Protokoll der Sitzung vom 21.06.2013

Vielen Dank, Herr Eckardt. Als Nächste hat jetzt Abgeordnete Anja Siegesmund für die Fraktion BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN das Wort.

Frau Präsidentin, meine sehr geehrten Damen und Herren, zu oft schlägt Herkunft Talent, zu oft bestimmt das Elternhaus künftige Bildungschancen. Wir leben in einer blockierten Gesellschaft.

(Beifall BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)

Dieser Befund hat uns als GRÜNE umgetrieben und wir haben uns eine Studie des Wissenschaftszentrums Berlin für Sozialforschung, die Dr. Pollack veröffentlicht hat, als Grundlage genommen, die Große Anfrage an die Landesregierung zu stellen. Pollacks Fazit lautet, dass wir uns in unserer Gesellschaft mehr Ungleichheiten leisten als notwendig sind und dass dies zulasten insbesondere der Kinder geht, die mit ihrer Herkunft bereits geringe Chancen haben aufzusteigen. Ich bin, meine sehr geehrten Damen und Herren, der Landesregierung sehr dankbar dafür, dass sie sich sehr viel Mühe gegeben hat, die Ergebnisse zusammenzutragen. Ich weiß, es war auch ein langer Prozess. Vor allen Dingen bin ich auch dankbar dafür, dass die Ministerien - das ist ja nicht nur das Sozialministerium

(Abg. Eckardt)

gewesen, sondern auch das Wirtschafts- und das Bildungsministerium - sich hier in aller Ausführlichkeit beteiligt haben.

Meine sehr geehrten Damen und Herren, ich will mich auch für die sachliche Debatte hier zum Thema bedanken, weil natürlich schon der Eindruck, dass soziale Ungleichheit die Menschen in der Republik sehr umtreibt, nicht nur für uns GRÜNE, sondern, ich nehme an, für so ziemlich alle Fraktionen hier im Hause gilt. Es heißt, dass Gerechtigkeit und Gleichheit die zentralen Themen sind, die die Menschen umtreiben. Erst gestern haben wir über ein funktionierendes Gemeinwesen gesprochen, eben auch dieser Aspekt gehört dazu. So heißt es im Koalitionsvertrag von CDU und SPD aus dem Jahr 2009 - Zitat: „Wir wollen niemanden zurücklassen, wir wollen allen Bürgerinnen und Bürgern Chancen eröffnen und sie in die Lage versetzen, sich an der gesellschaftlichen Verantwortung zu beteiligen. Wir brauchen Möglichkeiten für den persönlichen Aufstieg.“ Was, wenn nicht ein klares Bekenntnis zu sozialer Mobilität, ist genau dies. Das hat uns natürlich neugierig gemacht, wie jetzt das, was die Schreibgruppe für den Koalitionsvertrag notiert hat, auch tatsächlich zu den Handlungen der Koalition bislang passt.

In den vergangenen Jahren, meine sehr geehrten Damen und Herren, haben die Vereine und Verbände in Thüringen den Koalitionären und auch den anderen Fraktionen im Thüringer Landtag sehr genau auf die Finger geschaut, was sie sozialpolitisch stemmen, was für Ideen sie mit hier hereintragen. Ich erinnere nur an die Debatten, die wir im Rahmen des gemeinsamen sozialen Wortes mehrmals führten. Wir haben an dieser Stelle weniger ein Erkenntnisproblem, sondern vielmehr - und ich komme noch mal auf den entscheidenden Satz im Koalitionsvertrag zurück: „Wir wollen niemanden zurücklassen?“ - ein Umsetzungsproblem. Ich will das gern an verschiedenen Stellen deutlich machen.

(Beifall BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)

In der Antwort auf unsere Große Anfrage zur sozialen Mobilität zitiert die Landesregierung Dr. Pollack, den ich eben schon erwähnte, wie folgt. In der Antwort heißt es - Zitat: „In Schweden ist der Einfluss des Elternhauses auf die soziale Mobilität der Kinder um etwa 30 Prozent schwächer ausgeprägt als in der Bundesrepublik. Zudem nehme sowohl für ostdeutsche Männer als auch für ostdeutsche Frauen der Einfluss des Elternhauses in den vergangenen Jahren dramatisch zu.“ Pollak kommt zu dem Schluss: „Wir stehen vor einer Entwicklung unter der Überschrift ‚kaum Bewegung, viel Ungleichheit’.“ Und deswegen, meine sehr geehrten Damen und Herren, auch der Befund, wir leben in einer Gesellschaft, in der Herkunft immer noch wichtiger ist als Talent und andere Dinge.

„Wir lassen niemanden zurück“, das ist ein hoher Anspruch, den die Landesregierung formuliert hat. Um die Realität zu prüfen, haben wir die Landesregierung als Erstes gefragt, haben sie sich denn mit dem Thema soziale Mobilität bislang auseinandergesetzt? Es gab ein klares Nein, eigentlich eine sehr ehrliche Antwort. Nein, nicht wirklich, wir finden das auch wichtig und wir wollen das auch tun, aber bislang spielte das keine große Rolle für uns. Das zeigt auch, dass ein Konzept - und das fordern wir als GRÜNE ein - zu diesem Thema bislang fehlt. Dieses Konzept wäre eigentlich leichterdings aufzustellen gewesen, weil meines Wissens die drei beteiligten Ministerien, das Bildungsministerium, das Wirtschaftsministerium und das Sozialministerium, alle der SPD angehören und man an dieser Stelle gemeinsam an einem guten Konzept hätte stricken können.

(Beifall BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)

Das haben Sie aber bislang leider unzureichend getan. Nicht dass ich erwarte, dass die CDU-Partner Sie dabei unterstützen, das würde ich niemals voraussetzen, aber ich hätte wohl vorausgesetzt, dass das Thema bislang eine größere Rolle spielt. Stattdessen finanziert die Landesregierung, und sie duldet ganz und gar weitere Maßnahmen, die nachweislich soziale Strukturen verfestigen und soziale Mobilität verringern.

Das Stichwort Landeserziehungsgeld war bereits im Raum. Dazu gehört auch - ich sprach über die Frage bildungspolitische Ansätze - das unfreiwillige Sitzenbleiben, das praktisch überhaupt keinen pädagogischen Nutzen entwickelt. Das betrifft übrigens auch die Tatsache, dass an einigen Regelschulen im Land bis zu 33 Prozent der Schülerinnen und Schüler eines Abschlussjahrgangs keinen Schulabschluss schaffen. Wenn Sie sich diese Befunde angucken - alle nachzuschauen in den Anhängen zur Großen Anfrage „Soziale Mobilität“ -, dann frage ich mich, wie das zusammenpasst zu dem Anspruch im Koalitionsvertrag, wir lassen niemanden zurück. Es gibt Regelschulen in diesem Land, wo jeder Dritte ohne Schulabschluss einen Jahrgang verlässt. Ich finde, das ist ein Skandal.

Sie hätten, meine Damen und Herren, damit anfangen müssen, zunächst mal zu untersuchen, wie man in Thüringen soziale Mobilität, sozialen Aufstieg, Chancengerechtigkeit besser entwickeln kann. Dieses Konzept vermissen wir bis jetzt. Auch der Sozialstrukturatlas, der das künftig leisten soll, ist zwar ein Anfang, aber nicht das Konzept, was wir uns wünschen.

Die Landesregierung sagt selbst in ihrer Antwort, dass für eine zielgerichtete künftige Förderung die Indikatoren für eine landesweit vergleichbare, integrierte Sozialberichterstattung erforderlich sind und dass sie sich derzeit in der Folge des ersten Sozialstrukturatlas gemeinsam mit den Kommunen in der

Entwicklung befindet. Ich bin darauf sehr gespannt. Aber darauf zu warten, finde ich insofern schade, als dass es mir dann scheint, dass die letzten dreieinhalb Jahre verschenkt waren.

Ich will noch mal den Blick auf Schweden weiten: Der Einfluss des Elternhauses auf die soziale Mobilität der Kinder ist dort um 30 Prozent schwächer als in der Bundesrepublik. Die Landesregierung hat an der einen oder anderen Stelle tatsächlich selbst den Blick nach Schweden gewandt. Wir haben 2011 eine thüringisch-schwedische Bildungskonferenz erlebt. Damals führte die Landesregierung aus, dass eine die skandinavischen Erfahrungen berücksichtigende, vergleichbare soziale Mobilität eine bedarfsgerechte, abgestimmte Sozial- und Bildungsinfrastruktur in den Kommunen voraussetzt. Dann frage ich mich, wo sind Ihre kommunalpolitischen Ideen, wo ist das kommunalpolitische Konzept, das diesen Gedanken auch fortentwickelt. Ich gehe auch noch weiter, wenn ich sage, dass das schwedische Verhältnis bei der sozialen Mobilität eben nur durch ein abgestimmtes Konzept der Sozial-, Bildungs-, Familien- und Arbeitsmarktpolitik von Landes- und kommunaler, natürlich flankiert durch die Bundesebene gelingen kann. Deswegen reicht es uns auch nicht, meine sehr geehrten Damen und Herren, wenn sich die Landesregierung auf den durch das Bundesverfassungsgericht erzwungenen Anpassungen bei den Leistungen des SGB II ausruht. Es wäre von Vorteil, wenn die Landesregierung zumindest entscheiden könnte, ob sie sich nun prinzipiell weitere Formen beim SGB II wünscht oder nicht. An der Stelle hat man gesehen, dass doch zwei Ministerien an dieser Frage gearbeitet haben, da gibt es nämlich zwei unterschiedliche Antworten. Vielleicht können Sie das nachher einfach klarstellen, ob Sie an der Stelle sich entschieden haben.

(Beifall BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)

Meine sehr geehrten Damen und Herren, für eine koordinierte Bund-Länder-Kommunen-Politik im Bereich soziale Mobilität muss die Landesregierung proaktiv handeln und das Mindestlohngesetz, was vorhin hier im Raum war, was auf Bundesebene sozusagen mit Siebenmeilenstiefeln über den Bundesrat eingebracht wurde, scheint mir nach wie vor doch nur eine Scheininitiative zu sein. Sie haben, meine sehr geehrten Damen und Herren, unser Mindestlohngesetz, was im Land hätte Gültigkeit erfahren können, abgelehnt. Das muss sich die SPD auch immer wieder sagen lassen, vor der eigenen Haustür kehren, wäre manchmal auch gut.

(Beifall BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)

Gleichzeitig hätte ich erwartet, dass Sie sich auf Bundesebene gegen das Betreuungsgeld stemmen, dass Sie die wenigen guten Leistungen, die den Ausbau der Kita-Infrastruktur an der Stelle un

terstützen anstatt dem Betreuungsgeld zumindest passiv gegenüberzustehen.

Meine sehr geehrten Damen und Herren, es gibt viel zu tun, es gab viel zu tun und wenn wir uns den Ländervergleich der ostdeutschen Länder anschauen, zeigt das auch noch mal, der arbeitsmarktpolitische Bereich Thüringen hat mit einem Anteil von 43,9 Prozent gemeinsam mit Sachsen den zweithöchsten Anteil aller Länder im Niedriglohnsektor. Man könnte auch sagen, wir sind Schlusslicht, wenn es darum geht, gut zu verdienen. Das trifft eben vor allem Frauen. Wenn man sich auf der einen Seite hinstellt und sagt, wir bedauern, dass so viele gut ausgebildete Frauen das Land verlassen, und auf der anderen Seite stehen wir dieser Zahl von 43,9 Prozent gegenüber, muss man eigentlich nur noch zusammenbringen, was nicht zusammengeht. Solange es nicht eine vernünftige Lohnpolitik in diesem Land gibt, werden wir diese gut ausgebildeten Menschen hier auch nicht halten können und da braucht es gute Konzepte.

Wir fordern, dass Sie auch Frauen aktiv fördern und Barrieren für den Aufstieg beiseiteräumen. Das könnte man, indem man zum Beispiel in Ministerien anfängt, in landeseigenen Betrieben Gleichstellung vorlebt. Es kann ja nicht sein, dass sich in Spitzenpositionen in landeseigenen Betrieben nicht mal 10 Prozent Frauen befinden. Leben Sie sozialen Aufstieg auch für Frauen in öffentlichen Behörden vor, auch dann kommen wir einen Schritt weiter.

Meine sehr geehrten Damen und Herren, wir wollen gute Arbeit und gerechte Löhne, insbesondere für diejenigen, die hier bleiben möchten. Natürlich, wir wollen ihnen Perspektiven bieten und wir sehen, dass da zu wenig getan wird.

Ich komme noch einmal zum Bereich frühkindliche Bildung, der vorhin auch schon eine Rolle spielte. Ich glaube, man kann sich nicht darauf ausruhen, dass viele Länder auf Thüringen zeigen und das Kita-Volksbegehren, was von einigen Fraktionen hier im Saal unterstützt wurde, als Qualitätsmerkmal schlechthin darstellen. Ich glaube, dass wir inzwischen an dem Punkt sind, wo das Ganze auch weiter qualifiziert werden muss von der Finanzierung bis hin zur Frage, wie diejenigen, die in den Kitas arbeiten, auch von ihrer Hände Arbeit leben können. Das sind alles Punkte, die zu einem guten, einem stimmigen Konzept für soziale Mobilität fehlen, die wir vermissen. Wir brauchen also klare Antworten, denn wir haben aus unserer Sicht noch einen weiten Weg vor uns.

Meine sehr geehrten Damen und Herren, lassen Sie uns zum Thema weiter diskutieren. Wir sind der festen Überzeugung, dass die Landesregierung gute erste Antworten geliefert hat. Nichtsdestotrotz bleiben auch noch viele Fragen offen. Vielen Dank.

(Beifall BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)

Vielen herzlichen Dank, Frau Siegesmund. Es liegen jetzt keine weiteren Wortmeldungen aus den Reihen der Abgeordneten vor. Für die Landesregierung erteile ich jetzt Frau Ministerin Taubert das Wort.

Sehr geehrte Damen und Herren Abgeordneten, sehr geehrte Frau Präsidentin, wir haben mit der Großen Anfrage sehr ausführlich auf viele Bereiche unseres Lebens eine Antwort gegeben, wie soziale Mobilität auch zusammenhängt. Deswegen, Frau Siegesmund, wir haben kein aufgeschriebenes Konzept, aber wenn Sie merken, wenn Sie mal genau hinschauen, was die Landesregierung gerade in den letzten dreieinhalb Jahren alles angestoßen hat zum Thema persönliche Verbesserungen der Lebensverhältnisse, Möglichkeiten für einen sozialen Aufstieg, dann werden Sie sehen, natürlich ist ein Konzepthintergrund genau das, was Sie auch selbst beschreiben, dass wir unseren Kindern und Jugendlichen, jungen Erwachsenen, aber eben auch Menschen im Erwachsenenleben immer wieder die Möglichkeit geben wollen, mit bestimmten Maßnahmen im Bereich der Bildung oder im Bereich von Arbeit die Möglichkeit zu haben, ihre soziale Mobilität zu verbessern. Sie haben auch angesprochen, dass es durchaus schwierig und sehr langwierig ist, soziale Mobilität überhaupt auch abzubilden und Verbesserungen abzubilden. Sie haben ja selbst so eine Broschüre dazu gemacht, eine Studie entwickelt, die sehr gut, wie ich finde, gezeigt hat, wie sich über mehrere Generationen hinweg eigentlich soziale Mobilität entwickelt. Ich fand es auch sehr interessant, was Sie da an Erkenntnissen zum Thema DDR-Entwicklung mit einbezogen haben, nämlich dass da die soziale Mobilität geschwankt hat. Ich selber bin zum Beispiel auch so ein betroffenes Kind. Meine Eltern konnten beide studieren, gehörten der Intelligenz an und die Kinder durften dann nicht studieren. Es war nicht eine Frage, sondern es sollten halt andere entwickelt werden und das hat halt Einflüsse gehabt. Wir wissen, dass sehr elementare Bereiche, wie die Bildung, Wissenschaft, Kultur, ein gerechtes Bildungssystem, wichtig sind für soziale Mobilität, dass die Chancengleichheit von Frauen und Männern gleichermaßen wichtig ist und dass wir vor allen Dingen zum Thema Langzeitarbeitslosigkeit und Weiterentwicklung Berufsausbildung bzw. auch gute Arbeit etwas tun müssen. Das sind wichtige Punkte. Ich denke, man kann durchaus sagen, gerade der Anfang dieser Koalition hat bewiesen, wie hoch wir den Wert von sozialer Mobilität bewerten. Wenn Sie an das Thüringer Kindertageseinrichtungsgesetz denken und an das neue Schulgesetz, aber eben auch an Änderungen zum Thüringer Hochschulge

bühren- und -entgeltgesetz. Genau da geht es darum, dass Kindern und jungen Leuten die Möglichkeit gegeben wird, sich ihren Möglichkeiten und Fähigkeiten vor allen Dingen entsprechend zu entwickeln und mit einer positiven Lernumgebung auch Lernen tatsächlich zu ermöglichen und damit auch andere Möglichkeiten zu haben, als sie möglicherweise bei den Eltern noch bestanden haben.

Es geht also um die Kindertagesstättenentwicklung, um die inhaltliche Entwicklung, es geht um die Initiativen zum längeren gemeinsamen Lernen und zum Aufbau von Gemeinschaftsschulen, es geht um den Ausbau von Ganztagsschulen, aber auch den Modellversuch zur Förderung von Eltern-KindZentren. Wir haben gerade die Kooperation von Schule und Jugendhilfe mit der schulbezogenen Jugendsozialarbeit auf einen ganz neuen Weg gesetzt. Wenn Sie sich erinnern, ich kann das recht gut aufgrund meiner beruflichen Erfahrung: Wir streiten zwischen Schule und Jugendhilfe seit über 20 Jahren darum, wer wofür zuständig ist, und haben mittlerweile mit dieser jugendbezogenen Schulsozialarbeit jetzt die Möglichkeit, das Jugendhilfe und Schule enger zusammenrücken, und das, glaube ich, ist ganz wichtig, 10 Mio. im Jahr 2014 und fortfolgende sind jeweils durchaus ein Ausdruck, dass die Landesregierung sich genau diesen Themen widmet, nämlich dass Kinder unbelastet in der Schule lernen können.

Es geht natürlich auch um neue Methoden im Bereich des Lernens, es geht um die Stärkung des gemeinsamen Unterrichts und es geht zu einem weiteren Teil um die Bekämpfung von Kinderarmut. All die positiven Zahlen, die wir in diesem Jahr, Anfang des Jahres auch zur Kenntnis nehmen konnten, täuschen nicht darüber hinweg, dass wir trotz alledem einen Teil verfestigte Armut in Thüringen haben, der mit verfestigter Kinderarmut auch einhergeht. Wenn ich mal das Thema TIZIAN erinnern darf, an das Projekt, oder jetzt ist auch vom Wirtschaftsministerium und dem Sozialministerium gemeinsam das Projekt ThINKA, das ist ein Stadtteilprojekt, auf den Weg gebracht worden. Überall da geht es darum, dass wir Familien und insbesondere natürlich Kindern und Jugendlichen in belasteten Familien noch stärkere Möglichkeiten geben, sich selber zu entwickeln und damit auch den Eltern das ist ja auch ganz wichtig - die Chancen oder die Möglichkeiten einzuräumen, sich selbst zu verändern und damit auch den Kindern bessere Chancen einzuräumen. Ein Großteil des ESF, der auch für Integration, soziale und berufliche Qualifizierung eingesetzt wird, ist dafür großer Beweis.

Ich finde auch, eine weitere Barriere, die wir abgeschafft haben, ist bereits im Jahr 2010 passiert, es ging um die Änderung des Thüringer Hochschulgebühren- und -entgeltgesetzes. Am 8. Februar 2010 wurden die Verwaltungskostenbeiträge zum Wintersemester abgeschafft. Auch das ist ein Punkt, um

den jungen Leuten aus finanziell nicht so starken Familien das Studium weiter zu erleichtern. Es ist unbestritten, auch wenn es für viele zu wenig ist, dass wir mit dem neuen Hochschulpakt auch weiterhin die Möglichkeit haben und auch nutzen, Hochschulen so zu entwickeln, dass der Zugang doch leicht möglich ist.

Also eine Vielzahl von Maßnahmen, die wir auf den Weg gebracht haben. Offen trotz alledem noch einmal gesagt, ein aufgeschriebenes Konzept, wo Sie dann sagen können, Haken dran, erfüllt oder nicht erfüllt, das ist schriftlich so nicht verfasst. Aber das Ziel, soziale Mobilität in allen Bereichen zu verbessern und auch selbstbestimmtes Leben an der Stelle möglich zu machen, hat die Landesregierung in jedem Fall. Ich denke, da braucht es auch nicht noch einmal das aufgeschriebene Konzept. Wir haben in allen Bereichen geschaut und schauen auch zukünftig darauf, dass wir soziale Mobilität in Thüringen ermöglichen. Herzlichen Dank.

(Beifall CDU, SPD)

Vielen herzlichen Dank, Frau Ministerin. Es wurde keine Fortberatung im Ausschuss verlangt. Habe ich das richtig gesehen? Dann schließe ich damit diesen Tagesordnungspunkt.

Ich rufe auf den Tagesordnungspunkt 30

Beschäftigungsverhältnisse an den Thüringer Hochschulen im Jahr 2011 Beratung der Großen Anfrage der Fraktion DIE LINKE und der Antwort der Landesregierung - Drucksachen 5/4490/ 5382 - auf Verlangen der Fraktion DIE LINKE Unterrichtung durch die Präsidentin des Landtags - Drucksache 5/5940

Ich frage: Wünscht die Fraktion DIE LINKE das Wort zur Begründung ihres Beratungsverlangens? Das ist nicht der Fall. Dann eröffne ich hiermit die Beratung und darf als Erste Abgeordnete Susanne Hennig für die Fraktion DIE LINKE aufrufen.

Sehr geehrte Frau Präsidentin, sehr geehrte Damen und Herren Abgeordnete, wer im wissenschaftlichen Betrieb Fuß fassen möchte, muss mit prekären Arbeitsbedingungen zurechtkommen und die Wartezeit auf eine Professur meist mit privaten Mitteln vorfinanzieren. Das zeigt die Große Anfrage der Fraktion DIE LINKE zu den Beschäftigungsverhältnissen im Jahr 2011 auch für die Thüringer

Hochschulen. Abgefragt haben wir alle Beschäftigungsverhältnisse, vom studentischen Mitarbeiter und der studentischen Mitarbeiterin bis hin zum sonstigen Personal an Hochschulen. Gerade im sogenannten wissenschaftlichen Mittelbau, in dem knapp drei Viertel des wissenschaftlichen Personals einer Hochschule tätig sind und die als wissenschaftlicher Nachwuchs gelten, sind befristete Arbeitsverträge die Regel und Teilzeitverträge üblich. Wissenschaftliche Mitarbeiterinnen leisten aber die Arbeit, forschen und lehren, wie es die Professorinnen in einem ähnlichen Maß auch tun, und dennoch sind 84 Prozent von ihnen befristet eingestellt und sogar 43 Prozent sind befristet und in Teilzeit eingestellt, sprich doppelt prekär beschäftigt. Frauen werden im Hochschulbetrieb mit jeder Stufe auf der Wissenschaftsleiter weiter ausgesiebt. Unter den studentischen und wissenschaftlichen Hilfskräften ist der Anteil weiblicher Beschäftigter zwischen 49 und 53 Prozent noch als ausgeglichen zu bezeichnen. Bei den wissenschaftlichen und künstlerischen Mitarbeiterinnen findet man jedoch nur noch 34 Prozent weibliche Beschäftigte und man kann feststellen, eine strukturelle Benachteiligung von Frauen im Mittelbau bedeutet unweigerlich die Fortführung des ungleichen Geschlechterverhältnisses in höheren akademischen Beschäftigungsverhältnissen, was sich in Thüringen damit niederschlägt, dass lediglich 16 Prozent der Professorenschaft Frauen sind.

Werte Abgeordnete, Frauen sind in ihrem Zugang zu Beschäftigungsverhältnissen im Hochschulbereich demnach deutlich benachteiligt. Hinzu kommt, dass Frauen in Thüringen überproportional von Zwangsbefristungen und Zwangsteilzeitbeschäftigung betroffen sind und so eine wissenschaftliche Karriere mit höheren persönlichen Einsätzen erkämpft werden muss als, um das pauschal zu betrachten, für Männer gilt. Die Professur wirkt aber stets richtungsweisend auf Forschung und Lehre. Sie ist die zentrale Schaltstelle innerhalb des Systems Hochschule. Der Zugang zu höheren akademischen Positionen ist aber stark abhängig von den Sympathien oder dem Dazugehören zum engsten persönlichen Kreis eines Professors oder einer Professorin.

Die Gewerkschaft für Erziehung und Wissenschaft hat mit dem Templiner Manifest und dem Herrschinger Kodex bundesweit gültige Forderungen und Alternativen für gute Arbeit in der Wissenschaft aufgestellt. Beide Initiativen setzen an den wachsenden Herausforderungen für Beschäftigte im Wissenschaftsbereich an und der gleichzeitig steigenden Zahl prekärer Beschäftigungsverhältnisse. Eine der Forderungen der GEW aus dem Templiner Manifest bezieht sich explizit auf die Durchsetzung eines ausgeglichenen Geschlechterverhältnisses. Der Herrschinger Kodex hilft als Leitfaden den einzelnen Hochschulen, sich für gute Arbeit in der Wis

(Ministerin Taubert)

senschaft selbst verpflichten zu können. Selbst die Hochschulrektorenkonferenz hat sich 2012 Leitlinien zur Befristung von wissenschaftlichen Mitarbeiterinnen gegeben. Allerdings sind diese Leitlinien ein Plädoyer für mehr Befristungen an Hochschulen, die möglicherweise an das Fließband Wissenschaft mehr Menschen holt, aber die Kontinuität von Wissenschaft nicht garantieren.

Die studentischen Beschäftigten haben nahezu in Gänze befristete Verträge von unter einem Jahr, ihre Löhne schwanken von 5,72 € bis 8,11 € an den neun Thüringer Hochschulen. Personalvertretung ist nicht geregelt, Urlaubsansprüche in der Regel an den Hochschulen nicht bekannt, ebenso die Lohnfortzahlung im Krankenfall und Ähnliches. An dem Punkt haben wir ja schon einmal diskutiert. Es ist zwar sechs Jahre her, aber schon damals gab es eine Große Anfrage zu studentischen Beschäftigten hier im Landtag auch von der Fraktion der LINKEN. Sie wissen, es geht anders, Berlin hat Tarifverträge für studentische Beschäftigte, aber auch das ist in Thüringen in weiter Ferne, wie wir auch über Kleine Anfragen erfragt haben.

Die Anzahl der Promotionen steigt bundesweit zwar, aber das Betreuungsverhältnis wird immer schlechter. Das Bundesamt für Statistik hat noch 2010 dargestellt, dass ein Fünftel der Betreuer auf neun und mehr Promovierende kommt. In der Regel sind die Arbeitsverträge von Promovierenden, so sie denn Verträge haben, auf zwei bis drei Jahre befristet. Die Promotion läuft aber in der Praxis deutlich länger. Das hatte mir zumindest auch das Graduiertenkolleg in Jena bestätigt, das in der Regel von vier bis sieben Jahren Promotionszeit ausgeht. Viele Promovierende leben unter der Armutsgrenze oder an der Armutsgrenze. Knapp die Hälfte hat ein monatliches Einkommen von unter 1.100 €. Was zeigt sich damit? Jene Argumentation, und das ist auch in Thüringen üblich und auch Teil der Argumentation des Ministeriums, die dem Prinzip des besonderen Arbeitsplatzes Wissenschaft folgt, ist nicht mehr in den Lebensbedingungen des Hier und Jetzt. Brüche gehören zu Lebensläufen genauso wie Kinder, eine sichere Existenz und das Anrecht auf gute Arbeit. Prekäre Beschäftigungsverhältnisse erhöhen die Qualität von Wissenschaft nicht. Die Qualität der Beschäftigungsverhältnisse muss in den Ziel- und Leistungsvereinbarungen zwischen Landesregierung und Hochschulen verankert werden. Sie bedürfen einer reformierten bundesweiten gesetzlichen Regelung, die wir aus Thüringen anstoßen können. Die politischen Aushandlungsprozesse - und da wird mir das Ministerium vermutlich nicht zustimmen - um die Hochschulen und ihre nötigen Ressourcen müssen dabei radikal demokratisiert sowie partizipativ und transparent gestaltet werden in den Hochschulen und in der Politik. Die wenigsten in diesem Parlament wissen, dass die Ziel- und Leistungsvereinba

rungen zwischen dem Ministerium und den Hochschulleitungen ausverhandelt werden. Erst dieses Jahr haben wir festgestellt, was passiert, wenn Zielund Leistungsvereinbarungen an vielen Gruppen der Hochschulen vorbei verhandelt werden. Der Hochschulpakt wird nur mit Rektoren und Landesregierung verhandelt, da ist selbst das Parlament außen vor, das geht nicht mehr.