Frau Präsidentin, meine sehr verehrten Damen und Herren, ich bin aufgrund der Debatte jetzt noch einmal vor ans Rednerpult gegangen. Ich denke, der wichtigste Punkt unseres Gesetzentwurfs ist es, die UN-Behindertenrechtskonvention so, wie sie nun einmal auch Gesetz ist, zu versuchen hier im Wahlrecht in Thüringen umzusetzen.
Dass das nicht perfekt ist, haben wir in der Debatte gehört, aber im Ausschuss kann man darüber reden und kann diesen Gesetzentwurf weiter qualifizieren, wenn man das will, wenn man politischen Willen dazu hat. Wie ich hier entnehmen kann, scheint dieser politische Wille in diesem Haus im Moment nicht vorzuliegen. Natürlich gibt es, da gebe ich vielen meiner Vorredner recht, pragmatische Lösungen, aber da funktionieren sie und woanders funktionieren sie wiederum nicht. Wo sind dann die gleichen Bedingungen und die gleichen Rechte für alle? Deshalb bedarf es einfach auch gesetzlicher Regelungen. Da muss ich Ihnen dann ein bisschen widersprechen, weil mir meine Lebenserfahrung zeigt, nicht, was im Gesetz steht und was gesetzlich geregelt ist, wird letztendlich auch im Alltag, im Verwaltungsalltag umgesetzt.
Ja, na klar. Wir kennen zum Beispiel die Bauordnung, die Landesbauordnung, all die ganzen Geschichten und ich habe, als ich am 1. Juli 2012 wieder hierher zurückgekommen bin und mein Mandat angenommen habe, meinen Mitarbeitern gesagt: Wisst ihr, ich habe eigentlich keinen Bock mehr, mich weiterhin um Behindertentoiletten und um Absenkung von Bürgersteigen zu kümmern. Und was mache ich? Genau das.
So viel zu pragmatischen Lösungen. Deshalb noch mal mein Appell auch in die Richtung: Es geht wirklich nur, wenn ich auch einen politischen Willen dazu habe, behinderten Menschen das Wahlrecht im Wahllokal zu ermöglichen.
Ich bestreite doch nicht, dass wir seit den letzten Wahlen durch den Landeswahlleiter - ich habe im Vorfeld mit ihm persönlich gesprochen - durchaus viele Verbesserungen haben und dass es da auch Kommunikation zwischen den Behindertenverbänden, insbesondere dem Blindenverband, gibt. Das finde ich auch gut so. 50 Prozent Ja, aber 50 Prozent Nein. Das Problem - das hatten wir beim letzten Mal auch - ist der ländliche Raum. Das, denke ich, muss kurz-, mittel- und langfristig gelöst werden.
Dann gehe ich gerne wieder auf die Debatte der Finanzen ein. Da wünsche ich mir schon ganz gern, dass wir dann auch mal „einen Plan“ hätten - was wollen wir denn irgendwann wie umsetzen? Das fehlt mir einfach.
Ich möchte auch noch einmal Herrn Hey widersprechen. Das Deutsche Institut für Menschenrechte, was hier auch schon zitiert wurde - der Dr. Aichele hat mehrere Aufsätze zu dem Thema „Wahlen und Wahlrecht für Menschen mit Behinderungen“ gemacht. Er stellt natürlich schon die Briefwahl gegenüber dem Akt in einem Wahllokal infrage, dass das eine andere Qualität hat. Sich nur darauf zu berufen, reicht mir einfach nicht. Natürlich kann ich wählen, aber es ist leider etwas anderes.
Die UN-Behindertenrechtskonvention fordert in ihrer Präambel, aber auch in all den 50 Artikeln und in den Zusatzprotokollen, die Deutschland auch unterzeichnet hat, letztendlich eine neue Definition von Behinderung, ein neues Denken über Behinderung und das heißt aus meiner Sicht auch, wir müssen endlich ein neues Handeln in der Richtung umsetzen. Das fehlt mir leider. Das merke ich auch heute an dieser Diskussion. Leider hängen wir immer noch in dem medizinisch defizitären Behindertenbild und davon müssen wir uns endlich abkehren.
Natürlich gelten auch Wahlrecht und barrierefreie Wahlen für Europa, das ist doch wohl selbstverständlich.
Meine Bitte wäre, doch noch mal den politischen Willen im Hohen Hause zu überdenken und unseren Gesetzentwurf an den Ausschuss zu überweisen, um dort unseren Entwurf zu qualifizieren, weiterzuentwickeln und letztendlich auch ein Signal nach draußen an die behinderten Menschen zu senden, dass wir hier in Thüringen ein neues Wahlrecht wollen, was auch im Sinne der Betroffenen ist. Wichtig wäre mir dabei, dass man die Beteiligten und die Betroffenen vor Ort hier mit in diesen Prozess hineinnimmt. Ich glaube, dann bekommt man auch im Sinne pragmatischer Lösungen durchaus Lösungen.
Zum Schluss möchte ich noch einmal die Ausgrenzung von betreuten Menschen hier ansprechen. Das ist eigentlich ein Skandal in Deutschland, dass Menschen, die unter der Betreuung stehen, nämlich unter den drei Bereichen der Betreuung - Aufenthaltsbestimmungsrecht, die Finanzen und die Gesundheit -, automatisch von der Wahl ausgeschlossen sind, das finde ich schon skandalös und das muss endlich geändert werden. Das ist ein Verstoß gegen die Menschenrechte.
Danke schön, Herr Abgeordneter Nothnagel. Herr Abgeordneter Bergner, Sie hatten sich noch einmal zu Wort gemeldet, bitte schön.
Vielen Dank, Frau Präsidentin. Meine sehr verehrten Damen und Herren! Herr Nothnagel, ich möchte Ihnen ausdrücklich für diesen sachlichen Beitrag danken, der sich von dem Beitrag von Kollegin Stange wohltuend abhebt.
Ich will an der Stelle auch ganz klar sagen, ich lasse mich hier nicht in eine Ecke drängen, als würden wir behindertenfeindlich agieren, als würden wir arrogant über die Sorgen und Nöte hinwegsehen. Ich sage Ihnen eins, ich habe als Bauingenieur in meinem Leben mehr barrierefrei gebaut, als Sie je darüber reden können.
Es ist so. Daraus habe ich aus dieser Tätigkeit natürlich auch Kenntnis über Zwangspunkte, über technische Probleme, die Sie auch nicht wegdiskutieren können. Insofern bin ich also über die Dis
kussion von Kollegen Nothnagel sehr dankbar. Ich habe vorhin angekündigt, dass wir sehr wohl bereit sind, uns einer Debatte im Ausschuss zu stellen, weil an dem Gesetzentwurf aus meiner Sicht in der Tat sehr viel Änderungsbedarf besteht. Ich habe auch lange Zeit kommunalpolitische Erfahrung als Mitglied des Stadtrats und seit drei Jahren als ehrenamtlicher Bürgermeister und auch Erfahrung mit einem Wahllokal, dass meine Vorvorgängerin Ihrer Partei genauso eingerichtet hat wie ich als ehrenamtlicher Bürgermeister, nämlich in einer DDRPlattenbauschule, weil die Randbedingungen eben so sind. Das ist kein Vorwurf an Ihre Kollegin, die in Ihren Reihen sitzt, sondern es sind einfach die gleichen Randbedingungen, die wir dabei hatten. Damit muss man leben. Übrigens eine Schule, die uns als Kommune nicht gehört, sondern die dem Landkreis gehört, wo wir gar nicht die Chance haben, baulich selber Hand anzulegen. Die Alternative ist ein Bürgerhaus, deutlich weiter unten gelegen, geodätisch gesehen, wo man die Chance hätte, das stimmt. Aber die Zuwegung zu dem Bürgerhaus ist steiler als die 6 Prozent, die für Barrierefreiheit notwendig sind. Das sind die ganz konkreten praktischen Dinge. Ich stimme Ihnen zu, wir müssen uns über Verbesserungen Gedanken machen. Wir leben immer noch in einer Welt, in der in diesem Bereich viel zu viel Gedankenlosigkeit ist. Dies stelle ich überhaupt nicht in Abrede. Aber diese moraltriefende Verurteilung aller anderen Kollegen, die Sie hier vertreten haben, Frau Kollegin Stange, die lasse ich mir hier nicht bieten. Danke schön.
Herr Bergner, können Sie mir sagen, bis zu welchem Zeitpunkt die Kollegin, von der Sie gerade gesprochen haben, Bürgermeisterin in Ihrer Gemeinde war, und können Sie mir auch beantworten, seit welchem Jahr die UN-Behindertenrechtskonvention in Kraft getreten ist? Können Sie mir drittens noch beantworten, ob sich damit gesetzliche Änderungen ergeben haben, die zwingend neue Möglichkeiten eröffnen, um unter anderem auch barrierefreies Wählen zu gewährleisten?
Meine Vorvorgängerin war Bürgermeister bis zu der Wahl, in der sie abgewählt worden ist, und es hat in dem Wahllokal in dieser Schule stattgefunden. Irgendwelche Daten können Sie selber nachlesen, da bin ich nicht Ihre Auskunftei.
Danke schön. Ich sehe keine Wortmeldungen der Abgeordneten mehr. Möchte der Herr Innenminister sprechen? Bitte schön, für die Regierung.
Sehr geehrte Frau Präsidentin, meine sehr geehrten Damen und Herren Abgeordneten, soweit sich der vorliegende Antrag auf die Änderungen des Thüringer Landeswahlgesetzes bezieht, war dieses bereits Gegenstand eines ähnlichen Antrags in Drucksache 5/4215 im Rahmen des Gesetzgebungsverfahrens zum Fünften Gesetz zur Änderung des Thüringer Landeswahlgesetzes im März 2012, der seinerzeit abgelehnt wurde. Damals wie heute gilt, die Landesregierung sieht zum Thema „Barrierefreies Wählen“ keinen gesetzgeberischen Handlungsbedarf.
Wie bereits bei den vergangenen Landtagswahlen praktiziert, wird der Landeswahlleiter auch für die Landtagswahl 2014 in Abstimmung mit dem Blinden- und Sehbehindertenverband Thüringen e.V. wieder eine Stimmzettelschablone herstellen lassen. Diese Schablone wird allen Vereinsmitgliedern kostenfrei zur Verfügung gestellt. Aufgrund eines Hinweises auf der Wahlbenachrichtigungskarte werden auch Nicht-Vereinsmitglieder diese Schablone beim Blinden- und Sehbehindertenverband Thüringen beziehen können. Dies hat bisher funktioniert und hat sich auch bewährt.
Entsprechende Vorkehrungen wurden und werden auf Bundesebene auch für die Bundestags- und Europawahlen getroffen. Anders verhält es sich hingegen bei den Thüringer Kommunalwahlen. Hier gibt es im Gegensatz zu den Europa-, Bundestagsund Landtagswahlen keine einheitlichen Stimmzettel. Das liegt daran, dass es die Möglichkeit des Kumulierens und Panaschierens gibt, so dass sich die Stimmzettel von Wahl zu Wahl, von Ort zu Ort unterscheiden. Vor diesem Hintergrund ist es bei den Kommunalwahlen nicht möglich, einheitliche Stimmzettelschablonen zu fertigen.
setz ist festzustellen, dass sich dieser Antrag offensichtlich auf die Gesetzesfassung vor dem Fünften Gesetz zur Änderung des Landeswahlgesetzes vom 22. März 2012 bezieht - Frau Abgeordnete Schubert hat auch schon darauf hingewiesen -, denn diese Änderung war auch Bestandteil des seinerzeit verabschiedeten Gesetzentwurfs der Koalitionsfraktionen und ist bereits Gesetz.
Die Landesregierung betrachtet den vorliegenden Gesetzesantrag deshalb im Kern lediglich als einen Neuaufguss des seinerzeit bereits abgelehnten Änderungsantrags der Fraktion DIE LINKE.
Was die Barrierefreiheit von Wahllokalen betrifft, so war diese ebenfalls bereits des Öfteren Gegenstand einer Befassung im Thüringer Landtag. Dazu ist an dieser Stelle noch einmal Folgendes festzustellen: Nach dem Kenntnisstand der Landesregierung sind die Thüringer Städte und Gemeinden bei der Auswahl der Objekte stets bemüht, die Gesichtspunkte der Barrierefreiheit zu berücksichtigen. Aus einer im Hinblick auf die Bundestagswahl 2013 durchgeführten Umfrage des Landeswahlleiters geht hervor, dass sich die Anzahl der barrierefreien Wahllokale im Vergleich zu 2009 erhöht hat. Nach der Umfrage lag die Quote der barrierefreien Wahllokale im Juni 2013 etwa bei gut 50 Prozent. Eine flächendeckende Bereitstellung von barrierefreien Wahlräumen in allen Gemeinden dürfte aufgrund der baulichen Gegebenheiten kaum realistisch sein. Es werden jedoch örtlich Lösungen gefunden, die den Menschen mit Behinderung die Teilnahme an der Wahl zum Beispiel durch Überwinden von Stufen und durch Hochtragen ermöglichen. Von den Wahlvorständen wurde und wird auch weiterhin jegliche Anstrengung unternommen, dass auch nicht barrierefreie Wahllokale für die Betroffenen durch geeignete Hilfestellung erreichbar sind und diese ihr Wahlrecht vor Ort wahrnehmen können. Selbstverständlich werden die Mitglieder der Wahlvorstände den insoweit betroffenen Wählern jegliche notwendige Hilfestellung zuteilwerden lassen. Darauf wird auch in den wahlvorbereitenden Schulungen hingewiesen. Es ist bislang nicht bekannt geworden, dass bei vergangenen Wahlen ein behinderter Mensch in einem Wahllokal von seinem Wahlrecht keinen Gebrauch machen konnte.
Ich möchte auch darauf aufmerksam machen, dass die in dem vorliegenden Antrag zitierten Vorschriften der UN-Behindertenrechtskonvention und der Thüringer Verfassung keine zwingende Verpflichtung der Gemeinden enthalten, jedes einzelne Wahllokal barrierefrei auszugestalten. Gestatten Sie mir an dieser Stelle den Hinweis, Frau Abgeordnete Stange: Die UN-Behindertenrechtskonvention, Sie hatten eben nach dem Datum des Inkrafttretens gefragt, ist vom 13.12.2006 im Gesetz- und Verordnungsblatt veröffentlicht worden, aber Sie zi
tieren bemüht immer nur sinngemäß und nicht, wie es sich am Gesetzeswortlaut ergibt. Ich erlaube mir kurz, den Wortlaut von Artikel 29 hervorzuheben, nur in auszugsweisen Zitaten, die Vorschrift ist relativ lang: Artikel 29 - Teilhabe am politischen und öffentlichen Leben. Danach ist „sicherzustellen, dass Menschen mit Behinderungen gleichberechtigt mit anderen wirksam und umfassend am politischen und öffentlichen Leben teilhaben können (…); unter anderem (…) schützen sie das Recht von Menschen mit Behinderungen, bei Wahlen und Volksabstimmungen in geheimer Abstimmung ohne Einschüchterung ihre Stimme abzugeben, bei Wahlen zu kandidieren“ - Auslassung wieder -, „indem sie gegebenenfalls die Nutzung unterstützender und neuer Technologien erleichtern“ oder aber sie „erlauben zu diesem Zweck im Bedarfsfall auf Wunsch, dass sie sich bei der Stimmabgabe durch eine Person ihrer Wahl unterstützen lassen“. So weit die auszugsweisen Zitate. Das wird vollumfänglich eingehalten. Der Eindruck, der hier erweckt wird, dass Thüringen sich nicht an geltendes Recht halten würde, ist absolut falsch. Selbstverständlich wird all das beachtet, was in der UN-Behindertenrechtskonvention vorgegeben ist,
die bewusst auf manche Dinge auch verzichtet hat. Eine solche grundsätzliche Verpflichtung im Gesetz festzuschreiben, wäre aus Sicht der Landesregierung nicht unproblematisch, weil sich Gemeinden dann möglicherweise veranlasst sehen würden, nicht barrierefreie Gebäude als Wahllokale aufzugeben und eine im Sinne der Bürgerfreundlichkeit großzügig gewählte Anzahl von Wahllokalen bzw. Wahlbezirken zu verringern. Nur der Vollständigkeit halber darf ich abschließend noch auf die Möglichkeit der Briefwahl hinweisen, die es den Wählern ermöglicht, ihre Stimme von zu Hause aus abzugeben, so dass sie nicht auf das Aufsuchen eines Wahllokals angewiesen sind. Vielen Dank für die Aufmerksamkeit.