Protokoll der Sitzung vom 12.11.2004

(Beifall bei der SPD)

Wer wie ich die Ergebnisse und die Ereignisse rund um Leinefelde in all ihrer Zwiespältigkeit hautnah verfolgt und auch miterlebt hat und ein NPD-Bundesvorstandsmitglied im Landkreis wohnen hat, der möchte eigentlich voller Wut und Empörung loslegen,

(Beifall bei der SPD)

Wut und Empörung über diejenigen Strippenzieher in der rechtsextremistischen Szene, die die demokratischen Kräfte versuchen zu übertölpeln, die demokratische Freiheiten nutzen, um gegen die Demokratie vorzugehen und die zunehmend mit ihren platten Parolen Anklang finden, auch in bürgerlichen Kreisen. Wut und Empörung, aber auch vor allen Dingen über diejenigen, die wegschauen und wieder einmal die Entwicklung einfach nicht wahrhaben wollen.

(Beifall bei der SPD)

Ich kann mich des Eindrucks nicht erwehren, dass die letztgenannten Tendenzen auch dem Bericht der Landesregierung zu entnehmen sind, denn auf die aktuellen Ereignisse in Leinefelde, Sachsen und Sachsen-Anhalt geht die Landesregierung in ihrem Bericht nicht ein.

Liebe Kolleginnen und Kollegen, wir standen schon einmal in neuerer Zeit vor dieser Situation. Ich habe mir von meinen Kollegen berichten lassen, wie vor dem Anschlag auf die Erfurter Synagoge immer wieder die Situation in Thüringen durch die CDU beschönigt und kleingeredet wurde. Nach dem Anschlag auf die Synagoge war dann neben großer Betroffenheit endlich Handeln angesagt, aber offenbar nur für kurze Zeit.

(Beifall bei der SPD)

Dennoch bin ich und sind wir in der Thüringer SPDLandtagsfraktion der Ansicht, dass gute Dinge entwickelt wurden, die es durchaus zu würdigen gilt. Ich nenne ausdrücklich den Auftrag der Landesregierung zur Erstellung des Thüringen-Monitors und dessen fortlaufende Fortschreibung, und ich nenne ebenso das, wie ich hörte, von dem jungen Kollegen der CDU damals eingebrachte Landesprogramm "Für Demokratie und Toleranz", da Sie damals das von uns eingebrachte Landesprogramm "Gegen Rechtsextremismus, Fremdenfeindlichkeit und Gewalt" abgelehnt haben. Das gehört als bezeichnendes Beispiel zu dem Umgang mit der Problematik selbst und dem Umgang mit Anregungen aus den Kreisen der Opposition mit zu diesem Rückblick. Herr Panse be

mängelte ja vorhin auch eine Strategie, aber der Vorschlag der Opposition ist damals auch abgelehnt worden.

(Beifall bei der SPD)

Mir liegt deshalb an dem Hinweis auf einen Teil der damaligen Entwicklung und Auseinandersetzung, weil ich unverändert hoffe, dass wir es eben nicht dabei belassen, sondern uns endlich erneut mit dieser Gefahr für unser Land konstruktiv und mit der nötigen Sensibilität befassen. Die Verfasser des ThüringenMonitors haben vor einem Jahr bei der Präsentation von "feinen Rissen" in unserer Demokratie gesprochen. Diese Feststellung erfolgte vor den Ergebnissen der Landtagswahlen in Sachsen und Brandenburg und sie erfolgte vor dem Bundesparteitag der NPD in Leinefelde.

Wir sollten uns vielleicht darin einig sein, dass die Situation bestimmt nicht besser geworden ist. Wir sollten uns davor hüten, den Fehler vor dem Anschlag auf die Erfurter Synagoge zu wiederholen und die Situation in Thüringen nicht weiter zu beschönigen. Deshalb, meine Damen und Herren, liebe Kolleginnen und Kollegen, geht es mir um eine gründliche und sachliche Auseinandersetzung. Noch will ich annehmen, dass über die Parteigrenzen hinweg alle Demokraten in diesem Haus gemeinsam gewillt sind, Rechtsextremismus und demokratiegefährdende Entwicklungen an den Wurzeln zu bekämpfen und eine gemeinsame Strategie zu entwickeln.

(Beifall bei der SPD)

Der Gradmesser für diese Bereitschaft wird eine offene und kritische Auseinandersetzung innerhalb der Ausschüsse sein und der Gradmesser wird ebenso die Auseinandersetzung um den Haushalt des Jahres 2005 sein. Wir sollten alles und wirklich alles unternehmen, um die zarten Pflänzchen einer politischen Bildungskultur inner- und außerhalb der Schulen und in der Erwachsenenbildung zu pflegen und zu hegen.

Alle uns bekannten Signale sprechen stattdessen von beabsichtigten massiven Kürzungen bis hin zum ersatzlosen Wegfall entsprechender Bildungsangebote. Wir sollten alles daran setzen, die von der Bundesregierung initiierten Projekte zu unterstützen und auch abzusichern.

(Beifall bei der SPD)

Denn es ist schade und eine Schande, dass Thüringen mittlerweile das einzige Bundesland ist, das sich nicht an der Kofinanzierung beteiligt.

Meine Damen und Herren, liebe Kolleginnen und Kollegen, um eine differenzierte sachliche und offene Auseinandersetzung zu leisten, ist eine Diskussion über den Rahmen der Plenarberatung hinaus erforderlich. Dies würde auch dem Thema gerecht, denn wir müssen diese Beratung gemeinsam mit denjenigen leisten, die seit Jahren in diesen Bereichen tätig sind: in der politischen Bildung, in den Projekten gegen Rechtsextremismus, in der Opferberatung oder in der Jugendarbeit und Jugendverbandsarbeit. Wir sollten uns die Experten dazu anhören. Deshalb gehe ich heute nicht auf all die Dinge ein, die mir sehr wohl aufgestoßen sind. Lassen Sie uns den vorliegenden Antrag unter Federführung des Bildungsausschusses und im Ausschuss für Soziales, Familie und Gesundheit beraten und lassen Sie die Fachleute dort anhören. Lassen Sie uns dort auch noch einmal über die Fragen der Evaluation in den jeweiligen Bereichen sprechen. Der Thüringen-Monitor und dessen bisherige Ergebnisse zeigen jedenfalls keinen Anlass, um die Gefährdung der Demokratie und der Grundwerte unserer Gesellschaft kleinzureden. Der Thüringen-Monitor zeigt uns aber vielleicht einen Weg, wie man mit Evaluierung besser umgehen kann, besser jedenfalls als mit den üblichen ministeriellen Hofberichterstattungen. Das Thema sollte uns wirklich brennend interessieren, und zwar bevor es hell auflodert. Deshalb, liebe Kolleginnen und Kollegen, beantragen wir die Überweisung an die genannten Ausschüssen und die Fortsetzung der Beratung. Vielen Dank für Ihre Aufmerksamkeit.

(Beifall bei der SPD)

Frau Abgeordnete, ich frage sicherheitshalber noch mal nach. Sie meinen also die Fortberatung des Berichts und die Überweisung der Punkte 2 b, 4 bis 6 an den Ausschuss?

Darf der Abgeordnete Panse Ihnen eine Frage stellen?

(Beifall bei der SPD)

Dann rufe ich als Nächsten für die CDU-Fraktion den Abgeordneten Dr. Krause auf.

Frau Präsidentin, meine Damen und Herren, die SPD fordert in den Punkten 5 und 6 ihres Antrags eine Evaluierung des Stellenwerts und der Qualität politischer Bildung innerhalb erstens der durch das Erwachsenenbildungsgesetz geförderten Träger sowie zweitens der Schulen einschließlich der Berufsschulen unter Berücksichtigung der Ergebnisse des Thüringen-Monitors. Der Minister hat dazu das Nötige ausgeführt. Der von der SPD-Fraktion geforderten detaillierten und umfassenden Bewertung politischer Bildung können wir nicht zustimmen. Evaluierungen finden in einem angemessenen Rahmen statt. Wir sehen nicht, dass wir die Intensität steigern müssten. Ich möchte das jetzt nicht eingehend erläutern, allerdings auf einige grundsätzliche Schwierigkeiten des Antrags hinweisen.

Nun wissen wir, dass politische Begriffe polemische Begriffe sind. Ich weiß nicht, ob das von Karl Schmidt oder Friedrich Engels ist, aber Frau Dr. Klaubert wird mir vielleicht dann nachhelfen. Insofern hat politische Bildung immer mit Streit, Parteilichkeit und Interessen zu tun. Deshalb ist politische Bildungsarbeit und deren Bewertung in einer pluralistischen und pluralen Gesellschaft prinzipiell nicht einfach.

Ich bin froh, dass die Schriften der Landeszentrale für politische Bildung diese Schwierigkeiten nicht ausblenden, sondern angemessen reflektieren. Die SPD verlangt nun eine Überprüfung politischer Bildung bis ins Kleinste und setzt ein werttheoretisches Extremismusparadigma voraus. Wenn die Antragsteller, was ich annehme, die aktuelle Forschung eingehend zur Kenntnis genommen haben, werden sie wissen, wie dünn das begriffliche Eis ist, auf dem sie sich bewegen. Die Extremismusvokabel ist heute weit verbreitet, aber in der wissenschaftlichen Diskussion herrscht Unklarheit über ihre Inhalte und ihre Grenzen. Die inflationäre Verwendung des Extremismusbegriffs in der Öffentlichkeit bildet vielfach einen Kontrast zu seiner mangelnden theoretischen Reflektiertheit. Erklärungsansätze und vor allem Reaktionsmuster jedoch lassen sich nur sinnvoll erörtern, vermitteln, lehren und bewerten, wenn deutlich ist, welche Einstellungen und Aktionsformen als extremistisch eingestuft werden.

Die sich zum Teil im Stillen, zum Teil immer offener artikulierende Opposition gegen die demokratischen Grundprinzipien unserer politischen Ordnung darf selbstredend nicht unbeantwortet bleiben, sonst sind wir bald eine Gesellschaft ohne Mitte. Die Zu

rückweisung muss aber staatlicherseits sehr differenziert erfolgen und ohne Hysterie. Der Politologe Klaus Lyckeby, bekanntlich nicht CDU-nah, sieht die Demokratie auch durch jene gefährdet, die sich kopflos zu ihrer Verteidigung aufschwingen. Oder die Extremismusforscher Backes und Jesse, die im Extremismus primär den Gegenpol zum demokratischen Verfassungsstaat sehen und für ein wertgebundenes Demokratiekonzept plädieren, ein Modell, das ich durchaus teile und folgend verwende. Ihnen wird in einer Argumentationsverdrehung Extremismus der Mitte unterstellt. So problematisch ist die Lage.

Nun ist die SPD traditionell eine etatistische Partei und wir haben uns an diese sozialdemokratische Begeisterung für Regelungen und Zentralen gewöhnt. Doch seltsamerweise begründet die SPD ihren Antrag einzig und allein mit dem rechtsextremistischen Gefährdungspotenzial, das der Thüringen-Monitor zweifelsfrei aufgewiesen hat. Der Rechtsextremismus soll hier in seiner Bedeutung in keiner Weise geschmälert werden, aber von einer Partei, die vom linken Rand so oft erdrückt worden ist, sollte man eigentlich mehr Rundblick und Weitsicht erwarten.

(Beifall bei der CDU)

(Zwischenruf Abg. Thierbach, PDS: Wie von Ihnen in Weimar.)

Darüber reden wir dann nachher, können Sie dann eine Frage stellen.

Der Monitor nämlich schildert das demokratiefeindliche Gefährdungspotenzial sehr vielfältig. Nur noch 33,5 Prozent sind mit der freiheitlichen Staatsform so, wie sie sie täglich erleben, zufrieden. Pluralismus und das Austragen politischer Differenzen gelten in Thüringen nicht als politische Tugend. Drei Viertel der Befragten sehen die Aufgaben der Opposition vor allem darin, dass sie die Regierung unterstützt - ein Ideal politischer Homogenität, Rechtsstaatlichkeit als Wert rangiert weit hinten. Nur etwas weniger als 40 Prozent halten sie für eine tragende Säule in der Demokratie. Jeder Vierte liebäugelt gar mit einer Rückkehr zur sozialistischen Ordnung a la DDR. Das aber scheint die Thüringer SPD nicht zu beunruhigen. Unter den rechtsextrem Eingestellten, immerhin 23 Prozent der Befragten, ist es fast jeder Zweite, der einen sozialistischen Staat wünscht.

Natürlich müssen wir Extremismus als politischen Kampfbegriff verwenden. Natürlich werden wir den Extremismus und Radikalismus im alltäglichen politischen Streit scharf zurückweisen. Aber wenn es um bildungspolitische Grundmuster geht, sollten wir vorsichtiger sein und den Staat nicht ermuntern, selber möglicherweise ideologisch zu werden. Sobald sich politische Weltbilder verfestigen und verabso

lutieren, befinden wir uns im Kontext mit der Ideologie. Gerade diejenigen unter uns, die Diktaturerfahrung haben, und ich meine natürlich nur negative, sollten jeder Tendenz entgegentreten, die einem Gesinnungsstaat, ob unbewusst oder bewusst, das Wort redet.

(Beifall bei der CDU)

Die Anerkennung zentraler demokratischer Werte und Normen, das Recht auf Selbstbestimmung des Einzelnen, der Anspruch auf gleichberechtigte Teilhabe an demokratischer Willensbildung ist die Wegscheide zwischen Demokraten und Extremisten. Dieses normative Begriffsverständnis muss allerdings vermeiden, dass in letzter Konsequenz die Zustimmung zur konkreten staatlichen Ausprägung freiheitlicher Demokratie zum entscheidenden Maßstab erhoben wird und alte Protestphänomene, die sich gegen Aspekte unserer politischen Ordnung wenden, ob von rechts oder links, generell unter Extremismusverdacht geraten. Sie sollten eigentlich jetzt applaudieren.

Die Qualität einer Demokratie zeigt sich nicht zuletzt am Umgang mit ihren Kritikern und ihren Gegnern. Sie zeigt sich an der Freiheit, die sie ermöglicht. Die freiheitliche Demokratie verfolgt gerade nicht die Herstellung von Homogenität, sondern hält im Sinne einer wertbewussten und wehrhaften Ordnung die Möglichkeit der Reintegration offen.

Ich möchte abschließend noch einen Gedanken vortragen: Von einer durchaus einflussreichen Unterscheidung etwa in System- und Antisystemparteien hebt sich die meines Erachtens sinnvolle Differenzierung in demokratische und extremistische Bewegungen dadurch ab, dass der Extremismus gerade nicht in Bezug zu der stets relativen politisch-ideologischen Systemmitte bestimmt wird, sondern durch den Grad der Gegnerschaft zur Verfassung. Die grundlegende und umkämpfte Bestimmung und Selbstbestimmung der politischen Mitte scheint also der Knackpunkt in der Auseinandersetzung mit dem Extremismus zu sein. Wer von politischer Bildung und ihrer Kontrolle redet, sollte das zumindest im Auge haben.

Eine einheitliche extremistische Ideologie existiert natürlich nicht, doch nahezu alle Varianten des Extremismus stehen mehr oder weniger deutlich in der Tradition einer Identitätstheorie. Der Grundgedanke ist eine totale Interessenübereinstimmung zwischen Regierenden und Regierten, zwischen Staat und Gesellschaft. Das Streben nach ethnischer Homogenität von rechts wie von sozialer Homogenität von links wurzelt im Ideal einer Interessenidentität. Im Unterschied dazu gibt es in der parlamentarischen Konkurrenzvorstellung keinen feststehenden homo

genen Volkswillen oder Klassenwillen, sondern zahlreiche unterschiedliche Teilinteressen innerhalb einer Gesellschaft. Das politische Dasein in einer pluralistischen und offenen Gesellschaft ist ein schwieriger Prozess. Aber mehr als die freiheitlich-demokratische Grundlage hat der neutrale Staat nicht wirklich zu lehren, zu bewerten und zu kontrollieren. Alles andere ist Inhalt des pluralistischen Streits

(Zwischenruf Abg. Taubert, SPD: Aus welcher Fachliteratur haben Sie denn das?)

im politischen Raum, der durch das Grundgesetz festgelegt ist. Da wir den Bericht des Sozialministers für plausibel halten, lehnen wir aus den genannten Gründen den durchaus gut gemeinten Antrag der SPD ab. Politische Bildung muss als Angebot zur Demokratieerziehung und Grundwertorientierung ein lebenslanger offener Lernprozess sein. Das ist zuvörderst die Aufgabe der Gesellschaft selbst und der politischen Parteien, nicht der Administration.

(Zwischenruf Abg. Matschie, SPD: Wo steht denn das?)

Und abschließend, Herr Matschie, noch ein Wort zu Ihnen. Auf den Außenbahnen des Parlaments sehe ich wenige, von denen ich mir Vorschriften machen lasse, was politische Gesinnung oder Zivilcourage betrifft. Ich habe für diesen Staat, wie er jetzt ist, zu einer Zeit gekämpft, da haben Sie noch reformkommunistische Ideen gewälzt und sind Ibrahim Böhme alias IM Dingsbums hinterhergerannt. Ich danke.

(Unruhe im Hause)

(Beifall bei der CDU)