Protokoll der Sitzung vom 13.07.2007

Meine Damen und Herren, das ist die Atmosphäre, die uns am Ende alle Opfer von Neonazismus werden lässt.

(Beifall bei der Linkspartei.PDS)

Als nächster Redner hat das Wort Abgeordneter Gentzel, SPD-Fraktion.

Frau Präsidentin, meine sehr verehrten Damen und Herren, ich will damit beginnen, den Beschluss des Bundesrates vom Oktober 2000 hier zu verlesen. Ich tue dieses, weil ich in dieser Diskussion um das NPD-Verbot immer wieder auf sehr engagierte Diskutanten treffe, aber immer wieder zur Kenntnis nehmen muss, dass sich weder mit dem Antrag noch mit dem Urteil des BVG wirklich beschäftigt wird. Ich möchte zitieren: „Der Bundesrat hat in seiner heutigen Sitzung beschlossen, beim Bundesverfassungsgericht zu beantragen, die Nationaldemokratische Partei Deutschlands für verfassungswidrig zu erklären, die Partei aufzulösen, zu verbieten Ersatzorganisationen zu schaffen oder bestehende Organisationen als Ersatzorganisationen fortzusetzen sowie das Vermögen der Partei zugunsten der Bundesrepublik Deutschland für gemeinnützige Zwecke einzuziehen.“ Der Bundesrat hat weiter formuliert: „Der Bundesrat weist darauf hin, er habe aufgrund der Erkenntnisse der Verfassungsschutzbehörden beim Bund und der Länder die Überzeugung gewonnen, dass es sich bei dieser Vereinigung um eine verfassungswidrige Partei handele. Die NPD sei eine Partei, die nach ihren Zielen und dem Verhalten ihrer Anhänger darauf ausgehe, die freiheitliche demokratische Grundordnung zu beeinträchtigen und sogar zu beseitigen. Der Bundesrat halte deshalb ein Verbot der NPD für erforderlich.“

Meine Damen und Herren, soweit so gut. Es muss doch hier in diesem Haus unstrittig sein, dass sich seit Oktober 2000 diese Situation noch weiter verschärft hat. Es bleibt zu resümieren, dieser richtige Antrag des Bundesrats - übrigens mit den Thürin

ger Stimmen, natürlich und Gott sei Dank - ist leider gescheitert, aber eben nicht in der Sache, sondern formal. Zu viele NPD-Vorstandsmitglieder vom Bund und vom Land waren gleichzeitig V-Leute des Verfassungsschutzes. Seitdem sind eben leider nur zwei Dinge passiert: Die NPD geriert sich noch aggressiver, noch militanter, sie dreht weiter an der Gewaltspirale, die Verfassungsschutzberichte nicht nur aus Thüringern dokumentieren dieses eindeutig, die Zahl der politisch motivierten Gewalttaten von Rechts steigt bedrohlich. Und Zweitens, auch das ist leider zu resümieren, das Herumeiern und das Vernebeln von Teilen der Politik ist teilweise kaum noch zu ertragen. Die neue moderne allgemeine Formel lautet: Eigentlich ist man für ein Verbot der NPD, aber man kann ja leider nichts tun. Dann kommt dieser Rattenschwanz über die bösen Bundesverfassungsrichter.

Meine Damen und Herren, ich habe es schon einmal gesagt, die Verfassungsrichter haben nicht in der Sache entschieden, sie haben nur nach dem Grundgesetz die formalen Hürden aufgezeigt und beschrieben. Ich glaube, es ist an der Zeit, gemeinsam diese Hürden wegzuräumen und ein gut vorbereitetes neues Verbotsverfahren in Angriff zu nehmen.

Deshalb, meine Damen und Herren, ist der Antrag der PDS in der Sache richtig,

(Beifall bei der Linkspartei.PDS)

aber in Umsetzung und Formulierung - behaupte ich - leider wenig hilfreich. Ich will dies auch begründen. Lassen Sie es mich so formulieren:

Ich war schon ziemlich irritiert, dass der Begriff „NPDVerbot“ nur in der Überschrift des Antrags vorkam. Ihr Antrag beschäftigt sich aus Ihrer Sicht mit Hürden, die man vorher überwinden muss. Aber wie der NPD-Verbotsantrag eingeleitet werden soll, darüber geben Sie leider keine Auskunft. Deshalb sage ich noch einmal, das Anliegen hat in meiner Fraktion volles Verständnis, aber der Antrag, so wie Sie ihn formuliert haben, geht nicht zielführend in diese Richtung.

Zweitens: Wenn wir über die Hürden sprechen und wenn wir ein NPD-Verbot wollen, müssen wir exakt mit dem umgehen, was uns die Bundesverfassungsrichter vorgeben. Kein Richter und niemand sonst hat formuliert, dass der Verfassungsschutz alle V-Leute abziehen muss. Das ist nicht Bestandteil des Urteils. Es wird explizit über die Leute in den Landesspitzen und der Bundesspitze, also in den Vorständen, gesprochen. Da müssen Sie sich schon die Frage gefallen lassen: Warum verfälschen Sie dieses Urteil in dieser Art und Weise?

(Beifall bei der CDU, SPD)

Bei aller Kritik am Verfassungsschutz geht eines nicht, dass wir nach dem 1. Mai fragen, wie waren wir vorbereitet? Wie war über den Verfassungsschutz die Lage aufgeklärt? Auf der anderen Seite nehmen wir dem Verfassungsschutz fast jede Möglichkeit aufzuklären. Das passt doch nicht zusammen.

(Beifall bei der CDU, SPD)

Ich behaupte, den Rückzug aller V-Leute aus der NPD wird Ihre konspirative Arbeit erleichtern. Das kann doch nicht das Ziel eines Antrags hier im Thüringer Landtag sein, meine sehr verehrten Damen und Herren.

Ich muss auch sagen, Ihr kruder Vorschlag einer Beobachtungsstelle - ich habe mir wirklich viel Mühe gegeben, ich weiß nicht in Ansätzen, was das soll. Sollen jetzt die Leute vom Verfassungsschutz rausgenommen werden und in die Beobachtungsstelle reingetan werden? Soll diese Beobachtungsstelle neben dem Verfassungsschutz laufen?

(Zwischenruf Abg. Fiedler, CDU: Die schaffen ihre eigene …)

Wenn wir der NPD wirklich ans Zeug wollen, und dafür bin ich, müssen wir uns doch davon lösen, dass über das Lesen ihrer Presseerklärungen, über die Informationen, die wir aus den Bündnissen bekommen, wir ein ordentliches Lagebild bekommen von dem, was in der NPD in krimineller Art und Weise gedacht und vorbereitet wird. Wir brauchen diese V-Leute. Wir brauchen den Verfassungsschutz, einen besseren Verfassungsschutz. Da müssen Sie mit mir nicht diskutieren, das ist klar. Aber so, wie Sie das in Ihrem Antrag formuliert haben - vielleicht benutzen Sie mal 10 Minuten, um darüber nachzudenken, ob das von Ihnen nach meiner Auffassung gut Gewollte, wenn es so umgesetzt wird, nicht im Endeffekt dazu führt, dass es die Arbeit der NPD hier in Thüringen erleichtert.

Meine Damen und Herren, so bleibt das Resümee: gut gewollt, schlecht gemacht. Deshalb gibt es den Alternativantrag der SPD. Er ist einfach, klar, deutlich in der Aussage und er ist ehrlich, weil er nicht suggeriert, wir könnten aus Thüringen allein heraus und sofort die NPD verbieten. Wir bekräftigen im ersten Punkt noch einmal den Beschluss des Bundesrats vom Oktober 2000. Das ist nach unserer festen Überzeugung die Voraussetzung zum Beginn eines erneuten Verbotsverfahrens.

Meine Damen und Herren, ich will das auch klar und deutlich sagen, weil ich gehört habe, es gibt Diskussionen, dass man die Punkte untereinander trennen kann. Wer feststellt, dass die NPD gegen die Verfassung gerichtet ist, muss handeln! Die Politi

ker, die der Öffentlichkeit suggerieren, dass wäre so eine Art Kür und sie könnten entscheiden nach dieser Feststellung, ob die NPD verboten werden muss oder nicht, dem widerspreche ich auf das Energischste!

(Beifall bei der SPD)

Das Grundgesetz sieht eindeutig vor, dass in solchen Fällen zu handeln ist. Es liegt nicht nach der Feststellung der Verfassungswidrigkeit im Ermessen der Politik, ein Verbotsverfahren einzuleiten. Ich bin davon überzeugt, wir müssen das Verbotsverfahren dann einleiten mit der gegebenen Sorgfalt, auch im Geleitzug der anderen Bundesländer. Wir sind in der Pflicht, dieses zu tun.

Meine Damen und Herren, ich bitte Sie auch, beim formulierten Auftrag an die Landesregierung federführend eine Rolle zu übernehmen. Da sind sicherlich der Ministerpräsident und der Innenminister gefragt, dies als einen Auftrag mit Vertrauensvorschuss zu begreifen und als nichts anderes. Wir verweisen in unserem dritten Punkt dann auf die bereits von mir beschriebenen Hürden im BVG. Wir tun das sehr bestimmt. Ich halte es auch für wichtig bei einer Einleitung in so einem Verfahren ohne Unterstellung in irgendeine Richtung. Das halte ich für ganz wichtig, denn wir wollen den Geleitzug der Demokraten, wenn wir dieses Verbotsverfahren einleiten.

Meine Damen und Herren, mit der Annahme des Alternativantrags der SPD wären wir der erste Landtag in Deutschland, der sich ohne Tricksen und Täuschen einem neuen NPD-Verbotsverfahren stellt.

(Beifall bei der SPD)

Ich bin mir sicher, andere Bundesländer werden uns folgen. Insofern appelliere ich an Sie alle, auch nach dem vorliegenden Verfassungsschutzbericht. Die Aktivitäten, die von der NPD ausgehen, sind inakzeptabel für eine Demokratie.

(Beifall bei der SPD)

Lassen Sie uns gemeinsam ein neues Verbot der NPD angehen - da gebe ich Ihnen, Herr Hahnemann, ausdrücklich recht -, nicht als Alternative, sondern als Begleitung. Wir sollten das ruhig, überlegt, zielorientiert und nicht mit Schaum vor dem Mund tun. Lassen Sie es uns einfach angehen. Ich glaube, wir haben gute Chancen. Ich danke Ihnen.

(Beifall bei der SPD)

Das Wort hat der Abgeordnete Carius, CDU-Fraktion.

Frau Präsidentin, meine sehr verehrten Damen und Herren, in der Auseinandersetzung mit Extremisten ist Klarheit und Wahrheit erforderlich. Ich finde es skandalös, Herr Dr. Hahnemann, dass Sie der Fraktion der Mitte dieses Hauses vorwerfen, dass wir die Demokratie und ihre Institutionen demolieren würden.

(Beifall bei der CDU)

Deswegen frage ich Sie hier, Sie haben vorhin einen Satz genannt: „Die NPD nutzt die soziale Krise demagogischer.“ Ich frage Sie: demagogischer als wer? Ich schaue Sie an und warte auf eine Antwort.

(Zwischenruf Abg. Becker, SPD: Das haben Sie aber schon ein paar Mal gemacht.)

(Beifall bei der CDU)

Meine Damen und Herren, wir schulden den Bürgerinnen und Bürgern Auskunft darüber, was aus welchen Gründen schädlich für die freiheitlich-demokratische Grundordnung ist. Das haben die Fraktionsvorsitzenden der Parteien in diesem Landtag in einer Erklärung zum 1. Mai 2007 anlässlich einer NPD-Demonstration in Erfurt zum Ausdruck gebracht und herausgearbeitet. Ich möchte Ihnen die Punkte in Erinnerung rufen.

1. Die NPD propagiert einen völkischen Kollektivismus und agitiert fremdenfeindlich. Das widerspricht der unantastbaren Menschenwürde als Fundamentalnorm der freiheitlich-demokratischen Grundordnung. Wir verurteilen jede Form von Rassismus und Antisemitismus und Fremdenfeindlichkeit.

2. Rechtsextremisten verfolgen das Ziel, die freiheitlich-demokratische Grundordnung zu überwinden und stellen damit die Legitimität der Staats- und Verfassungsordnung in Frage. Derartige Bestrebungen sind verfassungsfeindlich und gefährden die Grundlagen von Freiheit und Demokratie. Wir werden ihnen entschlossen entgegentreten.

3. Rechtsextremisten nutzen die Debatte um zukunftsfeste soziale Sicherungssysteme und soziale Probleme in Deutschland zur Agitation gegen die freiheitlich-demokratische Grundordnung. Das löst kein Problem, gefährdet aber die Grundlagen des friedlichen Interessenausgleichs und unseres Wohlstands. Dieser politischen Demagogie gilt unser entschiedener Widerspruch.

Meine Damen und Herren, an ihren verfassungsfeindlichen Zielsetzungen der NPD bestehen keine

ernst zu nehmenden Zweifel. Nach der für die NPD erfolgreichen Wahl in Sachsen sagte Parteichef Vogt in einem Interview, ich zitiere, Frau Präsidentin: „Es ist unser Ziel, die BRD ebenso abzuwickeln, wie das Volk vor 15 Jahren die DDR abgewickelt hat. Dies geht offensichtlich auch über die Wahlurne.“ Die Bundesrepublik wird nicht anders gesehen als die DDR bis hin in den Sprachgebrauch. Alle Parteien, außer der NPD, werden als Blockparteien bezeichnet. Das sogenannte System soll abgewickelt werden - wie die DDR. Zurzeit verfolgen sie offensichtlich die Strategie, ein breites Spektrum anzusprechen. Auf der einen Seite arbeitet sie fieberhaft daran - und nicht ganz ungeschickt - eine bürgerliche Fassade zu erhalten und auf der anderen Seite integriert sie Neonationalsozialisten und vollzieht dazu so etwas wie einen Linksschwenk. Sie stellt sogenannte antikapitalistische Positionen heraus. Diese Entwicklung ist aus unserer Sicht außerordentlich bedenklich. Alle Demokraten sollten gemeinsam daran arbeiten, dass die NPD weder in unseren Kommunalparlamenten an Boden gewinnt, noch gar in diesen Landtag einzieht.

(Beifall bei der CDU, Linkspartei.PDS)

Ich bin deswegen dankbar, dass Polizei und Justiz den rechtlichen Rahmen dafür ausschöpfen und sich viel gesellschaftliches Engagement mobilisieren lässt. Unter dem Motto „bunte Vielfalt gegen braune Einfalt“ lässt sich das in eine gute Formel fassen. Ganz neu ist diese gefährliche und sehr breit angelegte antikapitalistische Strategie der NPD nicht. Denn nicht erst rund um den Zaun von Heiligendamm haben linksextreme Autonome und sonstige Linksextremisten sowie die Neonationalsozialisten der NPD auf ein und derselben Seite die Globalisierungskritik in antikapitalistische Positionen gekleidet. Annette Ramelsberger, die 1998 den Wahlkampf der NPD in Mecklenburg-Vorpommern beobachtete, zitiert den NPD-Vorsitzenden Vogt mit dem Satz: „Wir sind keine rechte Partei, wir haben mehr mit der PDS zu tun als mit rechten Parteien. Wir wollen einen nationalen Sozialismus.“

(Zwischenruf Abg. Becker, SPD: Und die Grünen …)

Frau Becker, vielleicht hören Sie einfach mal besser zu, dann werden Ihnen auch noch einige Gedanken aufgehen. Meine Damen und Herren, Ihr ehemaliges Stadtratsmitglied, sehr geehrte Kollegen von der Linkspartei.PDS, Kai-Uwe Trinkhaus erklärte erst dieser Tage, der Weg von der Linkspartei.PDS zur NPD sei nur folgerichtig. Wörtlich: „Beide Parteien wollen einen gerechten sozialistischen Staat, deshalb gibt es viele Schnittmengen.“ Diese Selbstverortungsversuche eines SED- und PDS-Konvertiten muss man nicht unbesehen übernehmen und ich tue

es auch nicht, denn der völkische Kollektivismus der Neonazionalsozialisten ist ein starkes Argument dafür, dass es sich hier um einen Rechtsextremisten handelt und wir auch von Rechtsextremismus sprechen müssen.

Zu einfach sollte man es sich aber auch nicht machen. Es spricht manches dafür, in den Spielarten des Extremismus verfeindete Geschwister zu sehen, die mehr verbindet, als beiden vielleicht lieb ist. Insofern hat Ernst Jandl mit seinem berühmten Satz „Rechts und Links sind zum Verwechseln“, zumindest hinsichtlich der politischen Extreme nicht ganz unrecht.

(Beifall bei der CDU)

Es lohnt sich deshalb, genauer hinzuschauen, um nicht nur das zu sehen, was man sehen möchte, denn genau genommen bewegt sich die NPD hier in einer entlarvenden Nähe zur NSDAP und der Nazidiktatur. So schrieb schon Sebastian Haffner 1978 in seinen Anmerkungen zu Hitler über die Männer des 20. Juli 1944 - den konservativen Widerstand: „Diese Opposition kam von rechts. Von ihr aus gesehen, stand Hitler links. Das gibt zu denken. Hitler ist keineswegs so leicht als extrem rechts im politischen Spektrum einzuordnen, wie es viele Leute zu tun gewohnt sind“. Und etwas später: „Offensichtlich steht Hitler in der Reihe der Diktatoren des 20. Jahrhunderts irgendwo zwischen Mussolini und Stalin, und zwar bei genauerem Hinsehen näher bei Stalin als bei Mussolini. Nichts ist irreführender, als Hitler einen Faschisten zu nennen.“