Protokoll der Sitzung vom 26.02.2010

4. Wann werden zusätzliche Möglichkeiten zur Nachqualifizierung für Erzieherinnen an allgemeinen Schulen zur sonderpädagogischen Fachkraft im gemeinsamen Unterricht geschaffen?

Für die Landesregierung antwortet das Ministerium für Bildung, Wissenschaft und Kultur. Herr Staatssekretär Prof. Merten, Sie haben das Wort.

Hochverehrter Herr Präsident, meine sehr verehrten Damen und Herren Abgeordneten, die Mündliche Anfrage der Abgeordneten Sojka beantworte ich namens der Landesregierung wie folgt.

Zu Frage 1: Die Landesregierung räumt der Nachqualifizierung des Personals einen hohen Stellenwert ein. Die erforderliche Umsetzung des gemeinsamen Unterrichts kann nur mithilfe der Schaffung der notwendigen personellen Rahmenbedingungen gelingen.

Zu Frage 2: Für Lehrerinnen und Lehrer und sonderpädagogische Fachkräfte bestehen verschiedene Möglichkeiten der Nachqualifizierung in allen sonderpädagogischen Fachrichtungen. Die Nachqualifizierung der Lehrerinnen und Lehrer der allgemeinbildenden Schulen kann entweder an dem an der Universität Erfurt eingerichteten weiterbildenden Studiengang der Sonderpädagogik oder auf der Grundlage einer länderübergreifenden Kooperationsvereinbarung mit Sachsen an der Universität Leipzig erfolgen. Darüber hinaus kann auf der Grundlage eines Vertrags mit dem Verein Weiterqualifizierung im Bildungsbereich e.V. (WiB e.V.)/Aninstitut der Universität Potsdam, Lehrkräften ein berufsbegleitendes Studium in einer sonderpädagogischen Fachrichtung Pädagogik bei Beeinträchtigung in Sprache und Kommunikation am Studienort Bad Berka im ThILLM ermöglicht werden.

Die Nachqualifizierung zur sonderpädagogischen Fachkraft erfolgt nach der Thüringer Verordnung über die Nachqualifizierung zur sonderpädagogischen Fachkraft an Förderschulen vom 3. Februar 2004, geändert durch Verordnung vom 30. Juni 2008.

Zu Frage 3: Da sieht die Landesregierung derzeit keine Notwendigkeit der Veränderung.

Zu Frage 4: Wie bereits eben ausgeführt, wird derzeit keine Notwendigkeit gesehen.

Es gibt eine Nachfrage durch die Fragestellerin.

Der Hintergrund dieser Frage ist ein ganz konkreter Fall von einer Kollegin, die im gemeinsamen Unterricht eingesetzt ist, nicht an einer Förderschule, wo sie letztlich dadurch zurzeit nicht die Möglichkeiten hat, diesen Abschluss zu erhalten. Demzufolge kann sich dieses dann finanziell nicht entsprechend auswirken. Da stellt sich für mich die Frage: Sehen Sie wirklich keinen Bedarf, das so zu ändern, dass auch Kollegen, die im gemeinsamen Unterricht, außerhalb einer Förderschule, einer Tätigkeit nachgehen und sich nachqualifizieren, diese Anerkennung erhalten?

Werte Frau Abgeordnete, Sie werden verstehen, dass ich natürlich jetzt keine Einzelfallanalyse machen kann, zumal ich den Einzelfall gar nicht vor mir liegen habe. Da würde ich Sie bitten, unmittelbar an unser Haus heranzutreten. Wir werden uns den Einzelfall anschauen. Sofern sich zum einen ergibt, dass er innerhalb der rechtlichen Rahmenbedingungen jetzt möglich bearbeitet werden kann im Sinne

der Antragstellerin, dann werden wir das gern tun. Sollte sich daraus, und zwar über den Einzelfall hinaus, tatsächlich ein Strukturdefizit ergeben, so werden wir die notwendigen rechtlichen Voraussetzungen einmal kritisch prüfen, um dann gegebenenfalls die entsprechenden Voraussetzungen, sofern sich ein entsprechender Bedarf ergibt, auch zu schaffen.

Danke, Herr Staatssekretär. Es gibt keine weiteren Nachfragen. Es gibt auch keine Mündlichen Anfragen mehr. Deshalb schließe ich diesen Tagesordnungspunkt und rufe auf den Tagesordnungspunkt 13

Konsequenzen aus dem Urteil des Bundesverfassungsgerichts zu den Hartz-IV-(SGB II)Regelsätzen für Thüringen - Einführung einer Kin- dergrundsicherung Antrag der Fraktion DIE LINKE - Drucksache 5/474 - Neufassung - dazu: Änderungsantrag der Fraktion Bündnis 90/DIE GRÜNEN - Drucksache 5/514 -

Wünscht die Fraktion DIE LINKE das Wort zur Begründung? Das ist nicht der Fall. Da in Nummer I ein Sofortbericht gefordert ist und die Landesregierung signalisiert hat, diesen auch zu erstatten, erteile ich der Ministerin Frau Taubert das Wort.

Sehr geehrter Herr Präsident, meine Damen und Herren Abgeordneten, in Ziffer 1 des Antrags der Fraktion DIE LINKE wird die Landesregierung aufgefordert, zu den Auswirkungen des Urteils des Bundesverfassungsgerichts auf das Land Thüringen zu berichten. Dabei soll auch eine Bestandsaufnahme der derzeitigen Situation in Thüringen hinsichtlich der Zahl der Leistungsbezieher, insbesondere von Kindern und Jugendlichen, der Zahl der Widersprüche und Klagen und der Ausgaben der Kommunen für den Personenkreis erfolgen. Letztlich wird in Ziffer 1 des Antrags um Information gebeten, welche Handlungsnotwendigkeiten die Landesregierung aus dem Urteil ableitet. Der Bitte um Berichterstattung komme ich gern nach.

Die Landesregierung begrüßt das Urteil des Bundesverfassungsgerichts vom 9. Februar 2010. Ich will noch einmal daraus zitieren: „Das Grundrecht auf Gewährleistung eines menschenwürdigen Existenzminimums aus Artikel 1 Abs. 1 Grundgesetz in Verbindung mit dem Sozialstaatsprinzip des Artikels 20 Abs. 1 Grundgesetz sichert jedem Hilfebedürftigen

diejenigen materiellen Voraussetzungen zu, die für seine physische Existenz und für ein Mindestmaß an Teilhabe am gesellschaftlichen, kulturellen und politischen Leben unerlässlich sind. Dieses Grundrecht aus Artikel 1 Abs. 1 Grundgesetz hat als Gewährleistungsrecht in seiner Verbindung mit Artikel 20 Abs. 1 Grundgesetz neben dem absolut wirkenden Anspruch aus Artikel 1 Abs. 1 Grundgesetz auf Achtung der Menschenwürde jedes Einzelnen eigenständige Bedeutung. Es ist dem Grunde nach unverfügbar und muss eingelöst werden.“

Sehr geehrte Damen und Herren Abgeordnete, das Urteil zeigt, dass wir als Thüringer Landesregierung uns zu Recht auf Bundesebene für die Erhebung eines kinderspezifischen Bedarfs und eine Neubemessung der Kinderregelsätze eingesetzt haben. Thüringen wird sich, wie auch bisher, in den verschiedenen Bund-Länder-Arbeitsgruppen aktiv einbringen. Welche konkreten Auswirkungen das Urteil auf das Land Thüringen haben wird, hängt vom Ergebnis der nun anstehenden Neuregelung des Systems der Regelsatzbemessung ab. Kommt es zu einer Anhebung der Sätze, wird auch in Thüringen die Zahl der Leistungsberechtigten nach dem SGB II steigen.

In den letzten Jahren ist die Zahl der Bedarfsgemeinschaften in Thüringen von 150.636 im Jahr 2005 kontinuierlich gesunken auf zuletzt 131.865 im Oktober letzten Jahres. Von den insgesamt 232.745 Personen in Bedarfsgemeinschaften im Oktober 2009 waren 53.243 unter 15 Jahre. Die Zahl der hilfebedürftigen Kinder unter 15 Jahren ist damit in den vergangenen drei Jahren kontinuierlich gesunken. Konkret sank die Zahl von 161.116 auf 57.679 und eben zuletzt 53.243 im Herbst des vergangenen Jahres.

Die Zahl der Widersprüche gegen die Leistungsbescheide nach dem SGB II lag im Jahr 2005 bei 61.706, im Jahr 2008 bei 53.545 und im Jahr 2009 bei 54.883. Die Zahl der eingelegten Klagen betrug im Jahr 2008 9.523 und für das Jahr 2009 sind bis Oktober 9.411 neue Verfahren festzustellen. Es bleibt zu hoffen, dass der Bundesgesetzgeber mit der Neuregelung der Regelsatzbemessung Klarheit schafft und diese Entwicklung der Verfahrenszahlen nachlässt. Wir brauchen ein transparentes und klares Verfahren. Thüringen wird sich für eine solche Regelung einsetzen.

Zur Ausgabenentwicklung der Kommunen für die Aufwendungen für Unterkunft und Heizung lässt sich Folgendes ausführen. Im Jahr 2007 lag der kommunale Kostenanteil abzüglich des Bundesanteils der Sonderbedarfsbundesergänzungszuweisungen und der Landesregierung bei 87,5 Mio. €, 2008 lag der Anteil bei 82,7 Mio. € und im vergangenen Jahr schließlich bei 93 Mio. €.

Zu Punkt 2 a möchte ich Ihnen zur Kenntnis geben, dass die Verwaltungsvorschriften zur konkreten Umsetzung des Urteils bereits erlassen wurden. Zu den weiteren Punkten Ihres Antrags in Ziffer 2 finden derzeit Beratungen auf Bundesebene statt, die vor Initiativen der Länder abzuwarten sind.

Zu Punkt 2 b ist anzumerken, dass die UN-Kinderrechtskonvention infolge ihrer Ratifizierung im Jahr 1992 in Deutschland umgesetzt wird.

Was die mit Änderungsantrag der Fraktion BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN begehrte Rücknahme der sogenannten Vorbehaltserklärung betrifft, möchte ich auf entsprechende Entschließungsanträge im Bundesrat verweisen. Ganz aktuell sind dort zwei in der Abstimmung. Mit diesen Anträgen soll die Bundesregierung aufgefordert werden, unverzüglich die von ihr beim Generalsekretär der Vereinten Nationen hinterlegte sogenannte Vorbehaltserklärung zurückzunehmen. In einem anderen Antrag wird derzeit diskutiert, nochmals zu unterstreichen, dass die Bundesländer begrüßen, dass die Koalitionsvereinbarung zwischen CDU/CSU und FDP ebenfalls die Rücknahme der Vorbehaltserklärung beinhaltet.

Schließlich wird im Punkt 2 b noch die Einführung von Kindergrundrechten in das Grundgesetz begehrt. Als Thüringer Jugendministerin kann ich das insbesondere mit Blick auf Artikel 19 unserer eigenen Verfassung grundsätzlich nachvollziehen. Auch hier möchte ich kurz in die Verfassung des Freistaats Thüringen zu Artikel 19 schauen. In Absatz 1 steht: „Kinder und Jugendliche haben das Recht auf eine gesunde geistige, körperliche und psychische Entwicklung. Sie sind vor körperlicher und seelischer Vernachlässigung, Misshandlung, Missbrauch und Gewalt zu schützen.“ Da aber im Grundgesetz bereits Menschenrechte verankert sind und Kinder selbstverständlich davon erfasst werden und zudem vergleichbare Neuregelungen auch von anderen Gruppen erwartet würden, vom Sport zum Beispiel, vom Tierschutz und Behinderten, um nur einiges aus meinem Ressort zu benennen, wurde ein entsprechender Entschließungsantrag vor nicht einmal eineinhalb Jahren im Bundesrat abgelehnt. Ich hatte bereits darauf verwiesen, dass Bundesratsentscheidungen oft langwierig sind und es im Moment nicht angezeigt ist, einen derartigen Antrag sofort wieder zur Abstimmung zu bringen, weil er momentan keine Aussicht auf Erfolg hätte. Der von Ihnen eingeforderte Maßnahmenkatalog gegen Kinderarmut und Bildungsmangel ist in Zusammenarbeit mit verschiedenen sozialen Akteuren bereits in der letzten Legislaturperiode erarbeitet worden. In der Koalitionsvereinbarung zwischen CDU und SPD von Oktober 2009 ist zudem vereinbart worden, diese Gespräche mit den sozialen Akteuren zur Verbesserung der Situation armer Kinder fortzusetzen. Der bestehende Maß

nahmekatalog ist bereits Gegenstand im Plenum und auch im Landesjugendhilfeausschuss gewesen. Er wird fortlaufend überprüft und weiterentwickelt. Eine Auflistung der aktuellen Projekte werde ich bis zum gewünschten Termin vorlegen.

Sehr geehrte Damen und Herren, ich denke auch, dass wir bei dieser Thematik der Regelsatzbemessung weiter gemeinsam ein wachsames Auge darauf haben müssen, was die Bundesregierung in dieser Zuständigkeit tut. Danke schön.

(Beifall CDU, SPD)

Danke, Frau Ministerin, für den Sofortbericht. Ich frage, ist Beratung zum Sofortbericht gewünscht? Fraktionen DIE LINKE, Fraktion der CDU, Fraktion der SPD, BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN auch, von der FDP sehe ich keine Wortmeldung. Ich eröffne jetzt die Beratung zum Sofortbericht zu Nummer I des Antrags der Fraktion DIE LINKE, gleichzeitig eröffne ich die Aussprache zu den Nummern II und III des Antrags der Fraktion DIE LINKE und natürlich auch zum Änderungsantrag. Als erste Rednerin hat sich zu Wort gemeldet die Abgeordnete Ina Leukefeld von der Fraktion DIE LINKE.

Herr Präsident, meine Damen und Herren, Frau Ministerin herzlichen Dank für den Bericht. Es ist schon so, dass aus dem Artikel 1 des Grundgesetzes, der die Menschenwürdegarantie festschreibt, und aus dem Sozialstaatsgebot, die Richter des Bundesverfassungsgerichts in ihrem Urteil vom 09.02. das Grundrecht auf Sicherung des menschenwürdigen Existenzminimums abgeleitet haben. Um das noch mal klar zu sagen: Alle Menschen in Thüringen, egal wie alt sie sind und welchen kulturellen oder sozialen Hintergrund sie aufweisen, haben dieses vor Gerichten einklagbare Grundrecht. Denn es gibt nur eine unteilbare und gleiche Menschenwürde.

(Beifall DIE LINKE)

Und um es ganz klar zu sagen: Menschen mit und ohne Arbeit müssen in Würde leben können.

(Beifall DIE LINKE)

Wir haben es also mit einer Grundrechtsdebatte zu tun, und dazu gehört meines Erachtens auch, endlich soziale Grundrechte in das Grundgesetz der Bundesrepublik Deutschland aufzunehmen.

Das Urteil sagt, dieses Existenzminimum muss zwingend so bemessen sein, dass es für jeden Menschen

die gleichwertige soziale, kulturelle und politische Teilhabe am Leben der Gesellschaft absichert, und zwar bezogen auf den jeweiligen individuellen Einzelfall. Damit hat das Gericht das Existenzminimum als sogenanntes soziokulturelles Existenzminimum nach dem individuellen Bedarfsdeckungsprinzip bestimmt. Damit ist auch die von Hartz IV praktizierte strenge Pauschalierung von Leistungen für verfassungswidrig erklärt worden. Sie verstößt gegen das individuelle Bedarfsdeckungsprinzip und ist nicht mehr anwendbar. Die Lebensumstände und Bedürfnisse von Menschen lassen sich nicht normen, wie es mit Hartz IV versucht wurde, indem Kinder und Jugendliche - wir haben das öfter diskutiert - einfach als defizitäre Erwachsene behandelt und ihnen einfach ein gekürzter Prozentsatz des Erwachsenenregelsatzes zuerkannt wurde. In diesem bekannten Regelsatz war zwar ein Anteil für Spirituosen, aber eben keiner für Bildungs- und Ausbildungsbedarf, um nur eins zu nennen.

Diese Missachtung des individuellen Bedarfs von Kindern hat das Bundesverfassungsgericht daher besonders scharf kritisiert. Wir gehen davon aus, die Leistungen müssen erhöht werden ebenso wie die für Erwachsene, weil sie gegen das Grundrecht auf Sicherung des Existenzminimums verstoßen.

(Beifall DIE LINKE)

Die Debatte gestern dazu im Bundestag hat aber nun wieder gezeigt, dass sich das hinziehen wird, dass aus meiner Sicht die Gefahr besteht, dass es zerredet wird, statt unverzüglich deutliche Signale für die Menschen zu setzen.

Die politische Debatte zur Interpretation des Urteils von bestimmten Politikern offenbart meines Erachtens ein Menschenbild und ein Grundrechtsverständnis, über das ich, mit Verlaub gesagt, entsetzt bin.

(Beifall DIE LINKE)

Eigentlich wollte ich hier noch ein bisschen mehr zu dem sagen, was Herr Westerwelle in persona geäußert hat. Aber da kann ich mich getrost auf die Worte des Wirtschaftsministers Machnig vom gestrigen Tag zur Aktuellen Stunde beziehen. Der hat sich ja eindrucksvoll und kritisch mit den Äußerungen von Westerwelle auseinandergesetzt. Dem wäre nichts hinzuzufügen außer der Frage: Wer hat es erfunden? Das, meine Damen und Herren, müssen Sie sich schon sagen lassen. Hartz IV ist das Ergebnis einer rot-grünen Regierung, natürlich im Einvernehmen mit CDU, CSU und FDP.

(Beifall DIE LINKE)

Politisch und gesellschaftlich besonders schlimm ist, dass Sie sich mit dieser Hartz IV-Gesetzgebung zu Lakaien einer neoliberal-konservativen Umgestaltung des Sozialstaates gemacht machen.

Ja, Westerwelle spitzt die politische Konfliktlage zu. Er spielt im Kontext mit anderen und mit der gesellschaftlichen Debatte, die jetzt entbrannt ist, die Melodie von teile und herrsche und er spaltet. Nicht die Frage, dass Menschen, die arbeiten, mehr in der Tasche haben müssen als Hartz IV-Empfänger ist unsere Kritik. Unverschämt finden wir und viele Menschen die Tatsache, dass immer mehr Menschen, die arbeiten, so wenig Lohn beziehen, dass sie davon ohne Sozialtransfers nicht leben können. Das, meine Damen und Herren, ist die Schande in Deutschland.

(Beifall DIE LINKE)

Und das geht weit über die soziale Bearbeitung, Frau Sozialministerin, hinaus. Das betrifft alle in der Gesellschaft, und da darf man Sie oder das Sozialministerium auch nicht allein lassen. Leistung muss sich lohnen, aber offensichtlich wird in der Debatte daraus nicht der Schluss gezogen, dass die unzumutbaren Regelsätze nicht noch weiter gekürzt werden sollen, statt endlich gerechte Löhne zu zahlen. Umgekehrt wird ein Schuh draus, denn Kinderarmut ist zuallererst Elternarmut.

Meine Damen und Herren, die Leistungsbezieher haben laut Urteil den Anspruch auf Aufstockung der Leistung. Das stellt das Gericht klar. Es darf zwar noch einen nach statistischen Methoden errechneten Sockelbetrag geben, aber die Regelungen müssen die Bedarfsdeckung im Einzelfall absichern, also das Recht auf darüber hinausgehende Mehrbedarfe vorsehen. Da besteht meines Erachtens ein dringender Handlungsbedarf. Das betrifft mehr als nur den Härtefallkatalog. Die Bundesagentur für Arbeit will die Anordnung des Gerichts sehr eng auslegen. Das steht im Widerspruch zum Urteil und wird von den Sozialverbänden heftig kritisiert. Wir als LINKE schließen uns dieser Kritik ausdrücklich an. Auch einmalige Mehrbedarfe müssen abgedeckt werden wie Zahnersatz, Brillen, Kontaktlinsen, orthopädische Schuhe, um nur einige Beispiele zu nennen. Das ist für die betroffenen Menschen unverzichtbar. Die Neuberechnung der Regelsätze muss laut Gericht nach einem Warenkorb vorgenommen werden, der sich möglichst aktuell an den konkreten gesellschaftlichen Lebensverhältnissen und Bedürfnissen von Kindern, Jugendlichen und Erwachsenen als unterschiedliche Personengruppen ausrichtet. Die bisherige Einkommens- und Verbrauchsstichprobe (EVS) kann unserer Meinung nach diese Differenzierung nicht leisten. Außerdem wurde sie bisher in viel zu großem zeitlichen Abstand vorgenommen. Die Fraktion DIE LINKE fordert, dass die Neuberechnung der Regel

sätze von einer unabhängigen Kommission mit Fachleuten aus Wissenschaft und Praxis vorgenommen wird, die dann auch regelmäßig - ich meine jährlich - die Fortschreibung der Regelsätze übernehmen soll. Uns also überrascht das Urteil des Bundesverfassungsgerichts nicht, denn die Kritik von Verbänden, Organisationen und auch der LINKEN besteht von Anfang an. Zum Beispiel hat die Parität schon vor Einführung des SGB II ein umfangreiches Gutachten vorgelegt, wonach das vom Grundgesetz geforderte Existenzminimum nicht gedeckt ist und sie haben damals mindestens 420 € festgeschrieben und in dem Gutachten dargelegt, die dafür notwendig sind - bereits vor Einführung des SGB II. Heute werden durch die Parität 440 € gefordert. Sie wissen, dass DIE LINKE 500 € als Grundsatz für den Regelsatz fordert.