(Zwischenruf Abg. Fiedler, CDU: Ich kann mich nicht erinnern. Frau Renner, Sie wer- den wohl dünnhäutig.)
Wir fahren fort in der Aussprache und das Wort hat der Abgeordnete Dirk Bergner von der Fraktion der FDP.
Vielen Dank, Frau Präsidentin. Meine sehr verehrten Damen und Herren, ich meine schon, dass die Art und Weise der Einbringung des Gesetzentwurfs wieder einmal für sich spricht.
Der Landtag bekommt einen Gesetzentwurf drei Tage vor der Plenardebatte zugeleitet und ich finde, für ein Papier mit ca. 40 Seiten ist das nun wirklich nicht viel Zeit. Es ist aber nicht so, dass die Landesregierung erst kürzlich von dem Urteil des Thüringer Verfassungsgerichtshofs erfahren hätte. Seit dem Urteil vom 21.11.2012 sollte wirklich jeder begriffen haben - Herr Kollege Fiedler, hören Sie ruhig zu -,
dass Regelungen im Thüringer Polizeiaufgabengesetz verfassungswidrig - und ich wiederhole die Vokabel „verfassungswidrig“ - sind.
Und wenn, Herr Kollege Fiedler, Sie von juristischen Spitzfindigkeiten der Klägerpartei sprechen, dann zeigt sich, dass offensichtlich Sie keine Ahnung haben und dass der Anwalt Burkhard Hirsch offensichtlich mehr davon versteht als Sie. Da helfen auch keine sturmzerzausten Feigenblattreste, mit denen Sie hier Pirouetten drehen. Denn es ist ja so, das müssten Sie auch wissen, es ist für unvereinbar nur erklärt, weil es sonst nichtig gewesen wäre und damit die Katastrophe noch viel größer gewesen wäre als das, was Sie hier hinterlassen haben.
Wir Liberale hatten im März einen Antrag gestellt in der Drucksache 5/5808. Der Antrag beinhaltete fünf Punkte, in denen es um die Gewährung von effektivem Rechtsschutz der Betroffenen einer Überwachung, um den Schutz des Kernbereichs der privaten Lebensgestaltung durch ein umfassendes Erhebungsverbot und um klare und bestimmte Regelungen ging. Der Antrag wurde leider von SPD und CDU abgelehnt. Der Innenminister hatte in der Debatte erklärt, meine Damen und Herren, dass der Entwurf der Landesregierung den fünf Punkten des Antrags im Wesentlichen Rechnung tragen wird. Auch mein geschätzter Kollege Fiedler hat gesagt,
Zu der Einschätzung des Innenministers und von Kollegen Fiedler komme ich nach der Vorlage des Gesetzentwurfs leider nicht und ich muss Ihnen nun entgegenhalten, Sie haben falsch gelegen mit der Behauptung, es hätte den Antrag der FDP-Fraktion nicht gebraucht.
Meine Damen und Herren, ich will auch, soweit es mir in der Kürze möglich war, mir einen Überblick über das Gesetz zu verschaffen, auf kritische Punkte des Gesetzentwurfs eingehen.
Bei § 34 - Besondere Mittel der Datenerhebung werden meines Erachtens schon die ersten groben Fehler begangen. Nach § 34 ist die Anordnung der Maßnahme unzulässig, wenn Anhaltspunkte vorliegen, dass durch die Maßnahme allein Kenntnisse aus dem Kernbereich privater Lebensgestaltung erlangt werden. Das würde meiner Überzeugung nach bedeuten, dass eine Anordnung schon dann zulässig wäre, wenn eine einzige Bemerkung, ein einziger Sachverhalt nicht zum Kernbereich gehört. Ob ein solcher ausschließlicher Kernbereichsbezug, wie es der Gesetzentwurf vorsieht, im gesamten Konzept des Gesetzes ausreichenden Schutz des Kernbereiches bietet, ist mehr als fraglich,
da das Bundesverfassungsgericht im Beschluss vom 12. Oktober 2011 ausführt, ich zitiere: „Soweit schon im Vorfeld erkennbar ist, dass ausschließlich der Kernbereich privater Lebensgestaltung betroffen ist - so bei der Kommunikation mit Personen, zu denen ein besonderes Vertrauensverhältnis besteht wie z.B. engste Familienangehörige, Geistliche oder Strafverteidiger - dürfen Maßnahmen der Telekommunikationsüberwachung nicht durchgeführt werden.“
Auch, meine Damen und Herren, ist überhaupt nicht nachvollziehbar, warum der Schutz vor Datenerhebung mit besonderen Mitteln in § 34 Abs. 3 nicht bei der Erhebung durch verdeckte Ermittler oder V-Leute gewährt werden soll. Der Kernbereich der privaten Lebensgestaltung genießt einen Schutz aus Artikel 1 in Verbindung mit Artikel 2 Abs. 1 Grundgesetz unabhängig von der Ermittlungsform und wer ermittelt.
Der § 34 Abs. 3 hat aber noch einen weiteren Punkt, der für uns kritisch zu betrachten ist. Er unterscheidet nach unserer Auffassung in unzulässiger Weise zwischen dem schlichten Kernbereich bei jedermann, bei dem Geistlichen und bei den Berufsgeheimnisträgern. Es kann nicht sein, meine Damen und Herren, dass Verteidiger und Rechtsanwälte sich einer ständigen Überwachung ausge
setzt sehen müssen, weil gerade diejenigen, die sich mit Strafverteidigern unterhalten, naturgemäß über Straftaten sprechen.
Weiterhin, meine Damen und Herren, bestehen Probleme bei der Wohnraumüberwachung, bei der Überwachung der Telekommunikation und bei der Unterbrechung und Verhinderung von Telekommunikation. Auf diese will ich aber hier heute mit Blick auf die erste Beratung und mit Blick auf die Redezeiten nicht im Einzelnen eingehen.
Meine sehr verehrten Kolleginnen und Kollegen, es ist also schon in der kurzen Zeit ersichtlich, dass der Entwurf noch einige Forderungen des Verfassungsgerichtshofs offenlässt. Der Gesetzentwurf sieht in Artikel 2 eine Änderung im Ordnungsbehördengesetz vor, auf die ich hier auch noch eingehen will, und zwar die Normierung örtlicher Alkoholverbote. Kollege Fiedler, es ist richtig, es gab eine Einladung zu Ihrer Veranstaltung, ich habe dort einen Fehler in der Terminplanung gehabt, eine Dopplung. Ich sage Ihnen eines, ich bin als Bürgermeister zu einem wichtigeren Termin gewesen und das Recht nehme ich mir raus.
Hier geht es um einen Punkt, den die SPD in dem Kompromiss mit der CDU zur Residenzpflicht offensichtlich geopfert hat. Meine Damen und Herren von der Sozialdemokratischen Partei, ich will Sie nur daran erinnern, dass beim Landesparteitag der SPD am 16.03.2013 ein Antrag der Jusos „Kein Alkoholverbot in Thüringer Innenstädten“ angenommen wurde. Die Jusos und ihre Genossen, die dem Antrag zugestimmt haben, werden sich bei der Fraktion bedanken, wie ernst man mit solchen Parteitagsbeschlüssen umgeht.
Ganz nach dem Motto: Was interessiert mich mein Geschwätz von gestern, auch wenn es ein Christdemokrat war.
Meine Damen und Herren, im Gesetzentwurf hat man zwar einige Änderungen zum Referentenentwurf vorgenommen, viel besser ist er aber dadurch nach unserer Auffassung nicht geworden.
Die Intention des neuen § 27 a Abs. 1 ist insoweit verständlich und nachvollziehbar, da er dem Zwecke des Kindes- und Jugendschutzes dienen soll. Von der Intention her hätte ich keine Einwendungen, Kinder und Jugendliche vor Glasscherben oder anderweitigen Gefahren oder Verschmutzungen zu schützen. Ob es in der gewählten Form möglich ist, steht auf einem anderen Blatt.
Absatz 2 des § 27 enthält trotz Umformulierung die gleiche Intention wie im Referentenentwurf. Man will Menschen loswerden, die einem unliebsam
sind, die einem ein Dorn im Auge sind und deswegen nicht in das Bild passen. Meine Damen und Herren von CDU und SPD, das kann und darf nicht Sinn eines Gesetzes sein. Ich habe es im April-Plenum zum Antrag der FDP-Fraktion schon gesagt, die Frage nach der Kausalität von Alkoholkonsum vor Ort und die damit einhergehenden Straftaten kann nicht beantwortet werden. Es bleibt weiterhin offen, ob die Differenzierung von Alkoholkonsum vor und nach Eintritt in eine solche Verbotszone zu rechtfertigen ist. Es bleibt offen die unterschiedliche Behandlung von Freiflächen und Volksfesten eventuell zur Verbotszone und so weiter.
Meine Damen und Herren, diese Fragen werden Sie sich stellen müssen und wir werden sie auch stellen. Eine befriedigende Antwort werden Sie nach meiner Ansicht nicht geben können. Auch der Versuch, mit einer Lücke beim Schutz der öffentlichen Sicherheit und Ordnung zu argumentieren, wird fehlschlagen. Es gibt auch heute schon ausreichende Regelungen, den Schutz der öffentlichen Sicherheit und Ordnung zu wahren.
Wenn von einzelnen Störern eine Gefahr ausgeht, können Platzverweise erteilt oder die Störer sogar in Gewahrsam genommen werden. Die vorgesehene Regelung in § 27 a ist nach unserer Auffassung, meine Damen und Herren, also nicht nur verfassungsrechtlich problematisch, sondern auch noch höchst überflüssig.
Meine Damen und Herren, es gibt also noch viel zu beraten, aber nur begrenzte Zeit, die bis zum 30.09.2013 langt. Wir müssen uns im Parlament aber die Zeit nehmen, die gesetzliche Grundlage für unsere Sicherheitsbehörden so zu beraten und so zu beschließen, dass das Gesetz der Verfassung des Freistaats Thüringen und der Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts und des Thüringer Verfassungsgerichtshofs entspricht. Hierzu werden wir eine Anhörung durchführen müssen. Ich sage Ihnen eines, wir haben die Forderung, dass am Ende ein Polizeiaufgabengesetz stehen muss, das rechtsstaatlichen Bedingungen Genüge tut. Ich danke Ihnen.
Frau Präsidentin, meine sehr verehrten Kolleginnen und Kollegen, vorab nur kurz zwei Bemerkungen, einmal in Richtung Herr Bergner. Sie können mir
die Passage in dieser Novelle des PAGs nicht zeigen, die es erlaubt, wie Sie behauptet haben, dass Richter und Anwälte ständig überprüft werden.
Gäbe es diese Passage, würden wir diesem Gesetz nicht zustimmen, aber das ist so ein bisschen das Gefährliche auch an Ihrer Rede gewesen. Sie haben so kleine Details weggelassen sowie ständig solche Details hinzugefügt, die überhaupt nicht im Gesetz stehen. Und dann, wenn man das Gesetz so liest, muss man es natürlich ablehnen. Aber das ist nur eine kleine Bemerkung. Ich glaube, das können wir in der Ausschuss-Sitzung klarstellen.
Eine relativ für mich wichtige Bemerkung ist, Herr Abgeordneter Fiedler, dass ich die Relativierung des Verfassungsgerichtsurteils, so wie Sie das hier vorgetragen haben, ausdrücklich nicht teile.