deshalb sind die Formulierung und der Titel des Landesprogramms „Für Demokratie und Weltoffenheit“ aus unserer Sicht genau der richtige.
Liebe Kolleginnen und Kollegen, wir dürfen es nicht zulassen, dass unser Land von außen als Dunkeldeutschland wahrgenommen wird. Niemand muss in Thüringen Angst haben, niemand muss mit Angst und feuchten Händen in Thüringen aus dem Zug steigen, nicht in Nordhausen, nicht in Gera oder Bad Salzungen und auch nicht in Jena. Das gilt für Schriftsteller aus Jena, aus München genauso wie für Teams des ZDF, meine sehr verehrten Damen und Herren.
Die Wahrheit ist, wir Thüringer sind in unserer überwiegenden Mehrzahl nette und normale Menschen. Man kann das auch weltoffen, selbstbewusst und heimatverbunden nennen, aber das ist doch alles
ganz nett und eigentlich auch ziemlich normal, zumindest in Deutschland. Deshalb, meine sehr verehrten Damen und Herren, will ich mit einem Ergebnis beginnen, was mich ganz besonders freut. Die Idee der Freiheit, eine zutiefst liberale Idee, ist in Thüringen tief und fest verwurzelt. Wenn wir Thüringer vor die Wahl gestellt werden, Freiheit oder Gleichheit, dann entscheidet sich eine überwiegende, eine deutliche Mehrheit für die Freiheit. Das ist eine gute Botschaft.
Überdurchschnittlich offen sind sogar unsere jungen Menschen, meine Damen und Herren. Die unter 25-jährigen Leute würden sich vor genau diese Wahl, Freiheit oder Gleichheit gestellt, zu zwei Dritteln für die Freiheit entscheiden. Das finde ich richtig klasse, liebe Kolleginnen und Kollegen.
Ich finde es auch gut und rechne es den Autoren der Studie, denen ich an dieser Stelle auch ausdrücklich danken will, sehr hoch an, dass sie die Ergebnisse ihrer Befragungen und die möglichen Interpretationen durchaus vorsichtig und kritisch hinterfragen und formulieren, denn in der Tat gibt es eine ganze Reihe von ambivalenten und in sich zunächst oder tatsächlich scheinbar widersprüchlichen Ergebnissen. So sind wir Thüringer zu über 90 Prozent der Meinung, dass Zuwanderer vollständig am Leben in unserem Land teilhaben sollen. Kaum jemand stört sich an der Herkunft seiner Arbeitskollegen oder seiner Nachbarn. Auch der Zuzug von Ausländern wird, etwas abgestuft nach Herkunftsländern, aber in der Mehrzahl in jedem Fall deutlich befürwortet. Unser Land braucht Zuwanderung, das heißt, es braucht Zuwanderer. Das wissen wir und deshalb heißen vier von fünf Thüringern ausländische Arbeitskräfte herzlich willkommen und befürworten auch deren gezielte Anwerbung, meine Damen und Herren. Ich bekenne, ich gehöre zu diesen 80 Prozent, deshalb kann ich auch die moralisch gelegentlich hochkondensierten Debatten, die hier in diesem Raum dazu geführt werden, über die Frage, gibt es vielleicht Zuwanderer, die für unsere Volkswirtschaft nützlicher sind, die wir brauchen, nicht nachvollziehen.
Ich bin, liebe Kolleginnen und Kollegen, auch der Meinung, dass nicht jeder gleich rechtsextrem ist, der sagt, ich halte es nicht für richtig, dass wir eine Position beziehen, die heißt, jeder soll in unser Land kommen, bedingungslos und ohne dass wir irgendeine Erwartung hinsichtlich eines Verhaltens oder eines Bekenntnisses, keines religiösen wohlgemerkt, sondern eines Bekenntnisses zu unseren Grundwerten von ihm erwarten. Nicht jeder, der diese Erwartung hat, ist automatisch ein Rechter, meine sehr verehrten Damen und Herren.
(Zwischenruf Abg. Adams, BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN: Ja, zu was denn, was ist denn das Grundbekenntnis? Das ist doch kein Wahl- programm, zu dem man sich bekennt.)
An die Adresse der Ministerpräsidentin will ich an dieser Stelle sagen: Frau Ministerpräsidentin, Sie haben gesagt und auch erkannt, dass wir Zuwanderung und Zuwanderer brauchen. Aber ich will sagen, Ihre ganze schöne Internationalisierungsstrategie, auch die „Thüringen braucht dich“-Kampagnen sind in Wahrheit nur die Hälfte wert, wenn Sie es nicht endlich unterbinden, dass aus Ihrer eigenen Regierung heraus unser Land permanent schlechtgeredet wird.
Sie wissen, was ich meine. Wenn Ihr Wirtschaftsminister Thüringen als Ort der Ausbeutung und als dunkles Kapitel im Umgang mit den Arbeitnehmern in Deutschland insgesamt darstellt.
Meine Damen und Herren, wie erklärt sich die hohe Zustimmung zur Zuwanderung auf der einen Seite, wenn auf der anderen Seite fast die Hälfte von uns den Bau einer Moschee in seiner unmittelbaren Nachbarschaft als störend empfindet oder wenn auch die Hälfte meint, dass Zuwanderer den deutschen Sozialstaat ausnutzen? Ist man rechtsextrem, wenn man solche Antworten gibt? Ist es wirklich ein Widerspruch? Was bedeutet es, wenn fast jeder Zweite sagt, dass unser Land in einem gefährlichen Maß überfremdet ist? Wobei hier nicht nach Thüringen, sondern nach Deutschland gefragt wurde. Warum eigentlich? Das ist eine Frage, die ich an die Autoren der Studie richte: Was bedeutet es, wenn diese Frage bei einem Ausländeranteil in Thüringen von 2 Prozent nicht gestellt wird, ist Thüringen überfremdet, sondern ist Deutschland überfremdet, empfinden Sie Deutschland als überfremdet? Und was bedeutet diese Antwort für uns? Ich kann mit diesem Befund offen gesprochen nicht so sehr viel anfangen.
(Zwischenruf Abg. Siegesmund, BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN: Dass wir in der Mitte der Gesellschaft ein Problem haben.)
Aber die Frage ist: Wo liegt bei diesem - Frau Siegesmund, Sie haben ja dann die Gelegenheit, uns das alles zu erklären - scheinbar oder tatsächlich widersprüchlichen Meinungsbild die Wahrheit? Ich weiß es nicht, ich sage es ganz ehrlich, ich weiß es nicht. Wahrscheinlich wie so oft im Leben irgendwo dazwischen, irgendwo zwischen den Extremen, auch nicht in der Mitte übrigens, aber eben irgendwo dazwischen. Es existiert - und das sagen ja auch die Autoren der Studie selbst - eine große
Diskrepanz zwischen der Fremdeinschätzung durch Wissenschaft und Politik und der Selbsteinschätzung der Befragten. Die wissenschaftlichen Bewertungen, das muss ich jetzt mal richtig ablesen, die wesentlich von indikatorengestützten Klassifikationen ausgehen, sehen sich konfrontiert mit medienvermittelten und erfahrungsgestützten Wahrnehmungen, die sich zu komplexen und gelegentlich widersprüchlichen Einstellungsmustern verdichten. So klingt es in Deutsch von Sozialwissenschaftlern. Ich würde das übersetzen damit, dass ich sage, die Befragten werden wahrscheinlich die Fragen auch aus ihrem persönlichen Erfahrungsschatz heraus und in ihrem persönlichen Lebensumfeld beantworten. Dass man sich selbst nicht für rechtsextrem hält, wenn man eine Moschee nicht unmittelbar vor der Haustür haben will, das halte ich jetzt für nachvollziehbar und nicht für rechtsextrem. Es gibt auch Leute, die klagen gegen das Geläut von christlichen Kirchen, ohne dass sie deswegen gleich in irgendeine extreme Ecke gestellt werden, meine sehr verehrten Damen und Herren.
Es gibt, Herr Adams, tatsächlich Kirchen, die wegen solcher Klagen ihr Geläute zu bestimmten Zeiten einstellen müssen. Das gibt es tatsächlich, hört, hört.
Und dass sich fast die Hälfte der Befragten für links und auch weit links einordnen, das halte ich auch für erklärbar. In der öffentlichen Debatte wird zwischen ein bisschen rechts und rechtsextrem eigentlich kein Unterschied gemacht. Alles, was unmittelbar neben der Mitte anfängt, ist in der öffentlichen Debatte ein brauner Sumpf. Das linke Spektrum dagegen wird in ein Tausend facettenreiches Spektrum aufgegliedert. Diese ganzen einzelnen Facetten haben vor allem eins gemeinsam, sie sind alle furchtbar nett und auf jeden Fall en vogue.
Das, meine sehr verehrten Damen und Herren, erklärt, dass man sich natürlich lieber auf der gesellschaftlich akzeptierten Seite selbst einordnet, als irgendwo, wo man Angst haben muss, gleich stigmatisiert zu werden. Man ist kein potenzieller NSUMörder, nur wenn man an der einen oder anderen Stelle auch mal Entwicklungen skeptisch gegenübersteht.
Und die Skepsis gegenüber der Politik, meine Damen und Herren, hat vielleicht auch damit zu tun, dass da eben so schnell Stigmatisierungen vorgenommen werden. Wenn wir immer gleich mit dem
erhobenen Zeigefinger kommen und von vornherein Antworten als falsch oder richtig klassifizieren, wenn wir Fragen gar nicht mehr zulassen, dann wird natürlich keine Diskussion stattfinden, dann kriegen die Menschen keine Antwort und dann brauchen wir uns nicht zu wundern, wenn dieses Selbst- und Fremdbild in diesem Maße auch auseinanderfällt und wenn solche Antworten zustande kommen.
15 Prozent sagen, der Nationalsozialismus hatte auch gute Seiten. Man muss schon eine sehr selektive Wahrnehmung haben, um auch nur ansatzweise zu so einem Bild zu kommen, wenn man die Verhältnisse einigermaßen gesamt betrachtet, kann man so eine Antwort in keiner Weise nachvollziehen. Für mich ist das völlig unnachvollziehbar, wenn es dieses Wort gibt, wie man zu so einer Antwort kommen kann. Aber auf der anderen Seite sagt mehr als die Hälfte heute, die DDR hätte mehr gute als schlechte Seiten. Es geht hier also nicht um das Ampelmännchen, den grünen Pfeil oder den Brötchenpreis, sondern es geht um die Lebensumstände in der DDR insgesamt. Über alle Altersgruppen hinweg sieht über die Hälfte der Menschen in unserem Land das Leben der letzten Diktatur auf deutschem Boden, deren Ende gerade mal 23 Jahre zurückliegt, heute mehr positiv als negativ, nicht ein bisschen, mehr positiv. Da spielen persönliche Lebensumstände eine Rolle. Die Tatsache, dass man sich an Schönes lieber und wahrscheinlich auch länger erinnert als an Negatives, mag da auch eine Rolle spielen. Aber die Wahrheit in der Erinnerung ist doch, dass die überwältigende Mehrheit der echten Bevölkerung damals in der DDR mit dem Land und dem Regime, in dem es leben musste, so wenig anfangen konnte, dass man die herrschende Kaste mit erheblichem Risiko zum Teufel gejagt hat, nicht mehr und nicht weniger.
Das macht man doch nicht, wenn es eigentlich ganz nett ist. Also Verklärung, würde ich mal sagen, ist da jedenfalls im Spiel. Was mich dann aber besonders überrascht, ist, dass auch die Hälfte der unter 25-jährigen Thüringer noch dieser Meinung sind. Die Leute, Menschen, die gar keine bewusste Erfahrung mit diesem Regime verbinden können, geben diese Antwort. Noch einmal gesagt, es geht hier nicht um „es war nicht alles schlecht“, sondern es geht um „das Meiste war gut“. Dazwischen liegen schon Welten. Deswegen will ich appellieren und sagen, von einer ehrlichen Auseinandersetzung mit den leidvollen Erfahrungen der überstandenen Diktaturen des 20. Jahrhunderts spricht die Präampel unserer Thüringer Verfassung. Diese Auseinandersetzung ist noch längst nicht abge
schlossen, meine sehr verehrten Damen und Herren. Wir diskutieren. Das trifft auf die nationalsozialistische Vergangenheit zu, aber wir diskutieren ja in diesem Plenum auch noch im Zusammenhang mit dem Gesetz über die Stasiunterlagenbeauftragte, über die Frage, wie es mit dieser Aufarbeitung weitergeht. Ich werde an dieser Stelle schon appellieren, wichtig ist es eben, dass wir diese Aufarbeitung auch nicht von oben herab, sondern aus einem breiten Bürgerinteresse mit vielen interessierten Seiten und aktiven Seiten weiter so betreiben.
Meine sehr verehrten Damen und Herren, deswegen will ich das auch noch einmal sagen, dieser Zeigefinger, der in diesen Debatten immer kommt, diese hoch moralische Einteilung, die wir vornehmen in unserer Gesellschaft, in gute und schlechte Menschen, das ist etwas, was uns insgesamt, glaube ich, nicht weiterhilft. Es geht nicht, Kollege Ramelow hat von „guten Nazis um die Ecke“ gesprochen, es geht nicht um „gute Nazis“, es geht darum, dass wir offen auch Fragen und Probleme, die unsere Bevölkerung hat, die die Menschen in unserem Land haben, wenn sie einen Fernseher anschalten, jeden Tag frei Haus geliefert bekommen, dass wir mit diesen Fragen offen umgehen, dass wir sie aufnehmen, dass wir darüber diskutieren und nicht von vornherein sagen, es gibt Böse und Gute, es gibt Fragen, über die dürfen wir nicht diskutieren und insbesondere gibt es Antworten, die man nicht geben darf. Das, meine Damen und Herren, ist nicht unsere Aufgabe.
Es ist nicht unsere Aufgabe, unsere Gesellschaft in Gut und Böse einzuteilen, sondern es ist unsere Aufgabe, unsere Gesellschaft zu organisieren und zu gestalten.
Einer konstant hohen Zustimmung, meine sehr verehrten Damen und Herren, zur Demokratie von 80 Prozent steht nämlich eine ebenso grundsätzliche und in den letzten Jahren auch angewachsene Skepsis gegenüber Politikern und Parteien gegenüber. Mein Vorredner hat auch darauf Bezug genommen. Wir, und das ist der Befund, die politisch Verantwortlichen füllen den gesetzten demokratischen Rahmen in den Augen unserer Bürger alles andere als zufriedenstellend aus. Dieser Befund, meine Damen und Herren, muss Auftrag an uns sein. Ich begreife ihn jedenfalls als Auftrag an mich, unsere Arbeit zu hinterfragen. Wir, dieses Parla
ment, sind die Vertretung dieses Volkes. Freie Wahlen zu genau diesen Volksvertretungen, zu genau diesen Parlamenten sind es gewesen, die die Ausgangsforderung der Umwälzungen im Jahr 1989, der Veränderungen, die 1989 ihren Ausgang genommen haben, gebildet haben. Damit waren Hoffnungen verbunden, von denen sich, wenn man ganz ehrlich ist, ja viele auch erfüllt haben. Aber diejenigen, die Politik machen, müssen auch und vor allem darauf achten, dass dies eine Politik ist, die die Menschen versteht und die die Menschen ihrerseits auch verstehen, liebe Kolleginnen und Kollegen.
Deshalb will ich zum Schluss nicht mit dem erhobenen Zeigefinger, aber trotzdem uns den Spiegel einmal etwas vorhalten. Ich will einen Spiegel vorhalten und eben nicht den Zeigefinger. Etwas mehr als die Hälfte von uns Thüringern sind der Meinung, sie würden als Ostdeutsche von den Westdeutschen diskriminiert. Auf die Frage, was ist wichtig, um Thüringer zu sein, sagt auch mehr als die Hälfte, man müsse in Thüringen geboren sein.
Zwei Drittel sind sogar der Meinung, man müsse dazu in Thüringen aufgewachsen sein oder zumindest lange hier gelebt haben, wobei „lange“ zum Glück vielleicht nicht näher spezifiziert wird - der Finanzminister lächelt.
Wir machen es also Neuthüringern - wenn wir ehrlich sind - auch nicht ganz leicht, zu uns zu gehören, nicht bei uns zu leben, sondern zu uns zu gehören, meine sehr verehrten Damen und Herren.