Protokoll der Sitzung vom 22.08.2014

(Beifall SPD)

Sehr geehrte Damen und Herren, der Untersuchungsausschuss hat in seiner letzten Sitzung mehrheitlich beschlossen, eine Vielzahl von Personen nur abgekürzt mit Initialen in dem Bericht aufzuführen. Durch die Vielzahl von Anonymisierungen werden nach Auffassung der FDP-Fraktion die Lesbarkeit und die Nachvollziehbarkeit des Abschlussberichts beeinflusst. Personen, deren Namen in der medialen Berichterstattung und anderen Veröffentlichungen genannt wurden und auch weiterhin genannt werden, lassen sich nunmehr nicht schnell und eindeutig im Abschlussbericht wiederfinden. Personen, die vom Untersuchungsausschuss in öffentlicher Sitzung vernommen wurden und deren Aussagen auch mit in den Abschlussbericht eingeflossen sind, müssen auch im Bericht vollständig benannt werden.

(Beifall im Hause)

Die öffentliche Berichterstattung hat stattgefunden.

Sehr geehrte Damen und Herren, Frau Präsidentin, lassen Sie mich schließen mit einem Zitat unseres Bundespräsidenten Joachim Gauck, ein Zitat aus seiner Rede auf der Gedenkfeier „Lichtenhagen bewegt sich“: „Es ist Vergangenheit, was uns heute hier in Lichtenhagen zusammenführt - was wir erinnern, was wir beklagen, was uns beschämt: Alles war vor 20 Jahren. Es ist Vergangenheit - das war mein erster Satz. Aber der zweite Satz heute kann nur lauten: Es ist die Gegenwart, die unsere Wachsamkeit, unsere Entschlossenheit, unseren Mut und unsere Solidarität braucht.“

(Beifall im Hause)

Diese Worte entsprechen genau dem, was mich persönlich, aber auch die gesamte FDP-Fraktion bewegt. Eine solche Mordserie und vor allem der lange Zeitraum des Nichtentdeckens darf sich nicht wiederholen. Ich bedanke mich für Ihre Aufmerksamkeit.

(Beifall DIE LINKE, SPD, FDP, BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)

Für die Fraktion DIE LINKE hat Frau Abgeordnete König das Wort.

Sehr geehrte Frau Präsidentin, liebe Gäste, liebe Anwesende, auch diejenigen am Live-Stream! Als Erstes, ich schließe mich dem Dank, der hier von vielen Rednerinnen und Rednern schon geäußert wurde, an, möchte aber weiteren Dank aussprechen an andere, die heute noch nicht erwähnt wurden, und zwar zum einen an die Vertreter von „NSU Watch“, die heute hier nach Thüringen gekommen sind

(Abg. Untermann)

(Beifall DIE LINKE, BÜNDNIS 90/DIE GRÜ- NEN)

und die dafür sorgen, dass auch in der Zukunft die Prozesstage in München für die Nachwelt ausführlich dokumentiert sind. Ich möchte mich genauso bedanken bei den anwesenden Antifaschisten und Antifaschistinnen, die schon in den 90er-Jahren sehr wohl zumindest in weiten Teilen Erkenntnisse hatten über das, was Neonazis in Thüringen, aber auch in anderen Bundesländern betrieben haben. Ich möchte einige davon, die heute hier anwesend sind, namentlich nennen. Michael Ebenau, der Vorsitzender der IG Metall aus Thüringen ist, genauso aber Lothar König, meinen Vater, der mit meiner Mutter hier ist, die beide in den 90er-Jahren aktiv gegen Neonazis auf die Straße gegangen sind.

(Beifall DIE LINKE, BÜNDNIS 90/DIE GRÜ- NEN)

Ich möchte denen danken, die uns im Untersuchungsausschuss als Sachverständige zur Verfügung standen, ausdrücklichen Dank an Matthias Quent, der heute auch anwesend ist, an Thomas Rausch, an Ovidio Almonacid, an Eric Henze, die uns an ihren Erkenntnissen, die sie damals am eigenen Leib, am eigenen Körper erlebt haben, ausdrücklich haben versuchen lassen, die Atmosphäre der 90er-Jahre nachzuvollziehen. Unser Dank gilt ausdrücklich den Antifaschisten und Antifaschistinnen der 90er-Jahre, aber auch denen, die heute noch aktiv sind.

(Beifall DIE LINKE, SPD, BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)

Das Problem heißt Rassismus. Das müssen wir auch als solches ganz klar benennen. Wenn fast 50 Prozent der Thüringer Bevölkerung der Aussage zustimmen, dass Deutschland gefährlich überfremdet sei - und das bei einem Ausländeranteil in Thüringen von 2,3 Prozent -, dann haben wir über den möglichen Einzug der NPD in den Thüringer Landtag, den es zu verhindern gilt, ein viel größeres Problem, nämlich Rassismus, der so tief in der Alltagsgesellschaft verankert ist, dass wir alle beginnen sollten, zu reflektieren, wo unsere jeweilige Verantwortung daran liegt, dass wir es bis heute nicht geschafft haben, diese Einstellungen, dieses Potenzial herunterzufahren. Ich halte das für unsere Hauptaufgabe in den nächsten Jahren, in den kommenden Monaten,

(Beifall DIE LINKE, SPD, BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)

um zu verhindern, dass es zukünftig weitere solche Taten wie die Taten des NSU geben wird. Es gab auch vor dem NSU Morde durch Neonazis aufgrund ihrer mörderischen Ideologie, aufgrund von Rassismus und Antisemitismus. Ich möchte zumindest auch die anderen Opfer hier einmal erwähnen: über 180 Tote rechter Gewalt seit 1990 in Deutsch

land. Diejenigen, die für das Töten, für das Zusammenschlagen mitverantwortlich sind, sind zum Teil V-Leute gewesen. Sie sind bezahlt worden, obwohl sie als Nazis Menschen zusammengeschlagen haben, versucht haben, Menschen zu töten. Da wenigstens ein Beispiel - es geht nicht nur um Tino Brandt. Es geht auch um andere V-Leute anderer Bundesländer, Beispiel „Piatto“ alias Carsten Szczepanski, der vom Brandenburger Verfassungsschutz geführt wurde. „Piatto“ hat gemeinsam mit weiteren 15 Neonazis versucht, den Flüchtling Steve Ereni, der kurz vorher erst nach Deutschland gekommen war, anzuzünden. Als das Anzünden nicht funktionierte, haben sie ihn bewusstlos in einen See geworfen mit dem Ziel, mit der Hoffnung der Neonazis, dass er stirbt. Es ist pures Glück gewesen, dass er überlebt hat. Carsten Szczepanski wurde als V-Mann für das Brandenburger Verfassungsschutzamt angeworben. Sein V-Mann-Führer Gordian Meyer-Plath ist heute der Präsident des Sächsischen Landesamtes für Verfassungsschutz. Ich halte das für eine Unverschämtheit. Ich halte das für einen moralischen Fehler und ich sage, aufgrund all dieser Erkenntnisse zu den diversen VLeuten diverser Sicherheitsbehörden kann es nur eine logische Konsequenz geben: Der Verfassungsschutz muss abgeschafft werden. Das V-Leute-System gehört beendet. Alles andere wäre meines Erachtens keine adäquate Antwort auf die Erkenntnisse, die wir bis heute haben.

(Beifall DIE LINKE, BÜNDNIS 90/DIE GRÜ- NEN)

Bodo Ramelow hat es schon erwähnt, wir gehen von einem Netzwerk aus, von einem Unterstützernetzwerk, welches weit größer ist als das bisher bekannte. Wir haben versucht, das in unserem Sondervotum darzustellen. Wir sagen, dass die hinter und mit dem NSU, dem Thüringer Heimatschutz, „Combat 18“, aber genauso auch dem Ku-KluxKlan stehenden Ideologien faktisch als Unterstützer mit zu werten sind, all diejenigen, die dort Mitglied waren und denen ein Kennverhältnis zum NSU nachgewiesen werden kann. Darüber hinaus gibt es zusätzlich zur praktischen Unterstützung weitere ideologische Unterstützer. Wir sind der Meinung, ja, die gehören vor Gericht, ja, die müssen entsprechend belangt werden für das, was sie getan haben. Über die Nazis hinaus gilt das jedoch genauso auch für Vertreter von Sicherheitsbehörden. Wir hoffen, dass es in der kommenden Legislatur möglich sein wird, einen weiteren Untersuchungsausschuss einzuberufen. Wir zumindest setzen uns dafür ein und hoffen, dass andere sich uns anschließen werden, um wirklich aufzuklären, so wie es von Anfang an zugesagt wurde. Danke schön.

(Beifall DIE LINKE, BÜNDNIS 90/DIE GRÜ- NEN)

Für die Landesregierung hat Ministerpräsidentin Lieberknecht das Wort.

Sehr geehrte Frau Präsidentin, sehr verehrte Angehörige auf der Tribüne und Vertreter des Diplomatischen Korps, meine sehr verehrten Damen und Herren, zunächst einmal an das Hohe Haus hier, an die Fraktionen: Vielen Dank für diese Debatte, bei der, glaube ich, jeder gespürt hat, wie ernst es allen Fraktionen ist, aber wie ernst es auch der Landesregierung ist, dass die Wahrheit herausgefunden wird. Bei allen Unterschieden in den sonstigen politischen Meinungen haben wir es uns hier im Landtag über alle Fraktionen hinweg, auch gemeinsam mit der Landesregierung erarbeitet, dass wir einen Konsens haben, einen Konsens in der Verurteilung jeder Form von Nationalismus, Rassismus, Antisemitismus, Ausländerfeindlichkeit und Intoleranz. Ich erinnere hier auch an die gemeinsame Erklärung aller Fraktionen des Thüringer Landtags für ein demokratisches, tolerantes und weltoffenes Thüringen vom 29. September 2009, zu Beginn der Legislaturperiode vor fünf Jahren. Das war der erste Inhaltsbeschluss, den wir nach der Wahl hier im Hohen Haus gemeinsam gefasst haben.

(Beifall im Hause)

Meine sehr verehrten Damen und Herren, gestatten Sie auch mir, dass ich mich zunächst an die überlebenden Opfer sowie an die Angehörigen der Toten des NSU-Terrors wende und auch an diejenigen, die Betroffene des Anschlags in der Keupstraße in Köln gewesen sind. Das Leid, das Ihnen zugefügt wurde, können wir nicht ermessen. Die Verluste, die Sie erlitten haben, lassen sich nicht wiedergutmachen. Die Demütigungen, die Sie durch falsche Verdächtigungen ertragen mussten, haben Ihren Schmerz noch vergrößert. Beschämt muss auch ich Ihnen, den Angehörigen der Opfer und den Betroffenen des Nagelbombenanschlags in der Keupstraße von Köln, bekennen, unser Land, unser Staat, unsere Behörden haben versagt. Es ist uns in Deutschland nicht gelungen, Sie und Ihre Angehörigen zu schützen. Ich verneige mich vor den Opfern und Ihnen, den hinterbliebenen Angehörigen, mit Scham, mit Trauer und mit der Bitte um Vergebung.

Darüber hinaus, meine sehr verehrten Damen und Herren, ist es uns jahrelang nicht gelungen, und das wurde überaus deutlich in dieser Debatte, die wir gerade hier im Hohen Haus geführt haben, die wahren Hintergründe der Morde zu erkennen und die Täter dingfest zu machen. Jahrelang haben die Täter ihre Verbrechensspur durch ganz Deutschland gezogen. Sie haben geraubt und gemordet, mit brutaler Gewalt, kalt, mit Kalkül. Heute wissen wir, die mutmaßlichen Täter kamen aus Thüringen, aus Jena. Sie wuchsen hier auf, gingen hier zur

Schule, sie glitten hier in die rechtsextreme Szene ab. Sie radikalisierten sich. Sie waren bereits im Jahr 1998 als Bombenbauer ins Visier der Ermittler geraten, bevor sie von hier aus in den Untergrund abtauchten. 13 Jahre blieben sie unerkannt. Richtig ist zwar auch: Ermittlungsfehler und Behördenversagen im Zusammenhang mit dem rechtsterroristischen Untergrund gab es auch in anderen Ländern, aber die Spur nahm hier in Thüringen ihren Anfang. Diese Tatsache hat mich tief erschüttert, als ich davon erfuhr. Deshalb habe ich auch Thüringen von Anfang an in einer besonderen Verantwortung gesehen, für Aufklärung zu sorgen, und zwar vollständig, schonungslos und transparent. So habe ich es in meiner Regierungserklärung vom 16. November 2011 gefordert. Aufklärung ist die Voraussetzung dafür, die tiefe Vertrauenskrise aufzuarbeiten, in die uns das Versagen der Behörden gestürzt hat. Gewiss, keine Kommission, kein Untersuchungsausschuss kann ungeschehen machen, was den Opfern und Ihnen als Angehörige widerfahren ist. Aber ein Untersuchungsausschuss kann Licht ins Dunkel bringen, er kann Vergangenes aufarbeiten, Fehlentwicklungen aufzeigen. Er kann Versagen beim Namen nennen. Und das haben die Abgeordneten in mühevoller Kleinarbeit vorbildlich getan, bei all den Fragen, die nach wie vor einer Klärung harren. Sie haben gezeigt, was wir tun können, ist, Geschehnisse aufzuklären, Vorgänge aufzuarbeiten, daraus zu lernen und die richtigen Konsequenzen zu ziehen. Ich meine auch, das ist die politische und moralische Verantwortung, die wir tragen. An dieser Stelle möchte ich ausdrücklich allen Mitgliedern des Untersuchungsausschusses und namentlich der Vorsitzenden Dorothea Marx für ihre umfassende Arbeit danken,

(Beifall im Hause)

natürlich auch allen danken, die dazu beigetragen haben: als Mitarbeiter für den Ausschuss, der Landtagsverwaltung, in den Ministerien, aber auch in den Fraktionen. Sie haben unzählige Seiten Akten ausgewertet, hunderte Zeugen und Sachverständige wurden vernommen und befragt. Dadurch ist ein umfassendes Mosaikbild entstanden, das sowohl die Entwicklung der Terrorzelle NSU als auch das Handeln der Behörden aufzeigt. Im Kern bestätigt der Bericht die Ergebnisse, zu denen bereits die unabhängige, von Innenminister Geibert eingesetzte Schäfer-Kommission gekommen ist. In Teilen gehen die gewonnenen Erkenntnisse aber auch deutlich darüber hinaus.

Der Wille der Landesregierung war es, nach bestem Wissen und Gewissen das zu tun, was ich mit vollständiger, transparenter und schonungsloser Aufklärung angekündigt hatte. Die Ministerien und Behörden haben umfassendes Aktenmaterial zur Verfügung gestellt, dazu auch zahlreiche als geheim eingestufte Dokumente unter den notwendigen Sicherheitsmaßnahmen übersandt und zu

gänglich gemacht. Durch die konsequente Haltung hat die Landesregierung - und das klang hier auch schon an und gerade in Ihrem Votum, Herr Ramelow - durchaus gegen den Widerstand aus Sicherheitskreisen anderer Länder und des Bundes das getan und vertreten. Wir konnten uns auch verlassen auf den verantwortungsvollen Umgang der Abgeordneten, der Ausschussmitglieder mit diesen sensiblen Daten. Aber ich hatte eine ganz klare Position: Was in den Behörden Mitarbeitern zugänglich ist, muss auch den Abgeordneten der Parlamente zugänglich sein, hier im Thüringer Landtag, im Deutschen Bundestag und auch anderswo.

(Beifall im Hause)

Darüber hinaus hat sich die Landesregierung unmittelbar nach dem Aufdecken des Terrortrios - ich sagte es bereits - selbst um Aufklärung bemüht mit der Einberufung der Schäfer-Kommission. Sie deckte erhebliche handwerkliche und strukturelle Defizite beim Handeln der Thüringer Sicherheitsbehörden ab Mitte der 90er-Jahre auf. Wir haben diesen Bericht sowohl den Untersuchungsausschüssen des Deutschen Bundestages und des Thüringer Landtags als auch allen Fraktionen des Thüringer Landtags zukommen lassen. Er hat gezeigt, es mangelte damals nicht nur an der notwendigen Abstimmung innerhalb und zwischen den einzelnen Sicherheitsbehörden einerseits und andererseits der Justiz. Auch die Auswertung, Informationsweitergabe, Dokumentation und Kontrolle durch die Leitung der Behörden war damals unzureichend.

Meine sehr verehrten Damen und Herren, ein wichtiger Satz aus dem Resümee des Abschlussberichts des Untersuchungsausschusses des Landtags ist für mich der folgende, da heißt es: „Für die gezielte Gründung oder den Aufbau von Strukturen der extremen Rechten konnte der Untersuchungsausschuss keine Belege finden. Allerdings gibt es hinreichend Gründe, von einer mittelbaren Unterstützung und Begünstigung derartiger Strukturen durch das TLfV [Thüringer Landesamt für Verfassungsschutz] zu sprechen.“ Ich meine, dieser Satz belegt zweierlei: Erstens, er belegt, dass durch mangelnde Informationsweitergabe und durch fehlende Zusammenarbeit der Sicherheitsbehörden möglicherweise Fahndungserfolge verhindert wurden - das kam auch in der Debatte zum Ausdruck -, und offenbar haben damals falsche Entscheidungen und Handlungen insbesondere durch das Landesamt für Verfassungsschutz dazu geführt, rechtsextremistische Strukturen eher zu begünstigen als zu bekämpfen. Damit bestätigt der Befund des Untersuchungsausschusses die Notwendigkeit der Reformen, die wir allerdings zwischenzeitlich auch in Angriff genommen, zum Teil zwischenzeitlich auch schon vollzogen haben.

Zum Zweiten: Es gibt für den Verdacht, es habe so etwas wie eine Komplizenschaft zwischen den Thü

ringer Behörden und rechtsextremistischen Strukturen gegeben, keine Bestätigung. Zu diesem Ergebnis kommt im Übrigen auch der Untersuchungsausschuss des Deutschen Bundestages. Auch Hinweise auf eine direkte Verbindung zwischen dem Thüringer Landesamt für Verfassungsschutz zu der Terrorgruppe oder gar eine V-Mann-Eigenschaft eines der NSU-Mitglieder hat der Untersuchungsausschuss nicht festgestellt. Es war uns wichtig, dass wir hier im Hohen Haus in der letzten Sitzung des Landtags noch in dieser Legislaturperiode im Juli die notwendige Neuausrichtung des Thüringer Verfassungsschutzes auf den Weg bringen konnten. Ich nenne nur die wichtigsten Neuerungen, die die Empfehlungen der Untersuchungsausschüsse des Bundestages und auch hier des Thüringer Landtags aufgreifen. Da ist die intensivere parlamentarische Kontrolle des Verfassungsschutzes durch die Parlamentarische Kontrollkommission, da sind eine stärkere innerbehördliche Kontrolle durch eine unabhängige Stabsstelle Controlling, umfassendere Vorgaben sowie Dokumentations- und Berichtspflichten zum Einsatz nachrichtendienstlicher Mittel. Eine Präzisierung der Übermittlungsvorschriften stellt klar, ob und welche Informationen beim Vorliegen von Anhaltspunkten für Straftaten an Polizei und Staatsanwaltschaften weitergeleitet werden müssen. Da ist die Eingliederung des Verfassungsschutzes bei dem Innenministerium und die gesetzliche Festschreibung in der Informations- und Aufklärungsfunktion des Amtes für die Öffentlichkeitsarbeit.

Meine sehr verehrten Damen und Herren Abgeordneten, auch bei Polizei und Justiz sind im Zuge der Aufarbeitung Defizite offenbar geworden, auf die wir reagiert haben. So wird derzeit von der Thüringer Landespolizeidirektion eine Handlungskonzeption zur Bekämpfung der politisch motivierten Kriminalität aus dem rechtsextremistischen Spektrum erarbeitet. Am Landeskriminalamt wurde eine besondere Aufbauorganisation „Zentrale Ermittlungen und Strukturaufklärung - Rechts“ gegründet. Bereits zu Beginn des letzten Jahres wurde in der Polizeidirektion die Stabsstelle Polizeiliche Extremismusprävention eingerichtet, mit der die Thüringer Polizei beim Umgang mit politischem Extremismus und der Bekämpfung politisch motivierter Kriminalität gestärkt werden soll. Sie soll zudem die Bevölkerung hinsichtlich der Gefahren, die aus dem politischen Extremismus erwachsen können, sensibilisieren. Schließlich haben wir auch im Bereich Justiz Arbeitsgrundlagen verändert, Arbeitsabläufe optimiert und die Zusammenarbeit mit anderen Behörden auch ressortübergreifend verbessert. Ich nenne nur beispielhaft eine angemessene Behandlung und Berücksichtigung des Bereichs „rechtsextrem motivierter Straftaten und Tatmotive“ im Rahmen der Juristenausbildung, die Neufassung der Richtlinien des Thüringer Landeskriminalamtes und der Thü

(Ministerpräsidentin Lieberknecht)

ringer Generalstaatsanwaltschaft zur Einleitung und Durchführung der Zielfahndung.

Meine sehr verehrten Damen und Herren, wichtig ist mir auch, dass die Landesregierung die Entscheidung getroffen hat, gemeinsam mit einer großen Mehrheit anderer Bundesländer über den Bundesrat vor dem Bundesverfassungsgericht ein Verbotsverfahren gegen die NPD anzustrengen. Nach unserer festen Überzeugung gibt es hinreichend Belege dafür, dass diese Partei unsere freiheitliche demokratische Grundordnung aktiv bekämpft und dass sie zudem als fremdenfeindliche und rassistische Partei den ideologischen Nährboden für Gewalttäter liefert, auch für den NSU. Dem muss mit allen rechtsstaatlichen Mitteln begegnet werden. Deshalb treten wir für ein Verbot der rechtsextremen NPD ein. Die NPD ist - daran besteht für mich persönlich kein Zweifel - eine Gefahr für unsere freiheitliche demokratische Ordnung. Ich bin mir auch bewusst: Verbote sind das eine. Das Problem ist damit aber nicht aus der Welt geschafft. Wir müssen uns im Klaren sein, dass sich der braune Spuk durch ein Verbot nicht in Luft auflöst. Wir müssen aufklären und sensibilisieren für die perfiden Strategien der Nazis. Aber ganz wichtig dabei ist ein engagiertes, demokratisches Bürgertum, das deutlich zeigt, dass in unserer Stadt, in unserem Dorf Nazis nicht willkommen sind, dass sie nicht hierher gehören.

(Beifall im Hause)

Meine sehr verehrten Damen und Herren, unsere Demokratie muss aus der Mitte unserer Gesellschaft heraus gestützt werden. Je mehr Menschen bereit sind, sich für sie zu engagieren, sei es im örtlichen Gemeinderat, in der Kirche oder in Vereinen, umso lebendiger, vielfältiger und auch wehrhafter wird sie sein. Die Auseinandersetzung mit den Nazis muss aus der Gesellschaft heraus geführt werden, aber es reicht nicht, nur zu protestieren, sondern wir müssen auch aufklären, informieren über menschenverachtende Ideologien, die die rechtsextremen Parteien und ihre Sympathisanten verbreiten. In der eingangs erwähnten Erklärung aller Landtagsfraktionen aus dem Jahr 2009 heißt es: „Der Schutz von Demokratie und Freiheit beginnt mit dem Schulterschluss der Demokraten.“ Ich meine, dieser Satz gilt heute, nachdem sich die Abgründe des NSU-Komplexes aufgetan haben, umso mehr. Gefordert sind wir alle. Wo sich rechtsextremes Gedankengut breitmacht, wo ausländerfeindliche Äußerungen gemacht werden, wo Minderheiten verunglimpft, wo Menschen mit Behinderungen herabgewürdigt werden, da ist entschlossener Widerspruch nötig. Wir brauchen, meine sehr verehrten Damen und Herren Abgeordneten und sehr verehrte Gäste, eine Kultur des Hinsehens. Wir brauchen eine Mutkultur: Bürgerinnen und Bürger, die den Mut haben, aufzustehen und zu widersprechen, wo Widerspruch nötig ist. Diese Kultur des Hinsehens

wollen wir auch seitens der Landesregierung stärken. Aus diesem Grund hat die Landesregierung bereits in ihrem Koalitionsvertrag von 2009 vereinbart, das Landesprogramm für Demokratie, Weltoffenheit und Toleranz auf den Weg zu bringen, was gemeinsam mit den Fraktionen des Thüringer Landtags auch geschehen ist. Es ist ein zentraler Baustein in unserer Informations- und Aufklärungsarbeit. Das Landesprogramm sichert landesweite, flächendeckende Beratungsstrukturen. Es fördert Initiativen und Projekte, die den Kampf gegen extremistische Tendenzen aufnehmen und die sich für ein weltoffenes Thüringen einsetzen. Der Schwerpunkt des Einsatzes liegt eindeutig im Kampf gegen den Rechtsextremismus.

Darüber hinaus ist es auch wichtig, extremistische Tendenzen frühzeitig zu erkennen. Mit dem Thüringen-Monitor wird seit inzwischen 13 Jahren kontinuierlich die Landkarte der politischen Kultur in unserem Land vermessen. Auch dadurch haben wir ein relativ klares Bild über Einstellungen der Thüringerinnen und Thüringer zur Demokratie, zur Freiheit, aber auch zu antidemokratischen Haltungen und zum Rechtsextremismus. Klar ist, die Demokratie steht einerseits in Thüringen auf festem Grund, aber es gibt auch eine über die Jahre verfestigte Gruppe, die die freiheitliche Demokratie ablehnt und verachtet. Es gilt also, wachsam zu sein, wachsam zu bleiben und den antidemokratischen Einstellungen von Anfang an wehrhaft entgegenzutreten.

Meine sehr verehrten Damen und Herren, wir können die Fehler der Vergangenheit nicht rückgängig machen, aber wir müssen uns zu diesen Fehlern bekennen. Wir müssen daraus lernen und die richtigen Konsequenzen ziehen. Dieser Anspruch wird bleibend sein, auch über den heutigen Tag hinaus. Entscheidend ist, der Kampf gegen den Rechtsextremismus ist eine dauernde, ständige Aufgabe. Wir werden die Auseinandersetzung mit dem Geschehenen auch mit dem Abschluss des Untersuchungsberichts nicht ad acta legen, sie bleibt auf der Agenda, auch für eine kommende Legislaturperiode. Ich danke Ihnen.

(Beifall im Hause)

Mir liegt weiterhin die Redeanmeldung von Frau Ministerin Taubert vor.

Sehr geehrte Frau Präsidentin, sehr geehrte Damen und Herren, sehr geehrte Gäste! Der heutige Abschlussbericht des Thüringer NSU-Untersuchungsausschusses trifft mich tief. Gemeinsam mussten wir feststellen, dass mitten in Deutschland,

(Ministerpräsidentin Lieberknecht)