Meine Damen und Herren, es braucht nicht viel Fantasie, um die möglichen Folgen der Umsetzung einer solchen Richtlinie abzuschätzen. Es ist absehbar, dass es ein relativ rasches Sozial-, Steuerund Qualitätsdumping geben kann, und zwar ebenso ein breiter Outcourcing- oder Betriebsverlagerungsprozess, man kann sogar sagen Wettlauf. Die Zentrale ab ins Niedrigsteuerland, der arbeitsintensive Dienstleistungsunternehmensteil ins Niedriglohnland und mit den geringsten Sozialabgaben, die Informations- und Werbeabteilung ins Land mit den schwächsten Verbraucherinformationen und
Der Druck, meine Damen und Herren, in Richtung einer Harmonisierung auf niedrigstem Niveau wird immer stärker und so ein Tohuwabohu könnte sich eine Europäische Union, die sich doch wohl in Lissabon das Ziel gesetzt hat, Herr Minister hat es erwähnt, der wettbewerbsfähigste und dynamischste wissensbasierte Wirtschaftsraum der Welt werden zu wollen, nicht auf Dauer leisten. Der Abbau der Bürokratie und Belastung durch Nichtbeachtung staatlichen Rechts für die Dienstleistungerbringer würden erkauft durch - und man höre - eine weit gehende Marktintransparenz und zusätzliche Belastungen durch vervielfachte Rechtsberatungen und Informationen und vor allem - und das in der Anfangszeit, man spricht da von etwa einem Jahrzehnt - bei der Umsetzung der Richtlinie eine weit verbreitete Rechtsunsicherheit. Da solche Kosten weit gehend unabhängig von der Größe des Unternehmens entstehen, würden die kleinen und mittleren Unternehmen, vor allem, wie sie auch hier in unserem Land Thüringen vorherrschend sind, besonders stark belastet.
Meine Damen und Herren, mit dieser Dienstleistungsrichtlinie attackiert die Kommission offen die soziale Dimension im EG-Vertrag und die noch weiter gehenden Vorschriften in der künftigen EU-Verfassung. Schon im EU-Vertrag war nicht nur der einheitliche Binnenmarkt ein Ziel, sondern auch ein hohes Niveau an Beschäftigung, sozialem Schutz, Umweltqualität, sowie die Hebung von Lebensstandards. Während in dem weiter gehenden Vorschlag der künftigen Verfassung Vollbeschäftigung und sozialer Fortschritt, Förderung von sozialer Gerechtigkeit und sozialem Schutz verlangt wird, wird die Richtlinie allein auf ökonomische Ziele - besser gesagt, einzelunternehmerische Erfolgskriterien wie Wettbewerb, Kostensenkung und Gewinnmaximierung - ausgerichtet.
Mit diesem vorgeschlagenen Entwurf versucht die Kommission unter Berufung auf die Dienstleistungsfreiheit den grundlegenden Gleichheitsbehandlungsgrundsatz des Artikel 50 des EG-Vertrages schlicht auszuhebeln. Dort ist nämlich verbindlich festgelegt, dass die Person, die ihre Dienstleistung zeitweilig in einem anderen Staat erbringt, dies unter den selben Bedingungen tun muss, die der betreffende Staat seinen eigenen Staatsangehörigen auferlegt.
Diese Richtlinie, meine Damen und Herren, übergeht bewusst den Vertrag und die Verfassungen der Mitgliedstaaten. Damit ist absehbar, wenn an einem Ort in einem Betrieb nach dem Recht des Herkunftsstaats verschiedene Löhne und Abgaben gezahlt werden und verschiedene Arbeitsrechte
gelten, dann ist eine allgemeine Senkung der realen Masseneinkommen bzw. ein Einfrieren der Nominallöhne sehr, sehr wahrscheinlich.
Meine Damen und Herren, aus diesen wenigen grundlegenden Argumenten wird klar, dass diese EU-Richtlinie nicht allein durch das Herausnehmen wichtiger Dienstleistungsbereiche akzeptabel wird, sondern nur - ich sage das in aller Deutlichkeit - durch ein Zurückziehen und eine grundlegende Überarbeitung, die sie sozial vom Kopf auf die Füße stellt, ihre Annahme überhaupt erst möglich macht. Die EU-Kommission darf an dieser Stelle nicht mehr allein mit dem Ministerrat hinter verschlossenen Türen über diese Richtlinie verhandeln, sie muss öffentlich diskutiert und mit den Betroffenen beraten werden.
Meine Damen und Herren, welche Maßnahmen und Änderungen sind nach unserer Auffassung denn nun im Konkreten notwendig? Zum Ersten möchte ich einfordern, fundierte Folgeabschätzungen dieser Richtlinie, die bisher vollständig fehlen, müssen in Auftrag gegeben werden, für die einzelnen Dienstleistungsbranchen, die Auswirkung auf die Arbeitsmärkte etc. Weiterhin - Herr Minister hat es vorhin angeführt, das ist auch Beschlusslage im Bundesrat - die grundsätzliche Herausnahme der Bereiche der Daseinsvorsorge, zum Beispiel Gesundheit, Bildung, Wasser/Abwasser, Abfall und öffentlicher Personennahverkehr. Ebenso sollte als weiterer Punkt, solange keine Harmonisierung der Besteuerung in der Europäischen Union eingeleitet ist, die EU-Kommission keine Regelungsmöglichkeit bei Steuern erhalten. Und Letztens: Das Herkunftslandprinzip in der von der EU-Richtlinie vorgeschlagenen Form ist unter anderem deshalb nicht akzeptabel - und ich muss mich an dieser Stelle wiederholen -, weil 25 parallel gültige Rechtssysteme in 20 Sprachen in einem Land zu einer weit gehenden Intransparenz und Rechtsunsicherheit führen. Die Verlagerung der öffentlichen Kontrolle von Recht und Gesetz ist nicht hinnehmbar.
Meine Damen und Herren, die unveränderte Anwendung der Richtlinie und besonders die Dominanz des Herkunftslandprinzips würde nach meiner Auffassung zu einem Experiment führen, das auf die Dauer von sicher mehr als einem Jahrzehnt wichtige wirtschafts- und wachstumsrechtliche Regelungen, fehlende öffentliche Kontrolle zur Verhinderung von unfairem Wettbewerb und einer weit verbreiteten Rechtsunsicherheit aussetzen würde. Große international agierende Unternehmen mit Wissensvorsprüngen und auch Rückgriffsmöglichkeiten auf kostspielige Beratung hätten dabei deutlich mehr Chancen, kleine und mittlere Unternehmen müssten als Folge mit größerer Konkurrenz und Wettbewerbsnachteilen kämpfen. Europa würde dadurch weder produktiver und innovativer oder vielleicht auch mehr
wachsen oder auch mehr Arbeitsplätze schaffen. Ich finde, auf ein solches Experiment sollte Europa verzichten. Deshalb, meine Damen und Herren, wird die SPD-Fraktion den Antrag der PDS unterstützen. Das heißt, in dieser vorliegenden Form lehnen wir diese Richtlinie ab. Das bedeutet allerdings nicht, dass bei entsprechenden Änderungen im Sinne der von mir vorgebrachten Punkte eine erneute Befassung und gegebenenfalls Zustimmung möglich ist. Danke schön, meine Damen und Herren.
Sehr geehrte Frau Präsidentin, meine Damen und Herren. Zu Beginn der Ausführungen möchte ich vielleicht zu allererst auf die bisherigen Beiträge eingehen. Zur PDS meine ich, es ist schon verwunderlich, dass man eine solche Beschlussvorlage hier einbringt und sich dann dazu nicht äußert, zumal die Materie nicht ohne Erklärung sein kann.
Herr Ramelow, Sie haben keine Begründung zum Antrag abgegeben, ob Sie das nun wahrhaben wollen oder nicht. Eine Erklärung wäre schon einmal notwendig gewesen.
(Zwischenruf Abg. Ramelow, PDS: Die Redeanmeldung liegt vor und wird von der Präsidentin aufgerufen und nicht von mir.)
Zweiter Punkt: Herr Höhn, ob man an der Personalie des Herrn Bolkestein festmachen kann, in welcher Art und Weise die Europäische Kommission eine Richtlinie erarbeitet, das halte ich für sehr fragwürdig.
Das, was Sie gesagt haben, zur einmütigen Ablehnung aller Verbände, ist schlicht und ergreifend falsch.
Im Europäischen Parlament gibt es eine große Diskussion zu diesem Punkt. Damit befasst ist federführend der Ausschuss - Moment, ich schaue nach -,
ja, für Recht und für Binnenmarkt und es ist mitberatend der Sozialausschuss. Außerdem hat sich geäußert, das will ich an der Stelle schon mal sagen, vorgestern in der Fachkommission Wirtschaft und Soziales im Ausschuss der Regionen die Vorsitzende des Ausschusses für Wirtschaft und Währung. Sie hat deutlich Folgendes gesagt: Es gibt unterschiedliche Meinungen innerhalb des Europäischen Parlaments. Zum einen gibt es Leute, die dies ablehnen. Das ist durchaus da. Zum Zweiten gibt es eine Anzahl von Mitgliedern, die mit dem Herkunftslandprinzip einige Probleme haben. Das ist auch klar. Aber es gibt genauso gut Mitglieder im Europäischen Parlament, die der Richtlinie uneingeschränkt zustimmen wollen. Sagen Sie also bitte nicht, es sei so ein eindeutiges Bild vorhanden, dass man das Ganze so nicht will. Das Ziel der Richtlinie - und da haben Sie ein Horrorszenario aufgebaut, das will ich deutlich sagen - ist, Regelungsbedarf dort noch einzuführen, wo bisher keine Regelungen vorhanden sind. Es ist nicht das Ziel der Richtlinie, dass bestehende Regelungen überhaupt abgeschafft werden sollen. Insofern ist die Begründung in dem Antrag falsch, dass 70 Prozent der Bruttoinlandsproduktanteile von dieser Regelung direkt betroffen wären. Abgezogen werden müssen davon die Bereiche, die durch andere Regelungen bereits betroffen sind.
Sie sagten etwas von 50 Prozent. In der Antragsbegründung steht 70 Prozent sind betroffen und deshalb sei es abzulehnen.
Im Übrigen: Die Arbeitnehmerentsenderichtlinie wird mit der Regelung Dienstleistungsrichtlinie nicht außer Kraft gesetzt. Das sind die größten Bedenken auf Arbeitnehmerseite, die dort überhaupt geäußert worden sind.
Nein, das ist doch gar nicht raus, Sie postulieren das doch. Die Diskussion ist im Gang und man wird am Ende erst sehen, wie das ganze Verfahren läuft. Falls es vielleicht einige der hier Anwesenden nicht so ganz wissen: Die Kommission hat einen Richtlinienvorschlag erarbeitet und hat das Europäische Parlament, die genannten Ausschüsse - den Ausschuss der Regionen, in dem ich Mitglied bin, und den Wirtschafts- und Sozialausschuss, der eine ähnliche Funktion wie der Ausschuss der Regionen hat um Stellungnahmen gebeten. Das Sekretariat des AdR hat den Ausschuss für Wirtschaft und So
ziales beauftragt, die Stellungnahme gegenüber der Kommission abzugeben und ich hatte das große Glück, diese Stellungnahme für den Ausschuss der Regionen gegenüber der Kommission formulieren zu dürfen.
Die ist dort dargestellt, sicherlich in dem... Das ist der Standpunkt, der in Brüssel dargestellt worden ist von meiner Seite gegenüber der Kommission in der Richtlinie. Daraus folgt, es gibt nachfolgend eine Überarbeitung der Richtlinie und erst dann kommt es zu einer neuen Vorlage für Rat und Europäisches Parlament. Die Seite, die die Bundesregierung betrifft über den Bundesrat und somit auch die Landesregierungen, das hat Minister Reinholz schon dargelegt, welche Dinge es gegeben hat. Der Bundesrat, und dort sind wir vertreten, hat mehrfach zu diesen Problematiken getagt und die Standpunkte sind hier gesagt worden.
Zunächst einmal zu Inhalten und Zeitabläufen: Der Europäische Rat hat im Jahr 2000 auf seiner Sitzung in Lissabon einen tief greifenden Wirtschaftsreformprozess eingeleitet. Die Europäische Union soll bis zum Jahr 2010 zum wirtschaftsfähigsten und dynamischsten wissensbasierten Wirtschaftsraum der Welt werden. Dazu gehört auch die Vollendung des Binnenmarktes für Dienstleistungen. Die Richtlinie und diese Stellungnahme, die der AdR abgegeben hat und die ich hier noch einmal vertreten will, sind auch zu sehen unter Beachtung der im Dezember 2000 von der Kommission vorgelegten Binnenmarktstrategie, der Stellungnahme des Ausschusses der Regionen dazu vom Juni 2001 und dem Bericht der Kommission zum Stand des Binnenmarktes für Dienstleistungen im Rahmen der ersten Stufe der Binnenmarktstrategie. In den Mitgliedstaaten erzeugt der Dienstleistungssektor, wie heute schon mehrfach gesagt, fast 70 Prozent des Bruttosozialprodukts und der Beschäftigung. Bisher konnte dieses beachtliche Potenzial für Beschäftigung und Wachstum nicht ausreichend ausgeschöpft werden. Deshalb ist es Ziel der Richtlinie, den Binnenmarkt für Dienstleistungen zu vollenden und noch bestehende Hemmnisse abzubauen.
Wie soll nun der Binnenmarkt für Dienstleistungen verwirklicht werden? Es gibt eine Vielzahl von betroffenen Bereichen, die von diesem Richtlinienvorschlag erfasst werden. Aus diesem Grund hat die Kommission einen horizontalen Ansatz gewählt, dadurch wird ein Höchstmaß an Übersichtlichkeit und Transparenz gewährleistet. Das wesentliche Element dieses Ansatzes ist das Herkunftslandprinzip. Es sieht vor, dass Dienstleister einzig den Rechtsvorschriften des Landes unterliegen, in dem sie niedergelassen sind. Dieses Prinzip gilt für die Aufnahme, für die Ausübung, die Qualität und den Inhalt der Dienstleistung genauso wie für die aus der Dienstleistung resultierende Haftung des Dienstleistungserbringers. Obwohl eine ganze Reihe von sektorspezifischen Regelungen vorhanden ist, sieht die Richtlinie selbst - die von der Kommission vorgelegte Richtlinie - auch noch Ausnahmen vom Herkunftslandprinzip vor. Wir müssen uns jedoch darüber im Klaren sein, dass eine grundsätzliche Aufhebung des Herkunftslandprinzips einen Dschungel von sektorspezifischen Regelungen erzeugen würde. Dies kann nicht in unserem Interesse sein. Trotzdem erscheint es uns als sinnvoll, im vorliegenden Stellungnahmeentwurf weitere folgende Klarstellungen zu verlangen:
1. Es ist zu verdeutlichen, dass über die bereits in der Richtlinie enthaltenen Ausnahmen hinaus überall dort nicht angewandt werden kann, wo sektorspezifische Regelungen bereits bestehen. So zum Beispiel können Überschneidungen wirksam ausgeschlossen werden.
2. Es muss deutlicher erkennbar sein, dass teilweise vorgesehene spezialgesetzliche Regelungen in den betreffenden Spezialgesetzen und nicht in der Dienstleistungsrichtlinie aufgenommen werden. Dies betrifft beispielsweise die in Artikel 24 des Entwurfs der Richtlinie vorgesehene Regelung im Zusammenhang mit der Entsendung von Arbeitnehmern.
3. Es ist noch einmal zu betonen, dass die Richtlinie im Bereich der Daseinsfürsorge keine Anwendung findet und
4. ebenso auch nicht in dem Bereich des Sozialund Gesundheitswesens. Die Bestimmungen des Artikels 23 des Richtlinienentwurfs sollten daher gestrichen werden. Das Herkunftslandprinzip darf nicht bei seiner Anwendung dazu führen, dass hohe inländische Standards der beruflichen Qualifikation oder der Qualität der Dienstleistung umgangen werden.
Vielen Dank, Herr Kollege. Die von Ihnen jetzt eben vorgetragenen Änderungstatbestände, halten Sie die nicht für so fundamental, dass sie die gesamte Richtlinie infrage stellen?
Wissen Sie, Herr Höhn, ich glaube dies nicht, denn wenn wir so an diesen Prozess der Einigung Europas herangehen, tun wir so, als wollten wir um Deutschland und andere Nationalstaaten herum ein Mäuerchen hier aufbauen, so dass keiner mehr hier hinein kann. Das Ganze funktioniert nicht. Wir müssen in dem europäischen Einigungsprozess auch wirtschaftliche und politische Regelungen treffen, die diesen Prozess weiterführen. Zugegebenermaßen gibt es dabei Probleme, aber die sind nicht so gravierend, als dass man eine solche Richtlinie nicht in Anwendung bringen sollte.
Wir sind uns darüber im Klaren, dass vor allem die örtlichen und regionalen Gebietskörperschaften hier betroffen sind. Diese dürfen in diesem Prozess nicht überfordert werden und es muss zumindest für eine angemessene Übergangszeit eine Unterstützung bzw. Kompensation gewährt werden. Außerdem wird es auf nationaler Ebene zu einer Reihe von Problemen kommen, die sogar größere länderübergreifende Zusammenarbeit erfordern. Genannt seien hier das geforderte einheitliche Verwaltungsverfahren oder auch die Überprüfung innerstaatlicher Genehmigungsverfahren oder die Einrichtung eines einheitlichen Ansprechpartners im Nationalstaat. Bekannt ist, dass es in bundesstaatlich organisierten Staaten möglicherweise zu Widersprüchen zu den Verfassungsgrundlagen kommen kann. Es soll jedoch keinesfalls zu einer Kollision mit den nationalstaatlichen Verfassungen oder dem Verfassungsvertrag der Europäischen Union kommen, denn auf die nationale Identität der Mitgliedstaaten ist zu achten. Es gibt eine Vielzahl von Äußerungen von Interessenvertretern und Standesorganisationen verschiedener Ebenen. Dazu haben Sie, Herr Höhn, sich auch geäußert. Diese betonen eine zu erwartende Anzahl von Risiken, die bei einer grenzüberschreitenden Öffnung des Dienstleistungsmarktes erwartet oder befürchtet werden, wie zum Beispiel mangelnde
Qualität, fehlendes Vertrauen in die Vergleichbarkeit der Dienstleistung, unzureichender Verbraucherschutz oder auch soziales Dumping.