Antwort: Egal wie man dazu steht, wird Thüringen darauf nicht auf Dauer verzichten können, anderenfalls geraten wir im Wettbewerb um die besten Wissenschaftler und auch um die besten Studenten ins Hintertreffen. Letzte Frage: Oder ist es umgekehrt und Gebührenfreiheit gilt als Standortvorteil? Also mir muss man nicht glauben, vielleicht glaubt man ja einem Wissenschaftler. Antwort: Die besten Studenten werden sich von 500 € Gebühren nicht davon abhalten lassen, sich den Studienort auszusuchen, an dem sie die besten Bedingungen finden. Das Auffangbecken für schwächere Studenten zu werden, sollte nicht das Ziel Thüringer Hochschulpolitik sein.
Sehr geehrte Frau Präsidentin, sehr geehrte Damen und Herren Abgeordnete, ich begrüße die Studierenden, die im Hohen Hause heute trotzdem Platz gefunden haben, und zwar in den Räumen der Linkspartei.PDS-Fraktion, da auf der Besuchertribüne kein Platz mehr war.
Ich möchte meine heutige Rede mit einigen Kommentaren beginnen, die den Studierenden im Hinblick auf das Gesetzgebungsverfahren immer wieder entgegengeworfen werden.
„Die Studierenden müssen auf die Macht der Worte vertrauen“, so oder ähnlich hat sinngemäß Prof. Goebel mit den Studierenden gesprochen, als es um Demokratieabbau ging. „Die Studierenden sollen sich mal nicht so haben, ihnen geht es in Thüringen noch viel besser als anderswo.“, die Fraktionsvorsitzende der CDU-Fraktion. Oder auch, wenn es um Abbau von Demokratie geht, wo es noch lange nicht nur ein Vorwurf der Linkspartei.PDS-Fraktion ist: „Wir alle tragen Demokratie im Herzen und brauchen deswegen keine Gremien für Mitbestimmung schaffen.“, so der Abgeordnete Schwäblein. Sie werden entschuldigen, wenn wir an dieser Stelle als Opposition die genialen Leistungen der CDU-Fraktion nicht gebührend würdigen,
Sehr geehrte Damen und Herren, eine Debatte über Hochschulgesetzgebung in Thüringen muss auch im Zusammenhang mit hochschulpolitischen Entwicklungen gestellt werden, die seit Jahren bundesweit zu beobachten sind. Die geplanten Änderungen des Thüringer Hochschulgesetzes durch die CDU-geführte Landesregierung vollziehen diese Entwicklung nach und setzen sie nun auch in Thüringen um. Herr Schwäblein bestätigte dies gerade.
Der erste Punkt, den ich in diesem Zusammenhang nennen will, ist die zunehmende soziale Selektivität beim Zugang zu Bildungschancen. Immer stärker hängt es vom sozialen Hintergrund der Eltern ab, wer überhaupt noch an die Hochschulen gelangt. Dieser Trend lässt sich in West- und Ostdeutschland gleichermaßen seit Jahren beobachten. Statistisch lassen sich diese Entwicklungen mit den regelmäßig erscheinenden Sozialerhebungen des Dachverbandes der Studentenwerke eindeutig belegen.
Zum einen kommen Studierende zunehmend aus überdurchschnittlich gut gebildeten, beruflich hoch qualifizierten und häufig aus akademischen Familien. 2003 hatten 63 Prozent der Eltern von Studierenden in Thüringen das Abitur als höchsten Abschluss. Nur 5 Prozent der Studierenden kamen aus einem Haushalt mit einem Hauptschulabschluss. Dieser Zustand hat sich in den letzten 15 Jahren damit deutlich verschärft, denn 1991 kamen immerhin noch 14 Prozent der Studierenden aus einem Elternhaus mit niedrigem Bildungsabschluss. Ich will es noch einmal betonen: 5 zu 14 Prozent. Dagegen wächst seitdem der Anteil der Kinder aus Akademikerhaushalten an und hat auf der Bundesebene mittlerweile 50 Prozent erreicht. Zum anderen spielt der finanzielle Hintergrund der Eltern eine immer stärkere Rolle, wer überhaupt die Chance auf eine gute Ausbildung erhält. Der soziale Hintergrund von 63 Prozent der Studierenden im Jahr 2003 in Thüringen wird mit „hoch“ oder „gehoben“ beschrieben. Nur 12 Prozent von Ihnen kommen aus einem Haushalt mit einem niedrigen sozialen Hintergrund.
Lieber Prof. Goebel, ich würde Sie bitten, dass ich meine Rede halten kann; ich werde sehr abgelenkt durch Sie.
Das ist nur eine Bitte. Ich weiß, dass Sie einige Sachen auf der Regierungsbank zu klären haben, und ich respektiere das auch, aber es fällt mir gerade besonders schwer, mich zu konzentrieren. Das ist nur eine Bitte.
Die ostdeutschen Studentenwerke fassen diese Zustände in klare Worte, ich zitiere: „Offenkundig wird die Hochschule in Deutschland mehr und mehr zu einer Institution der Selbstreproduktion und des Statuserhalts der akademischen Bildungsschichten.“ Dieser Prozess der sozialen Schließung im Bildungsbereich beginnt jedoch nicht erst in der Hochschule.
Sämtliche Studien über das deutsche Bildungssystem zeigen, dass die Möglichkeit, ein Gymnasium und dann die Hochschule zu besuchen, stark vom sozialen Status der Eltern abhängt. Die Thüringer Landesregierung setzt dieser Entwicklung nichts entgegen. Vielmehr ist dieses Gesetz ein Pflasterstein
des Weges in eine radikale Verwirtschaftlichung aller Lebensbereiche der Menschen und der Ausweitung der sozialen Selektion im Bildungsbereich. Die eben benannte Entwicklung scheint gewollt - Eigenverantwortung der Menschen und Rückzug des Staates. Wer es nicht schafft, hat Pech gehabt. Ihre Politik verschärft mit der Einführung von Gebühren diese Zustände sichtbar. Dazu zählt auch die Streichung des Verbots von Studiengebühren. Damit wird der Einführung von allgemeinen Studiengebühren wie jüngst in Hessen durch die auch dort alleinregierende CDU Tür und Tor geöffnet. Das Recht auf Bildung sowie eine gute Ausbildung als Grundlage für die Arbeitssuche werden so immer mehr zum Privileg von Wohlhabenden. Wer es sich nicht leisten kann, wird vom Studium abgeschreckt.
Sehr geehrte Damen und Herren, damit werden auch die Bemühungen konterkariert, die die Zahlen der Studierenden erhöhen sollen, wie es die Bundesregierung und die Landesregierungen, aber auch der zu erwartende Fachkräftebedarf erfordern. 40 Prozent eines Jahrgangs sollen an die Hochschulen, doch ein Vergleich der Zahlen aus der aktuellen OECDStudie „Bildung auf einen Blick“ zeigt, wie unrealistisch dieser Plan derzeit in Deutschland ist, einem der reichsten Länder der Welt. Während in Schweden 73 Prozent eines Jahrgangs ein Studium aufnehmen, waren es 2005 in Deutschland gerade einmal 37 Prozent. Die ganz aktuellen Zahlen des Statistischen Bundesamts von Ende November 2006 zeigen einen weiteren Rückgang. Im Vergleich zum Jahr 2005 ist die Zahl der Immatrikulierten um weitere 3,5 Prozent gesunken. Ein Zusammenhang mit der zunehmenden Einführung von Studiengebühren ist anzunehmen. Der bundesweite Dachverband der Studierendenvertretungen, der freie Zusammenschluss der Studierendenschaften, kritisiert zu Recht: „Diese Zahlen sind der Beweis, dass alle diejenigen, die gebetsmühlenhaft behaupten, Studiengebühren hätten keinerlei Abschreckungswirkung auf die Abiturienten, falsch liegen.“ Die negativen OECDZahlen für Deutschland sind der Ausdruck einer Bildungspolitik, die seit Jahren in die falsche Richtung steuert, sowohl auf Bundesebene als auch hier in Thüringen. Verschärfend kommt hinzu, dass wir aufgrund der demographischen Entwicklung möglicherweise vor einem Einbruch der Studierendenzahlen in Thüringen stehen. Bis 2010 ist für Thüringen, wenn die Rahmenbedingungen so bleiben wie jetzt, ein Rückgang auf etwa 80 Prozent der derzeitigen Studienanfängerzahlen zu erwarten, auch begründet dadurch, dass wir in Thüringen einen relativ hohen Anteil an studierenden Landeskindern verzeichnen. Das wird auch auf die Finanzierung der Hochschulen Folgen haben. Wer die Finanzlücke nun langfristig mit Studiengebühren decken will, wie Ministerpräsident Althaus das schon mehrmals angekündigt hat und aus der CDU-Fraktion auch zu hören ist, treibt den
Teufel mit dem Beelzebub aus. Den Anfang haben Sie mit Artikel 2 des vorliegenden Gesetzes gemacht. Ich verspreche Ihnen, es wird nicht funktionieren, gleichzeitig Gebühren zu kassieren und zu hoffen, dass mehr Menschen an die Hochschulen gehen.
Um ein positives Gegenbeispiel anzuführen, möchte ich Finnland erwähnen, das Land mit einer Studierendenquote von 73 Prozent. In diesem Land ist der Besuch einer staatlichen Hochschule kostenfrei. Wer dort als Studierender allein wohnt, bekommt zudem vom Staat noch etwa 250 € Förderung; zudem werden 80 Prozent der Wohnkosten oder maximal 170 € übernommen. Das könnte ein Vorbild für Thüringen sein und nicht weitere Hochschulgesetze wie andere Bundesländer, die Bildung als individuelle, eigennützige, humankapitalsteigernde Maßnahme im Sinne kapitalistischer Verwertungsmöglichkeit begreifen. Um den Zugang zu den Hochschulen möglichst vielen Menschen so weit wie möglich offenzuhalten, enthalten die Änderungsanträge - meine Kollegin Frau Dr. Kaschuba hat es schon erwähnt - unserer Fraktion die ersatzlose Streichung des § 16 - Gebühren - sowie des Artikels 2 des Gesetzes zur Änderung hochschulrechtlicher Vorschriften. Freie Bildung für alle ist für uns die Verwirklichung eines menschlichen Grundrechts. Die SPD hat sich im Landtag gegen Gebühren ausgesprochen, konnte sich im Ausschuss allerdings nicht dazu durchringen, unserem Antrag zuzustimmen.
Sehr geehrte Damen und Herren, ein zweiter umfassender Punkt unserer Ablehnung gegenüber dem Entwurf für ein neues Thüringer Hochschulgesetz ist die Frage von Demokratie und Mitbestimmung an den Hochschulen. Hochschulrat und Senat sind gerade in der angedachten Form kein Ort der Gestaltung von Demokratie und Mitbestimmung an Thüringer Hochschulen. Studierende haben wesentlich weniger Mitspracherechte und -gelegenheiten als zuvor - egal, was Abgeordneter Schwäblein hier glauben machen will. Dagegen behält sich das Thüringer Kultusministerium Mitspracherechte vor, so bei der Besetzung der Gremien, die über die Hochschule bestimmen. Erst jüngst wurde hier im Thüringer Landtag der Thüringen-Monitor 2006 vorgestellt und diskutiert. Der rote Faden, der sich durch diese Studie zieht, ist die Frage nach demonstrativer Partizipation. Weniger als 30 Prozent der Menschen in Thüringen glauben, sie könnten durch eigenes politisches Engagement auch das Handeln der Regierung in irgendeiner Weise beeinflussen. 80 Prozent der Menschen beklagen, die Parteien seien nur auf ihre Stimmen, nicht aber auf ihre Ansichten und Meinungen aus. Zudem zeigt die Studie, wie gering das Vertrauen in die politischen Institutionen ist.
Einschnitte in die Mitbestimmung der Hochschulen und die Stärkung zentraler Strukturen kontraproduktiv und bestärken die Menschen nur in ihrer Wahrnehmung. Gerade hier in den Studierendenvertretungen engagieren sich Menschen und nehmen ihre demokratischen Rechte wahr. Gerade das ist es, was im Thüringen-Monitor als Mittel zur Förderung von Demokratie empfohlen wird: die alltägliche Einübung von Konfliktaustragung und Entscheidungsfindung.
Aus diesen Gründen lehnen wir dieses undemokratische Gesetz ab. An seine Stelle müsste eine breite Ausbreitung der Partizipation stehen. Mit unseren Änderungsanträgen schlagen wir eine Stärkung der Position der Studierenden und Personalvertretung vor. Hochschulen müssen demokratisch organisiert sein und ein gemeinschaftliches Projekt aller Gruppen der Hochschulen darstellen.
Zudem fordern wir die Festschreibung eines allgemeinpolitischen Mandates für Studierendenräte in § 73 Thüringer Hochschulgesetz. In diesem Zusammenhang - was Demokratie angeht - müssten Sie wissen, dass in Zeiten von Unterfinanzierung der Hochschulen und gleichzeitiger Zentralisierung der Verantwortung Demokratie als auch Breite und Qualität der Ausbildung zwangsläufig zurückgefahren werden.
Sehr geehrte Damen und Herren, der dritte größere Kritikpunkt der Linkspartei.PDS ist die Zulassungsbeschränkung zum Masterstudium. Jeder und jede Studierende muss ein Recht auf das Masterstudium haben. Es kann nicht sein, dass Studierende z.B. - wie das ja möglich sein kann - aufgrund eines Sparzwangs der Hochschule möglicherweise vom Master ausgeschlossen werden, weil es Zulassungsbeschränkungen gibt. Sie werden in eine unsichere Zukunft entlassen und gemeinhin könnte man annehmen, dass mit der strikten Umsetzung des Bachelor als Regelabschluss und der Ausgrenzung weiterer Studierender vom Masterstudium möglicherweise auch das gesamte gesellschaftliche Bildungsniveau sinkt. Die Interpretation Bolognas, also nur noch Bachelor und Master zuzulassen, ist nicht zielführend und in einigen Berufsfeldern nicht angemessen.
Ein nächster größerer Punkt ist die Situation der wissenschaftlichen Hilfskräfte in Thüringen. Die Linkspartei.PDS-Fraktion hat in einer Großen Anfrage dieses Thema auf die Tagesordnung geholt und die Landesregierung kommt in dieser Anfrage zu dem Ergebnis, dass, was die personalrechtliche Vertretung von studentischen Hilfskräften angeht, eine Lücke besteht. Im Hochschulgesetz fehlt eine Aufgabenzuweisung
an Studierendenschaften; die sollen die personalrechtliche Vertretung von studentischen Hilfskräften gewährleisten. Da Körperschaften öffentlichen Rechts aber auf ihre gesetzlichen Aufgaben beschränkt sind, zu denen nach § 73 des Thüringer Hochschulgesetzes nur die Vertretung der Studierenden als Mitglieder, nicht aber als Angehörige der Hochschule zählt, sollte eine entsprechende Korrektur angestrebt werden. Ich denke, das ist ein Thema, was den Landtag in nächster Zeit beschäftigen wird. Wir werden, wenn es nicht mit einer Änderung des Hochschulgesetzes ausreichend diskutiert werden kann, möglicherweise dieses Thema für eine Änderung des Personalvertretungsgesetzes vorschlagen.
Zum Schluss möchte ich noch einmal auf den Thüringen-Monitor zurückkommen. Als das wichtigste Mittel zur Festigung demokratischer Beteiligung der Bürgerinnen und Bürger wird dort die - ich zitiere mit Ihrer Erlaubnis -: „Überwindung obrigkeitsstaatlicher Denk- und Verhaltensmuster hervorgehoben“. Ich schlage dem Landtag daher vor, jetzt einen Schritt in die richtige Richtung zu gehen, um mit der Ablehnung dieses undemokratischen Hochschulgesetzes ein Stück weit obrigkeitsstaatliche Strukturen zu überwinden. Wir haben jetzt die Chance, dem Protest der Anzuhörenden und der Tausenden Studierenden gerecht zu werden.
Noch eine kurze Anmerkung: Welchen Anzuhörenden Sie folgen, ist im Übrigen auch eine politische Entscheidung und diese Entscheidung haben Sie als CDU-Fraktion getroffen. Danke.
Frau Kollegin Hennig, Sie haben am Anfang den Eindruck erweckt, die Studenten müssten von Ihnen Asyl bekommen, um die Landtagssitzung zu verfolgen. Ich frage Sie deshalb: Ist Ihnen bekannt, dass seit mehreren Monaten diese Landtagssitzungen, auch die heutige, weltweit im Internet und damit auch an jedem Studienort in Thüringen verfolgt werden können?
Es ist mir bekannt, Herr Schwäblein. Aber ich halte es für ein berechtigtes Interesse der Studierenden, live vor Ort zu sein, wenn ein Gesetz beschlossen wird, was sie massiv angeht.
Im Übrigen war es ja auch kein Vorwurf. Ich habe nur gesagt, die Tribüne ist voll und wir haben ihnen Gelegenheit gegeben, trotzdem zu kommen.
(Zwischenruf Abg. Reimann, Die Links- partei.PDS: Von 09.00 Uhr bis 10.00 Uhr war die Tribüne leer.)
Eigentlich hat Frau Kollegin Hennig diese Nachfrage beantwortet. Ich wollte fragen, ob Sie zur Kenntnis genommen haben, dass die Tribüne brechend voll ist. Was wäre Ihr Vorschlag? Wollten Sie die Gäste denn nach Hause schicken?
Nein, überhaupt nicht, und da ich mich an die Hausordnung des Thüringer Landtags halte und Besuchergruppen eingeladen werden müssen, hat das meine Fraktion übernommen.