Protokoll der Sitzung vom 19.09.2013

Herr Kollege Fiedler, Sie haben doch die Möglichkeit, hier zu reden und ich lasse mich von Ihnen nicht ablenken. Ich habe Ihnen diese Sache schon oft genug um die Ohren gehauen.

(Beifall DIE LINKE, FDP, BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)

(Zwischenruf Abg. Fiedler, CDU: Du kommst auf 1 Prozent, wenn Du so weitermachst.)

Der Verfassungsgerichtshof hat dem Gesetzgeber aufgegeben, bis zum 30.09.2013 eine verfassungsgemäße Neuregelung zu treffen.

Der Gesetzentwurf der Landesregierung, der heute voraussichtlich hier vom Parlament verabschiedet wird, soll die vom Verfassungsgerichtshof geforderten verfassungsgemäßen Neuregelungen beinhalten. Die FDP-Fraktion ist der Auffassung, dass man leider den Vorgaben in keinster Weise durch den

Gesetzentwurf der Landesregierung gerecht wird, meine Damen und Herren.

(Zwischenruf Abg. Hey, SPD: Falsch!)

Ich bedauere das wirklich, da wieder einmal vom Staat ausufernde Regelungen getroffen werden, die früher oder später mit Sicherheit beklagt werden. Man muss schon einigermaßen naiv sein, meine Damen und Herren, wenn man glaubt oder hofft, der Verfassungsgerichtshof lässt das Gesetz in dieser Form bestehen.

Wir Liberalen hatten schon im März einen Antrag unter der Drucksachenummer 5808 gestellt. Der Antrag beinhaltete fünf Punkte, in denen es um die Gewährung von effektivem Rechtsschutz der Betroffenen einer Überwachung, um den Schutz des Kernbereichs der privaten Lebensgestaltung durch ein umfassendes Erhebungsverbot und um klare und bestimmte Regelungen ging. Der Innenminister hat in der Debatte erklärt, dass der Entwurf der Landesregierung den fünf Punkten des Antrags im Wesentlichen Rechnung tragen wird. Auch mein geschätzter Herr Kollege Fiedler hat gesagt, es bräuchte den Antrag der FDP nicht. Nach der Debatte und dem vorliegenden Gesetzentwurf, der so vehement von CDU und SPD verteidigt wird, kann ich Ihnen nur sagen, Sie haben falsch gelegen, meine Damen und Herren, es hätte des Antrags der FDP-Fraktion schon bedurft, um hier ein vernünftiges Regelungswerk vorzulegen.

(Beifall FDP, BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)

Hier hilft uns auch die Evaluation des Gesetzes nicht weiter. Die Idee der Evaluation ist richtig, aber erst einmal mögliche, ungerechtfertigte Grundrechtseingriffe vorzunehmen, um im Nachhinein festzustellen, dass diese rechtswidrig waren, ist und bleibt der falsche Weg.

(Beifall FDP)

Unsere Aufgabe als Gesetzgeber ist es, ein Gesetz auf den Weg zu bringen, das verfassungskonform ist. Bei den meisten Maßnahmen, sei es die Überwachung von Telekommunikation bis hin zur Abschaltung des Netzes, was massive Eingriffe in Grundrechte darstellt, reicht bei Ihnen, meine Damen und Herren, das Vorliegen einer Gefahr aus. Hier ist nicht von konkreter Gefahr die Rede, besser wäre sogar noch zu sagen, gegenwärtiger Gefahr.

Das Bundesverfassungsgericht hat wiederholt darauf aufmerksam gemacht, dass im präventiven Bereich solche Maßnahmen nur gerechtfertigt sein können, wenn mindestens hinreichend erkennbar ist, dass eine Gefahr für wesentliche Rechtsgüter vorliegt. Diesen Voraussetzungen wird der Gesetzentwurf nach meiner festen Überzeugung nicht gerecht.

(Beifall FDP)

(Abg. Fiedler)

Auch bei § 34 „Besondere Mittel der Datenerhebung“ werden meines Erachtens schon die ersten groben Fehler begangen. Nach § 34 ist die Anordnung der Maßnahme unzulässig, wenn Anhaltspunkte vorliegen, dass durch die Maßnahme allein Kenntnisse aus dem Kernbereich privater Lebensgestaltung erlangt werden. Das würde nach meiner festen Überzeugung bedeuten, dass eine Anordnung schon zulässig wäre, wenn eine einzige Bemerkung nicht zum Kernbereich gehört. Und ich sage Ihnen, in fast jedem privaten Gespräch wird auch mal über das Wetter gesprochen. Auch ein solcher ausschließlicher Kernbereichsbezug, wie es der Gesetzentwurf vorsieht, stellt nach unserer Auffassung keinen ausreichenden Schutz des Kernbereichs dar. Auch hier sollte man den Beschluss des Bundesverfassungsgerichts vom 12. Oktober 2011 ernst nehmen, liebe Kolleginnen und Kollegen.

(Beifall FDP)

Der § 34 Abs. 3 hat aber noch einen weiteren Punkt, der für uns kritisch zu betrachten ist. Er unterscheidet nach unserer Auffassung in unzulässiger Weise zwischen dem schlichten Kernbereich bei jedermann, bei den Geistlichen und bei den Berufsgeheimnisträgern. Warum Strafverteidiger oder Ärzte anders behandelt werden sollen, ist für mich absolut nicht nachvollziehbar.

(Beifall FDP)

Es kann nicht sein, dass sich Verteidiger und Rechtsanwälte einer ständigen Überwachung ausgesetzt sehen müssen, weil gerade diejenigen, die sich mit Strafverteidigern unterhalten, naturgemäß über Straftaten sprechen.

Meine Damen und Herren, also schon in der kurzen Zeit ist ersichtlich, dass der Entwurf noch einige Forderungen des Verfassungsgerichtshofs offen lässt.

Ich will jetzt noch auf den § 34 a Abs. 2 eingehen. Hier geht es um die Möglichkeit, den Staatstrojaner, der schon im Bereich der StPO mehr als umstritten ist, einzuführen. Auch dazu hat die FDP-Fraktion schon im Oktober 2011 einen Antrag eingebracht mit der Drucksache 5/3400. In dieser Drucksache, meine Damen und Herren, haben wir die Landesregierung aufgefordert, auf die Quellentelekommunikationsüberwachung, allgemein TKÜ genannt, zu verzichten und stattdessen nach alternativen technischen Möglichkeiten zu suchen. Natürlich wurde der Antrag auch damals von der CDU und SPD abgelehnt, weil man in Thüringen bisher keinen Gebrauch davon gemacht habe. Das stimmt auch, aber es stimmte vor allem, weil es aufgrund von Pannen nicht passiert ist, wie auch die Antwort auf eine Anfrage ergeben hat.

(Beifall FDP; Abg. Adams, BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)

Jetzt frage ich mich, warum im Polizeiaufgabengesetz eine solche Maßnahme eingeführt wird, wenn der Staatstrojaner in Thüringen nicht eingesetzt werden soll. Auch hier, meine Damen und Herren, bleiben wir bei unserer Auffassung, es wird keine rechtsstaatlich saubere Lösung für einen Staatstrojaner geben und deswegen ist er abzulehnen.

(Beifall DIE LINKE, FDP, BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)

Jetzt zu einem weiteren Problem, das sich in dem Artikelgesetz befindet. Der Gesetzentwurf sieht in Artikel 2 eine Änderung im Ordnungsbehördengesetz vor, auf die ich hier auch noch eingehen will. In § 27 a Ordnungsbehördengesetz soll normiert werden, dass Gemeinden und Verwaltungsgemeinschaften durch eigene Verordnungen örtliche Alkoholverbote erlassen können. Auch wenn der Gemeinde- und Städtebund ein Fürsprecher einer solchen Regelung ist und ich den einen oder anderen Bürgermeister verstehe - Sie wissen, ich bin selbst Bürgermeister -, der einer solchen Regelung auf den Leim geht, bin ich der festen Überzeugung, dass eine solche Regelung überhaupt nichts bringt. Die Anhörung hat aber auch gezeigt, dass die unbestimmten Rechtsbegriffe wie eine alkoholbedingte Straftat oder die Abgrenzung zu Freischankflächen überhaupt nicht klar sind. Wie soll festgestellt werden, meine Damen und Herren, dass sich in einer Gemeinde ein Gemeindegebiet durch alkoholbedingte Straftaten deutlich von anderen Gebieten abhebt? Wer stellt fest, dass der Alkohol auf dem Platz getrunken wurde und die Straftat nicht unter Alkoholkonsum in der Disko oder zu Hause erfolgt ist? Sie können die Frage nach der Kausalität von Alkoholkonsum vor Ort und die damit einhergehenden Straftaten nicht beantworten.

(Beifall FDP)

Es bleibt offen, wie Sie die unterschiedliche Behandlung von Freischankflächen und Volksfesten und so weiter zur Verbotszone begründen. Darauf, meine Damen und Herren, gibt es keine Antworten und es wird auch in Zukunft keine geben. Die Intention des § 27 a Abs. 2 besteht für mich darin, dass man Menschen loswerden will, die einem unliebsam sind, die einem ein Dorn im Auge sind und deswegen nicht in das Bild passen. Und, meine Damen und Herren von CDU und SPD, das kann und darf nicht Sinn und Zweck eines Gesetzes sein.

(Beifall DIE LINKE, FDP, BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)

Es gibt auch heute schon ausreichende Regelungen, den Schutz der öffentlichen Sicherheit und Ordnung zu wahren. Wenn von einzelnen Störern eine Gefahr ausgeht, können Platzverweise erteilt und die Störer sogar in Gewahrsam genommen werden. Die vorgesehene Regelung in § 27 a ist nach unserer Auffassung also nicht nur verfas

sungsrechtlich problematisch, sondern auch noch überflüssig.

(Beifall FDP)

Meine Damen und Herren, wir haben einen Änderungsantrag erarbeitet, der aus unserer Sicht rechtlich bedenkliche Regelungen aus dem Entwurf der Landesregierung beseitigt. Teilweise wäre es einfacher gewesen, einen eigenen Gesetzentwurf auf den Weg zu bringen. Wir haben uns aber bewusst an den Gesetzentwurf der Landesregierung gehalten, damit der Änderungsantrag oder einzelne Regelungen überhaupt eine Chance bekommen können, als mögliche Änderung einzufließen. Die Änderungen ziehen sich durch den kompletten Gesetzentwurf.

Gleich mit Punkt 1 wollen wir klarstellen, dass es sich bei der Verwendung des Gefahrenbegriffs im Polizeiaufgabengesetz immer mindestens um eine konkrete Gefahr handeln muss. Bisher war das Gesetz diesbezüglich nicht hinreichend bestimmt und wurde zu Recht auch bemängelt.

Auch will ich an dieser Stelle dem Datenschutzbeauftragten für seine Stellungnahmen danken sowie auch den anderen Anzuhörenden. Wir haben einige seiner guten Anregungen im Änderungsantrag aufgenommen. Wie ein roter Faden, meine Damen und Herren, und das im negativen Sinne des Wortes, zieht sich der mangelnde Schutz des Kernbereichs der privaten Lebensgestaltung sowie ein mangelnder Schutz bei den Berufsgeheimnisträgern durch den Gesetzentwurf der Landesregierung. Und auch das wollen wir mit unserem Änderungsantrag beheben.

Die Quellen-TKÜ, das heißt, die Möglichkeit des Staatstrojaners, haben wir gestrichen. Für die Unterbrechung beziehungsweise Verhinderung der Telekommunikation in § 34 d haben wir aufgrund des Eingriffs höhere Hürden auferlegt. Das fängt bei einer gegenwärtigen Gefahr an und mit Blick auf die Zeit kann ich allerdings nicht alles, was ich jetzt noch gern dazu erläutern würde, erläutern. Wir haben dort auch einen Richtervorbehalt mit eingefügt.

Bei der Wohnraumüberwachung in § 35 halten wir eine ausschließlich automatisierte Datenerhebung für unzulässig, denn es kann eben nicht sichergestellt werden - und das hat auch die Anhörung ergeben -, dass bei einer automatisierten Datenerhebung abgeschaltet wird, wenn es um den Kernbereich des privaten Lebens geht, meine Damen und Herren.

(Beifall FDP)

Sie sehen, es gibt bei diesem Gesetzentwurf jede Menge Änderungsbedarf. Ich wäre jetzt auch gerne noch auf Änderungsanträge der anderen Fraktionen eingegangen, das erlaubt mir leider meine

noch zur Verfügung stehende Redezeit nicht. Aber ich sage Ihnen eines: Wenn dieser Gesetzentwurf so durchgeht, wie er jetzt von der Koalition eingebracht ist, glaube ich nicht, dass er lange Bestand haben wird. Meine Damen und Herren, ich danke Ihnen.

(Beifall DIE LINKE, FDP, BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)

Danke schön. Für die SPD-Fraktion hat das Wort der Abgeordnete Gentzel.

Frau Präsidentin, werte Kollegen, der Koalitionsvertrag von CDU und SPD gibt der Landesregierung den Auftrag, das PAG zu novellieren. Den gleichen Auftrag, natürlich aus anderen Gründen, gab das Verfassungsgericht an den Landtag. Mit dem Gesetzentwurf vom 21.05.2013 kam die Thüringer Landesregierung beiden Aufträgen nach. Zusätzlich dazu erfolgte, im Wesentlichen auf Wunsch der Gemeinden, die Novelle des Ordnungsbehördengesetzes.

Zum Polizeiaufgabengesetz: Ich habe in der ersten Lesung formuliert, der Gesetzentwurf der Landesregierung scheint dem Gesetzentwurf der SPD-Landtagsfraktion aus der letzten Legislaturperiode nahe. Nach Prüfung kann ich sagen, das ist so.

(Beifall Abg. Höhn, SPD)

Welches sind die wesentlichen Änderungen im Polizeiaufgabengesetz? Die vom Verfassungsgerichtshof als unklar und unbestimmt gerügten Vorschriften wurden deutlicher und klarer gefasst. Es ist jetzt klar festgelegt, welche Eingriffsschwellen, also Gefahren, für welche Art von Datenerhebung vorliegen müssen. Die bisherige Anbindung einzelner Befugnisse an einen Strafkatalog wurde aufgehoben. Die auch nach unserer Auffassung zu enge Definition des Kernbereichsschutzes privater Lebensführung wurde ersatzlos gestrichen. Es gibt eine neue Regelung zum Abbruch von Datenerhebungen mit einer entsprechenden Dokumentationspflicht. Diese Regelung schützt den Kernbereich der privaten Lebensführung besser als vorher. Beim Geheimnisträgerschutz wird nicht mehr zwischen Anwalt und Verteidiger differenziert und zukünftig entscheidet ein Richter, ob bei automatischer Aufzeichnung von Gesprächen im Zweifelsfall diese verwendet werden dürfen. Der Richtervorbehalt wurde ausgebaut. Der Einsatz technischer Mittel zum Abhören des nicht öffentlich gesprochenen Wortes bei Observationen und dem Einsatz von verdeckten Ermittlern steht jetzt unter Richtervorbehalt.

(Abg. Bergner)

Meine Damen und Herren, all diese Veränderungen trägt die SPD-Landtagsfraktion mit. Wir begrüßen sie.

(Beifall Abg. Höhn, SPD)