Protokoll der Sitzung vom 20.12.2013

Ja, wir hätten die Argumente austauschen können. Der Unterschied zwischen dem Antrag vom Juli und unserem Gesetzentwurf heute ist:

(Unruhe FDP)

Im Juli haben wir uns auf die Bundestagswahl verständigt und heute ist es ein Gesetzentwurf, der die Kommunalwahlen und die Landtagswahlen 2014 im Blick hat. Das ist schon mal der entscheidende Unterschied.

(Heiterkeit SPD)

Beim letzten Mal haben Sie uns erklärt, zu den Bundestagswahlen hätten wir gar kein Recht, einen Antrag zu machen und die Forderungen zu barrierefreien Wahllokalen aufzunehmen. Also haben wir das jetzt noch einmal zum Anlass genommen, für die Kommunalwahlen und die Landtagswahlen im Jahr 2014 einen Gesetzentwurf einzureichen.

(Zwischenruf Abg. Hey, SPD: Europawahl! Was ist mit der Europawahl?)

(Unruhe CDU)

Das ist schon mal ein sehr weitreichender und großer Unterschied. Das olle Argument, Kollege Gumprecht, der Plattenbauschule…

(Zwischenruf Abg. Bergner, FDP: Das war meins. Nicht mal das können Sie sich mer- ken.)

(Unruhe CDU)

Entschuldigung, das hat vielleicht was damit zu tun, dass Ihre Argumente einfach einheitlich waren, weil Sie es ablehnen. Damit wird es wohl etwas zu tun haben.

(Zwischenruf Abg. Bergner, FDP: Sie haben es immer noch nicht begriffen.)

Also das dumme Argument, dass eine Plattenbauschule nicht barrierefrei hätte hergestellt werden können, ist einfach absurd. Gehen Sie doch einfach

mal in die Stadtteile in Erfurt und andere Städte oder Landkreise, da ist in den vergangenen Jahren Barrierefreiheit hergestellt worden. Da wurden Rampen eingebaut, da sind Aufzüge angebaut worden.

Mit einem nächsten Argument sage ich Ihnen, warum die Forderung nach barrierefreien Wahllokalen gut und richtig ist: Die Vergangenheit hat es bewiesen, wer vor Ort kreativ ist, kann mit Vereinen und Verbänden, mit Wohnungsgenossenschaften auch Möglichkeiten finden, um barrierefreie Wahllokale anzumieten für dieses hohe demokratische Recht, wählen zu gehen.

(Unruhe FDP)

Das funktioniert. Da können Sie weiter rumbrüllen, wie Sie wollen, wir sind der Auffassung, dieses Recht sollte jeder Bürger in Thüringen, der betroffen ist, auch zu 100 Prozent für sich in Anspruch nehmen können.

Ich will auch noch einmal auf die Bemerkungen eingehen, die der Herr Innenminister im Juli zu unserem Antrag gemacht hat - ich gehe mal davon aus, er wird sich dann wieder zu Wort melden -, als er im Prinzip gesagt hat, in unserer Begründung sei die Verpflichtung des Nachteilsausgleichsgebots in Artikel 2 der Thüringer Verfassung und des UN-Abkommens über die Rechte der behinderten Menschen zur Herstellung der umfassenden Barrierefreiheit nicht vereinbar. Das haben wir uns noch einmal genau angeschaut, denn Hinweise eines Ministers nehmen wir schon ernst. Ich kann an der Stelle nur entgegnen, dass beide Regelungen, sowohl die Thüringer Verfassung in Artikel 2 als auch die UN-Behindertenrechtskonvention, individuelle, also letztendlich einklagbare Rechte für jeden einzelnen Menschen mit Behinderungen beinhalten. Diese Regelungen der UN-Konvention wurden in der Erkenntnis getroffen, wie wichtig diese individuelle Autonomie und Unabhängigkeit, Selbstbestimmung für Menschen mit Behinderungen ist, einschließlich der Freiheit, eigene Entscheidungen zu treffen. Es steht in Artikel 1 der UN-Behindertenrechtskonvention - noch einmal zum Nachlesen, Sie haben es vorhin ja auch noch einmal zitiert -, dass der Zweck dieser Übereinkunft ist, die volle gleichberechtigte Teilhabe, also den vollen Genuss aller Menschenrechte und Grundfreiheiten für Menschen mit Behinderungen zu fördern und zu gewährleisten. Es ist formuliert und es ist einklagbar.

Werter Kollege Gumprecht, Sie haben vorhin auch Artikel 29 der UN-Behindertenrechtskonvention angerissen,

(Zwischenruf Abg. Fiedler, CDU: Zitiert, nicht gerissen.)

denn den ganzen Artikel 29 haben Sie nicht vorgelesen, das würde ich gerne jetzt einmal ergänzen,

(Zwischenruf Abg. Fiedler, CDU: Na, dann machen Sie es doch mal!)

denn darin steht unter anderem, dass die Vertragsstaaten sicherzustellen haben, dass... „die Wahlverfahren, -einrichtungen und -materialien geeignet (...) sind“ - bis dahin haben Sie zitiert -, zugänglich, barrierefrei, leicht zu verstehen und zu handhaben sind, also zugänglich, barrierefrei. Ich denke, zu der Zugänglichkeit und Barrierefreiheit gehört natürlich auch die Barrierefreiheit der Wahllokale.

Die Argumente sind ausgetauscht. Ich würde gern mein Kollege Nothnagel hat es bereits angekündigt - in dem zuständigen Ausschuss auch noch einmal mit Betroffenenvertreterinnen und -vertretern argumentieren und mich auseinandersetzen. Darum noch einmal von meiner Stelle die Bekräftigung, unseren Gesetzentwurf an die Ausschüsse zu überweisen, dann kann vielleicht die Fragestellung Ihrerseits, ob es denn sinnvoll ist oder nicht, durch die Betroffenenverbände noch einmal begründet werden. Das wäre gelebte Demokratie auch im Vorfeld der Kommunalwahlen, Europawahlen und natürlich auch der Landtagswahlen. Danke schön.

(Beifall DIE LINKE)

Vielen Dank. Für die Fraktion BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN spricht Frau Abgeordnete Schubert.

Frau Präsidentin, meine sehr verehrten Damen und Herren, jetzt hat die Linksfraktion schon so viel Schelte bekommen, da muss ich das nicht alles noch einmal wiederholen, was meine Vorgänger gesagt haben. Auch wir hätten es gut gefunden, Sie hätten sich den Dingen, die hier zum Antrag vor einiger Zeit diskutiert wurden, insoweit angenommen, nicht quasi den gleichen Aufguss in Form eines Gesetzentwurfs zu bringen,

(Beifall FDP, BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)

nur damit man damit weiter vorne auf die Tagesordnung kommt.

Frau Stange hat eben die Kreativität angesprochen, die man vor Ort braucht, um Barrierefreiheit herzustellen. Ich möchte dazu nur eine Bemerkung machen: Ich habe mir auch Dokumente vom Institut für Menschenrechte angeschaut - möglicherweise habe ich das beim letzten Mal auch schon gesagt -, aber es gibt durchaus viele Stimmen, die sagen, schränkt uns bitte formal nicht zu sehr ein, damit wir genau diese Kreativität ausleben können, um vor Ort pragmatische Lösungen zu finden. Das nur mal ganz allgemein in den Raum gestellt.

(Beifall CDU, BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)

(Abg. Stange)

Über die Zugänglichkeit der Wahllokale ist schon viel gesprochen worden. Gestatten Sie mir nicht nur dazu eine ganz allgemeine Bemerkung. Auch wir sind der Meinung, dass eine hundertprozentige Barrierefreiheit gar nicht immer notwendig ist, da, wo sie nicht möglich ist - Herr Bergner hat davon auch gesprochen - oder auch nicht angemessen ist, aus welchen Gründen auch immer. Was sind wir denn für eine Gesellschaft, wenn nicht mehr im Mittelpunkt steht, dass man sich selbstverständlich gegenseitig hilft? Das geht an vielen Stellen. Jeder von uns braucht in irgendeiner Phase des Lebens immer Hilfe, egal, ob man nun zu denjenigen

(Beifall BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)

mit Behinderungen zählt oder nicht. Allerdings sind wir nicht der Meinung, dass man das Thema einfach beerdigen sollte. Da gebe ich Ihnen wieder recht, wir sind noch lange nicht da, wo wir sein müssten.

(Zwischenruf Abg. Stange, DIE LINKE: Da- rüber können wir ja diskutieren.)

Allerdings ist Ihr Gesetzentwurf lange nicht weitreichend genug, um sich mal mit den Problemen zu beschäftigen, die wir rund um das Thema „Barrierefreies Wählen“ haben. Dazu werde ich auch noch ein paar Ausführungen machen.

Herr Geibert hatte - und andere haben das auch betont - immer wieder gesagt, es hätte keine Hinweise und auch keine Beschwerden gegeben, dass jemand mit Behinderungen von seinem Wahlrecht nicht Gebrauch machen konnte. Aber darum geht es nicht allein. Ich weise darauf hin, dass immer noch viel mehr Menschen mit Behinderungen der Wahl fernbleiben. Der Prozentsatz der Menschen ohne Behinderung, die zur Wahl gehen, ist deutlich höher, daran muss man offensichtlich arbeiten. Es geht auch um das Wie der Wahl. Wenn Sie sich mal mit einem MDR-Bericht befassen, den es kurz vor der Bundestagswahl gab, da gibt es sehr wohl viele Beschwerden und viele Klagen, die den Schluss zulassen, dass wir an vielen Stellen manchmal mit wenig Aufwand viel tun können. Die Umwege im ländlichen Raum, die man in Kauf nehmen muss, wenn man zum Beispiel Rollstuhlfahrerin oder -fahrer ist, das ist bekannt. Es geht aber zum Beispiel auch um fehlende Blindenleitsysteme in Schulen. Da verweise ich auch noch einmal auf mein Wahllokal, wo ich immer wählen gehe, dass Beschilderungen manchmal einfach zu klein sind, das sind ganz einfache Dinge, die man dann vielleicht am Ende mit einem praktikablen Leitfaden lösen könnte, weil vielleicht derjenige, der gerade den Zettel schreibt, die Nummer des Wahllokals, einfach nicht auf dem Schirm hat, das ein bisschen größer zu machen. Das sind so diese kleinen Dinge. Dazu kommt auch, dass die Schrift auf den Wahlbenachrichtigungen angeblich - das kann ich jetzt aus eigener Erfahrung nicht bestätigen, weil

ich es nicht so genau beobachtet habe - immer kleiner geworden ist. Es gibt den Wunsch, diese Wahlbenachrichtigungen zum Beispiel im A4-Format auszugeben; das sind ganz einfache Dinge, auf die man sich dann vielleicht bundesweit einigen müsste.

Und - dazu ist letztes Mal schon viel gesagt worden - der Zugang zu den politischen Informationen vor der Wahl, während der Wahl und auch nach der Wahl gehört auch dazu.

(Beifall BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)

Ich möchte etwas näher eingehen auf den § 34 aus dem Thüringer Wahlgesetz und erst einmal darauf hinweisen, dass die Änderung, die Sie vorschlagen zu § 34 Abs. 2: „Der bisherige Absatz 2 wird Absatz 3“, und die Worte „durch körperliche Gebrechen behindert“ durch die Worte „wegen einer körperlichen Beeinträchtigung gehindert“ sollen ersetzt werden. Das steht schon so drin, meine sehr verehrten Damen und Herren von der Fraktion DIE LINKE. Das spricht auch nicht unbedingt dafür, dass dieser Gesetzentwurf mit der notwendigen Gründlichkeit vorbereitet wurde, meine sehr verehrten Damen und Herren.

Allerdings komme ich dann zu einem Aspekt, den Sie nicht berücksichtigt haben, um Ihnen mal die Bandbreite der Probleme aufzumachen, die wir hier eigentlich zu besprechen hätten. Sie reden an vielen Stellen von den Wahlschablonen. Die Praktikantin, die vor einiger Zeit bei uns gearbeitet hat und die blind war, hätte damit gar nichts anfangen können, weil sie keine Brailleschrift kann, weil sie die nicht beherrscht. Es gibt viele andere Hilfsmittel, die auch eine Brailleschrift nicht unbedingt notwendig machen, um im Alltag zu bestehen. Das Landeswahlgesetz, so, wie es jetzt ist, besagt auch, dass man Assistenz in Anspruch nehmen kann, wenn man - ich muss das gerade noch mal suchen - des Lesens unkundig oder wegen einer körperlichen Beeinträchtigung behindert ist, den Stimmzettel zu kennzeichnen. Das wirft möglicherweise auch in Thüringen Probleme auf, weil es gesetzliche Regelungen gibt, die Menschen, die zum Beispiel betreut werden, vom Wahlrecht ausschließen. Das ist ein sehr sensibler Punkt. Es gibt inzwischen viele Experten, die sagen, das ist nicht mit den Menschenrechten vereinbar und ich glaube, darüber sollte man sich unterhalten.

(Beifall BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)

Weil das dann auch bedeuten würde, dass Menschen - ich kenne das nicht aus der Praxis, in Sachsen habe ich das gehört - dann mit einer Person, die sie betreut, zum Wahllokal gehen und ihr Wahlrecht nicht in Anspruch nehmen können. Das muss diskutiert werden. Das wäre zum Beispiel keine Diskussion für jetzt, sondern für den Ausschuss. Diese Menschen vom Wählen auszuschließen, hal

te ich für fragwürdig. Natürlich stellt sich immer die Frage der Beeinflussung, aber bei der Briefwahl haben wir diese Kontrolle nicht, das heißt, es gibt tatsächlich eine unterschiedliche Handhabung. Leute, die Briefwahl wahrnehmen, können sich ihrer Assistenz bedienen und Menschen in den Wahllokalen unter Umständen eben nicht.

(Beifall BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)

Meine sehr verehrten Damen und Herren, wie gesagt, dem Gesetzentwurf würden wir so auf keinen Fall zustimmen, trotzdem ist es ein Anlass für uns, zu sagen, lasst uns das im Ausschuss besprechen. Man sollte auch eine Anhörung durchführen, um auch mit den Praktikern vor Ort ins Gespräch zu kommen. Wo sind wirklich die Probleme vor Ort? Wo stellen wir vielleicht fest, dass wir überhaupt gar kein Problem haben, und haben dann den Nachweis, dass das, was die Linke hier fordert, gar nicht zielführend ist? Insofern unser Antrag auf Überweisung. Herzlichen Dank.

(Beifall DIE LINKE, BÜNDNIS 90/DIE GRÜ- NEN)

Vielen Dank. Das Wort hat Abgeordneter Nothnagel von der Fraktion DIE LINKE.

Frau Präsidentin, meine sehr verehrten Damen und Herren, ich bin aufgrund der Debatte jetzt noch einmal vor ans Rednerpult gegangen. Ich denke, der wichtigste Punkt unseres Gesetzentwurfs ist es, die UN-Behindertenrechtskonvention so, wie sie nun einmal auch Gesetz ist, zu versuchen hier im Wahlrecht in Thüringen umzusetzen.