Protokoll der Sitzung vom 11.12.2008

(Beifall SPD)

Etwas mehr ist besser als gar nichts und da sage ich auch, wir reklamieren für unseren Gesetzentwurf, dass wir einen größeren Schritt gehen und dass wir den Gesetzentwurf der Landesregierung für einen wesentlich weniger großen Schritt halten, aber es ist immerhin ein Schritt vorwärts, es bewegt sich etwas und das ist am Ende, denke ich, für uns alle wichtig und richtig. Ich will trotz alledem noch mal darauf kommen, wir sind ja leider durch die öffentlichen Diskussionen wieder zum Kinderschutz gekommen. Dazwischen war Kinderschutz nicht immer das Thema. Richtig, es wird gearbeitet, auch dem Dank, den Sie gebracht haben, an die Jugendämter und an die vielen Akteure, will ich mich gern anschließen, aber trotzdem stand Kinderschutz in den letzten Jahren immer unter dem Aspekt der Finanzknappheit. Wenn wir nicht als Opposition gedrängt hätten und zum anderen - das ist leider so - auch die schlimmen Realitäten nicht immer wieder in der Presse gestanden hätten, dann wäre das Thema Kinderschutz heute hier im Landtag kein Thema, das wir mit einem Gesetz, das in die richtige Richtung weist, abschließen können. Denn Kinderschutz ist einfach nicht für lau zu machen, Kinderschutz kostet Geld. Ich will daran erinnern, dass wir vor zwei Jahren eine Initiative der Landesregierung hatten, da ging es darum, die kommunalen Standards abzubauen. Da war auch der Kinderschutz dabei - auch das muss man sagen. Wir können daraus lernen, dass wir Rahmenbedingungen schaffen müssen, dass wir Vorgaben machen

müssen, damit Kinderschutz auch am Ende tatsächlich von denen, die ihn organisieren wollen, die helfen wollen, auch gemacht werden kann.

(Beifall SPD)

Dieser Umgang mit dem Kinderschutz, der sollte uns gelehrt haben, dass weder die erforderliche Fachlichkeit noch die notwendige Finanzausstattung selbstverständlich ist. Das gilt trotz guter gesetzlicher Grundlagen - ich habe darauf verwiesen, das SGB VIII oder das KJHG und auch das Thüringer Ausführungsgesetz dazu - sowohl für das Land als auch für die Kommunen. Ich will auch gar keine Schuldzuweisungen machen, das möchte ich betonen, weil die Bemühungen überall da sind. Es geht um eine ehrliche Betrachtung dessen, was wir auf den politischen Ebenen sehen und welche Prioritäten dort gesetzt werden. Die Vertreterin der Familienhebammen in der Anhörung hat das klar formuliert im Sozialausschuss. Sie hat uns erklärt, dass fast alle, auch im Bereich des Kinderschutzes, die Maßstäbe eines Normalbürgers anlegen und - da schaue ich auch mal auf die Besuchertribüne - es ist schwer vorstellbar für einen normalen Menschen mit normalem Umfeld, was bei Vernachlässigung manchmal passiert. Deswegen kann man viele Dinge sich auch überhaupt nicht vorstellen, wenn man nicht selbst mal in irgendwelcher Form mit ihnen in Berührung gekommen ist. Auf diesen unseren Erfahrungshintergrund setzen wir politische Prioritäten einschließlich der Bereitstellung von Finanzmitteln, die der Situation dieser Kinder zumindest in der Vergangenheit nicht immer gerecht wurden. Das geradezu desaströse Versagen der öffentlichen Jugend- und Gesundheitshilfe im Fall des kleinen Kevin in Bremen - ich will bewusst nicht auf Thüringen gehen - ist ein bezeichnendes Beispiel dafür.

Deshalb, meine Damen und Herren, brauchen wir nach meiner Übezeugung drei wesentliche Voraussetzungen, um den Kinderschutz menschenmöglichem Ermessen nach auf fachlich erforderliches Niveau zu bringen und zu gewährleisten.

1. Wir brauchen diese von mir schon angesprochenen eindeutigen gesetzlichen Mindeststandards, die unabhängig von der Finanzkraft der Landkreise und der kreisfreien Städte überall in Thüringen zu gewährleisten sind. In diese Mindeststandards müssen die bisherigen Erfahrungen einfließen, und zwar ehrlich und selbstkritisch. Als überzeugte Kommunalpolitikerin - Sie kennen mich da - sage ich, kommunale Selbstverwaltung muss im Eigeninteresse der handelnden Akteure und auch zu deren Schutz hilfreich unterstützt werden.

(Beifall SPD)

Wir kennen das aus vielen Bereichen. Wir haben im Lande - man hat immer gesagt, für den Anfang, damit man in die Gänge kommt - in einer Reihe von Bereichen, auch im Kinderschutz, ich denke da zum Beispiel auch an die Suchtberatungsstellen, Mindeststandards aufgebaut. Mir ist auch bewusst, gerade weil ich in der Kommunalpolitik tätig bin, es ist schwierig für die Kommune, wenn sie nur im Korsett drin ist. Trotz alledem merken wir gerade an dem Thema Kinderschutz: Am Ende ist es auch hilfreich. Bei vielen anderen Gesetzlichkeiten machen wir uns gar keine Gedanken darüber, da gibt es gesetzliche Bande und die werden einfach eingehalten und da ist es gut. Gerade an dieser Stelle, wo es um Kinder geht, die sich selbst noch nicht wehren können, da fehlen wir oft. Insofern, denke ich, ist es ganz wichtig, den Kommunen da auch unter die Arme zu greifen.

2. Wir benötigen ein Tabu für Politik und Verwaltung, die finanziellen Mittel für die Gewährleistung dieser Mindeststandards jemals zu Sparzwecken anzutasten.

(Beifall SPD)

Auch da kennen wir unrühmliche Beispiele, ich will es mal auf ganz Deutschland beziehen, aber in Thüringen ist es an der einen oder anderen Stelle auch so. Was da für Ausreden gebracht werden, die möchte ich hier gar nicht wiederholen.

3. Wir benötigen eine immer wiederkehrende öffentliche Debatte über die Wirksamkeit des Kinderschutzes in allen Regionen Thüringens und auf Landesebene und wir müssen weg von der Skandalisierung. Ich denke, das ist dem nicht gerecht, was im kommunalen Bereich und auch bei freien Trägern schon passiert. Man unterstellt dann am Ende permanent, vor allen Dingen in der Abteilung mit den vier großen Buchstaben, dass dort alles Leute arbeiten, die keine Ahnung haben. Auch das ist für den Kinderschutz letztendlich in keiner Weise hilfreich.

Wenn wir die drei Schwerpunkte beachten, dann können wir auch Kinderschutz für Thüringen intensiver leisten und intensiver gewährleisten. Nach der ersten Anhörung im Sozialausschuss infolge unseres Antrags zur Verbesserung der Teilnahme an Früherkennungsuntersuchungen war klar, dass ein Kinderschutzgesetz diesen Voraussetzungen auch entsprechen muss. Es muss mehr sein als die Regelung zur verbesserten Teilnahme an Früherkennungsuntersuchungen und es muss den Kommunen klare Rahmenbedingungen vorgeben, aber auch verlässliche Mitförderung und Mitverantwortung des Landes gewährleisten. Genau diese Stelle unterscheidet unseren Gesetzentwurf von dem der Landesregierung. Das haben wir im Sozialausschuss diskutiert

und das ist auch schon angesprochen worden.

Ich will auch zur Früherkennung noch etwas sagen. Wir folgen ja dem, was die Wissenschaftler uns auch mitgegeben haben, dass Früherkennungsuntersuchungen nur ein Teil sein können, dass es nur ein kleiner Aspekt dessen ist, was wir anbieten müssen und trotz alledem ist es ein wichtiger. Ich habe mich darüber gefreut, dass, als ich in Kindereinrichtungen war, die Intention dort bereits angekommen ist. Diese Kampagne „Ich gehe zur U! - und du?“, finde ich, ist eine ganz tolle Kampagne. Es ist wichtig, es ist erst einmal ein Schlagwort und dieses kann man Eltern gut vermitteln und man kann sie mitziehen. Es ist wichtig, die Eltern zu erreichen, die wir sonst eher nicht erreichen, das heißt, die Eltern, die es auch einmal vergessen oder das nicht so im Fokus haben, einfach mitzunehmen. Die Freiwilligkeit steht natürlich vorn dran - das ist ganz klar. Deswegen ist es ein wichtiger Fokus im Gesetzentwurf, sowohl bei uns als auch bei der Landesregierung, aber es ist nur ein Aspekt.

Ich will auch einen kurzen Schlag machen zum Gesetzentwurf „Zusammenarbeit von Jugendhilfe und Schule“. Wir haben das Gesetz in der Plenarsitzung heute oder morgen noch - da hat die Landesregierung hilfsweise improvisierte Regelungen zur Verbesserung des Kinderschutzes eingebracht. Wir glauben aber, dass es so nicht ausreichen wird und auch dem Anspruch nicht gerecht wird.

Ich möchte auf unseren Gesetzentwurf noch einmal kurz eingehen. Wir wollen in § 2 unseres Gesetzentwurfs den Ausbau der Prävention und der niederschwelligen Hilfen. Das schließt aufsuchende und Familienbildungsangebote ebenso mit ein wie die Nutzung der Kindertagesstätten als Brücke zu den Familien. Alle erforderlichen Angebote sind verbindlich in der Jugendhilfeplanung zu verankern. Auch das ist wichtig - nicht nur, dass drinsteht, der Kinderschutz ist mit dabei. Da stimme ich Ihnen ausdrücklich zu, Herr Bärwolff, bei der Jugendpauschale den Kinderschutz mit einzubringen. Das ist zwar besser als gar nichts, aber das ist überhaupt nicht ausreichend. Ich merke selbst vor Ort, wie man versucht, das Geld in eine Richtung zu bringen, die dem Anliegen des Kinderschutzes und des Kinderschutzdienstes überhaupt nicht gerecht wird.

Wir wollen in § 3 die Familienhebammen als ergänzendes Regelangebot verankern. Da geht es vor allen Dingen um die Mitfinanzierung. Ich erinnere auch noch einmal daran, dass die Vertreterin der Familienhebammen sehr eindrucksvoll die Schwierigkeiten der Finanzierung beschrieb. So sieht nun einmal die Realität in den Jugendämtern aus. Ich will keine Schuldzuweisung machen, aber ich kenne natürlich auch die ganz kontroverse Diskussion jedes Jahr, wenn es um

den Haushalt des nächsten Jahres geht oder um den Nachtragshaushalt - es sind viele momentan auch mitten im Gespräch -, wie hart zwischen Kämmerei und Jugendamt, wie hart zwischen Kämmerei und Sozialamt gerungen wird. Nicht, weil die Kämmerei das Geld horten will, sondern weil sie es für andere Themen braucht. Bei diesem Aushandlungsprozess sind die Jugendämter nicht immer die Gewinner. Auch sie wollen es nicht für unnütze Dinge ausgeben, deswegen die Verbindlichkeit und auch die Landesmitfinanzierung an dieser Stelle.

Wir wollen nicht nur über Netzwerke reden, sondern wir haben - das habe ich bereits erwähnt - in § 4 die Netzwerkregelung sehr ausführlich beschrieben; wie wir uns das vorstellen. Unter der Regie der Jugendämter wollen wir auf alle Bereiche zugreifen. Auch da wissen wir, dass das oft nicht neu erfunden werden muss in den einzelnen Gebietskörperschaften. Wir haben schon gute Netzwerke vor Ort. Eine Verbindlichkeit bedeutet aber auch, dass man sich leichter daran hält und dies nicht nur als eine Nebensächlichkeit ansieht.

Wir wollen in § 5 die Landesförderung im Bereich des SGB VIII und die Errichtung einer Servicestelle beim Landesjugendamt regeln. Die übliche Formulierung, die wir kennen und die uns an vielen Stellen unbefriedigend ist „nach Maßgabe des Landeshaushaltes“, ist zwar vom Gesetzgeber durchaus verständlich, aber für uns verständlicherweise nicht zielführend, weil sie nicht bedarfsgerecht ist.

Schließlich werden die Jugendämter und die Landesregierung zur regelmäßigen Berichterstattung verpflichtet. Das sorgt für öffentliche politische Verantwortung und es sorgt dafür, permanent einen Alarmzustand zu erhalten. Da ist es wichtig, wenn wir das im Gesetz verankern, haben wir einfach die Pflicht des Jugendamtes, dann muss keiner den Antrag stellen und da wird auch nicht vermutet, dass der eine oder andere Kinderschutz als politisches Instrument ausschlachtet und ausnutzt. Das hat der Kinderschutz nicht verdient; er darf nicht zwischen die Mühlen politischer Auseinandersetzung kommen. Er muss einfach eine Selbstverständlichkeit sein; so, wie wir das bei Schule zum Beispiel auch haben.

(Beifall SPD)

Schließlich unterscheiden wir uns bei der verbindlichen Teilnahme an den Früherkennungsuntersuchungen ganz wesentlich dadurch, dass wir die Gesundheitsämter mit einbinden und nicht die Jugendämter. Wir haben da einen Diskurs, Herr Panse, weil wir auch da zum einen die Befürchtung haben, dass das finanziell nicht untersetzt ist, dass man auch dort nur das Nötigste tut, dass man möglicherweise dann an anderer Stelle im Jugendamt spart.

Wir haben auf der anderen Seite - das ist auch in den Anhörungen zum Ausdruck gekommen - die Vorbehalte gegenüber dem Jugendamt, die viele einfach haben. Wenn sich das Jugendamt ankündigt, dann muss irgendwas im Busch sein. Es kann gar nicht sein, dass da alles normal läuft. Das wollen wir alle gemeinsam nicht. Das ist mit der Regelung auch nicht unterstellt. Trotzdem ist die Bevölkerung so, wie sie ist. Das Gesundheitsamt und die Ärzteschaft bzw. auch die Personen, die im Gesundheitsamt als Helfer arbeiten, können das den Betroffenen auf medizinische Art, denke ich, erläutern. Aus diesem Grund haben wir die Gesundheitsämter hier mit hineingenommen.

Sehr geehrte Damen und Herren, liebe Kolleginnen und Kollegen, dies alles ist fachlich und finanziell zu leisten. Die Kommunen dürfen bei dieser verantwortungsvollen Aufgabe nicht alleingelassen werden. Wir können uns vorstellen, dass wir im Rahmen von Auftragskostenpauschale auch die Thematik regeln können. Wir sprechen von einem durchaus nicht unerheblichen Anteil an Geld. Wir reden von ca. 2 Mio. € pro Haushaltsjahr. Das muss, denke ich, in einem Gesetz verankert werden. So viel kann man einfach nicht ausschwitzen und nicht nach Lage des Haushalts agieren. Deswegen bitte ich noch einmal um Zustimmung zu unserem Gesetzentwurf. Danke schön.

(Beifall SPD)

Für die CDU-Fraktion hat sich Abgeordneter Panse zu Wort gemeldet.

Frau Präsidentin, liebe Kolleginnen, liebe Kollegen, wir beraten heute über zwei Gesetzentwürfe, das „Thüringer Gesetz zur Weiterentwicklung des Kinderschutzes“ als Gesetzentwurf der Landesregierung und das „Thüringer Gesetz zur Verbesserung des Schutzes von Kindern“ als Gesetzentwurf der SPDFraktion. Zwei Gesetze, die wir heute, eines zumindest von beiden, hoffentlich erfolgreich zum Abschluss bringen werden. Zwei Gesetze, über die wir einen sehr langen Zeitraum hier im Thüringer Landtag schon diskutiert haben - mit entsprechenden Vorlaufzeiten und mit anderen Beschlüssen. Ich will in meinem Beitrag kurz darauf eingehen, aber vorab einige Sätze zu meinen beiden Vorrednern sagen.

Frau Taubert - zunächst zu Ihnen: Vielen herzlichen Dank, Sie haben bei all den Unterschieden, die zwischen unseren beiden Fraktionen in dieser Frage bestehen, durchaus deutlich gemacht, dass wir auf das gleiche Ziel hinaus wollen. Das Ziel bei den Vorsorgeuntersuchungen bei uns ist gleich - der Weg

allerdings unterschiedlich. Ich werde nachher darauf eingehen, aber vielen Dank dafür. Vielen Dank aber auch für Ihre zweite Einschätzung, die Sie getroffen haben. Sie haben mir das vorweggenommen. Das, was Sie zu unserem Kollegen Bärwolff gesagt haben, kann ich nur bekräftigen. Eine große Thüringer Tageszeitung schreibt dann immer: Wer lesen kann, ist klar im Vorteil. So ist es, Herr Bärwolff, Sie müssen schon entsprechend in den Vorlagen und Gesetzestexten lesen und in den Ausschussberatungen entsprechend hinhören. Dann würde es nicht passieren, dass Sie uns hier mit Unterstellungen, mit Vorwürfen kommen, die in der Tat nicht zutreffend sind.

(Beifall CDU)

Ich werde im Laufe der Rede an einigen Stellen darauf eingehen; insbesondere wenn es um Fragen von Sanktionen geht, wo Sie so bewusst den Bogen um alles drum herumgeschlagen haben, was man überhaupt tun könnte.

Im zweiten Punkt will ich anmerken - auch da hat Frau Taubert recht - bei allem, was Sie uns hier suggeriert haben, dass Sie es als Vorschläge hätten. Es gab keinen einzigen Änderungsvorschlag; zu beiden Gesetzen nicht - weder zum Gesetzentwurf der SPDFraktion noch zum Gesetzentwurf der Landesregierung, weder im Ausschuss noch hier im Plenum. Insofern kann man sich nicht immer vollmundig hinstellen und Sachen fordern, auch einen bunten Blumenstrauß an Ideen und Anregungen binden. Ich lade Sie herzlich ein - bringen Sie es als Anregung ein - wir haben über zwei Jahre über dieses Thema diskutiert, da war ausreichend Zeit dazu.

Ich will den dritten Punkt vorab ansprechen - zu dem Ausgangspunkt, Frau Taubert. Da bin ich in der Beurteilung schon ein Stückchen weg von Ihnen. Sie sagen, auf Drängen der SPD-Fraktion und Anträgen, die wir in der Vergangenheit hierzu hatten, haben wir uns überhaupt mit dem Thema „Kinderschutz“ beschäftigt - das ist mitnichten so. Das Thema „Kinderschutz“ ist von Anbeginn, seit der Gründung des Freistaats Thüringen, ein zentrales Politikfeld gewesen. Wir haben 17 Kinderschutzdienste in Thüringen, denen Dank für die Arbeit zu sagen ist. Wir haben ein umfangreiches Maßnahmebündel, was die Landesregierung schon im Jahr 2006 beschlossen hat. Wir haben in nahezu jeder Landtagssitzung hier das Thema „Kinderschutz“ auf der Tagesordnung. Es ist mitnichten so, dass wir uns dazu von der SPD drängen lassen müssten.

Ich will einen zweiten Ausgangspunkt nennen: Im Oktober 2008 wurde die Änderung des SGB VIII, die Einfügung des § 8 a, beschlossen. Der § 8 a im SGB VIII beschreibt den Schutzauftrag bei einer möglichen Kindeswohlgefährdung. Dieser Beschluss

im Oktober 2005 hat eine Welle von Qualifizierungen von Mitarbeitern in der Jugendarbeit ausgelöst, sehr wohl, um ihnen erst einmal klarzumachen, was Kindeswohlgefährdungen sind, wo erkennt man die, wie geht man richtigerweise damit um, aber auch, um klar zu definieren, als eine Hilfe und Leitlinie für das Jugendamt, was zu geschehen hat, wenn es Hinweise auf eine Kindeswohlgefährdung gibt. Beides hat sich bewährt, so sehr bewährt, dass das zuständige Bundesministerium jetzt eine Konkretisierung des § 8 a vorschlägt. Sie wissen, Frau Kollegin Taubert, das geht genau in die Richtung, die wir hier im Rahmen der Vorsorgeuntersuchungen diskutieren, nämlich die Frage, ob die Vorsorgeuntersuchungen auch ein mögliches Indiz zu einer Kindeswohlgefährdung sein können. Auf Bundesebene ist die Diskussion noch nicht zum Abschluss gekommen, gleichwohl glaube ich, die Prüfung, ob dies gewichtige Anhaltspunkte sein können, kann eine Entscheidung und ein richtiger Weg sein.

Wir haben - darauf hat Kollege Gumprecht bei der vorangestellten Erklärung hingewiesen, was wir in den Ausschüssen getan haben - viele Anträge gehabt. Am 13. Dezember 2006 haben wir bereits ein Thüringer Frühwarnsystem und Schutzkonzept hier im Thüringer Landtag beschlossen. Es war damals ein Alternativantrag der CDU-Fraktion. Wir hatten darüber hinaus Anträge zu den Früherkennungsuntersuchungen schon im Januar 2007 und wir hatten letztendlich im September 2007 einen einmütigen Beschluss, den wir hier im Landtag gefasst haben, der den Weg beschrieben hat, der Weg, den wir zu verbindlicheren Vorsorgeuntersuchungen gehen wollen. Das ist im September 2007 geschehen, nämlich die Frage beispielsweise, wie wir es mit dem verbindlichen Einladungswesen handhaben wollen, aber auch die Frage, wem wir letztendlich die Informationen zugänglich machen wollen. Dieser Weg, den wir damals beschrieben haben, den wollen wir heute gern zum Abschluss bringen, auch deswegen als CDU-Fraktion zum Abschluss bringen, weil wir uns in den intensiven Beratungen zum Gesetzentwurf der Landesregierung durchaus bestätigt fühlen. Wir haben in Anhörungen, schriftlichen Stellungnahmen, in der Analyse der Situation in anderen Bundesländern immer wieder feststellen können, wie diffizil das ganze Gebiet des Kinderschutzes ist, wie viele verschiedene Facetten da eine Rolle spielen. Insofern nehme ich für den Gesetzentwurf, der heute zur Beratung vorliegt, nicht in Anspruch, dass er diese Facetten alle abdecken kann. Wir fügen nur einzelne Mosaiksteinchen hinzu, Mosaiksteinchen in diesem System des Kinderschutzes, was wir immer weiterentwickeln und weiter verbessern wollen. Es gehört auch dazu - das haben Sie, Frau Taubert, getan, ich möchte das gern bekräftigen - der Dank an alle Engagierten, die wir in diesem Bereich haben. Wir haben seit vielen Jahren engagierte Mitarbeiter im Bereich

des Kinderschutzes, die für die Fortentwicklung des Kinderschutzes streiten, mit uns auch diskutieren, uns auch Anregungen geben. Das haben wir in der Anhörung unter anderem im Sozialausschuss erlebt.

Beim Kinderschutz - und das muss man auch noch voranstellen - ist es zunächst die Frage, wie gehen die Familien damit um. Wie ist die Situation in den Familien, das ist der Ausgangspunkt. Wir haben im Grundgesetz und in der Verfassung klar geregelt, wie die Aufgaben, die Rechte und Pflichten für Familien sich darstellen und ich will an dieser Stelle auch sagen: Die übergroße Mehrheit der Familien füllt dies verantwortungsbewusst aus. Wir wollen diesen Familien danken, wir wollen diese Familien auch bestärken in dem, was sie tun, und wir wollen sagen, ihr tut das richtig. Wir wollen vor allem nicht, dass der Eindruck stehenbleibt, dass einzelne Mangelfälle, die in der Tat bestehen, generalisiert werden dürfen und dass das dann zum Maßstab für alle anderen gemacht werden darf. Deswegen also erstens der Dank an die verantwortungsbewussten Eltern und zweitens der Hinweis, wir wollen uns um die wenigen anderen Fälle kümmern.

Wir haben bei den Anhörungen festgestellt, eine kleinere Gruppe der Eltern kann es nicht umfänglich und eine noch deutlich kleinere Gruppe der Eltern wollen es nicht umfänglich tun. Bei denjenigen, die es nicht können, müssen wir sehr wohl darüber reden, wie wir die qualifizieren können, wie kommen wir an sie ran? Wie können wir denen die bestehenden Hilfeangebote, die wir zweifellos haben, nahebringen, und das nicht nur in der Form, wie wir es Mittwochabend im Fernsehen sehen können mit der Supernanny, sondern es gibt da Vermittlungen zu den Hilfesystemen, die wir in den Jugendämtern haben, die wir bei den Trägern haben. Da geht es um die Frage des rechtzeitigen Zugangs zu den Familien, da geht es auch darum, dass man frühzeitig Indikatoren erkennt und die Indikatoren dann auch entsprechend wertet.

Wir haben die zweite Gruppe, die ich angesprochen habe, die Familien, die sich offensichtlich all dem entziehen. Da müssen wir in letzter Konsequenz, Herr Kollege Bärwolff, auch über Sanktionen nachdenken, Sanktionen, die das SGB VIII ermöglicht, Hilfen zur Erziehung, ein ganzes Bündel an Maßnahmen. Das kann am Ende in allerletzter Konsequenz, wenn sich Familien verweigern, auch mit Sorgerechtsentzugsverfahren enden. Diese Konsequenz brauchen wir an letzter Stelle, weil wir nur dann letztendlich auch Familien klarmachen können, dass sie ihre Pflichten wahrnehmen müssen, wenn wir auch sagen, was andernfalls geschehen kann, denn Grundgesetz und Verfassung sind ein klarer Auftrag für sie.

Wir haben aber auch die Zuständigkeit dafür klar geregelt. Es ist die kommunale Zuständigkeit. Das

SGB VIII weist den örtlichen Jugendämtern die Verantwortung dazu zu. Wenn wir in den Jugendämtern danach fragen, was sich nach der Einführung des § 8 a verändert hat, da werden wir deutliche Antworten bekommen. Die Jugendämter sagen uns erstens: Ja, die Zahlen der Meldungen haben zugenommen. Die sagen aber auch zweitens: Wir sind dankbar, dass die Zahlen der Meldungen zugenommen haben.

Nicht, weil sie damit unterstellen, die Zahl der Kindeswohlgefährdung hat dramatisch zugenommen, sondern weil sie damit unterstellen, sie bekommen frühzeitiger und deutlicher Kenntnis von bestehendem Gefährdungspotenzial. Unser Erfurter Jugendamtsleiter hat uns erklärt, wir hatten bis zum Inkrafttreten des § 8 a durchschnittlich monatlich 10 Fälle möglicher Kindeswohlgefährdung, die dem Jugendamt gemeldet wurden und denen das Jugendamt dann nachgegangen ist. Wir haben seit dem Inkrafttreten des § 8 a bis zu 30 Fälle, die monatlich gemeldet werden. Das Jugendamt geht all diesen Fällen nach. Das Jugendamt hat wie viele andere Jugendämter auch in Thüringen eine eigene Strategie entwickelt, wie sie mit diesem Gefährdungspotenzial umgehen. In Erfurt ist es eine Ampelform, umfängliche Fragebögen, die ausgefüllt werden, und die am Ende in einer Farbskala ein mögliches Gefährdungspotenzial ausdrücken.

Auch sagen uns die Jugendämter, viele der Hinweise sind nicht berechtigt, aber sie sind trotzdem dankbar dafür, dass sie sie erhalten und dass sie dem nachgehen können. Es bleiben am Ende einzelne wenige Fälle übrig, bei denen die Jugendämter handeln wollen und handeln müssen. Um diese Fälle herauszufiltern, dazu soll auch das heute vorliegende Gesetz zur Stärkung der Früherkennungsuntersuchung dienen. Diese möglichen Gesundheitsgefährdungen, die sich daraus ableiten können, wenn Eltern nicht regelmäßig mit ihren Kindern zur Früherkennungsuntersuchung gehen, wollen wir möglichst früh aufspüren, wir wollen aber auch den Eltern das bewusst machen. Wir lesen in vielen Studien, dass Eltern ein besonderes Vertrauensverhältnis zu ihren Ärzten und ein besonderes Verhältnis zu ihren Hebammen haben. Das sind die ersten Bezugspunkte, die sie haben, wenn ein Kind geboren wird. Sie nehmen auch selbstverständlich Hinweise sehr ernst, Hinweise, die sie auch bei Kindesuntersuchungen, bei den Früherkennungsuntersuchungen erhalten, und diese Ärzte können diese Hinweise auch geben und vermitteln. Deswegen ist es uns so wichtig, dass der Entwicklungsstand von Kindern regelmäßig diagnostiziert wird, dass aber auch Ärzte sagen können, was kann man tun, wenn Defizite bestehen sowohl gesundheitlicher Art als auch Hilfemöglichkeiten, die sonst gegenüber der Familie bestehen.

Wir haben bei den Vorsorgeuntersuchungen momentan die Situation, dass die ersten zwei, die ersten drei Vorsorgeuntersuchungen zu nahezu 100 Prozent in Anspruch genommen werden, ab der U 4 beginnt das höchst unterschiedlich von Jahrgang zu Jahrgang abzusinken. In Thüringen sind es derzeit etwa 90 Prozent der Kinder, wo die Eltern mit ihnen freiwillig und ohne vorherige große Diskussionen zu den Vorsorgeuntersuchungen gehen. Im Saarland - die Zahlen, Herr Bärwolff, die Sie vorhin zitiert haben - sah es beispielsweise ein bisschen anders aus. Dort sind nur 80 Prozent der Kinder zu den Vorsorgeuntersuchungen gegangen und das Ziel des saarländischen Gesetzentwurfs war es, diese Zahl derjenigen Eltern, die mit den Kindern nicht zur Vorsorge gehen, zu senken. Das ist mit einem verbindlichen Einladungssystem gelungen, rund 18 Prozent - Sie haben diese Zahl vorhin in den Raum gestellt - der Eltern gehen dann, wenn sie erinnert werden und erklärt bekommen, es ist wichtig, geht zu den Vorsorgeuntersuchungen, hin. 2 Prozent sind es im Saarland, die es in letzter Konsequenz nicht tun. Nur die Frage stellt sich, wie beratungsressistent sind die, wenn die eine Erinnerung bekommen, wenn die ein Erklärung bekommen, wie wichtig die Vorsorge ist, trotzdem wollen sie es nicht, trotzdem tun sie es nicht. Wir sind der Auffassung, um diese 2 Prozent der Eltern, die es vermutlich auch in Thüringen sein könnten, müssen wir uns sehr intensiv kümmern. Da bin ich wieder bei dem, was ich vorhin gesagt habe, da geht es um die Frage, wer hat dafür die rechtliche Zuständigkeit. Wir haben diese Frage beantwortet und haben gesagt, die Jugendämter sind die, die die rechtlichen Instrumentarien haben, die Gesundheitsämter wären nur ein weiterer zwischengeschalteter Schritt, der zusätzlich beraten könnte. Aber ich habe gerade gesagt, bei manchen Eltern wird dieses Beraten dann nicht mehr helfen.

Herr Bärwolff, Sie haben die Frage der Verbindlichkeit angesprochen. Das ist eine der lebhaften Diskussionen im Ausschuss gewesen. Sie wissen, einige der Bundesländer haben sich da drum herumgemogelt. In Hessen steht zwar drin, Eltern haben die Pflicht, mit ihren Kindern zu Vorsorgeuntersuchungen zu gehen, aber dieser Pflicht folgt nichts. Es steht auch nicht drin, was das gegebenenfalls für Sanktionsmöglichkeiten bietet, wenn sie es nicht tun. Die Bayern haben es an den Besuch der Kindertagesstätten gekoppelt und haben gesagt, die Kindertagesstätte kann nur derjenige besuchen, der die Vorsorgeuntersuchung wahrnimmt. Diesen Weg aus Bayern haben wir in Thüringen von Beginn an verworfen, weil wir gesagt haben, erstens gibt es ein Recht auf den Kindertagesstättenbesuch, das bundesgesetzlich normiert ist, da wollen wir gar nicht eingreifen, wir wollen auch keine Einschränkungen an dieser Stelle machen. Zweitens haben wir auch in unserem Thüringer Kindertagesstättengesetz eine klare Regelung dazu

getroffen. In § 16 des Thüringer Kindertagesstättengesetzes steht, dass die Eltern, bevor ihr Kind in die Kindertageseinrichtung aufgenommen wird, einen ärztlichen Untersuchungsnachweis vorlegen müssen. Und es steht weiterhin in § 16, dass der öffentliche Gesundheitsdienst jährlich die Kinder in den Kindertagesstätten besucht und untersucht. Das ist der Grund, Herr Kollege Bärwolff, weswegen wir uns wesentlich stärker mit den Kindern beschäftigen, die keine Kindertagesstätte besuchen. Diejenigen, die in einer Kindertagesstätte sind oder die später die Schule besuchen, sind in dem System, wo der öffentliche Gesundheitsdienst hinschaut, drin.

Wir haben uns bei der Kopplung an das Landeserziehungsgeld von dem Gedanken leiten lassen, was beim Landeserziehungsgeld die Begründung dafür ist, dass wir es den Eltern zahlen. Wir als CDU-Fraktion haben das beschlossen. Sie, Kollege Bärwolff, mit Ihrer Fraktion wollten das Landeserziehungsgeld nicht, insofern weise ich schon darauf hin. Wir haben gesagt, das Landeserziehungsgeld dient dazu, die Erziehungs- und Betreuungsleistung von Eltern zu honorieren.