Der Ablauf und die Art und Weise der Verkündigungen, der nicht zu Ende gedachten Überlegungen zeugen einerseits von mangelndem justizpolitischem sowie verfassungsrechtlichem Verständnis der dritten Gewalt und der im Grundgesetz veran
kerten Gewaltenteilung, sondern sie zeigt zum wiederholten Male den Grundsatz Ihrer Politik, den Sie scheinbar aus der DDR-Zeit, Herr Ministerpräsident, übernommen haben. Einsparen - koste es, was es wolle.
Wie wäre es sonst möglich, wenn der Justizminister Schliemann bei jeder passenden oder unpassenden Gelegenheit Ihre Aussage aus der Regierungserklärung in verkürzter Form anbietet: Der Zahlenbeschluss steht. Wir hegen nicht nur den Verdacht, dass die gesellschaftspolitischen Dimensionen dieser Aussage und der kommenden und schon sichtbaren Aktivitäten und Handlungen gerade dieser Strukturkommission nicht nur bis zum letzten Detail nicht überlegt und nicht richtig eingeschätzt wurden, sondern vielleicht sogar bewusst ignoriert und hingenommen werden.
Meine Damen und Herren, wir alle wünschen uns, dass Thüringen bei der Schaffung von Arbeitsplätzen, bei der Bereitstellung von Ausbildungsplätzen, in Bildung, Wissenschaft und Technologie, bei sozialer Betreuung, bei Hortplätzen, Theatern bis hin zum Sport Spitzenreiter nicht nur in den neuen Bundesländern ist. Aber wenn Sie, Herr Ministerpräsident, mit der ersten Schließung eines Landgerichts und einer Staatsanwaltschaft in Deutschland in die Geschichtsbücher der Bundesrepublik eingehen wollen, sind Sie auf dem richtigen Weg, auf einem Holzweg. Wir werden diesen Weg nicht mitgehen, wir lehnen die Schließung eines Landgerichts, einer Staatsanwaltschaft ab. Wir treten für die Aufrechterhaltung der vier Gerichtsstandorte in Thüringen ein.
Meine Damen und Herren, was sind nun die Gründe und Argumente des Handelns der Landesregierung? Vor einer Auseinandersetzung mit etwaigen Gründen muss die gesamte Herangehensweise kritisiert werden. Wo waren die Kriterien der Bearbeitung der so genannten Strukturreform? Erst nach Nachfrage wurden ansatzweise Kriterien und Zielsetzung seitens des Justizministeriums benannt. Auch die Installierung der Strukturkommission ist aus unserer Sicht ein Alibi. Kein Wunder, wenn sich Beteiligte wie der Vertreter des Hauptstaatsanwaltrats dieser Arbeit in der Kommission entzieht, wenn nicht einmal Diskussionen und Argumente zur Schließung in dieser Kommission ausgetauscht werden, sondern lediglich formuliert wird, ich verkürze es: Beschluss steht fest, jetzt müsse die entsprechende Untersetzung erfolgen - ich wiederhole -, koste es, was es wolle.
Argument 1/Grund 1 - die demographische Entwicklung in Thüringen: Es ist manchmal ganz gut, wenn man auch in die Vergangenheit blickt und einmal ausgesprochene und festgehaltene Argumente und Diskussionen in Erinnerung ruft. 1993 hat dieses hohe Haus den Gerichtsstandort Mühlhausen beschlossen und ins Leben gerufen. Neben vielen Sätzen sind aus meiner Sicht zwei entscheidende Begründungen genannt worden. Da war zuerst die Anbindung und Versorgung, um mit dem aktuellen Begriff zu sprechen, die Bürgernähe, der nördlichen Kreise auch und gerade mit der Einrichtung eines Landgerichts wie einer Staatsanwaltschaft, eines Arbeitsgerichts, also die Installation einer funktionierenden Justizverwaltung. Damit sollten Bürgerinnen und Bürger die gewonnene Rechtsstaatlichkeit nach 1989 im wahrsten Sinne des Wortes hautnah spüren und erleben. Und dann war zweitens die Frage nach Strukturen, die über ihre eigentliche Funktion hinaus andere gesellschaftliche Bereiche anziehen und beleben sollten; nicht zuletzt, dass der Ausbau der Justizverwaltung ein ökonomischer Faktor in dieser Region werden könnte. Das war eine politische Entscheidung, meine Damen und Herren. Nun wird in die Diskussion mit Blick auf die Schließung eines Landgerichts und einer Staatsanwaltschaft der demographische Aspekt eingeführt. Ja, das haben wir oft schon festgestellt, Thüringen hat ein Bevölkerungsproblem. Nicht nur, dass junge Menschen, junge Paare, Eheleute unter diesen gegenwärtigen Bedingungen keine Kinder in die Welt bringen wollen. Nein, selbst wenn sie zu dieser Entscheidung, Eltern zu werden, für sich gekommen sind, ist ein großer Teil von ihnen der Auffassung, dies nicht in Thüringen zu tun, sondern in Bayern, Baden-Württemberg oder Hessen oder noch darüber hinaus. Ja, Thüringen hat demographische Probleme, aber wer glaubt, die Justizverwaltung wie ein Unternehmen nach Stückzahlen oder Warenabrechnungen bewerten zu können, hat den Geist und den Inhalt des Grundgesetzes der Gewaltenteilung, eines Justizgewährungsanspruchs von Bürgerinnen und Bürgern nicht erfasst.
Man könnte es sich an dieser Stelle einfach machen und auf das Schreiben, die Dokumentation des Anwaltvereins Mühlhausen, die alle Kolleginnen und Kollegen dieses hohen Hauses erhalten haben, verweisen. Auch hat heute Herr Kretschmer besonders diese Dokumentation hervorgehoben und hat sie auch dem Herrn Justizminister zugeleitet. Da sind entsprechende Argumente vorhanden. Hier ist sich in besonderer Weise mit der Situation, bezogen auf die Richterplanstellen und Gerichtseingesessenen, auseinander gesetzt worden. Ich möch
te Ihnen hier nicht etwas vortragen, was Sie vielleicht doch schon gelesen haben, dennoch scheint mir eine Passage im Zusammenhang mit der demographischen Entwicklung und in Bezug auf die Justizverwaltung Thüringens interessant und wiederholenswert zu sein. Da heißt es - Frau Präsidentin -: "Die Bevölkerung in Thüringen wird von 2003 bis 2020 um ca. 17 Prozent abnehmen. Natürlich führt ein Rückgang der Bevölkerung auch zu Schrumpfung der Justiz im Allgemeinen, wobei zu bedenken ist, dass der Bedarf an Richtern und Staatsanwälten sich nicht unmittelbar aus der Anzahl der Gerichtseingesessenen herleiten lässt. Unmittelbar bestimmt sich der Bedarf nach der Anzahl der Strafbzw. der Ermittlungsverfahren bzw. der Zivilrechtsstreitigkeiten. Allerdings kann unterstellt werden, dass tendenziell mit abnehmender Bevölkerung auch die Ermittlungs-, Straf- und Zivilverfahren rückläufig sein werden. Doch was bedeutet dies auf die Frage der Schließung eines Landgerichts mit Staatsanwaltschaft. Unterstellt man eine unmittelbare Kausalität, so würde der Bedarf an Richtern und Staatsanwälten also ebenfalls um 17 Prozent sinken. Auf das Landgericht übertragen bedeutet dies, dass 17 Prozent der Mitarbeiter abgebaut werden müssten, also jedes Jahr 1 Prozent. Dies kann über die ganz normale Altersfluktuation erfolgen, ohne dass es einer besonderen Maßnahme bedarf. Wendet man sich den beiden o.g. Tabellen zu", die ich jetzt hier nicht nachvollziehen kann, "so bleibt die Festlegung zulässig, dass auch eine um 17 Prozent verminderte Richterzahl am Landgericht Mühlhausen statt 31 25,7 einer völlig normalen durchschnittlichen Größe eines Landgerichts entspricht." Mein Zusatz: auch ohne Schließung.
Meine Damen und Herren, diese Argumentation des Anwaltvereins Thüringen hat einen weiteren Charme. Sie kann und muss sogar auf ganz Thüringen und damit nicht nur auf den Gerichtsbereich Mühlhausen angewendet werden. Und somit kann dieses Rechenbeispiel des Abbaus z.B. von Richterstellen in Bezug auf die demographische Entwicklung in Meiningen, Erfurt und Gera Anwendung finden. Gleichzeitig kann man schon heute mit den Betroffenen Personalentwicklungspläne erarbeiten und festlegen, die mittel- und langfristig nicht nur dieser demographischen Entwicklung Rechnung tragen, sondern am Ende wirklich Personalkosten einsparen können. Dies ist eine Alternative, die nachvollziehbar und transparent und nutzbringend ist, die wir mittragen.
Apropos Kosten: Der zweite Grund, der seitens der Landesregierung und des Ministerpräsidenten sowie des Justizministers immer wieder angeführt wird, sind die baulichen sowie räumlichen Voraussetzungen der jeweiligen Gerichtsstandorte. Ja, auch diese Frage des baulichen Zustands der Justizverwal
tung beschäftigt uns seit Jahren und ich bringe es dahin gehend auf einen Punkt: Wer schon einmal die Gelegenheit hatte, die Staatsanwaltschaft in Mühlhausen aufzusuchen und dies im wahrsten Sinne des Wortes "aufzusuchen", der wird nicht nur mit gemischten Gefühlen das Haus wieder verlassen haben. Ich kann Ihnen nur sagen an dieser Stelle, ich schäme mich schon, wenn ich provisorische Kultur- und Sportstätten erleben muss. Ich schäme mich, wenn ich desolate Kindergärten, Horte und Schulen sehe und sie schließen muss, womöglich im Stadtrat. Ich schäme mich auch für meinen Arbeitsplatz hier, wenn ich die Staatsanwaltschaft Mühlhausen wieder verlassen habe.
Das sind wahrlich keine Arbeitsbedingungen, die ich diesen Menschen dort wünsche. Die PDS-Fraktion nimmt wohl die positiven Veränderungen in den letzten Jahren in den verschiedenen Bereichen zur Kenntnis. Auch haben wir die Vorschläge und Aktivitäten in Bezug auf das Justizzentrum in Mühlhausen in der Vergangenheit wahrgenommen und zum Teil mitgetragen. Auch haben wir heute gehört, dass es entsprechende Veränderungen im Blick auf das Justizzentrum, oder das nicht neue, aber zumindest die entsprechenden Räumlichkeiten in Mühlhausen gibt. Auch haben wir - und nicht nur wir, sondern die Mühlhäuser - die Aussagen des damaligen Justizministers Gasser in Erinnerung, die im Frühjahr dieses Jahres da lauteten: Ein Justizzentrum ist geplant und wird gebaut. Was ist nun mit der Glaubwürdigkeit von Aussagen der Landesregierung? War es wieder nur ein Wahlversprechen, oder war es gar ein Alleingang des Justizministers? Wenn ich mir das gegenwärtige Konzept der Personalentwicklung im Innenministerium, bezogen auf die Polizei, Octupol ansehe, vermute ich Letzteres. Also gibt es doch noch zumindest brauchbare Konzepte und Diskussionsprozesse innerhalb eines Ressorts der Landesregierung zu mittelfristigen und langfristigen Strukturveränderungen. Vielleicht sollte innerhalb des Kabinetts nicht über-, sondern miteinander gesprochen werden.
Meine Damen und Herren, wenn dieser Grund des baulichen Zustands ein oder einer der wichtigsten Gründe für die Entscheidung der Schließung sein soll, sind wir dagegen. Dass die Mühlhäuser Richter, Staatsanwälte und Justizangestellten doppelt bestraft werden, nicht nur, dass sie in unmöglichen Umständen arbeiten müssen, nein, auch wird ihnen noch das zum Nachteil bei einer Schließung gereicht. Um in der Sprache der Justiz zu bleiben, ihnen wird aus dem gegenwärtigen katastrophalen Zustand noch ein Strick gedreht. Diese Vorgehensweise lehnt die PDS-Fraktion kategorisch ab.
Zumal, meine Damen und Herren, jetzt schon entsprechende räumliche Alternativen, wie schon angesprochen, Angebote in Mühlhausen vorhanden sind und zugleich mit Blick auf eine Schließung natürlich erhebliche finanzielle Mittel für die Bereitstellung von Räumen von vermeintlich dann Betroffenen, wo auch immer, geplant und eingesetzt werden müssen, ganz zu schweigen von den Umzugskosten. Somit sind der Grund, der Kostengrund in seiner Konsequenz und in seiner Auswirkung sowie das Argument der demographischen Entwicklung, was uns immer wieder vorgehalten wird, für eine Entscheidung zur Schließung eines Landgerichts und einer Staatsanwaltschaft nicht nachvollziehbar und schon gar nicht schlüssig.
Über die bisherigen Gründe hinaus möchte ich noch zwei Aspekte hier kurz beleuchten: Justizgewährungsanspruch und verfassungsrechtliche Bedenken.
Meine Damen und Herren, das Grundgesetz wie die Thüringer Verfassung schreiben fest, dass jedem Bürger vor allem gegen Akte der öffentlichen Gewalt der Rechtsweg offen stehen muss. Diese Rechtsgewährungsgarantie, in der jetzigen Diskussion, wie gesagt, als Justizgewährungsanspruch bezeichnet, ist zu verwirklichen, auch und gerade so, dass Bürgerinnen und Bürger wohnortnah erreichbar und vor allem personell wie logistisch gut ausgestattete Justizeinrichtungen vorfinden. Auffällig ist, dass in anderen Bundesländern selbst solche, die flächenmäßig mit Thüringen vergleichbar sind, mehr Landgerichte bestehen als hier. In anderen Bundesländern, wie z.B. Bayern, bleiben sogar Landgerichte mit nur drei Richtern bestehen. Leiden diese Länder einfach an Verschwendungssucht? Wohl eher nicht. In diesen Ländern ist man sich eher über eines im Klaren, die Justiz hat in einem demokratischen Rechtsstaat eine so wichtige Funktion, dass sie nicht einfach als Haushaltssparschwein missbraucht werden darf. Das können und dürfen wir alle gemeinsam nicht stillschweigend und tatenlos hier in Thüringen hinnehmen.
Er ist zwar schon angesprochen worden, ich möchte ihn aber, Frau Walsmann, trotzdem nennen: Auch der an sich eher konservative Deutsche Richterbund bzw. seine Bundesspitze hat sich in die Auseinandersetzung schon eindeutig eingemischt und positioniert. Thüringen braucht vier Gerichtsstandorte, so der Richterbund in der Presse. Er nannte das Vorgehen der Landesregierung ein "Herumdoktern an Symptomen" und gibt weiter zu bedenken, "die Justiz ist zu wertvoll, dass an ihr gespart werden soll". Für die Fraktion der PDS ist aber ge
rade die hohe Bedeutung und die wichtige Schutzfunktion von Bürgerinnen und Bürgern und der absolute Vorrang der Bürgernähe von Verwaltungsstrukturen der Ausgangspunkt und der Maßstab für Umstrukturierungen in der Justiz. Erst wenn die Entscheidung nach den Kriterien Erhalt, Schutzfunktion und Bürgernähe getroffen ist, ist auch nach der wirtschaftlichen Variante dieser Entscheidung zu fragen. Justiz ist kein Anhängsel von Haushaltsfragen.
Meine Damen und Herren, sehr geehrter Herr Justizminister, Herr Staatssekretär, diese Justizverwaltungsreform auf der Grundlage der Aussage des Ministerpräsidenten, Schließung eines Landgerichts, einer Staatsanwaltschaft und fünf Amtsgerichten, verdient nicht einmal den Namen "Reform". Aber da befinden Sie sich in trauriger Gemeinschaft mit vielen anderen Politikern in diesem Land. Wenn Sie reformieren wollen, dann bringen Sie sich in die Diskussion um die Zweistufigkeit von Justiz auf Bundesebene ein,
dann packen Sie endlich die Frage von ministeriellem Weisungsrecht gegenüber von Staatsanwaltschaften oder die Fragen des Generalstaatsanwalts als faktisch politischer Beamter an, damit es eine eindeutige Gewaltenteilung in Thüringen gibt.
Dann werden Sie unsere Unterstützung finden. Offensichtlich nimmt die Justizreform auf Bundesebene doch schneller Gestalt an als die Antwort, Herr Staatssekretär, die Sie uns zum 01.10.2004 im Justizausschuss gegeben haben. Die sich nun abzeichnenden Strukturentscheidungen auf Bundesebene sind auch bei der Diskussion um die Zukunft des Gerichtstandorts in Thüringen zu berücksichtigen. In der "Spiegel"-Ausgabe dieser Woche ist zu lesen, dass eine Grundsatzentscheidung über die Justizstruktur auf der Justizministerkonferenz am 25. November 2004 endgültig getroffen werden soll. Wichtig ist, dass laut "Spiegel" die Justizminister der CDUregierten Länder und damit auch der Thüringer Justizminister schon die Zustimmung zu dem neuen, dem zweistufigen Instanzmodell zugesagt haben. Zukünftig wird es also als die Alleinverantwortung für die Tatsachenfeststellung ausschließlich bei Amtsgerichten bzw. Landgerichten liegen. Die Oberlandesgerichte werden dann Urteile nur noch auf Rechtsfehler überprüfen, aber z.B. keine Beweiserhebung mehr durchführen. Daher dürfen die Amtsgerichte und Landgerichte keinesfalls in ihrer Struktur, Arbeitsfähigkeit sowie personellen und sachlichen, aber auch finanziellen Ausstattung geschwächt werden. Im Gegenteil. Die Gerichte müssen im Vergleich zum OLG sogar aufgewertet werden.
Meine Damen und Herren, zusammenfassend zum Schluss: Lassen Sie mich bisher bekannt gewordene oder nicht bekannt gewordene Argumente, Gründe dahin gehend bewerten, dass sie entsprechende Aussagen des Ministerpräsidenten zu seiner Regierungserklärung in keiner Weise bisher durch irgendwelche Argumente, Tatbestände oder sonstirgendwie untermauert und bekräftigt worden sind.
Zum Schluss möchte ich wieder Betroffene zu Wort kommen lassen, da ich es auch nicht besser sagen könnte, Frau Präsidentin: "Wenn es aber die neue Struktur noch gar nicht gibt, so entbehrt die Behauptung, aus strukturellen Gründen müsse ein Landgericht geschlossen werden, offensichtlich jeglicher Grundlage. Wir müssen es so deutlich sagen: Die Festlegung auf die Schließung eines Landgerichts ist ein Schuss ins Blaue, bei dem nicht einmal die Nützlichkeit, geschweige denn die verfassungsrechtlich gebotene notwendige Darlegung dargelegt und erwiesen ist. Weniger einschneidende Alternativen wurden offenbar nicht einmal ansatzweise geprüft. Dieses Vorgehen der Landesregierung ist nicht nur aus den dargelegten Gründen verfassungswidrig, es nährt auch den üblen Verdacht eines gezielten Angriffs auf die dritte Gewalt." Petition des Vorsitzenden des Landgerichts Mühlhausen.
Herr Ministerpräsident, ich rufe Sie auf von diesem Pult, nehmen Sie die Entscheidung zurück, lassen Sie die Gerichtsstandorte erhalten, lassen Sie die Justiz da, wo sie ist, dort wird sie gebraucht. Danke.
Frau Präsidentin, meine sehr verehrten Damen und Herren, heute Morgen vor dem Thüringer Landtag: Eine Demonstration von Richtern, Staatsanwälten, Rechtsanwälten und auch Angestellten aus dem Justizbereich führt eine als Sketch getarnte fiktive Gerichtsverhandlung durch. Angeklagt ist ein gewisser Dieter A. aus Heiligenstadt wegen Wahlbetrugs in Tateinheit mit vorsätzlicher Täuschung des Wählers in mehreren Fällen.
Auf die Hinzuziehung eines Staatsanwalts wurde aus Kostengründen verzichtet, er selbst war ohne Verteidiger angereist, da die Fahrtkosten für den Anwalt aus seinem Heimatort zum Sitz des Gerichts
könnte bald traurige Realität in Thüringen werden, setzen sich die Schließungspläne des Ministerpräsidenten in angekündigter Weise durch. Ein Landgericht und eine dazugehörige Staatsanwaltschaft, das wurde schon öfter heute erwähnt, sollen geschlossen werden. Auf den ersten Blick passt eine solche Entscheidung natürlich in die Zeit. Eine angespannte Haushaltslage und die Forderung nach einem schlanken und effizienten Staat, das passt immer. Die lassen eine solche Entscheidung durchaus plausibel erscheinen, auf den ersten, auf den oberflächlichen Blick.
Ich kann Ihre Belustigung an dieser Stelle, meine Damen und Herren auf der Regierungsbank, überhaupt nicht nachvollziehen. Diese Pläne, die Sie hier verfolgen, haben eine wahrhaft historische Dimension. Noch nie, wirklich noch nie in der Geschichte der Bundesrepublik wurde ein Landgericht geschlossen. Ähnliche Vorhaben, die es ja durchaus schon einmal gegeben hat, wurden in anderen Bundesländern geprüft und mit guten Gründen wieder aufgegeben. Zu diesen guten Gründen werde ich in der Folge noch kommen.
Meine Damen und Herren, wir alle wissen und gerade wir als Abgeordnete des Thüringer Landtags wissen, die Grundlage der Demokratie ist die Gewaltenteilung. So wie wir als Abgeordnete gemäß Artikel 53 unserer Verfassung sozusagen unabhängig und unserem Gewissen verpflichtet sind, ist auch die Judikative unabhängig. Dazu ermächtigt sie Artikel 97 des Grundgesetzes. Sie ist das tragende Prinzip unseres Rechtsstaats und ihre Verankerung in diesem Grundgesetz beruht auf wirklich leidvoller historischer Erfahrungen. In dieser Unabhängigkeit, das sollte uns allen bewusst sein, sind sich Abgeordnete und Richter gleich. Deshalb, meine sehr verehrten Damen und Herren, vor allen Dingen meine sehr verehrten Kollegen der Fraktion der CDU, muss allein der Anschein der Missachtung der Unabhängigkeit unbedingt vermieden werden und wäre für sich gesehen schon allein ein Grund, diese Pläne zwischen den Aktendeckeln zu versenken.
Also müssen es doch andere, gewichtigere Gründe sein. Was kann das aber sein? Kosten, ja klar. Strukturen, natürlich auch. Aber nehmen wir diese Argu
mente mal unter die Lupe. Ich bin ganz dankbar, dass Kollege Blechschmidt vorhin schon an dieser Stelle einige sehr weit reichende Ausführungen gemacht hat. Ich denke, ich kann sie noch ergänzen. Minister Schliemann sagt, es geht gar nicht um Kosten - nachzulesen in der Presse. Gar Recht hat er! Weder die Zahl der so genannten Gerichtseingesessenen - das ist ein etwas merkwürdiger Begriff, aber das hat die Juristerei nun mal hin und wieder an sich - noch die Fallzahlen lassen den Schluss zu, die Gerichtsbarkeit in Thüringen wäre überdimensioniert. Mit ca. 500.000 bis 700.000 Gerichtseingesessenen hat Thüringen völlig gesunde und völlig tragfähige Landgerichtsbezirke oder -strukturen. Das Beispiel mit der demographischen Entwicklung wurde vorhin schon angeführt, ich will das nicht wiederholen, dass also die natürliche Fluktuation in diesem Bereich bereits ausreicht, um dieser demographischen Entwicklung Rechnung zu tragen. Das korrespondiert merkwürdigerweise auch mit den öffentlichen Aussagen des Ministers Schliemann, der ja auch gar kein Personal entlassen will. Also, natürlicher Prozess, könnte man doch dazu sagen - nachzulesen in der "Thüringer Allgemeinen" vom 26.10. dieses Jahres.
Wobei wir ganz nahtlos beim nächsten Punkt wären: den Personalkosten. Alle wissen, Richter, Staatsanwälte sind unkündbar. Alle anderen, gerade die Angestellten werden aber auch gebraucht. Was eingespart wird, ist möglicherweise das Amt eines Landgerichtspräsidenten und seines Stellvertreters. Und selbst die steigen dann in der Karriereleiter meistens dann doch noch irgendwohin, meistens nach oben. Es wird also keinesfalls billiger, sondern eher teurer. Höhere Reisekosten, höhere Trennungsgelder werden notwendig. Auch die Gerichtskostenerstattungen für die Prozesse würden in die Höhe gehen.
Meine Damen und Herren, ich habe in der letzten Zeit sehr viele Gespräche geführt mit Juristen ganz unterschiedlicher Ebenen. In allen Gesprächen hatte ich den Eindruck, die Leute sind doch dem Grunde nach gar nicht dagegen, über Veränderungen nachzudenken und über Veränderungen zu reden. Sie müssen allerdings auf der Basis nachvollziehbarer Kriterien diskutiert werden und vor allem wollen die Leute mitgenommen werden. Sie wollen sich einbringen, es geht ja letztendlich um sie selbst. Es ist die Art des Umgangs per Regierungserklärung und aus der kalten Kabinettsküche, solche weit reichenden Einschnitte, und das wurde heute berechtigterweise sehr oft betont, in einem verfassungsrechtlich selbständigen und vor allem sensiblen Bereich, das kann nicht der Weg sein, meine Damen und Herren. Ich habe den Eindruck, Herr Althaus, bei all Ihren Veränderungsvorschlägen im Verwaltungsbereich Thüringens, nicht nur im Bereich der Justiz, handeln Sie nach dem Motto: "Willst du einen Teich
trockenlegen, da brauchst du die Frösche nicht zu fragen!". So geht es nicht, meine Damen und Herren, so geht es nicht. Bleibt ein letztes Argument, woraus sich auch und vor allem der regionale Protest aus Mühlhausen und Umgebung speist, das sind die so genannten baulichen Voraussetzungen. Sie müssen sich nicht wundern angesichts der verbalen Kakophonie, die die verschiedensten Mitglieder Ihrer Regierung, Herr Althaus, einschließlich Sie selbst, veranstaltet haben, dass die Öffentlichkeit eine Präjudizierung auf den Wegfall des Standorts Mühlhausen unterstellt. Nur zwei Beispiele dafür, nur zwei von vielen. Staatssekretär Scherer auf die Frage des Abgeordneten Höhn nach der Zukunft des Projekts Justizzentrum Mühlhausen sinngemäß, nicht wörtlich: Also wenn diese schon viel zitierte Arbeitsgruppe zu der Erkenntnis gelangt, der Standort Mühlhausen bleibt, dann werden auch die Pläne für das Justizzentrum weiter verfolgt bzw. umgesetzt. Der Ministerpräsident Althaus im "Freien Wort" vom 04.11.2004 - Zitat, Frau Präsidentin: "Richtig ist, dass wir Mühlhausen nicht bauen werden, das kann man in der gegenwärtigen Finanz- und Haushaltssituation nicht verantworten."