigten Gesetzesvorlagen nach der Koalitionsvereinbarung besonders aufmerksam zu begleiten.
Meine Damen und Herren, niemand hätte Verständnis dafür, wenn man einen gefährlichen Straftäter aus der Haft entlassen würde, obwohl sich aus dem Vollzug heraus Anhaltspunkte dafür ergeben hätten, dass der Verurteilte wieder einschlägig in Erscheinung treten könnte und dieser dann tatsächlich wieder eine erhebliche Straftat begeht. Und wenn auch nur ein Opfer, ein wehrloses Kind durch diese Maßnahme gerettet werden kann, dann erübrigt es sich wohl von selbst zu behaupten, ein solches Gesetz hätte keine Wirkung. Danke.