Protokoll der Sitzung vom 24.11.2006

Meine Damen und Herren, eigentlich wollte ich über die Stadtentwicklung sprechen und auch ein bisschen in die Geschichte Europas und der Welt gehen. In allen zurückliegenden Jahrhunderten, denn die Große Anfrage der SPD-Fraktion geht mit Recht natürlich in die Richtung Demographie. Ich wollte in dieser kleinen Exkursion etwas über die Geschichte erzählen. Ich will es auch gerne tun. Es ist heute deutlich zu erkennen, dass Stadtgrenzen vor 500 Jahren weitaus weiter innen liegend - wovon Überreste von Stadtmauern noch heute ein Stück Geschichte zeigen - und der Altstadtbereich doch wesentlich kleiner war. Wir sind in den letzten 500 Jahren städtisch weit, weit nach außen gewachsen. Wir hätten uns niemals vorstellen können, dass dieser Prozess einmal andersherum verlaufen könnte. Städte schrumpfen, weil die Einwohnerzahlen rückgängig verlaufen.

Meine Damen und Herren, wer vor diesem Prozess die Augen verschließt, hätte zu spät sicherlich ein jähes Erwachen. Die Demographie im Bereich des Wohnungsbaus, der Wohnungswirtschaft und Stadtentwicklung ist in Thüringen, denke ich, wie in keinem anderen Politikbereich bereits Gegenwart. Durch Wegzug ohne Zuzug und demographischen Wandel sind diese Ursachen entstanden. Der Prozess verläuft nicht nur in Thüringen. Nein, verstärkt wird das Problem aber in den neuen Bundesländern durch den Wegzug hin zur Arbeit, zum Lebensunterhalt verdienen. Deshalb danke ich dem Ministerpräsidenten von dieser Stelle aus noch einmal für die gestern gehaltene Regierungserklärung mit ganz klaren Worten hin zur Beschäftigung in Thüringen.

(Beifall bei der CDU)

(Zwischenruf Abg. Kuschel, Die Links- partei.PDS: Du musst ihn aber an- schauen!)

Hin zur Beschäftigung in Thüringen, war seine Kernaussage - das denke ich. Mit dieser Beschäftigung wird auch in Thüringen das Thüringer Volk die Akzeptanz des Staates erreichen,

(Heiterkeit im Hause)

dass wir es schaffen, Arbeit zu schaffen. Ich denke, unser System funktioniert 51 Prozent durch Psyche, wenn die Psyche gut ist, dann ist auch das, was wir schaffen, vom Volk ordentlich aufzunehmen. Alle westeuropäischen Länder sind von diesem demographischen Wandel mehr oder weniger betroffen, seltsamerweise die wohlhabenden Industrieländer. Die Ursachen sind sicher vielfältiger Art. Es wäre sicher zu einfach, Wohlstand und Luxus und deren Erhalt für jeden Einzelnen daran festzumachen. Diesen Wohlstand mit Kindern teilen zu müssen, dazu ist man nicht mehr bereit. Man will eigentlich jetzt selbst leben. Aber Sprüche wie „Der Staat, der Kinder haben will, soll sie mir auch bezahlen“ oder „Geiz ist geil“ haben unsere gesellschaftlichen Wertevorstellungen bereits negativ geprägt. Man lebt nicht mehr dafür, um am Ende das Geschaffene seinen Nachkommen zu vererben. Man lebt eigentlich nur noch dafür, für sich selbst zu leben und das, was man verdient auch für sich selbst zu verbrauchen. Perfekt geschürte Weltuntergangsängste beschäftigen uns mehr als der Erhalt der menschlichen Rasse. Ja, ganz anders in ärmeren Ländern der Welt, in denen bis zu 30 Prozent der Bevölkerung nicht älter sind als 25 Jahre.

Meine Damen und Herren, da gibt es einen alten Indianerspruch: „Wir haben unsere Erde nicht von unseren Eltern geerbt, sondern von unseren Kindern geborgt.“

(Beifall bei der Linkspartei.PDS)

Ich habe das hier schon einmal gesagt, ich sage es jetzt noch einmal: Otto Walkes hat dazu eine konterkarierte Geschichte daraus gemacht und sagt: „Wenn wir die Erde nicht von unseren Vorfahren geerbt haben, sondern von unseren Kindern geborgt haben, warum wollen wir sie dann überhaupt zurückgeben?“ So schön ist Leben und so schön herrlich Leben nur für mich. Man muss eigentlich gar nicht mehr daran denken, dass ich auch nur durch Kinder auch mein eigenes Leben ein Stück verwirkliche und vielleicht auch darin ein Stück Unsterblichkeit schaffe durch meine eigenen Kinder und deren Kindeskinder.

Stadtumbaugeschichte waren Brände, Kriege, demographische Faktoren, damals waren solche oft mit Seuchen einhergehend. Zwei Drittel der Menschen Mitteleuropas raffte der 30-jährige Krieg und die damit einhergehende Pest dahin - Lücken, die erst in Zeiträumen von über hundert Jahren hier im mitteleuropäischen Raum wieder geschlossen waren. Dem Stadtumbau heute gehen keine Kriege, gehen keine Naturkatastrophen voraus, keiner verliert sein Hab und Gut oder gar sein Leben. Stadtumbau war 1943 bis 1945 in deutschen Städten: Durch Bomben Ruinen schaffen. Ich habe Ihnen vorhin gera

de den anderen Begriff erzählt: Ohne Waffen Ruinen schaffen.

Meine Damen und Herren, seit 1991 bis zum heutigen Tag sind wir Thüringer um etwa 200.000 Einwohner geschrumpft. Waren hier im Hohen Hause vor 14 Jahren Aussagen gerade von Ihrer Seite, der PDS, nun werden dauerhaft in Thüringen 100.000 Menschen unter der Brücke schlafen, zu hören - ich höre es noch, obwohl am Ende der DDR 1,5 Mio. Wohnungssuchende zu verzeichnen waren -, war das in Thüringen auf 150.000 Wohnungssuchende heruntergebrochen. Was sagt uns das heute? Dort, wo Sozialismus herrscht, beginnt selbst bei Wohnungen eine Art Mangelwirtschaft einzusetzen. Sie alle kennen noch den Spruch, was geschieht, wenn man vier Ökonomen in die Wüste Sahara schickt: Da passiert vier Jahre lang gar nichts und dann wird nur der Sand alle. Tatsache ist, heute stehen 100.000 Wohnungen leer und seit dem Bundesprogramm Stadtumbau Ost sind ca. 24.000 Wohnungen durch Rückbau vom Markt genommen.

Nun zu Ihrer Kenntnis: Im Freistaat wird seit 1994 gezielt Stadtumbau betrieben. Das Bundesprogramm „Stadtumbau Ost“ wurde auf Betreiben und ausschließlichen Druck der Freistaaten Sachsen und Thüringen in der Zeit von 1999 bis 2001 in Berlin auf den Weg gebracht.

Meine Damen und Herren, wer den Begriff „Wohnungsmarkt“ in den Mund nimmt, läuft Gefahr, mit nachzuplappern, was oftmals andere vorplappern. Einen echten Wohnungsmarkt gab es in Thüringen eigentlich so richtig noch nie. Da wurde ständig künstlich eingegriffen, geholfen, um auch zu einem Markt zu gelangen. Von Wohnungssuchenden von 1991 bis zum Leerstand 2006, von der Debatte um den sozialen Wohnungsneubau auf der grünen Wiese, über Fehlbelegungsabgabe bis heute zum Rückbau braucht man nur einmal Verbände wie den Bundesverband der freien Wohnungsunternehmen oder auch den Immobilienverband Deutschland (IVD) fragen, was sie vom Thüringer bzw. vom mitteldeutschen Wohnungsmarkt halten. Szenario wie Bankrating zum Thema Wohnungsmarkt Mitteldeutschland bedeutet: ein rasanter Werteverfall der Immobilie; Leerstände treiben die Mietpreise nach unten; aus dem Mietverfall wird Wohnqualitätsverfall; die Folge ist, der künstlich gehaltene Immobilenmarkt gerät weiter in Schieflage; der Verfall von Stadtstrukturen ist weiter angesagt; das führt unweigerlich zur sozialen Selektion in unseren Städten. Ich sagte anfangs „Szenario“, dem gilt es beherzt entgegenzuwirken.

Meine Damen und Herren - der Minister hat es ja in seinen letzten Worten auch deutlich gesagt -, wir sind stolz auf unsere Thüringer Städte und unsere Thüringer Dörfer, wie sie aussehen nach 16 Jah

ren und wie viel Farbe ins Land gekommen ist und vor allen Dingen, mit welchem Engagement unsere Menschen das auch mitgetragen haben mit ihrem eigenen Geldbeutel.

(Beifall bei der CDU)

Leerstände über 15 Prozent, Mietschuldner in Millionenhöhe sorgen auch in Thüringen für schwierige Wirtschaftsverhältnisse in Wohnungsunternehmen und dank des Bund-Länder-Programms „Stadtumbau Ost“ konnte die Leerstandsquote von durchschnittlich über 15 Prozent um die 15 Prozent gesenkt werden, das entspricht einem momentanen Leerstand wohl etwa von 119.000 Wohneinheiten, die sich etwa zur Hälfte in privat und zur Hälfte in die Verbandsunternehmen des VTW aufsplitten. Die uns zur Verfügung stehenden Mittel in Höhe von 160 Mio. € kommen von 2002 bis 2009 - also die Rückbaumittel - in 68 Thüringer Städten und Gemeinden zum Tragen. Damit kommen 91 Mio. € Rückbaufördermittel zum Einsatz.

Meine Damen und Herren, wichtige Kernaussage auch hier: Kein Rückbau ohne Wohnungsbauförderung, kein Rückbau ohne Aufwertung der bestehenden Quartiere und kein Stadtumbau Ost ohne Stadtentwicklungskonzepte. Unsere Kommunen müssen selbst auf der Grundlage ihrer fortgeschriebenen integrierten Stadtentwicklungskonzepte zukunftstaugliche, demographiefeste Entscheidungen treffen. Thüringen hat sehr früh erkannt, dass die wirtschaftlichen und qualitativen Probleme einer Stadt ohne die Aufwertung des Bestands nicht zu lösen sind. Landesregierung, Kommunen und der Verband der Thüringer Wohnungswirtschaft zusammen mit ihren Mitgliedsunternehmen haben in den zurückliegenden Jahren beherzt gehandelt. Dafür sollte auch von dieser Stelle aus einmal all denen ein herzliches Danke gesagt werden,

(Beifall bei der CDU)

dass sie das mutige Herangehen an diese Probleme so bewältigen. Grundsätzlich positiv ist dieser komplexe Prozess Stadtumbau in Thüringen angelaufen. Er wird von den Thüringer Kommunen überwiegend als Chance verstanden; 42 Kommunen verfügen über ein solches integratives Stadtumbaukonzept. Stadtentwicklung und lokale Wirtschaftsförderung müssen eine Einheit bilden mit dem Ziel eines klugen kommunalen Flächenmanagements, und Stadtumbau Ost darf Themen wie die Baukultur, wie die Qualität am Bau und natürlich auch den Denkmalschutz nicht vernachlässigen.

Bei aller städtebaulichen Planung darf der Hochbau die Probleme der technischen Infrastruktur nicht vergessen. Wenn durch Stadtumbauprogramme die Auf

wertung unserer Innenstädte eine Umbausanierung erfahren und damit die alten Siedlungszentren aufgewertet werden, müssen die bestehenden Leitungssysteme kompatibel bleiben. Was meine ich damit? Wenn ich 20.000 Wohneinheiten in einer Neubausiedlung auf 10.000 zurückbaue, dann waren meine Versorgungsleitungen für 20.000 Wohneinheiten, sprich für 30.000 Menschen, ausgelegt und meine Entsorgungsleitungen auch. Diese liegen tief in der Erde und wenn diese Mengen nicht mehr funktionieren, dann kommt es dazu wie in anderen Ländern, Bundesländern, der neuen fünf Bundesländer, dass Trinkwasser genommen wird, um Entsorgungsleitungen lediglich zuzufluten, dass sie nicht zusetzen.

Meine Damen und Herren, der kommunalen Familie möchte ich an dieser Stelle sagen: Haben Sie Mut, gehen Sie so großflächig wie möglich mittel- und langfristig an Ihre Stadtentwicklungskonzepte, an Ihren Stadtumbau heran. Treffen Sie dabei demographiefeste Entscheidungen. Das Ansinnen des Bundes ist, dass das Stadtumbauprogramm auch Finanzhilfen um 20 Mio. € für die Anpassung der technischen und sozialen Infrastruktur seinen Beitrag leistet - für Thüringen 3,2 Mio. € -, geht, denke ich, in die richtige Richtung.

Meine Damen und Herren, von 1991 bis 2003 flossen 2,1 Mrd. € Fördermittel für 300 Thüringer Kommunen in Sanierung und Entwicklung. Durch intelligente Vermehrung dieses Kapitalpakets konnten die sichtbaren Erfolge des Thüringer Stadtumbaus auch erreicht werden. Ich kann dazu nur sagen, wer Augen hat zu sehen, der sehe und schaue sich, wenn er durchs Land geht, wirklich um. Künftig soll die Städte- und Wohnungsbauförderung zusammengelegt werden zwecks höherer Effizienz, speziell bei gewerblichen Förderkonzepten. Die Innenstadtinitiativen, die seit 1996 in elf Städten in den Kreisen der Thüringer Innenstadtinitiative aufgenommen wurden - Altenburg, Eisenach, Erfurt, Gera, Gotha, Ilmenau, Jena, Mühlhausen, Nordhausen, Suhl und Weimar sowie das Städtedreieck Saalfeld-Rudolstadt, Bad Blankenburg - zeugen davon. Innenstadtinitiative heißt, eine Art Fünf-Punkte-Paket, innerstädtische Leitprojekte, eine Art Leitbildvorhaben und Maßnahmen, die eine Mehrfachnutzung zur Belebung der Kernstadt bewirken müssen, zu erstellen.

Zweitens - gezielter Einsatz von Fördermitteln: Die Leitprojekte werden durch eine vorrangige Förderung seitens der Städtebauförderung begünstigt, wobei der Mitleistungsanteil der Kommunen reduziert wird. Durch die abgesenkten Mitleistungsanteile werden einige Vorhaben dadurch überhaupt erst möglich. Auch hier kommen wir unseren Kommunen entgegen, teilweise wesentlich freundlicher als in anderen neuen Bundesländern.

Drittens - Steuerungs- und Managementstrukturen: Die Vielzahl der öffentlichen und privaten Akteure mit ihren jeweiligen unterschiedlichen Interessen machen eine Innenstadt erst aus. Es bedarf aber Sanierungselementen, z.B. auch eine Art Citymanager, der sich um diese Dinge in der jeweiligen Stadt kümmert.

Viertens - Erfahrungsaustausch und Öffentlichkeitsarbeit: Die Innenstadtinitiative setzt dabei auf diesen Erfahrungsaustausch zwischen den Verantwortlichen und den großen Städten, denn die Öffentlichkeitsarbeit soll den Vorrang der Innenstadtsanierung sensibilisieren. Wenn unsere Menschen in unseren Städten davon Kenntnis haben, was sie in ihren Straßen zum großen Teil bei ihrem täglichen Lauf durch die Stadt behindert, warum das geschieht, wird auch da eine Annahme, eine Sensibilisierung dieser Projekte erreicht und die Menschen leben mit ihrer Stadt und leben auch mit den Erfolgen, die sie dann in den letzten 16 Jahren auch erleben durften.

Fünftens: Das Bundesprogramm endet 2009. Hier darf die Förderung nicht aufhören, das ist schon richtig festgestellt worden. Der Stadtumbau Ost wird die Generationen unserer neuen Länder und Stadtumbau in Deutschland wird unser Vaterland für die nächsten Generationen weit in die Zukunft hinein beschäftigen. Denn das, was wir im Moment demographisch erleben, setzt sich in etwa 15 Jahren in den alten Bundesländern fort. Das heißt dann, man kann, wenn man jetzt schon wissen will, woran man in 15 Jahren in Frankfurt denken muss, bei uns durchaus auch mal über den nachbarschaftlichen Zaun schauen.

Die Föderalismusstrukturreform, die der Bund im Moment im Wohnungs- und Städtebau ab 2007 bis 2013 zu einem gänzlichen Umsteuern in seiner Förderpolitik auf den Weg bringt, wird uns jährlich 29,1 Mio. € von 2007 an bis 2013 verwendungsgebunden für den Wohnungsbau, für die Wohnungsbauförderung im Freistaat durchreichen. Ab 2014 bis 2019 wird diese Summe neu verhandelt werden und nicht mehr zweckgebunden sein, sondern ist dann zu vielen infrastrukturellen bzw. investiven Teilen zu verwenden. Um auch nach 2014 und nach 2019 eine vernünftige Wohnungsbauförderung haben zu können in Thüringen, sollten wir heute schon intelligente Lösungen schaffen, um auch den nach uns kommenden Generationen für diese große wichtige Aufgabe genügend Gestaltungsspielräume zu ermöglichen. Ich bedanke mich, meine Damen und Herren.

(Beifall bei der CDU)

War es so schlimm?

(Zwischenruf Abg. Hauboldt, Die Links- partei.PDS: Das war ja eine Regierungs- erklärung.)

Für die SPD-Fraktion hat sich Frau Abgeordnete Doht zu Wort gemeldet.

Frau Präsidentin, meine Damen und Herren, Herr Minister, vielen Dank für die Blumen, aber ich sage mal so, wir freuen uns als SPD-Fraktion natürlich auch, wenn die Landesregierung in vielen Dingen unsere Position vertritt. In einigen Positionen haben wir durchaus noch Unterschiede, ich komme im Detail noch darauf.

Lieber Kollege Wetzel, also das habe ich heute zum ersten Mal gehört, dass der 30-jährige Krieg ein Stadtumbauprozess war. Das scheint mir ein bisschen sehr weit hergeholt. Wenn man Ihrer Logik Folge leistet, dann war ja der erste und radikalste Stadtumbauer Kaiser Nero, als er Rom angezündet hat. Aber ich denke, so eine Betrachtungsweise wird doch dem Thema nicht ganz gerecht.

(Beifall bei der SPD)

Schauen wir uns aber, ehe wir weiter nach Rom schauen, lieber die Situation in Thüringen an und da will ich durchaus noch mal ein paar Dinge Revue passieren lassen.

Als ich 1994 das erste Mal in den Thüringer Landtag gewählt wurde und den Bereich Wohnungs- und Städtebau übernommen habe, hatten wir damals 70.000 fehlende Wohnungen. Heute reden wir über ca. 120.000 leer stehende Wohnungen. Ich glaube, diese zwei Zahlen machen schon die Dimension dieses Wandlungsprozesses klar. Natürlich war es so, dass Anfang der 90er-Jahre kaum Wohnungsneubau in den Innenstädten stattfinden konnte. Wir hatten viele ungeklärte Eigentumsansprüche, die erst nach Jahren geklärt wurden. Es ist auch aufgrund der steuerlichen Förderung sehr viel auf der grünen Wiese gebaut worden, mit all den Nachteilen, die wir natürlich heute auch haben. Wir haben entlang der Städtekette an der A 4 massive Suburbanisierungstendenzen; da brauchen wir uns die entsprechenden Viertel doch nur anschauen. Mit den Einwohnern, die vor der Stadt auf der grünen Wiese gebaut haben, sind auch für die Städte Steuerzahler verlorengegangen. Nichtsdestotrotz müssen die Städte nach wie vor das soziale, das kulturelle Leben für das Umland mit vorhalten.

Ende der 90er-Jahre kam dann das Umsteuern. Ich denke, es kam etwas spät und wir haben es auch bis heute noch nicht hundertprozentig geschafft. Darauf gehe ich auch noch ein. Wir haben die Thüringer Innenstadtinitiative gegründet, wir haben „Genial zentral“, wir haben eine ganze Reihe von Programmen, die letztendlich darauf reagiert haben, die Innenstädte wieder zu stärken, auch wieder Einwohner aus dem Umland für die Innenstädte zu gewinnen. Wir haben aber jetzt auch die Situation, dass die demographische Entwicklung uns diese Bemühungen erschwert, dass wir wieder einen gegenläufigen Faktor haben. Junge Leute verlassen unsere Städte, wandern ab in die alte Bundesrepublik, weil sie dort eher Arbeit, besser bezahlte Arbeit finden. Überdies haben wir die demographische Entwicklung aufgrund des Geburtenrückgangs. Während wir gegen die Abwanderung durch gezielte Maßnahmen im Rahmen der Wirtschaftsförderung durch Neuansiedlung von Unternehmen sicherlich noch etwas tun können, oder auch, indem wir vernünftige Löhne zahlen -

(Beifall bei der SPD)

ich will hier nur mal auf unsere Forderung nach einem Mindestlohn eingehen -, können wir, was den Geburtenrückgang betrifft, das, was in den vergangenen Jahrzehnten geschehen ist, letztendlich nicht zurückholen. Nichtsdestotrotz, über 50 Prozent der Thüringer Bevölkerung leben in Städten mit mehr als 10.000 Einwohnern - ein Grund mehr, dem Stadtumbau eine besondere Aufmerksamkeit zu widmen. Wenn wir uns die demographische Entwicklung anschauen, dann dürfen wir uns aber nicht nur die absoluten Bevölkerungszahlen und die Abnahme der Bevölkerung anschauen, sondern wir müssen uns auch anschauen, wie sich die Bevölkerung künftig entwickeln wird. Eine Entwicklungstendenz, die, wie ich glaube, hier unbestritten inzwischen von allen drei Fraktionen hingenommen wird, ist, dass wir immer älter werden, was ja an sich auch eine gute Sache ist; man soll ja nicht beklagen, wenn ein Mensch älter wird. Das Problem ist nur, das wir auf der anderen Seite zu wenig Kinder haben, das heißt, der Anteil der Bevölkerung im höheren Lebensalter wird steigen. Damit ergeben sich andere Anforderungen an Wohnungsmärkte, an Wohnungsumfeld. Wir haben aber auch - wenn man sich die Wanderungsbewegung anschaut, dass junge, gut ausgebildete Leute, 80 Prozent davon Frauen, Thüringen verlassen - eine Tendenz, dass die Gesellschaft hier, die zurückbleibt, ärmer wird. Auch das muss man zur Kenntnis nehmen, muss die Stadtentwicklung darauf ausrichten. Wir haben eine dritte Tendenz: Wenn man sieht, dass junge, gut ausgebildete Leute das Land verlassen, dass Kinder in bestimmten Positionen einfach nicht mehr zur Lebensplanung junger Frauen gehören, dann haben wir die Tendenz, wenn

wir es nicht schaffen, in der Bildungspolitik umzusteuern, dass letztendlich wir eine Zunahme derjenigen Schichten der Bevölkerung haben, die wir als bildungsfern betrachten. Auch das muss man zur Kenntnis nehmen, auch darauf muss Stadtentwicklung eingerichtet sein. Der Wohnungsmarkt, den wir momentan haben, entspricht noch nicht diesen Anforderungen. Ich selbst bin Aufsichtsratsvorsitzende einer Wohnungsgenossenschaft; wir haben 9 Prozent Leerstand, aber wir haben keine einzige freie Ein- oder Zweiraumwohnung. Wenn man sieht, dass der Anteil der älteren Bevölkerung steigt, dass auch bei den Jüngeren die Anzahl der Single-Haushalte zunimmt, heißt das, dass wir in diesem Bereich Nachholbedarf haben. Wir haben auf der anderen Seite sehr große Wohnungen, die wir nicht mehr vermieten können.

Vom Minister ist darauf hingewiesen worden, dass der Freistaat Thüringen bereits, bevor der Bund den Stadtumbau Ost ins Leben gerufen hat, mit einem Programm zur Wohnungsmarktstabilisierung hier begonnen hat. Das ist richtig, das ist auch lobenswert; man muss aber dann der Vollständigkeit halber auch erwähnen, dass das sofort wieder eingestellt wurde, nachdem das Bundesprogramm aufgelegt wurde. Man hätte das sicherlich auch in geringem Maße weiterführen können, denn die Abrisszahlen zeigen ja, dass wir bis 2009 noch etwa 41.000 Wohnungseinheiten vom Markt nehmen müssen und dass wir da unsere Anstrengungen schon noch verstärken müssen.

Ein Problem, welches die Antwort auf unsere Große Anfrage auch offenbart, ist, dass uns letztendlich auch nicht ganz verlässliche Angaben zu den Leerständen vorliegen, weil wir als Ansprechpartner immer nur den VTW haben, in dem die kommunalen Wohnungsunternehmen, die Wohnungsgenossenschaften organisiert sind, und uns eigentlich der Überblick über den privaten Bereich in dieser Schärfe fehlt. Wenn ich dann aber sehe, dass das gerade Wohnungen in den Innenstädten oder am Rand der Innenstädte sind - ich nenne die Gründerzeitviertel -, dann ist das schon ein Problem auch für unser Ziel, die Innenstädte zu stärken, die Städte weiter nach vorn zu bringen. Das ist natürlich letztendlich auch ein Problem für den Stadtumbau insgesamt.

Ein kleines Problem am Rande, das aus der Anfrage und der Antwort deutlich geworden ist, ist, dass die Landesregierung bislang beim Problem Geschosshöhe nicht die entsprechenden Informationen hat. Da ist in der Vergangenheit schon einiges schiefgelaufen; manches Punkthochhaus hätte vielleicht nicht saniert werden sollen, weil jeder weiß, wenn ich da einen Fahrstuhl habe, dann steigen automatisch die Betriebskosten. Ich denke, hier sollte man

einmal genauer hinschauen, um dann zumindest, wenn es um Abriss und Rückbau geht, die richtigen Entscheidungen zu treffen.

Ein Problem, welches nach wie vor ungelöst ist, ist die Einbeziehung der Privatvermieter in den Stadtumbau. Ich hatte es eben schon angesprochen: Wir wollen lebenswerte Innenstädte, wir wollen die Zentren stärken, wir haben aber dort meist Wohnungsbesitz, der in Privathand ist, und die können bislang nicht von dem Stadtumbauprogramm partizipieren. Es findet aber auch hier keine Abstimmung mit den großen Wohnungsunternehmen statt mit dem, was letztendlich in den Neubauvierteln passiert.

Wir werden 2009 ca. 60.000 bis 80.000 Leerstände im Altbau haben und im Plattenbau aufgrund des Stadtumbaus Ost, der eben fast nur in den Plattenbauten stattfand, 20.000 bis 25.000 Leerstände. Das heißt, wir müssen in der Zukunft verstärkt unser Augenmerk auf diese Altbaubestände richten. Frau Sedlacik, Sie sprachen vorhin an, dass Wohnungsunternehmen nur noch Fördermittel vom Freistaat bekommen sollten, wenn sie auch abreißen - ich denke, dieser Ansatz geht völlig an unserem Ziel vorbei. Das hieße ja, Sie haben ein Wohnungsunternehmen in der Innenstadt, was nicht abreißt, weil die Wohnungen voll vermietet sind, denen geben Sie dann auch keine Fördermittel mehr und auf der anderen Seite geben Sie die Fördermittel in die Peripherie der Stadt, nur weil das Unternehmen dort abreißt. Das kann nicht der Ansatz sein, sondern es ist durchaus richtig, so wie es bislang vom Bund auch immer gefordert war, dass ein integriertes Stadtentwicklungskonzept letztendlich die Voraussetzung für die Ausreichung von Fördermitteln ist. Denn wir brauchen auch im Hinblick auf die Kosten, die die Infrastruktur verursacht, keinen Flickenteppich, sondern wir sollten dazu kommen, nach wie vor das Bild einer urbanen kompakten Stadt als Ziel zu haben auch im Stadtumbau.

Wir werden künftig - auch das sagt die Antwort aus, aber auch der Demographiebericht - überproportionale Leerstände im ländlichen Raum haben, auch aufgrund der Eigentümerstruktur. Da bin ich bei einem ersten Widerspruch. Während man immer davon redet, wir wollen in die Zentren gehen, wir wollen in die Städte, ist die LEG immer noch damit beschäftigt, Baugrundstücke im ländlichen Raum zu vermarkten, und das auch angesichts der Prognosen, dass wir die größten Leerstände im ländlichen Raum haben werden. Nun sind das etwa 50 Prozent der Flächen, die die LEG noch nicht vermarktet hat. Das ist ein Buchwert von 52,5 Mio. und entspricht 12,81 Prozent der Bilanz der LEG. Das ist also kein Pappenstiel für die Landesentwicklungsgesellschaft. Trotzdem, denke ich, sind wir hier gefordert, uns einmal darüber Gedanken zu machen, was mit diesen