Protokoll der Sitzung vom 23.11.2006

(Beifall bei der CDU)

Wir tun das vor allen Dingen mit einer mittelstandsfreundlichen Politik, die zu mehr Wachstum und Beschäftigung führt. Neue und sichere Arbeitsplätze, das ist die beste Strategie gegen Abwanderung. Denn wer bleibt, muss nicht zurückgeholt werden. Vor einigen Tagen berichtete eine Thüringer Tageszeitung über das Projekt „Haltefaktoren in Ostdeutschland“. Danach sind ein Drittel aller Zuwanderer im Osten Rückkehrer. Dieses Ergebnis belege, so die Wissenschaftler, dass in vielen Fällen ein starker Wille zur Rückkehr vorhanden sei.

(Beifall bei der CDU)

Ich bin überzeugt: Auch in diesen Fällen hat das Argument „Arbeit“ die größte Überzeugungskraft. Das heißt, eine erfolgreiche Wirtschaftspolitik, verbunden mit erfolgreicher Forschungs- und Entwicklungspolitik, ist die beste Rückholinitiative, die man sich denken kann.

(Beifall bei der CDU)

Die Chefvolkswirtin der Landesbank Hessen-Thüringen, Gertrud Traud, hat vor kurzem das industrielle Wachstum in Thüringen mit dem der Boom-Staaten in Fernost verglichen und unseren Freistaat besonders positiv herausgestellt. Wörtlich sagte sie über Thüringen: „Hier haben wir einen kleinen Tiger vor uns.“ Das zeigt, wir sind auf dem richtigen Weg und dieser Weg wird dazu führen, dass die Menschen in Thüringen eine berufliche Chance haben. Dadurch werden auch die Attacken ewig Gestriger im Kern erstickt, aus wirtschaftlichen Problemen Honig zu saugen.

Meine sehr verehrten Damen und Herren, liebe Kolleginnen und Kollegen, eine andere Problemhierarchie ergibt sich, wenn man direkt nach der persönlichen Betroffenheit fragt. In diesem Fall werden die Schieflage der sozialen Sicherungssysteme und die Sicherung der Renten als die schwierigsten gesellschaftlichen Probleme empfunden. Die Arbeitslosigkeit rangiert dagegen an letzter Stelle. Dieser Befund macht deutlich, von den Problemen, die im Zusammenhang mit den Finanzierungsproblemen im Sozial

bereich stehen, fühlen sich die Thüringer am stärksten betroffen.

Die Lösung der Probleme, so ergab bereits der Thüringen-Monitor 2004, erwartet eine Mehrheit vor allem vom Staat, dem quasi eine Allzuständigkeit zugeschrieben wird. Eine Einstellung, die das Gemeinwesen offensichtlich überfordern muss.

Die größte Kompetenz wird dem Staat bei der Qualität der Schule zugeschrieben, die niedrigste bei der Bekämpfung der Arbeitslosigkeit, die allgemein aber als größtes Problem wahrgenommen wird.

Nach der Studie neigen die Thüringer dazu, gesellschaftliche Herausforderungen sehr stark in den Mittelpunkt zu stellen, auch wenn Sie persönlich viel weniger von den Problemen betroffen sind und ihre eigene Lage weitaus besser einschätzen. Dies fordert uns als politisch Verantwortliche, egal ob Regierung oder Opposition. Das Vertrauen der Bürgerinnen und Bürger für staatliches Handeln zu gewinnen, ist Aufgabe aller Demokraten! Nur auf einer soliden Vertrauensbasis können die notwendigen Reformprojekte gelingen.

(Beifall bei der CDU)

Wie bewerten die Thüringer die Familienpolitik? 64 Prozent der Befragten sehen den Mangel an Kindern als großes gesellschaftliches Problem. Dabei wissen sie, dass die Ursachen der Kinderlosigkeit vielfältig sind. Dieses Problem betrifft nicht nur Thüringen, sondern ganz Deutschland und Europa. Als wichtigsten Grund für Kinderlosigkeit vermuten die Thüringer die schwierige Vereinbarkeit von Familie und Beruf. Die potenziellen Eltern begründen ihre Entscheidung gegen Kinder vor allem mit beruflichen Nachteilen. Das heißt, wir brauchen familiengerechte Jobs und nicht jobgerechte Familien!

(Beifall bei der CDU)

Es ist aber auch Aufgabe der Politik, Thüringen als kinder- und familienfreundliches Land weiterzuentwickeln - gemeinsam mit der Wirtschaft. Dann werden wir uns in Zukunft auch wieder über steigende Geburtenraten freuen können. Unsere Familienoffensive mit ihren verschiedenen Bausteinen verstehen wir als wichtigen Beitrag für eine kinder- und familienfreundliche Entwicklung Thüringens. Ich freue mich, dass eine klare Mehrheit der Thüringer die Zahlung des Thüringer Erziehungsgeldes positiv aufnimmt und für richtig hält - ein wichtiger Anreiz zur Familiengründung.

(Beifall bei der CDU)

Auch beim jetzt verabschiedenten Bundeselterngeld hat Thüringen, wie Sie wissen, für Bewegung gesorgt - durch die Streckung der Beiträge auf 24 bzw. 28 Monate. Damit ist das Elterngeld des Bundes auch kombinierbar mit dem Thüringer Erziehungsgeld. Beide Leistungen bedeuten finanzielle Planungssicherheit für die Eltern, die die dreijährige Elternzeit nutzen wollen. Dass diese Elternzeit kein Urlaub ist, wie die ursprüngliche Formulierung des Rechtsanspruchs auf einen dreijährigen Erziehungsurlaub möglicherweise in der bundesdeutschen Debatte suggerierte, hat sich mittlerweile überall herumgesprochen. Eltern, Väter, Mütter, Alleinerziehende leisten hier einen ganz wesentlichen Beitrag - nicht nur für die Erziehung ihrer Kinder, sondern auch für die Zukunftsfähigkeit unserer Gesellschaft.

(Beifall bei der CDU)

Meine sehr verehrten Damen und Herren, inzwischen gibt es klare Erkenntnisse über die Zusammenhänge zwischen der Wahrnehmung gesellschaftlicher Herausforderungen und den Einstellungen der Thüringer zur Demokratie. Welche Rolle spielen diese Wahrnehmungen im Vergleich zu anderen Erklärungsfaktoren, wie Gerechtigkeitsempfinden oder Wertorientierungen? Die bereits skizzierte Diskrepanz zwischen Anspruch und Wirklichkeit hat - so die Wissenschaftler - auch Folgen für die Unterstützung des demokratischen Systems. Je größer Problemdruck und Betroffenheit wahrgenommen werden, desto negativer wird die Demokratie benotet. Umso stärker fällt dann die Unterstützung für extremistische Positionen aus. Umgekehrt wird die demokratische Ordnung besser bewertet, wenn der Staat den gesellschaftlichen Herausforderungen gewachsen erscheint. In diesem Fall sind weniger rechtsextreme Einstellungen erkennbar. Auch die sozialistische Alternative erscheint dann weniger attraktiv.

(Beifall bei der CDU)

Entscheidend für die Frage nach der Demokratieunterstützung ist die Problemlösungskompetenz des Staates. Nicht Anzahl und Schwierigkeitsgrad der gesellschaftlichen Herausforderungen, die als Probleme erkannt werden, sind ausschlaggebend, sondern der Eindruck, ob der Staat es packt. Das ist eine große Herausforderung, der wir uns auch umfassend widmen müssen. Die Skepsis gegenüber den demokratischen Parteien nimmt aber zu. Sie ist seit 2001 um fast ein Drittel gestiegen, was den Reformweg erschwert. Diese Einschätzung wirkt sich, so die Wissenschaftler, auch auf die Bereitschaft aus, in politischen Parteien mitzuarbeiten. Wörtlich heißt es in der Studie: „Je skeptischer die Befragten ihre eigenen Möglichkeiten beurteilen, Einfluss auf das Regierungshandeln zu nehmen, desto negativer ist ihr Bild der politischen Parteien und desto geringer

ist die Wahrscheinlichkeit, dass sie eine Parteibindung entwickeln.“ Das heißt, die eigenen Einflussmöglichkeiten auf die Politik werden als sehr gering eingeschätzt. Weniger als 30 Prozent glauben, dass sie durch ihr politisches Engagement etwas bewegen können. Dass Parteien nur auf die Stimmen der Wähler aus sind, sich aber ansonsten nicht um deren Meinung scheren würden, ist eine Einschätzung, die von mittlerweile mehr als 80 Prozent der Befragten geteilt wird. Der Vertrauensverlust erklärt auch die stetig steigende Zahl der Nichtwähler. 16 Prozent der Wahlberechtigten geben an, bei einer Landtagswahl nicht oder ungültig wählen zu wollen. Bedauerlicherweise ist die Zahl der Nichtwähler bei Wahlen in der Realität noch höher als bei Umfragen.

Wir dürfen uns mit dieser ganz eindeutig festzustellenden Distanz zur Politik, wie ich es formulieren möchte, nicht abfinden. Wir müssen gemeinsam deutlich machen, das Engagement in demokratischen Parteien, die Ausübung des Wahlrechts, die Bereitschaft, für ein Parlament auf Europa-, Bundes-, Landes- oder auf kommunaler Ebene zu kandidieren, all das ist auch Ausdruck staatsbürgerlicher Verantwortung. Die Wahrnehmung staatsbürgerlicher Verantwortung ist eine Art politisches Reifezeugnis, dass wir in Thüringen nach den 12 Jahren nationalsozialistischer Diktatur und nach den 40 Jahren realen Sozialismus in der DDR verantwortlich mit der Freiheit umgehen.

(Beifall bei der CDU)

Deshalb ist es wichtig, dass wir für dieses Engagement werben und dass wir auch als Politikerinnen und Politiker denen besonderen Respekt zollen, die Tag für Tag diese Verantwortung, zum Beispiel ehrenamtlich, auf kommunaler Ebene tragen.

(Beifall bei der CDU)

Die demokratischen Parteien müssen vielleicht noch stärker als bisher deutlich machen, Parteien sind kein Selbstzweck. Sie sind ein Zusammenschluss von politisch gleichgesinnten Bürgerinnen und Bürgern, die auf Basis gemeinsamer Wertvorstellungen und Ideen an der politischen Willensbildung entscheidend mitwirken. Demokratische Parteien erfüllen eine wichtige Aufgabe, die sie umso besser erfüllen können, je mehr kompetente Mitstreiter sich aktiv einbringen. Das Potenzial dazu ist vorhanden. Die Thüringer schätzen sich in politischen Fragen als sehr kompetent ein. Mehr als 80 Prozent der Befragten glauben, dass sie sich auf diesem Gebiet sehr gut auskennen - eine Grundlage, eine Erkenntnis, die wir nutzen können.

Meine sehr verehrten Damen und Herren, Demokratie bedeutet Meinungsstreit! Ohne Meinungsstreit

keine Demokratie! Anders ausgedrückt: Harte, aber faire Auseinandersetzungen sind nach den gültigen Spielregeln nicht nur erlaubt, sondern sie sind Wesensmerkmal jeder Demokratie. Allerdings konstatieren die Wissenschaftler ein weitverbreitetes „überstarkes Konsensverlangen“ in der Bevölkerung. Daraus ziehe ich den Schluss: Das Ringen um Sachlösungen, die unser Land voranbringen, muss beim politischen Wettbewerb im Vordergrund stehen. Nur so können wir verloren gegangenes Vertrauen zurückgewinnen, nur so können wir die Akzeptanz für demokratische Werte und Verfahren, das heißt, die Akzeptanz der Demokratie, deutlich in Theorie und Praxis erhöhen.

Nach dem aktuellen ARD-Deutschlandtrend (No- vember 2006) ist die Mehrheit der Bundesbürger - 51 Prozent - mit der Art und Weise, wie die Demokratie in Deutschland funktioniert, nicht zufrieden. Damit liegt die Zustimmung zur Demokratie so niedrig wie nie in der Geschichte der Bundesrepublik. Ich meine, ein alarmierendes Zeichen, ein alarmierendes Ergebnis. Deshalb müssen wir mehr Anreize zur aktiven Mitwirkung in der Demokratie setzen und die Akzeptanz der Demokratie für unsere freiheitliche Grundordnung noch stärker betonen.

(Beifall bei der CDU)

Die Frage stellt sich, mehren sich auch für Thüringen die Anzeichen, dass die Demokratie gefährdet ist? Für den Freistaat sprechen die Autoren des Thüringen-Monitors von einem „festen demokratischen Wurzelwerk in der politischen Kultur“ und von „einer breiten Akzeptanz des Verfassungssystems“. Es ist eine gute Nachricht, dass die Wissenschaftler im Gegensatz zum voher erwähnten Bundestrend sogar eine „leichte Konsolidierung der Verankerung der Demokratie in Thüringen“ feststellen. Allerdings setze die weitere Konsolidierung die Überwindung noch vorhandener Elemente obrigkeitsstaatlicher Denk- und Verhaltensmuster voraus. Dieser Befund bedarf einer differenzierten Betrachtung. Knapp 80 Prozent der Befragten unterstützen die Demokratie als Staatsidee. Dagegen zeigen sich nur 41 Prozent der Thüringer mit der demokratischen Praxis zufrieden. Ein Wert, der im Vergleich zum Vorjahr zwar um 3 Prozentpunkte zugenommen hat, der uns aber nicht zufriedenstellen darf.

Die Wissenschaftler resümieren: „Je konsistenter und je intensiver prodemokratische Orientierungen sind, desto stärker ist das politische Engagement und desto schwächer die Gewaltbereitschaft.“ Mentale Prägungen durch das SED-Regime, spezifische Einstellungs- und Verhaltensmuster wirken nach, auch noch 17 Jahre nach dem Fall der Mauer.

Zur sozialistischen Ordnung mit Hammer und Zirkel zurückkehren wollen 25 Prozent der Thüringer. Der diesjährige Thüringen-Monitor zeigt, dass nach wie vor eine deutliche Mehrheit der Befragten der DDR mehr gute als schlechte Seiten bescheinigt. Allerdings, so die Wissenschaftler, sei damit nicht in erster Linie das politische System gemeint, sondern „die eher persönlichen Erfahrungen sowie die Absicherung gegenüber bestimmten Lebensrisiken“. Obwohl die absolute Mehrheit der Thüringerinnen und Thüringer die Auffassung teilt, dass die DDR ein Unrechtsstaat gewesen ist, wünschen sich mehr als drei Viertel einen Schlussstrich, wenn es zum Beispiel um die Aufarbeitung der Stasi-Vergangenheit geht.

Imre Kertész hat einmal gesagt, „dass der einzig gangbare Weg der Befreiung durch das Erinnern führt.“ Dieser Satz von Kertész, der sich auf den Umgang mit der NS-Vergangenheit bezieht, lässt sich auch auf den Umgang mit der SED-Diktatur, auf alle traumatischen Erlebnisse übertragen. Deshalb muss sich politische Führung gegen das Vergessen wenden!

(Beifall bei der CDU)

Sie wissen, dass nach bisheriger Gesetzeslage die Frist für die Herausgabe der Stasi-Unterlagen, mit denen Personen auf eine hauptamtliche oder inoffizielle Tätigkeit für den Staatssicherheitsdienst überprüft werden können, am 29. Dezember 2006 endet. Die Thüringer Landesregierung ist der Auffassung, dass Überprüfungen auch über den 29. Dezember 2006 hinaus möglich sein müssen. Denn nicht das Verdrängen, einzig das Erinnern führt zur Befreiung!

(Beifall bei der CDU)

Auch die anlassunabhängige Regelanfrage zählt zu den Kernforderungen der Thüringer Gesetzesinitiative zur Novellierung des Stasi-Unterlagengesetzes. Das hat nichts mit einem Generalverdacht zu tun, vielmehr wird dadurch Transparenz geschaffen.

Diese Transparenz sind wir vor allem den zahlreichen Stasi-Opfern schuldig.

(Beifall bei der CDU)

Ich bin dankbar, dass unsere Bemühungen nicht nur im Bundesrat mehrheitlich unterstützt wurden, sondern jetzt - nach intensiven Verhandlungen - sich auch ein tragfähiger Kompromiss bei der Novelle des Stasi-Unterlagengesetzes abzeichnet.

Es bleibt meine Überzeugung: Wir tragen eine besonders hohe Verantwortung gegenüber den Opfern der SED-Diktatur.

(Beifall bei der CDU)

Denn diese Menschen haben am meisten unter der deutschen Teilung gelitten. 60 Prozent der Befragten finden es gut, wenn Opfer der Stasi eine gesonderte Rente erhalten.

Deshalb ist unser Einsatz für die Opferpension auch weiter auf der politischen Tagesordnung, denn wir müssen den am schwersten betroffenen Opfern mehr Gerechtigkeit zukommen lassen.

(Beifall bei der CDU)

Den Einsatz dieser Menschen für eine rechtsstaatliche und freiheitliche Ordnung unter den Bedingungen einer Diktatur angemessen und sichtbar zu würdigen - darum geht es! Ich füge hinzu: Soweit das mit Geld überhaupt möglich ist.

(Beifall bei der CDU)

Gerade in einer Zeit, wo durch das Bundesverfassungsgericht bestimmt, Stasi-Täter, besondere Verantwortliche des SED-Regimes bessergestellt werden, ist diese politische Aufgabe noch bedeutender.

(Beifall bei der CDU)