Protokoll der Sitzung vom 24.01.2008

1. Weniger Polizei bringt niemals mehr Sicherheit. Vielleicht überprüft der eine oder andere Anhänger des Stellenabbaukonzepts der Landesregierung aufgrund der aktuellen Diskussion seine Haltung.

2. Das geltende Jugendstrafrecht reicht vollkommen aus. Wenn Sie mir nicht glauben, glauben Sie doch Ihrem Bundesinnenminister oder Ihrer Bundeskanzlerin oder Ihrer Bundesvorsitzenden. Ob es immer konsequent angewandt wird, da habe sicherlich nur ich meine Zweifel. Ich halte es durchaus diskussionswürdig, wenn der Richterbund formuliert, dass in der Praxis das Jugendstrafrecht zunehmend auch immer mehr für Erwachsene angewandt wird. Das war mal als die Ausnahme von der Regel vorgesehen. Mittlerweile ist es die Regel. Es gibt bei der Anwendung des Jugendstrafrechts durchaus Bedarf, zu diskutieren und debattieren wollen wir mit Ihnen gern darüber. Deshalb wird es eine Initiative auf Selbstbefassung der SPD zu diesem Thema, und zwar im Innenausschuss, im Justizausschuss, im Sozialausschuss und im Jugendhilfeausschuss in diesem Landtag geben.

(Zwischenruf Abg. Grüner, CDU: Gleichstellung noch.)

Wir werden uns damit beschäftigen. Wir wollen nämlich für Thüringen ein genaues Bild, was im Bereich Prävention und Repression passiert. Lassen Sie uns das ruhig, besonnen und angemessen tun, eben ganz anders als in Hessen. Ich danke Ihnen.

(Beifall DIE LINKE, SPD)

Als nächste Rednerin folgt Abgeordnete Berninger, Fraktion DIE LINKE.

Sehr geehrte Frau Präsidentin, meine sehr geehrten Damen und Herren, am 13. Januar war auf

SPIEGEL ONLINE zu lesen, ich zitiere: „Erneut will Ministerpräsident Koch mit Populismus einen Wahlsieg in Hessen erreichen. Doch 2008 ist nicht 1999. Das Thema 'Ausländer- und Jugendkriminalität' funktioniert weniger gut als die Kampagne gegen die doppelte Staatsbürgerschaft und manche Konservative rümpfen die Nase“. Nicht so jedoch die Vertreter der Thüringer Landesregierung. Nein, Justizminister Harald Schliemann war einer der Ersten, der auf den Wahlkampfkarren des Herrn Koch mit aufsprang und in dessen Horn hineinblies, und zwar ohne jede sachliche Erwägung oder ohne irgendeine Richtigstellung der populistischen und rassistischen Hetze, die der Hesse Koch da in den Raum gestellt hatte.

Meine sehr geehrten Damen und Herren, Jugendkriminalität ist kein Thema für Wahlkämpfe und kein Thema für politische Brandreden. Warum? Weil solche Schlagworte und Stimmungsmache nicht zur Beantwortung der wichtigen gesellschaftspolitischen Fragen geeignet sind, zu solchen Fragen wie der, was muss der Staat tun, damit Bürgerinnen und Bürger ohne Angst leben können oder was muss der Staat tun, was muss der Einzelne tun, damit Menschen nicht Täter werden? Wie die Debatte aktuell von Herrn Koch angeheizt und hier in Thüringen aufgegriffen wurde, entbehrt jeder realen Grundlage. Zu den Zahlen hat mein Kollege Hauboldt schon etwas gesagt.

Vor allem diejenigen Jugendlichen sind mit einem Risiko zur Gewaltanwendung behaftet, die sozial ausgegrenzt sind bzw. über nur geringwertige oder gar keine Schulabschlüsse verfügen. Es ist paradox, wenn gerade die Parteien, die für die Verdopplung der Armut in Deutschland verantwortlich sind, jetzt mit dem großen Knüppel kommen, um die Kriminalität auszumerzen. Statt Jugendliche schon präventiv ins Gefängnis schicken zu wollen, sollte man besser über die Lücken und Ausgrenzungsmechanismen in dieser Gesellschaft reden.

(Beifall DIE LINKE)

Man muss sich sachlich damit auseinandersetzen, warum Menschen Straftaten begehen. Es gibt verschiedene Ursachen, aber sicherlich sind die Gründe weder in den Genen noch in der Hautfarbe oder der Herkunft zu suchen, wie uns Rassisten und Sozialdarwinisten gern einreden wollen. Die Ursachen für Straffälligkeit sind vielfältig, auch fortwährende Diskriminierungs-, Ausgrenzungs- und Deklassierungserfahrungen können Menschen auf die schiefe Bahn führen. Wenn wir zur Frage der Straffälligkeit von Migranten kommen, so müssen wir erst einmal feststellen, dass diese Gruppe von Menschen in extremer Weise Exklusionserfahrungen macht, sei es im Bildungssystem, sei es im Alltag, sei es in

der Arbeitswelt. Wenn Sie sagen, „das stimmt nicht, Frau Berninger“, dann schauen Sie sich die PISAStudie an, meine Damen und Herren, schauen Sie in den Thüringen-Monitor mit seinen Aussagen zum Mehrheitsrassismus, schauen Sie in die Statistiken der Agentur für Arbeit oder nehmen Sie die Beispiele aus Ihrer Umgebung wahr. Da ist zum Beispiel der 20-jährige Tawtik aus Südthüringen, der einen Studienplatz in Jena hat und diesen nicht antreten darf, weil er ein Flüchtling ist und die grundrechtswidrige Residenzpflicht ihm die Zukunft verbaut. Tawtik aber wird nicht kriminell,

(Beifall DIE LINKE)

er durchschaut den Zusammenhang seines persönlichen Schicksals mit den falschen politischen Weichenstellungen einer sogenannten Integrationspolitik, die diesen Namen nicht verdient. Tawtik wird auch deshalb nicht kriminell, weil sein Elternhaus und seine schulische Laufbahn ihm den nötigen Bildungs- und Erziehungshorizont vermittelt haben und weil er versteht, wer gegen ihn entscheidet und warum gegen ihn entschieden wird.

Jugendliche aus, wie es heißt, bildungsfernen Schichten oder Jugendliche mit Migrationshintergrund, die im Bildungssystem benachteiligt sind, suchen mitunter einfache Lösungen, das stimmt. Sie suchen manchmal einen Schuldigen, einen Sündenbock, der dann Opfer ihrer Aggressionen wird. Aber Muster für gewalttätiges Handeln gibt es in unserer Gesellschaft sehr viele. Gewalt zur Durchsetzung von Interessen wird sowohl in den Ego-Shooter-Spielen als auch in der Außenpolitik propagiert; Gewalt in Familien ist Realität und nimmt zu. Das Jugendstrafrecht aber stellt den Gedanken der Erziehung in den Vordergrund und nicht den der Bestrafung und nicht den von Warnschüssen, meine Damen und Herren. Prävention und echte Integration sind wirksame Mittel zur Kriminialitätsvorsorge. Die Praxis im Thüringer Strafvollzug aber steht dem entgegen. Ergebnis einer Kleinen Anfrage im Thüringer Landtag ist, dass soziale Trainingsmaßnahmen für junge Straftäter kontinuierlich heruntergefahren werden. Täter-Opfer-Ausgleiche oder Trainingskurse werden kaum noch durch Jugendrichter verhängt. Auch der offene Vollzug wird in Thüringen nur sporadisch angewandt. Bei über 300 jugendlichen Gefangenen in Thüringen gibt es nur sechs Plätze im offenen Vollzug. Die aktuelle Debatte, wie sie von den Herren Koch und Schäuble geführt und wie sie auch von Vertretern der Landesregierung unterstützt wird, geht meilenweit am Kern des Problems vorbei. Sie soll ablenken und diejenigen als Schuldige herausstellen, die durch die gesellschaftlichen Fehlentwicklungen am krassesten aus der Bahn geworfen werden.

Meine Damen und Herren, niemand wird im Knast oder im Arrest zu einem besseren Menschen. Bessere Menschen bekommen wir nur in einer besseren Gesellschaft. Vielen Dank.

(Beifall DIE LINKE)

Das Wort hat jetzt Abgeordnete Meißner, CDUFraktion.

Sehr geehrte Frau Präsidentin, liebe Abgeordnetenkollegen, eigentlich wollte ich zu Anfang ein Dankeschön loswerden, ein Dankeschön an die Linksfraktion, dass sie die ursprünglich beantragte Aktuelle Stunde in ihrem Titel abgeändert hat. Ursprünglich sollte es heißen: „Wirksame Problemlösung statt Populismus“, wie wir jetzt lesen können, geht es nur noch um die wirksamen Problemlösungen. Ich hätte mir aber gewünscht, wenn Sie dies auch bei Ihren Pressemitteilungen und bei Ihren heutigen Redebeiträgen beherzigt hätten.

(Beifall CDU)

Die Diskussion um die Jugendkriminalität ist absolut berechtigt. Fragt man Richter oder Polizisten vor Ort, bestätigen diese durch die Bank hinweg, dass nicht die Quantität zugenommen hat, aber die Intensität der Straftaten. Deswegen ist gesetzgeberischer Handlungsbedarf gegeben und diesen haben die Bundesländer, darunter stets Thüringen, seit 2003 auch erkannt. Es gab zahlreiche Gesetzentwürfe, die ich an dieser Stelle einmal aufzählen möchte: Entwurf eines Gesetzes zur Verbesserung der Bekämpfung der Jugenddelinquenz auf Initiative der Länder Baden-Württemberg, Niedersachsen und Thüringen - abgelehnt von der damaligen rot-grünen Bundesregierung; 2004 - Gesetz zur Stärkung des Jugendstrafrechts und zur Verbesserung und Beschleunigung des Jugendstrafverfahrens auf Initiative der Länder Bayern, Hessen, Niedersachsen, Thüringen und Sachsen - gescheitert an der damaligen rot-grünen Mehrheit im Bundestag, und zuletzt im Jahr 2006 der Bundesratsentwurf eines Gesetzes zur Verbesserung der Bekämpfung der Jugenddelinquenz.

(Zwischenruf Abg. Gentzel, SPD: Und warum verabschiedet Ihr das heute nicht?)

Ich bin froh, dass diese Diskussion endlich öffentlich geführt wird und ich hoffe, dass dies endlich zu einer Aufhebung der Blockadehaltung der BundesSPD führt. Ich möchte in diesem Zusammenhang vorbildhaft ein Zitat von Ihrem damaligen Bundes

kanzler vorbringen.

(Heiterkeit SPD)

Mit Ihrem Einverständnis, Frau Präsidentin: „Verbrechensbekämpfung kann man nicht Sozialarbeitern überlassen. Wir haben lange über Ursachen von Kriminalität diskutiert und zu wenig über deren Bekämpfung.“

Die Diskussion in Thüringen sollten wir aber auf fundiertem Grundlagenwissen führen. Welche Täterstruktur, welche Strafarten und -taten, welche Strafverfahrensarten werden in Thüringen angewandt? Welche alternativen Strafen und Projekte gibt es? Wie ist die sozialpädagogische Betreuung der Straftäter in Thüringen? All dies habe ich in zwei Kleinen Anfragen formuliert und nur das kann auch Grundlage und Basis von weiterführenden Diskussionen hier in Thüringen sein.

Ich möchte aber auch an dieser Stelle wichtige und notwendige Punkte für eine bundeseinheitliche Problemlösung der Jugendkriminalität nicht unterlassen. Gemäß § 105 Jugendgerichtsgesetz ist das Erwachsenenstrafrecht bei Heranwachsenden von 18 bis 20 Jahren als Ausnahme anzuwenden. Zu oft stellen Richter diese Reifeverzögerung aber fest, so dass häufig nur noch Jugendstrafrecht angewandt wird. Hier muss Politik gesetzgeberisch handeln. Wer Auto fährt, wer wählen kann, wer sogar Bundeskanzler werden kann, der sollte sich auch wie ein Erwachsener verantworten müssen, wenn er einen am Boden Liegenden zu Tode prügelt.

(Beifall CDU)

Ich befürworte auch einen Warnschussarrest. Richtern, die bereits jetzt jugendliche Ersttäter zu einem Dauerarrest verurteilen, muss ein Werkzeug in die Hand gegeben werden. Auch Sozialpädagogen bestätigen, dass sich bei kurzen Arrestzeiten keine gewalttätige Subkultur entwickeln kann, wie es in Jugendgefängnissen der Fall ist. Alle sind sich einig - je älter und straffälliger ein Jugendlicher ist, desto schwieriger ist es, auf sein Unrechtsbewusstsein einzuwirken. Aber - ich möchte an dieser Stelle auch nicht vergessen zu sagen - ein bloßes Einsperren darf es auch nicht sein.

Darüber hinaus plädiere ich für eine gezielte diagnostische Verknüpfung und Aufarbeitung zwischen Tat und Strafe. Und genau das ist gemeint mit dem Zitat, was Sie hier vorbrachten, Herr Kollege Gentzel, von unserer Bundeskanzlerin. Es gibt einen großen gesetzlichen Spielraum, der aber kreativ und auch konsequent genutzt werden muss. Damit sich der Täter mit seiner Tat auseinandersetzt, bedarf es delikts- und täterbezogener Weisungen.

Um zum Schluss auch noch mal auf eine Straffähigkeit von unter 14-Jährigen zu kommen, möchte ich noch mal ganz klarstellen - nein, jedoch nur mit den vorhandenen Möglichkeiten. Und es gibt Möglichkeiten. Wird ein unter 14-Jähriger straffällig, müssen dessen Eltern zur Rechenschaft gezogen werden. Dazu gibt es laut BGB die Möglichkeit, das Kind mit Genehmigung des Familiengerichts in einem geschlossenen Heim unterzubringen. Natürlich ist Voraussetzung, dass die Sorgeberechtigten nicht in der Lage oder gewillt sind, die Gefahr abzuwenden. Ich danke Ihnen für Ihre Aufmerksamkeit.

(Beifall CDU)

Das Wort hat Abgeordneter Höhn, SPD-Fraktion.

Frau Präsidentin, meine sehr verehrten Damen und Herren, liebe Kolleginnen und Kollegen, lassen Sie mich erst mal zu Beginn meine doppelte Verwunderung zum Ausdruck bringen. Verwunderung Nummer 1: Herr Kollege Hauboldt, Sie haben völlig zu Recht in Ihren Ausführungen zu Beginn festgestellt, dass dieses ganze Thema einzig und allein dem Wahlkampfpopulismus eines hessischen Wahlkämpfers der CDU zu verdanken ist. Das ist vollkommen richtig, ich teile da Ihre Auffassung. Warum wir allerdings dann hier in Form einer Aktuellen Stunde genau diesem Anliegen noch Vorschub leisten müssen, diese Frage müssen Sie für sich selber beantworten. Das war meine erste Verwunderung.

Die zweite Verwunderung gilt Ihnen, verehrte Frau Kollegin Walsmann. Sie haben hier vorhin für Thüringen völlig zu Recht einige Zahlen offeriert, die durchaus das Problem in Thüringen zwar nicht harmlos erscheinen lassen, aber durchaus in einem etwas anderen Licht. Der Populismus, den Sie hier bei den Kollegen der Linkspartei nun wiederum Ihrerseits geißeln, stammt einzig und allein - was Thüringen betrifft - von unserem verehrten Herrn Minister Schliemann, dem ich natürlich von hier aus auch die besten Genesungswünsche übermitteln möchte. Aber er hat hier in diesem Land die Diskussion über dieses Thema in einer für mich - würde ich sagen - unverantwortlichen Weise angeschürt. Er war einer der Protagonisten, und zwar einer der maßgeblichen Protagonisten des sogenannten Warnschussarrests. Ich will Ihnen, wenn Sie schon nicht auf den Rat mancher Fachleute hören möchten, aus einem Interview des STERN der letzten Woche mit einem Praktiker, nämlich einem Jugendrichter aus Hamburg, zitieren. Er hat auf die Frage, „Würde der sogenannte Warnschussarrest helfen, den viele fordern?“ geantwortet: „Den brauchen wir nicht. Wer als Gewalttäter

eine Jugendstrafe auf Bewährung erhält,“ - es ging ja um die Debatte Bewährungsstrafe und Warnschussarrest, ausdrücklich hat auch Minister Schliemann darauf verwiesen - „war in der Regel vorher im Jugendarrest oder in Untersuchungshaft. Ein erneuter Arrest beeindruckt dann nicht mehr. Nach meinen Erfahrungen bewirkt man auch mit kurzen Jugendstrafen nichts. Man muss im Gefängnis an einen jungen Menschen erst einmal herankommen über den Psychologen, den Lehrer, die Sozialarbeiter. Es ist doch illusorisch zu glauben, in wenigen Wochen verändere sich irgendetwas.“ In diesem Kontext gibt es auch - ich nehme an, Sie haben das auch zur Kenntnis genommen - in Thüringen ein Beispiel eines Jugendrichters in Sondershausen, der durchaus in manchen seiner Urteile etwas andere Wege geht. Diese Leute sollten meiner Ansicht nach nicht mehr als Exoten gelten.

(Beifall SPD)

Was ich sagen will, meine Damen und Herren, und da schließe ich mich nahtlos an das an, was auch mein Kollege Gentzel hier referiert hat und auch von verschiedenen Fachleuten und den Praktikern vertretenen wird, das geltende Jugendstrafrecht reicht aus, um die Jugendlichen in die Schranken zu weisen. Wie es angewandt wird, und da nehme ich Herrn Minister Schliemann in die Pflicht, dazu können wir selbst etwas tun. Dazu gehört, um an das anzuschließen, was Kollege Gentzel sagte, auch der Abbau der Polizei. Das sind die Ersten, die damit konfrontiert werden. Es gehören ausreichend ausgestatte Staatsanwaltschaften dazu. Auch hier in Thüringen ist das weniger geworden. Es gehört eine ausreichende Anzahl von Richterinnen und Richtern dazu, die auch - wie das immer so schön propagiert wird - die Strafe auf den Fuß folgen lassen können. An dieser Stelle ist Handlungsbedarf und Gestaltungsspielraum für die Länder und den sollten sie nutzen. Frau Kollegin Meißner, bei allem Respekt, aber ich glaube, Sie haben vorhin ein klein wenig etwas verwechselt. Der Gesetzentwurf, der über den Bundesrat - unter anderem auch von Thüringen, ich glaube sogar federführend von Thüringen - eingebracht wurde, ist sowohl vom Bundesjustizministerium als auch vom Bundeskabinett, das ja bekanntlich unter der Führung von Frau Merkel steht, sozusagen zu den Akten gelegt worden. Ich finde, an der Stelle hat das Bundeskabinett recht getan. Vielen Dank.

(Beifall SPD)

Das Wort hat jetzt Staatsekretär Haußner.

Sehr geehrte Frau Präsidentin, meine Damen und Herren Abgeordneten, erlauben Sie, dass ich zu Beginn sage, dass ich mich über die Genesungsglückwünsche aller drei Fraktionen an Herrn Minister Schliemann sehr gefreut habe und dass ich ihm diese Glückwünsche gern übermitteln werde.

Zum Thema der wirksamen Problemlösungen im Bereich der Jugendkriminalität in Thüringen: Die Thüringer Landesregierung bekämpft nicht erst aufgrund der aktuellen Debatte, sondern bereits seit geraumer Zeit die Jugendkriminalität im Freistaat, und das mit Erfolg, wie auch die Statistik beweist. Die Anzahl verurteilter Jugendlicher und Heranwachsender im Freistaat ist von 2004 bis 2006 kontinuierlich zurückgegangen, bei Jugendlichen um fast 13 Prozent und bei Heranwachsenden gar um fast 17 Prozent. Ähnliche Befunde weist die polizeiliche Kriminalstatistik für den Freistaat aus. Wie Frau Abgeordnete Walsmann bereits ausgeführt hat, ist in den genannten Jahren die Anzahl tatverdächtiger Jugendlicher um knapp 21 Prozent und die Anzahl tatverdächtiger Heranwachsender um fast 9 Prozent gesunken. Im gleichen Zeitraum ist die Anzahl tatverdächtiger Jugendlicher und Heranwachsender, denen Gewaltdelikte zur Last gelegt werden, um fast 4 bzw. gut 2 Prozent zurückgegangen. Bei der Ausländerkriminalität, die im Freistaat nicht signifikant zu Buche schlägt, ist darauf hinzuweisen, dass auch die Anzahl nichtdeutscher tatverdächtiger Kinder, Jugendlicher und Heranwachsender im Zeitraum von 2004 bis 2006 gesunken ist bei den Kindern um 21 Prozent, bei den Jugendlichen um 30 Prozent und bei Heranwachsenden um 24 Prozent. Ich kann nicht erkennen, wie hier davon gesprochen werden kann, dass braunen Tendenzen Vorschub geleistet würde.

Für 2007 ist voraussichtlich mit einem leichten Anstieg bei den heranwachsenden Tatverdächtigen zu rechnen, jedoch alles auf einem sehr niedrigen Niveau. Diese erfreuliche niedrige Jugendkriminalität im Freistaat ist nicht allein auf die demographische Entwicklung im Land zurückzuführen, sondern ist vielmehr Ergebnis einer erfolgreichen ressortübergreifenden Arbeit. Die Landesregierung verfolgt dabei den Grundsatz, der hier heute schon genannt wurde, dass Prävention Vorrang hat vor Repression. Dies zeigt sich in den verschiedenen Initiativen, die die Landesregierung im Bereich der Prävention betreibt.

Ich will Ihnen einige Beispiele der Präventionsarbeit nennen: So unterstützt das Thüringer Kultusministerium in Zusammenarbeit mit der Landesstelle Gewaltprävention die Schulen im Freistaat durch zahlreiche Projektangebote wie „Faustlos“, „Streitschlichter“ oder „BUDDY“. Mit diesen Projekten wird jun

gen Menschen deutlich vor Augen geführt, dass die Austragung von Konflikten mit Gewalt in unserer Gesellschaft intolerabel ist und spürbare Konsequenzen hat. Zur Unterstützung der Thüringer Lehrerinnen und Lehrer werden daneben von der Landesstelle Gewaltprävention gemeinsam mit der Fachhochschule Erfurt Weiterbildungsstudien angeboten zu „Gewaltprävention, Konfliktbewältigung und Deeskalation in Schule und Jugendarbeit“. Ergänzend dazu verfolgt die Landesregierung mit dem ressortübergreifenden Kooperationsprojekt „Juregio“ das Ziel, Lehrer beim Umgang mit Gewalt, Drogen und Extremismus an den Schulen zu unterstützen. Bei den Thüringer Staatsanwaltschaften stehen hierzu insgesamt zehn Ansprechpartner zur Verfügung. Diese haben bereits bei zahlreichen Lehrerfortbildungsveranstaltungen zum Thema „Gewalt, Rechtsextremismus und Drogenmissbrauch an Schulen“ referiert.

Seit 1992 unterstützt das Thüringer Justizministerium den rechtskundlichen Unterricht an Thüringer Schulen. An allen Gerichten und bei allen Staatsanwaltschaften gibt es Rechtskundebeauftragte. Sie arbeiten eng mit den Pädagogen zusammen, um mit Schülern anhand von Beispielen aus der Praxis - in Gerichtsverhandlungen und im Unterricht - Rechtsfragen zu erörtern und zu vertiefen. Daraus kann und soll Vertrauen in den Rechtsstaat erwachsen, verbunden mit der Achtung der Rechte anderer, aber auch Entwicklung von Zivilcourage, um selbstbewusst für eigene Rechte, aber auch für die Rechte von Dritten einzutreten und damit Gewalttendenzen zu begegnen.

Nicht zuletzt darf ich auf eine Initiative der Thüringer Generalstaatsanwaltschaft hinweisen. Sie hat schon im Jahr 2001 unter der Adresse www.global-patchwork.de ein Projekt in das Internet eingestellt, welches sich argumentativ mit fremdenfeindlichem und rechtsextremistischem Gedankengut in einer Art und Weise auseinandersetzt, die besonders Jugendliche ansprechen soll. Dieses Projekt stellt Ansätze bereit, negativen Tendenzen wie Ausländerfeindlichkeit, Rassismus und Antisemitismus sowie Radikalismus und Gewalttätigkeit entgegenzuwirken. Kooperieren können öffentliche und private Einrichtungen, Organisationen, Schulen, Unternehmen sowie Privatpersonen.

Meine sehr geehrten Damen und Herren Abgeordneten, mit Blick auf die für 2007 eingangs erwähnte tendenzielle Entwicklung im Bereich heranwachsender Tatverdächtiger in Thüringen wird die Landesregierung für die weitere Fortentwicklung der Instrumente zur Bekämpfung der Jugenddelinquenz eintreten. Die Landesregierung ist sich der Tatsache bewusst, dass nur eine rasche und konsequente Reaktion des Staates jugendliche Straftäter die Verwerflichkeit ihres Handels einsehen und ihr Verhalten

ändern lässt. Eine Sanktion sollte daher unmittelbar und in zeitlicher Nähe zur Tat erfolgen. Das ist eine alte Wahrheit, die getrost wiederholt werden kann. Deshalb gibt es in Thüringen vielfältige Bestrebungen, das Zusammenspiel von Polizei, Staatsanwaltschaft, Jugendamt bzw. Jugendgerichtshilfe und Gericht fortzuentwickeln. An erster Stelle möchte ich in diesem Zusammenhang die jugendkriminalpräventiven Arbeitskreise in verschiedenen Landkreisen und kreisfreien Städten hervorheben, so zum Beispiel im Landkreis Saalfeld-Rudolstadt. Ihre Arbeit ist deshalb so wertvoll, weil sie einen intensiven fachlichen Erfahrungsaustausch zwischen Gericht und Staatsanwaltschaft, Polizei, Jugendamt bzw. Jugendgerichtshilfe und Schulpsychologen pflegen.