Protokoll der Sitzung vom 09.07.2008

Das Wort hat Abgeordneter Döring, SPD-Fraktion.

Frau Präsidentin, meine Damen und Herren, Schule schuldet den heutigen Kindern vor allem Erfahrung statt Belehrung, Gelegenheit zur Verantwortung statt zum bloßen Funktionieren, Zuversicht und Zweifel statt „es ist, wie es ist“, Zuwendung und Herausforderung statt Aufgehen im System, im Regelwerk, in der Statistik, ein Leben in der Polis statt Isolierung. Dieser Satz von Hartmut von Hentig macht deutlich, wer Kinder vom 1. Schuljahr an zum selbstständigen und denkenden Lernen, zur Freude am Geleisteten und so zu größerem Selbstbewusstsein führen will, muss eine zentrale Lernbedingung in den Mittelpunkt seiner Überlegungen stellen: Zum Lernen braucht man Zeit und Raum. Lernen kann nachhaltig nur gelingen, wenn es auf aktive Aneignung und auf Vielfalt der Anregungswege angelegt ist und dabei Lehrerinnen und Lehrer auf produktive Weise mit Heteronität umgehen, das heißt Unterschiedlichkeit produktiv nutzen und nicht als Zumutung verstehen. Konkret heißt das, Schulen müssen sich mit neuen kooperativen Unterrichtsformen auseinandersetzen. Im Mittelpunkt steht der praxisorientierte, forschende sowie themenorientierte Unterricht, das fächerübergreifende, projektorientierte und selbsttätige Lernen mit Förderkursen und individuellen Förderprogrammen. Zu alldem bedarf es natürlich eines rhythmisierten Tagesablaufes mit Phasen intensiven Lernens und entsprechenden Entspannungsphasen. Das heißt, es braucht Ganztagsangebote, die Schülerinnen und Schülern, Lehrerinnen und Lehrern die Möglichkeit geben, die Zeit als wertvollste Ressource in der Pädagogik sinnvoll zu nutzen, das heißt für intensive Lernphasen, aber auch für soziale Begegnungen, für Teamabsprachen, stille Gruppenarbeiten sowie für das gemeinsame Organisieren von Tagesabläufen. Dieser zeitliche Rahmen schafft die Möglichkeit, dass die Lehrenden auch tatsächlich auf die individuellen Bedürfnisse von Schülerinnen und Schülern eingehen können.

Meine Damen und Herren, es ist und bleibt Aufgabe der Bildungspolitik, dabei die Rahmenbedingungen an unseren Schulen so zu gestalten, dass pädagogisches Engagement die tragende Säule schulischer Arbeit bleibt. Gerade in Bezug auf den notwendigen Ausbau des Ganztagsschulnetzes gibt es hier in Thüringen noch enorme Reserven. Wir brauchen endlich verlässliche pädagogisch-organisatorische und personelle Rahmenbedingungen, die an den Schulen die notwendige Sicherheit schaffen. Notwendig ist es, Zeitbudgets zur Verfügung zu stellen, um eine neue Lernkultur entwickeln zu können, die die traditionelle Unterscheidung von Unterricht und Freizeit aufhebt. Das heißt natürlich auch, wir brauchen ein verlässliches und flexibles Personalzuweisungskonzept für die betreffenden Schulen. Dieses Konzept muss regional verankert sein und

natürlich auch auf die schulischen Spezifika Rücksicht nehmen können. Hiervon - das wissen wir alle - sind wir weit entfernt. Hier sind in den letzten Jahren viele Hoffnungen enttäuscht worden. Ich habe den Eindruck, diejenigen, die für die Personalbemessung verantwortlich sind, haben einen völlig überholten Bildungsbegriff, die Personalausstattung ist oft so schlecht, dass die in den Ganztagsangeboten steckenden Potenziale gerade auch im Hinblick auf Abbau von Benachteiligungen nur völlig unzureichend erschlossen werden können. Andere Bundesländer zeigen, wie es besser gehen kann. Ganztagsschulen erhalten dort Zuschläge bis zu 30 Prozent auf das Stellensoll, und dabei stehen Lehrerwochenstunden auch für die Beschäftigung von pädagogischen Fachkräften zur Verfügung. In dieser Hinsicht besteht in Thüringen noch eindeutiger Handlungsbedarf.

Meine Damen und Herren, derzeit befinden sich rund 200 Thüringer Schulen auf dem Weg zur Ganztagsschule. Daraus resultiert natürlich zwangsläufig ein höherer personeller Mehrbedarf. Auf der anderen Seite, das wissen wir ja, entsteht durch den Wechsel zur Vollzeitverbeamtung wirklich ein zusätzliches Potenzial von etwa 1.000 Lehrerstellen. Ich denke, da könnte man einen großen Teil nutzen, um die Lücke bei den Ganztagsschulen zu schließen und den Schulen, die sich im Sinne praktizierter Eigenverantwortung auf den Weg gemacht haben, endlich eine angemessene Unterstützung gewähren. Dass eine solche Vorgehensweise notwendig ist, erweist ja auch der Politikcheck Schule. Ich erinnere daran, hier wird ja der Thüringer Bildungspolitik folgender Satz ins Stammbuch geschrieben: „Das Ganztagsschulprogramm, insbesondere mit voll gebundenen Unterrichtsangeboten, ist ausbaufähig.“ Dem ist nichts hinzuzufügen.

Meine Damen und Herren, mit der Serviceagentur „Ganztätig lernen“ bieten wir ein professionelles Beratungs- und Unterstützungsnetzwerk. Die Serviceagentur berät und unterstützt Thüringer Schulen auf dem Weg zur Ganztagsschule und leistet dabei - jeder, der sich das angeschaut hat, kann das wirklich sagen - eine hervorragende Arbeit. Eine rechtlich verlässliche Verbesserung der Rahmenbedingungen soll auch die Serviceagentur erheblich besser in die Lage versetzen, Innovation anzuregen. Es geht letztlich auch darum, der Serviceagentur selbst die Zukunft zu sichern; bis Ende 2009 wird sie noch aus Bundesmitteln gefördert. Was passiert danach? Darauf hat die Landesregierung bisher keine Antwort gegeben und ich weiß gar nicht, ob dem Minister Müller überhaupt das Thema präsent ist. Deswegen kann ich hier den neuen Kultusminister nur auffordern, aktiv zu werden und die Serviceagentur auch nach 2009 abzusichern.

Meine Damen und Herren, lassen Sie mich zusammenfassend auf den Punkt bringen: Verlässliche personelle Rahmenbedingungen für Ganztagsschulen, das wäre wirklich - auch abseits inflationärer Ankündigungen, die wir von Minister Müller in letzter Zeit gehört haben - ein erster guter Schritt.

Damit komme ich zum CDU-Antrag: Meine Damen und Herren, Politik heißt sagen, was ist. Wenn ich dieser Maxime Ferdinand Lassalles an die Initiative der Mehrheitsfraktion anlege, bleibt von dem Papier nicht mehr allzu viel übrig. Dort werden zwar mit der Eigenverantwortung von Schule und der individuellen Förderung zwei wirklich wichtige bildungspolitische Themenfelder benannt und es wird auch erwähnt, dass die Landesregierung Maßnahmen einleiten soll, um die Eigenverantwortung der Schule für Inhalte und Organisation des Unterrichts sowie für den Einsatz finanzieller und personeller Ressourcen weiterzuentwickeln bzw. die personellen Ressourcen stärker zur individuellen Förderung der Schule einzusetzen, aber - und das ist das große Manko - es bleibt auch völlig unklar, was exakt mit diesem Weiterentwickeln und Stärken gemeint ist, welche konkreten Handlungsschritte zur Erreichung dieser Zielsetzung unternommen werden sollen, welche rechtlichen, materiellen und personellen Rahmenbedingungen dafür zu schaffen sind sowie in welchem konkreten Zeitraum die nötigen Vorhaben realisiert werden sollen. Es heißt lediglich an einer Stelle, die Landesregierung soll dem Landtag bis Mai 2009 berichten. Mit dem „sagen, was ist“ und mit dem präzisen Benennen eigener Vorstellungen und Zielmarken hat das nicht viel zu tun. Insofern ist die CDUVorlage reichlich kryptisch und bietet der Exekutive quasi einen Freifahrtschein ins Glück.

Mit Ihrem Antrag bitten Sie, meine Damen und Herren von der CDU, das Kultusministerium lediglich - nicht einmal zum Verb „auffordern“ haben Sie sich durchringen können -, irgendwann, irgendwas und irgendwie zugunsten der schulischen Eigenverantwortung und der individuellen Förderung zu unternehmen. Ich denke, schwammiger geht es kaum noch und so werden zwei wichtige bildungspolitische Themen einfach verspielt. Es bleibt weiterhin der Exekutive überlassen, ob, wie und wann sie hier aktiv werden will.

Meine Damen und Herren, eines hat die CDU immerhin erkannt: Es besteht tatsächlich dringender Handlungsbedarf bei beiden Themenfeldern. Im Hinblick auf die Eigenverantwortung von Schule hat das der bereits erwähnte Politikcheck Schule bestätigt. Zusammen mit Bremen und dem Saarland bildet Thüringen in dieser Studie das Schlusslicht aller Bundesländer, weil es nach Ansicht der Verfasser seine aus den PISA-Ergebnissen resultierenden bildungspolitischen Hausaufgaben noch immer nicht

gemacht hat. Dieser Auffassung ist ja meine Fraktion bereits seit längerem, und zwar, wie wir jetzt wieder einmal sehen, aus guten Gründen.

Im benannten Politikcheck Schule findet sich für Thüringen eine lange bildungspolitische Mängelliste, aus der ich nur die wichtigsten Punkte zitieren will: „Im Gegensatz zur Mehrheit der Länder ist die angestrebte Schulautomie nicht modifiziert.“ - heißt es da; und weiter: „Im Qualitätsbereich Systemmanagement hat Thüringen den Einzelschulen noch nicht die nötigen Entscheidungskompetenzen übertragen, die diesen als eigenverantwortliche operative Einheiten zufallen.“ Oder: „Schulleiter haben keine Führungsverantwortung im Sinne des Disziplinarrechts.“ und schließlich „Budgetbefugnisse zur Personalbewirtschaftung liegen nicht vor.“ Angesichts einer solchen Defizitliste verwundert die Einschätzung der Initiative Neue Soziale Marktwirtschaft nicht, dass Thüringen den allermeisten anderen Bundesländern bildungspolitisch hier hinterherhinkt und daher empfiehlt der Politikcheck Schule dem Freistaat im Hinblick auf die Eigenverantwortung von Schule, endlich für alle Schulen einen verbindlichen Fahrplan zu entwickeln. Ich weiß nicht, Kollege Emde, ob Sie diesen Politikcheck Schule ausgewertet haben. Falls ja, ist es offensichtlich nicht gründlich genug geschehen, denn sonst hätte es Ihnen ein Leichtes sein müssen, anstelle der wolkigen Formulierung Ihres Antrags dem Kultusministerium ganz konkrete Handlungsvorgaben zu machen. Die dafür notwendigen Stichworte finden Sie alle in der erwähnten Studie. Die gesetzliche Festschreibung der Eigenverantwortung sowie ihre unterschiedlichen Aspekte und damit die Verbindlichkeit für alle Schulen, Entwicklung eigener Schulprofile und Umsetzung in individuelle Schulprogramme, Einführung eines Schulbudgets und Ausweitung der Personalkompetenzen der Schulleitungen sowie verpflichtende Einführung der Evaluation schulischer Bildungsqualität, das sind die Vorhaben, die die Landregierung endlich anpacken muss. Offenbar hat sie das auch schon selbst erkannt. In der Antwort auf die Große Anfrage der CDU zu Bildungsverantwortung für Kindergärten und Schulen heißt es jedenfalls „Den Rahmen, um Eigenverantwortung in stärkerem Maße wahrzunehmen, bildet im Wesentlichen ein innovatives Schulrecht“. Und weiter: „Mit der nächsten Novellierung des Schulgesetzes ist vorgesehen, die Eigenverantwortung der Schule, die verbindliche Evaluation und die Pflicht zur Rechenschaftslegung gesetzlich zu verankern“. Auch hier hätten Sie, Kollege Emde, genügend Stoff für eine Thematik, einen wirklich angemessenen Antrag finden können. Die zitierte Antwort des Kultusministeriums ist nämlich schon über ein Jahr alt. Passiert ist seitdem aber nichts. Für mich ist das der beste Beweis, dass wir bei dieser Landesregierung mit blumigen Anträgen, wie Sie, Kollege Emde, das vorgelegt haben, hier

nicht weiterkommen. Wir brauchen ganz konkrete Handlungsanleitungen an die Exekutive, sonst geht es beim Kultusministerium bis zum Sankt Nimmerleinstag im sattsam bekannten Trott weiter.

Meine Damen und Herren, lassen Sie mich zum Schluss noch etwas zur individuellen Förderung sagen. Auch hier hat ja die CDU Handlungsbedarf erkannt, zieht jedoch keine Konsequenzen daraus. Wer individuelle Förderung ernst nimmt und sie tatsächlich realisieren will, muss dafür die nötigen personellen und materiellen Rahmenbedingungen schaffen und auch die notwendigen Unterstützungssysteme aufbauen. Er muss die Pädagogen durch entsprechende Aus-, Fort- und Weiterbildungsschwerpunkte weit mehr als bisher in die Lage versetzen, individuelles Fördern und Fordern praktizieren zu können. Er muss sich letztendlich auch von der Illusion verabschieden, dass ihn der Versuch, die Schüler nach der Klasse 4 in möglichst homogene Lerngruppen aufzuteilen, weiterbringt. Heterogenität muss endlich als Herausforderung und Chance zugleich begriffen werden. Die skandinavischen Länder machen uns das ja vor und sie zeigen uns, dass man mit heterogenen Lerngruppen bei individueller Förderung sowohl in der Leistungsspitze als auch in der Breite ein weit höheres schulisches Kompetenzniveau erreichen kann als das in Thüringen derzeit möglich ist. Wer an der Finnlandreise des Bildungsausschusses mit wachen Augen teilgenommen hat, wird mir an diesem Punkt zustimmen. Es genügt nun einmal nicht, in einem Antrag zu schreiben, das Kultusministerium solle sich mehr um individuelle Förderung bemühen. Wenn Sie das ernst meinen, Herr Emde, dann müssen Sie auch ganz konkret die zur Realisierung eines solchen Vorhabens notwendigen Parameter beschreiben, dann braucht es eben die nötigen Rahmenbedingungen, Angebote und Unterstützungssysteme sowie letztlich auch strukturelle Veränderungen. Mit dem ewigen „weiter so“ kommen wir auch an dieser Stelle wirklich nicht weiter. Es würde der Mehrheitsfraktion wirklich gut anstehen, sich endlich zu einer solchen bildungspolitischen Selbsterkenntnis durchzuringen.

Meine Damen und Herren, auch das Berichtsersuchen der LINKEN macht deutlich: Wir brauchen einen Neustart und wir brauchen ihn bei einer ganzen Reihe von Themenfeldern im Bildungsbereich. Lassen Sie mich nur kurz skizzieren, welchen bildungspolitischen Reformbedarf meine Fraktion bei diesen Themenfeldern vorrangig sieht. Neben der Stärkung des Kita-Bereichs - dazu wird Kollegin Ehrlich-Strathausen noch einiges sagen - hat für mich der Umbau des Thüringer Schulsystems zentrale Bedeutung. Die internationalen Schulleistungsuntersuchungen wie PISA und IGLU zeigen uns, dass das gegliederte Schulsystem im Freistaat mit seinem frühen Aussortieren nach Klassenstufe 4 weder

leistungsfähig genug, noch sozial gerecht ist. Das ist die Tatsache und hier müssen wir endlich etwas ändern. Wir wollen daher das gegliederte Schulwesen durch ein integratives Modell mit individueller Förderung aller Schüler ablösen und wir stehen für längeres gemeinsames Lernen bis einschließlich Klasse 8. Um das zu erreichen, wollen wir die Thüringer Gemeinschaftsschule als neue Schulart etablieren. Damit heben wir uns nicht nur von der CDU mit ihrem starren Festhalten am international als unzulänglich erwiesenen überkommenen Schulsystem ab, sondern - und das kann man bedauern oder nicht - auch von den LINKEN, denn die sind ja plötzlich nur noch für eine sechsjährige Grundschule. In dem heute zur Debatte stehenden Antrag ist vom längeren gemeinsamen Lernen, Kollegin Reimann, überhaupt keine Rede mehr. Stattdessen will DIE LINKE vom Kultusministerium lediglich etwas über Strategien zur Verbesserung der Durchlässigkeit des gegliederten Schulsystems erfahren. Für mich ist so viel Zurückhaltung unverständlich und ich hoffe nicht, dass das einen generellen bildungspolitischen Kurswechsel bedeutet.

Meine Damen und Herren, die SPD steht jedenfalls nach wie vor zur Einführung längeren gemeinsamen Lernens. Wir wissen, eine Veränderung der Schulstrukturen ist das eine, es muss sich gleichzeitig aber auch der Status der Schulen innerhalb des Bildungssystems verändern. Dauerhaft ist eine höhere schulische Bildungsqualität nämlich nur erreichbar bei größtmöglicher pädagogischer und organisatorischer Eigenverantwortung der Schulen. Das zeigen die internationalen Vergleichsstudien eindeutig, aber auch Erfahrungen anderer Bundesländer. Thüringen liegt hier noch weit zurück, das habe ich ja bereits zu Beginn meiner Ausführungen deutlich gemacht.

Meine Damen und Herren, eines muss uns allen klar sein, wenn wir das Thüringer Bildungssystem in der von mir beschriebenen Weise qualitativ verbessern wollen, hat das unweigerlich personelle und materielle Konsequenzen. Da will ich Ihnen gar nichts vormachen. Das Land wird hier Geld in die Hand nehmen müssen, aber, ich denke, solche Investitionen in Bildung sind Investitionen in die Zukunft Thüringens. Deshalb ist die SPD bereit, sie zu leisten. Mit den ständigen Mittelkürzungen bei der Bildung, wie Sie, meine Damen und Herren der CDU, das seit Jahren praktizieren, muss endlich Schluss sein. Lassen Sie mich abschließend folgendes Fazit ziehen: Ich denke, es ist deutlich geworden, dass in Thüringen dringender bildungspolitischer Handlungsbedarf besteht. Das starre Festhalten am Althergebrachten, Unzulänglichen und Unterdurchschnittlichen hilft uns nicht weiter, es führt über kurz oder lang nur in die bildungspolitische Sackgasse. Mit dieser Landesregierung wird es aber keinen Auf

bruch in der Bildung geben. Da mache ich mir wirklich keine Illusionen. Die CDU ist verbraucht, ideen- und konzeptionslos und da ändert auch ein anwesender oder nicht anwesender Bernward Müller nichts.

(Beifall SPD)

Das Wort hat jetzt Abgeordnete Reimann, Fraktion DIE LINKE.

Verehrte Frau Präsidentin, meine Damen und Herren Abgeordneten, heute ist Tag der Zeugnisausgabe. Ich gebe zu, unter uns sind nicht mehr so viele, die das mit ihren eigenen Kindern erleben können, ich selber auch nicht - die sind erwachsen.

(Unruhe CDU, DIE LINKE)

Das ist eigentlich ein guter Tag, um vier Punkte zur Bildungspolitik zu debattieren, noch dazu zu einer Zeit, wo sogar einige Journalisten auf den Bänken noch da sind und, wie ich weiß, am Internet auch verfolgt wird, was eigentlich unser neuer Kultusminister dazu zu sagen hat. Aber was macht der neue Kultusminister, der seit über einer halben Stunde hier zuhören könnte und es nicht tut? Er ist nicht da. Er springt mit einer Gitarre durchs Haus und beglückt wahrscheinlich gerade Kinder. Deswegen haben wir gestern nicht übertrieben. Ich werde immer wieder nach dem neuen Kultusminister gefragt, wie ich seine Arbeit bewerten würde. Gestern stand es in der Zeitung: „Er gratuliert, eröffnet und empfängt. DIE LINKE: Neuer Kultusminister setzt inhaltlich keine Akzente.“

(Beifall DIE LINKE)

Auf der ganzen rechten Seite sitzt keiner von der Regierung. Aber ich behaupte ja sowieso immer, dass

(Zwischenruf Lieberknecht, Ministerin für Soziales, Familie und Gesundheit: Doch, doch, wir sind da.)

- ja, ja genau, die Frauen, Frauenpower - die Bildungspolitik in unserem Freistaat die Finanzministerin macht und das ist heute wieder die Bestätigung dafür.

(Zwischenruf Diezel, Finanzministerin: Und die ist nicht schlecht, die Bildungs- politik.)

Ich habe erkannt, dass der neue Kultusminister eben nur dazu da ist, um diese Dinge zu tun und kluge Reden zu halten. Ein wirklicher Kurswechsel ist von ihm nicht zu erwarten; im Übrigen, Herr Döring - ich möchte Ihnen das gleich, damit ich es nicht vergesse, zurückgeben -, von der SPD auch nicht. In Ihrem neuen, großen, bunten Propagandaheft steht nur drin, was schon jetzt nach dem Schulgesetz möglich ist. Sie werden ab nächstem Jahr in einer großen Koalition auch nicht viel ändern. Das sieht man ja an Sachsen.

(Zwischenruf Abg. Emde, CDU: Wozu auch?)

(Beifall DIE LINKE)

Also, kommen wir wieder zurück zu unseren vier Anträgen - drei davon debattieren wir jetzt in dieser Tagesordnung gemeinsam. Alle drei Fraktionen erkennen offensichtlich Reserven für die Verbesserung von Bildung in Thüringen. Deswegen haben alle drei Fraktionen jeweils einen Antrag geschrieben. Sie haben Ideen in diese Anträge gegossen, um darüber hier zu debattieren, leider ohne den Kultusminister. Aber wenn nur ein Viertel der CDU-Fraktion hier drin sitzt, würde ich dies als Minister auch nicht so ernst nehmen.

(Beilfall DIE LINKE)

Hintergrund ist sicherlich die Finnlandfahrt unseres Bildungsausschusses, wo wir alle mit neuen Ideen wiedergekommen sind und auch gesehen haben, was in der Realität zu verwirklichen ist. Natürlich ist Hintergrund auch die Personalsituation derzeit in Thüringen. Wir haben die Situation, dass wir kurz vor den Wahlen natürlich wahrscheinlich auch so reagiert hätten. Man will sich nicht schon wieder ein Gerichtsurteil um die Ohren schlagen lassen, deswegen zieht man die Revision zurück und verteilt Wohltaten an die Beamten erst mal - hoffentlich nicht nur. Wir haben über 8.400 verbeamtete Lehrerinnen und Lehrer, die um einen höheren Beschäftigungsumfang gebeten haben, so dass wir 1.160 zusätzliche Stellen vermelden können oder müssen. Das wiederum schafft ein neues Konfliktpotenzial. Meine Kollegin Dr. Klaubert hat schon darauf hingewiesen, wir haben jetzt eine Zweiklassengesellschaft in den Lehrerzimmern, nämlich die, die mehr arbeiten dürfen, und die anderen 5.600 Angestellten, die aus solidarischen Gründen - ich gehöre übrigens selbst dazu - damals den Floatingvertrag unterschrieben haben. Diese haben also keinerlei Chancen mitzudenken oder mitzuarbeiten, und wenn sie Pech haben an der Schule, werden sie auch noch an die andere Schule abgeordnet, weil vielleicht woanders gerade der Bedarf eben da wäre für sie. Und weil ja die Beamten jetzt voll arbeiten, ist dann der eine oder

der andere zu viel. Mich erreichen eine ganze Menge Mails mit Unmut über diese Situation. Deswegen ist es gut so, dass wir heute am Schuljahrsende darüber reden. Möglicherweise lässt sich ja das eine oder andere zu Beginn des neuen Schuljahres an Konfliktpotenzial noch abschaffen.

(Beifall DIE LINKE)

Ich erinnere auch noch mal an die Demonstration vorigen Freitag hier vor dem Landtag. Der Kultusminister verkündet 35 Neueinstellungen. Das ist diese Art Schaufensterpolitik, die die Leute draußen einfach satt haben.

(Beifall DIE LINKE)

Im vergangenen Jahr hatten wir 560 Neueinstellungen, die auch bloß keine waren, weil es ein Ersatz für Menschen war, die in Altersruhe gegangen sind oder ihre Rente erreicht haben. Es waren also erstens keine zusätzlichen Stellen und dann eben nur befristet. Befristet in einem Bereich, wo wir genau wissen, dass das pädagogischer Unsinn ist. Die Frau Thar vorigen Freitag war eine davon. Nach zwei Jahren ist eben Schluss, egal, ob man eine gute Lehrerin ist oder nicht, es ist eben Schluss, aber man kann verkünden - und das gehört zu dieser Art Schaufensterpolitik, die der neue Minister in der Hand gehabt hätte, sich zu trennen - 35 Neueinstellungen. Darunter sind übrigens 15 Absolventen - für diese fünf verschiedenen Schularten jeweils drei. Die Besten eines jeden Jahrgangs dürfen aus dem Referendariat übernommen werden.

Bitte, denken Sie mal an Ihre eigene Studienzeit als junger Mensch. Sie sind der Beste des Jahrgangs und kriegen ein Angebot - mir ist es zu laut auf der linken Seite, dürfte ich darum bitten, also es stört mich einfach.

Sie reden einfach weiter und ich kläre das.

Sie müssen sich einfach vorstellen, Sie gehören zu den Besten eines Jahrgangs, und dann kriegen Sie das Angebot, für zwei Jahre befristet in Thüringen arbeiten zu können. Dann haben Sie vielleicht einen Freund, der hier keine Arbeit hat, und dann haben Sie das Angebot von Hessen, mit einer A-13Verbeamtung sofort anzufangen. Dann sind Sie weg, weil Sie das gar nicht nötig haben, als Beststudent unbedingt hier in Thüringen bleiben zu müssen. Es verlieren nicht diese Absolventen oder diese nicht übernommenen Referendare, da verliert Thüringen.

(Beifall DIE LINKE)

Irgendwann kommen die nämlich alle nicht zurück und wenn jemand zurückkommt, dann kommen nicht die Besten zurück, weil die dort zurechtkommen, sondern da kommen vielleicht ganz andere zurück, die wir gar nicht wollen. Wenn wir wirklich der Abwanderung irgendwo in dem Bereich, wo wir selbst eine Chance haben, einen Riegel vorschieben wollen, dann sollten wir das tun. Ich habe es vorhin schon gesagt: Erstens aus pädagogischen Gründen, es bringt einfach keine Punkte, eine 1. und eine 2. Klasse zu führen und hinterher zu sagen, jetzt sehen wir mal, wer die 3. und 4. Klasse unterrichtet. Vielleicht ist gerade eine Kollegin schwanger, dann hat sie ja die Chance auf eine befristete Teilzeit für ein weiteres Jahr. Was ist denn das für ein bildungspolitischer Unsinn? Das kann man doch so nicht stehen lassen und dann noch nach außen verkünden, wir haben 35 Neueinstellungen. Wie gesagt, wir haben 1.160 zusätzliche Stellen. Voriges Jahr hatte Thüringen aber 560 neu eingestellt, also ist es nur noch die Hälfte. So viel mehr ist es also gar nicht. So muss doch der politische Weg dafür freigemacht werden, wirklich über Qualitätsverbesserungen nachzudenken. Ich unterstelle es allen drei Fraktionen, dass wir das hier wirklich wollen, aber der Kultusminister zeigt seine Abwesenheit und seine Nichtanteilnahme an dem, was wir hier denken, ganz deutlich.

Zu den Angestellten noch ein Wort. Wie gesagt, wir haben 5.600 Angestellte, der Altersdurchschnitt insgesamt, das ist schon genannt worden, ist über 50 Jahre. Ich erinnere nur daran, in den Berufsschulen haben wir schon ganz viele unterschiedliche Modelle. Die Fachpraxislehrer sind zumeist angestellte Lehrer. Ich bin gespannt, der Berufsschullehrerverband wird sich hoffentlich lautstark in diese Debatte einmischen, wie das Problem gelöst werden soll, wenn dann diese angestellten Lehrer nicht die Chance haben, die Mehrarbeit zu leisten, die sie in den vergangenen Jahren mehr leisten mussten, weil sie dazu die notwendige Ausbildung haben. Unsere Forderungen konnten Sie ja nun in der Zeitung lesen, das heißt 200 unbefristete tatsächliche Neueinstellungen, und weil wir eben nicht auf Wolkenkuckucksheim leben, sagen wir, okay 80 Prozent bis 2012. Übrigens fordern wir dasselbe für die angestellten Lehrer, ähnlich wie die GEW dies fordert, und wir brauchen dieses Zeichen für die jungen gut ausgebildeten Thüringerinnen und Thüringer. Ich kann mir vorstellen, dass 100 oder 200 Euro weniger sie vielleicht nicht so schockt, oder das, was in Hessen mehr geboten wird, wenn sie wüssten, sie kriegen ab 2012 eine volle Stelle. Wichtig ist die Nichtbefristung dieser Arbeitsverhältnisse, die neu begründet werden.

(Beifall DIE LINKE)

Nur dann ist es ehrlich gemeinte Politik, und der Minister hätte die Chance, dies zu tun.

Wenn man sich über Qualitätsverbesserung in den Schulen jetzt Gedanken machen will und sagt, wir haben zusätzliche Stellen und da schauen wir mal, was wir denn Sinnvolles damit machen; dazu hat die SPD einen Antrag geschrieben, den Ganztagsschulunterricht in Thüringen weiter auszubauen. Dem stimmen wir natürlich uneingeschränkt zu. Ich wundere mich nur, wie man zu diesen verschiedenen Zahlen kommt. Also im SPD-Antrag wird von 200 Schulen gesprochen, die gebunden oder teilweise gebunden sich auf den Weg gemacht haben. Der Kultusminister spricht in seiner Presseerklärung davon, 694 Schulen seien Ganztagsschulen. Das ist mehr als dreimal so viel. Ich würde gern vom Minister wissen, wie er diese Zahl ermittelt hat - wieder getrickst, gemogelt und schöngefärbt, anders kann ich diese Pressemitteilung nicht nennen. Zählen Sie eigentlich all diese Regelschulen mit, die mit den Mitteln der Schuljugendarbeit Nachmittagsangebote begonnen haben, und, da die Mittel der Schuljugendarbeit nicht mehr so üppig fließen, jetzt ehrenamtlich fortgesetzt werden? Wäre es nicht notwendig, eigenverantwortliche Schule wirklich ernst zu nehmen und zu erfassen, was es denn tatsächlich für einen Bedarf für die Ganztagsschulen gibt? Also seriöse Wissenschaftler sprechen davon, dass man 30 Prozent mehr Personal braucht. Wir hätten es jetzt in der Hand, man könnte Zielvereinbarungen treffen. Deswegen stimmen wir natürlich diesem Antrag zu.

(Beifall SPD)

Und zum CDU-Antrag, Stärkung der Eigenverantwortung und Verstärkung der individuellen Förderung, da kann ich nur meinem Vorredner von der SPD-Fraktion zustimmen, darin sind eine ganze Menge schöner Sprechblasen enthalten. Der Bericht soll ja auch erst im Mai 2009 gegeben werden, wahrscheinlich dann als Wahlkampfbericht. Ich kann nur sagen, an den Fakten müssen wir Sie messen, Herr Minister, ich hoffe, es wird Ihnen übermittelt, und Fakten sind die Dinge, die im Gesetz oder von uns auch gemeinsam von allen Fraktionen getragen werden. Das sind die Dinge voranzubringen: veränderte Schuleingangsphase, rhythmisierte Ganztagsschulangebote, vielleicht Präsenzzeiten zu vereinbaren, gemeinsamen Unterricht ernst zu nehmen. Dafür brauchen wir das Zwei-Pädagogen-System eigentlich, das Abschaffen des Sitzenbleibens beispielsweise. Dafür allein stellt Nordrhein-Westfalen derzeit 100 neue Lehrer ein, um bis 2012 die Sitzenbleiberquote zu halbieren. Wissen Sie, was man mit 1.000 Lehrern machen könnte? Thüringen könnte