Das heißt, mit den bestehenden Klein- und Kleinstbetrieben müssen wir eine viel höhere Verclusterung erreichen, damit die Klein- und mittelständische Wirtschaft sich wechselseitig unterstützen kann. Deshalb ist das, wie Sie schreiben, Prüfen von Spielräumen im Vergaberecht - wie Sie es im Koalitionsvertrag umschrieben haben -, einfach schlicht zu wenig.
Diese reine Absichtserklärung erinnert uns an die Debatte um das bayerische Vergaberecht, welches die SPD hier in den Landtag eingebracht hatte. So viel bayerische Verhältnisse wollte die Thüringer CDU dann aber doch nicht und hat es abgelehnt. Natürlich müssen wir jetzt bei einem Vergabegesetz die europäischen Vorgaben bedenken. Aber das darf kein Alibi für die Fortsetzung von verallgemeinernden Floskeln sein. Deshalb fordern wir Sie auf, zügig ein Vergabegesetz auf den Tisch zu legen, über das wir parlamentarisch beraten können, denn unsere Betriebe in Thüringen brauchen dringend ein solches Vergabegesetz.
Ich möchte in diesem Zusammenhang ein praktisches Beispiel als Vorschlag unterbreiten. Führen Sie als Prinzip den Investorenlotsen in der Verwaltung durchgängig ein. Damit ein Wirtschaftsbetrieb, egal ob groß oder klein, ob mittel, sich nur noch an eine öffentliche Stelle wendet, an ein One-Stop-Center. Dieses Prinzip muss zum Gegenstand der Verwaltungsreform gemacht werden. Das wäre Verwaltungsmodernisierung und Wirtschaftsstärkung gleichermaßen. Dies darf aber nicht die Interessen von Arbeitnehmern ignorieren. Den im Wahlkampf geforderten einheitlichen flächendeckenden gesetzlichen Mindestlohn kann ein Appell zur Tariftreue nicht ersetzen, lieber Herr SPD-Vorsitzender Matschie.
Die Tariftreue, von der jetzt im Koalitionsvertrag die Rede ist, könnte sogar, wenn er da wäre, Herr Kemmerich unterschreiben. Aber der Tarifvertrag für das Friseurgewerbe mit 4,59 € Stundenlohn zementiert einen Armutslohn. Deswegen fordern wir bundesweit einen flächendeckenden, einheitlichen, gesetzlichen Mindestlohn, von dem Menschen sich und auch ihre Familien ernähren können und müssen.
Ein Weitermachen mit Hartz-IV-Aufstockung und damit ein weiteres Abschieben von Niedriglöhnern in Hartz-IV-Systematik heißt, diese Menschen weiterhin zu Bittstellern zu degradieren, heißt, eine Subventionierung der Wirtschaft auf dem Rücken der beteiligten Menschen vorzunehmen. Das ist die diskriminierendste Form, wie mit Menschen umgegangen wird. Deswegen lehnen wir Aufstockung als Prinzip ab und fordern einen gesetzlichen flächendeckenden, existenzsichernden Mindestlohn.
Unsere Idee vom modernsten Energieland Thüringen ist aufgegriffen worden vom Wirtschaftsminister, Herrn Machnig, wie markante Ankündigungen dies auch beschreiben, GreenTech nun in die Thüringer Landespolitik einzubringen, erscheint uns sehr begrüßenswert. Allein die Ankündigung reicht aber noch nicht aus. Wenn wir die Modernisierung unserer Stromproduktion unter dem Aspekt der regenerativen Energie betrachten, brauchen wir ehrgeizige Ziele, um voranzukommen. Eine Reduzierung auf Windkraft- oder Solaranlagen reicht nicht aus. Es bedarf der gesamten Breite. Wir können allerdings endlich die Wertschöpfungskette bei der Produktion von Solarzellen deutlich erhöhen. Wir sind das Bundesland mit der höchsten Produktionsseite bei Solarzellen, aber der geringsten Modulfertigung. Hier heißt es, die Wertschöpfungskette zu erhöhen. Wir brauchen eine Vielzahl von Angebotsmöglichkeiten für Bürgerkraftwerke, eine Offensive von Tausenden Solardächern auf öffentlichen Gebäuden und wir brauchen eine Abkehr von der verlängerten Werkbank. Das heißt, wir brauchen eine Stärkung von Forschung, Wissenschaft und Entwicklung in Verbindung mit der Produktion aller regenerativen Energieträger. Es geht um eine konsequente Umorganisation der produzierenden und der verteilenden Seite im Energiesektor. Wir brauchen einen neuen Ansatz der Eigentumsformen der Stromnetze. Es reicht nicht, nur von der Rekommunalisierung der Stromnetze zu sprechen, wenn nicht klar ist, wie wir eine landesweite Netzgesellschaft mit kommunaler und öffentlicher Beteiligung erreichen. Warum sollte Thüringen nicht den Mut haben, gemeinsam mit allen Stadtwerken der kommunalen Gemeinde über die Thüringer Energieversorgungsgesellschaft, vormals TEAG, nachzudenken; eine gemeinsame Beteilung des Landes und der kommunalen Familie, um dann bei der Re
kommunalisierung von Stromnetzen ein einheitliches Netzbewirtschaftungssystem in Thüringen zu erreichen. So könnten wir das modernste Stromnetz Europas bekommen. Hier heißt es, Forschung zu aktivieren, Geld in die Hand zu nehmen und mit E.ON in Verhandlungen zu treten, um aus der bisherigen 47-prozentigen Beteilung eine 51-prozentige Beteiligung in kommunaler Hand zu ermöglichen. Dabei müsste das Land moderieren und finanziell möglicherweise auch Unterstützung leisten. In diesen Zusammenhang gehört auch die Debatte um Opel, wie wir sie in der Sondersitzung schon geführt haben. Hier schließe ich mich den scharfen kritischen Worten des Wirtschaftsministers gegenüber dem Bundeswirtschaftsminister Machnig - Entschuldigung -, Bundeswirtschaftsminister Brüderle …
(Zwischenruf Machnig, Minister für Wirt- schaft, Arbeit und Technologie: Das bin ich noch nicht, aber ich arbeite daran.)
Aber nicht, wenn Sie dann das Gleiche dort sagen, was er gesagt hat. Ich schließe mich ausdrücklich Ihrer Kritik an, denn von Berlin aus zu fordern, dass die Länder jetzt einspringen sollen, da der Bund nicht mehr mitspielt, finde ich empörend. Nachdem aber Herr Brüderle die Länder aufgefordert hat, verkündet die Thüringer FDP, das Land solle nicht handeln. Das zeigt mir, dass die FDP in Thüringen weder ein Konzept für den Automobilstandort Thüringen hat noch ein Bild von der tatsächlichen wirtschaftlichen Vernetzung von Opel im Gesamtsystem der Automobilzulieferer. Hier geht es um viele Klein- und Kleinstbetriebe in Thüringen und wir werden deshalb weiterhin mit Opel für Opel kämpfen.
Die Verbindung von Opel zu GreenTech wäre die Verbindung zu Energiespeichertechnologie und Antrieb. Hier müssen wir deutschlandweitestes Leistungs- und Forschungszentrum werden. Wenn uns das gelingt, wird ein neues Kapitel der Industriegeschichte aufgeschlagen. So wenig, wie wir die Entindustrialisierung der 90er-Jahre heute abändern können, so sehr können wir jetzt die Weichen stellen für eine nachhaltige Zukunft. Dabei würden wir Sie gern aktiv unterstützen, auch wenn wir finden, dass im Koalitionsvertrag dazu zu wenig formuliert ist. Hinsichtlich der Stärkung des Mindestlohns macht die SPD allerdings eine Kehrtwende. Aber auch bei einer weiteren Ankündigung steht die SPD im Wort, nämlich dem Ausbau des Personalvertretungsrechts. Beides sehe ich im Einklang mit einer gedeihlichen Wirtschaftsentwicklung, denn die Träger dieser Entwicklung müssen die Arbeitnehmer sein, die aber teilhaben müssen an dem, was sie an Werten schaffen, und an dem, was um sie herum entschieden wird. Vielleicht erwarten wir hier schlicht von der SPD
zu viel - von der Thüringer. Auch am letzten Wochenende hat ja der ehemalige Staatssekretär in der Schröder-Regierung und heutige Parteivorsitzende Christoph Matschie die Hartz-Gesetze sowie Rente mit 67 als Tatbestände beschrieben, die man nicht einfach beiseite schieben sollte. Hier bleibt sich treu, was eine verfehlte Politik auf den Weg gebracht hat, und zumindest zwei Protagonisten der verfehlten Schröder-Politik sind ja nun Bestandteil unserer Landesregierung.
Eine Neiddebatte zur Schröder-Politik - ich kann nur sagen, zur Schröder-Politik kann man nur pfui sagen, eine Basta-Politik, die beendet werden muss.
Aber die Thüringer SPD, zumindest hier im Hohen Haus, kann sich ja nicht lösen von dieser Vergangenheitsaufarbeitung, die noch nicht vollzogen wurde. Darauf kann ich gern verzichten. Die Menschen in diesem Land erwarten, dass bei den Gehaltsunterschieden zwischen Ost und West die Schere endlich kleiner und nicht größer wird, dass Sozialtransfers endlich so eingesetzt werden, dass daraus Förderketten entstehen. Sie erwarten statt Ein-EuroJobs endlich eine Offensive gemeinwohlorientierter Arbeit. Eine aktive Arbeitsmarktpolitik kann sich nicht darauf reduzieren, dass ein Landesarbeitsmarktprogramm auf den Weg gebracht wird. Dieses Programm ist zu begrüßen und mehr Kommunalkombi wäre zu wünschen. Wenn aber gleichzeitig in Berlin das Gegenteil gemacht wird, wenn dort im Kern die FDP die Auflösung und die Abschaffung der Bundesagentur für Arbeit betreibt, dann stellt sich die Frage, wie sich die Landesregierung im Bundesrat dazu verhalten will, um diese Fehlentwicklung von Schwarz-Gelb zu verhindern. Wir fragen, was wir jetzt gemeinsam tun, wie es weitergeht bei der Aufhebung oder der Weiterentwicklung von ARGEn und optierenden Gemeinden. Da bin ich gespannt, wie sich unsere Landesregierung im Bundesrat verhält. Was wir in jedem Fall brauchen, ist eine Arbeitsmarktoffensive, bei der wir statt Arbeitslosigkeit endlich Arbeit finanzieren.
Wir brauchen einen integrierten Arbeitsmarktansatz mit gesetzlichem Mindestlohn als Messlatte und der Finanzierung von Arbeit, die brachliegt und derzeit nicht gemacht wird. Wir könnten zum Beispiel den Erfurter Petersberg als Stiftung für Denkmalschutz und Denkmalpflege ausbauen. Warum sollten wir dort
oben nicht ein Zentrum für Beschäftigung organisieren, bei dem langzeitarbeitslose Bauarbeiter endlich wieder zum Zug kommen und junge Leute in alten Gewerken ausgebildet werden. Dasselbe gilt für Gewässerpflege zweiter Ordnung, Arbeitsfelder die brachliegen, die nicht genutzt werden. Warum investieren wir hier nicht in gemeinwohlorientierte Tätigkeit?
Wir werden immer wieder gefragt, wie Gelder eingespart oder umgeschichtet oder anders verwandt werden können. Hier möchte ich das Thema Straßenausbaubeiträge und Anschlussbeiträge ins Spiel bringen, die schon in unseren Sondierungsgesprächen strittig waren. Hier ist eine Veränderung trotz allem dringend notwendig. Wir sind weiterhin für die Überwindung der Erhebung von Beiträgen, um den Bürgern eine Entlastung zu ermöglichen
und gleichzeitig eine Steuerung über den Verbrauch zu erhöhen. Andererseits brauchen wir eine radikale Umplanung der Investitionsgelder, die im Moment im ländlichen Raum noch für den Abwasserbereich ausgegeben werden sollen. Hier halten wir einen Stopp der Ausgaben von wahrscheinlich deutlich über 3,5 Mrd. € für dringend geboten. Wir fordern gemeinsam mit den Bürgerinitiativen eine Änderung der Herangehensweise der Landesregierung. Es ist ein großer Fehler, ohne oder sogar gegen die Bürger das Prinzip der Beiträge weiterhin durchzusetzen und weiter auf eine verfehlte Investitionsplanung zu bauen. Bitte halten Sie ein und schauen Sie hin. Hier ist ein dringender Korrekturbedarf angesagt.
Zum Thema Soziales bleibt der Koalitionsvertrag vage. Man wolle die Ziele des Volksbegehrens für eine bessere Familienpolitik umsetzen, heißt es. Welche Ziele allerdings gemeint sind, wird hier nicht ausgeführt. Man hört mittlerweile vom neuen, zuständigen Staatssekretär, dass Aufgaben und Qualifikationen in den Kitas differenziert werden sollen. Für uns klingt das nach Abbau von Fachkräften; das wäre das Gegenteil von dem, was wir mit der Bürgerinitiative für eine bessere Familienpolitik erreichen wollten.
Wir sagen deshalb, dass deren Gesetzentwurf umgesetzt werden muss. Er ist immerhin einmal als Gesetzentwurf mithilfe der SPD entwickelt worden und steht dann in Gänze hier zur Abstimmung. Ich bitte
dann auch die SPD, den Mut zu haben, dass wir zum Schluss eine Mehrheitsentscheidung im Parlament zu diesem Gesetzentwurf bekommen. Immerhin in Ihrem Haus entschieden und vorbereitet; lassen Sie uns dann irgendwann mal mit Mut den Gesetzestext auch umsetzen.
Bei der Kinderarmut, welche in Thüringen besonders ausgeprägt ist, besteht Handlungsbedarf. Wir stellen fest, dass Hartz-IV-Kinder mittlerweile in einzelnen Kitas eine besondere Problemlage auslösen, wenn wir nicht mit einem verstärkten Elternangebot und der Familienförderung einsteigen. Da sind Hinweise im Koalitionsvertrag gegeben. Hier verheißt der Koalitionsvertrag einiges; wir hoffen, dass hier zügig angepackt wird und dass das nicht zulasten der Kita-Betreuungsschlüssel gegengerechnet wird. Wir lassen uns von den Inhalten gern überzeugen, sehen aber noch nicht, in welche Richtung es gehen soll. Für uns gehört das Soziale auch in die Familienpolitik und wir sagen, dass zur Familienpolitik ein modernes Familienbild gehört. Das ist nicht einfach die Reduktion auf die klassische Ehe mit Trauschein. Die Patchworkfamilie und unterschiedliche Familiensituationen erfordern neue Antworten. Warum deshalb das Fröbel-Institut für Familienforschung, welches einst offenkundig als konservatives Feigenblatt gedacht und von der CDU präferiert war, nun völlig abgesagt wird, bleibt das Geheimnis dieser Koalition, es sei denn, man will den faulen Kompromiss zwischen Elterngeld und Kita-Breuungsschlüssel weiter in der Schwebe halten.
Wir halten es für falsch, dass das sogenannte Elterngeld zur Betreuung zu Hause zulasten der institutionellen Förderung der Kitas geht. Diesen Zusammenhang, meine Damen und Herren von der CDU, haben Sie hergestellt. Damit tragen Sie auch die Verantwortung für die verfehlte Verfestigung dieser Förderungsinstrumente.
Diejenigen, die ihre Kinder in die Einrichtung bringen, werden in einen Gegensatz gestellt zu denjenigen, die ihre Kinder zu Hause erziehen wollen. Freiheit und Verantwortung der Eltern für ihre Kinder stehen auch für uns im Vordergrund. Die übergroße Mehrheit der Eltern wird dieser Verantwortung auch gerecht. Das darf aber nicht dazu führen, wegzuschauen, wenn Kinder alleingelassen werden oder sie sogar verwahrlosen. Dieses Spannungsfeld muss mit einer integrierten Familienforschung und Familienförderung durchdrungen werden. Deshalb muss auch die aktive Förderung und Hilfe der Eltern - meistens häufig alleinerziehende Mütter - stärker ausgebaut werden. Hier ist die völlig verfehlte Familienstiftung ein beredtes Beispiel für Intransparenz. Sie ist ein Argument, warum wir diese Form der Priva
tisierung öffentlicher Aufgaben ablehnen. Leider ist hier im Koalitionsvertrag ein halbherziger Kompromiss gemacht worden. Wir befürchten, dass am Schluss das Gegenteil rauskommt von dem, was die Bürgerinitiative erreichen wollte. Deshalb bleibt es dabei: Wir fordern, dass das Gesetz in Gänze angenommen werden muss. Wir fordern, dass die Unterschriften nicht gesammelt werden müssen, weil es vorher vom Parlament entschieden wird. Sollte dies allerdings nicht zustande kommen, wird das Volksbegehren gestartet werden müssen. Wir sind gespannt, wer alles Unterschriften mit uns zusammen sammeln wird.
In diesem Zusammenhang darf ich mit Verwunderung zum Ausdruck bringen, dass das Volksbegehren für mehr direkte Demokratie durch die Bürger im Koalitionsvertrag nicht einmal erwähnt ist. Ich verstehe nicht, wie langjährige Mitstreiter in der Allianz der Volksbegehrensbefürworter, die SPD, nicht einmal den Blick dafür hatten, dass haushaltsrelevante Volksbegehren auf Landesebene endlich nach bayerischem Vorbild gesetzlich geregelt werden müssen. Hier hätte ein kleines Wort sehr geholfen im Interesse der Bürger, die Nachsteuerung von dem zu erreichen, was Christoph Matschie, Ralf-Uwe Beck und ich damals mit Dieter Althaus verhandelt und vereinbart hatten und dann durch das Verfassungsgericht leider kassiert wurde. Hier ist die gesetzliche Neuregelung dringend auf den Weg zu bringen.
Zum Thema Soziales, Kinder, Familie gehört auch das Thema Bildung. Da sei erwähnt, dass die CDU am gegliederten Schulsystem festhält, dass die SPD zum gegliederten Schulsystem eine weitere Schulart dazustellt und dass in dem Stammland der Reformpädagogik bei dem Menschen wie Salzmann, Fröbel, GutsMuths, Petersen, Lietz oder Reichmann Maßstäbe gesetzt haben, nun die Mutlosigkeit um sich greift. Allein auf sie zu verweisen reicht nicht, verehrte Frau Lieberknecht. Der Thüringen-Monitor von 2007 sagt, dass zwei Drittel der Thüringer Bürger der Meinung sind, dass der Schulerfolg von der sozialen Herkunft abhängt. Die PISA-Studie 2006 zeigt auf, dass Schüler aus den sogenannten bildungsfernen Elternhäusern in Thüringen dreimal schlechtere Chancen haben, ein Gymnasium zu besuchen, als vergleichbare Schüler aus besseren sozialen Herkünften. Die Schule in Thüringen reproduziert und verstärkt sogar soziale Unterscheide. 70 Prozent der Bürger wollten laut einer Wahlumfrage vom April dieses Jahres längeres gemeinsames Lernen, und zwar aller Schülerinnen und Schüler.
7,3 Prozent der Schüler in Thüringen haben im letzten Schuljahr die Schule ohne Schulabschluss verlassen. Allein in den letzten sechs Schuljahren waren das 12.000 Schüler ohne Schulabschluss, die Thüringer staatliche Schulen verlassen haben. Die Handwerkskammern beklagen in diesem Monat wieder mangelnde Ausbildungsfähigkeit vieler Schulabgänger und dass trotz eines zu erwartenden Überangebots an Ausbildungsplätzen zahlreiche Schulabgänger mit keinem Ausbildungsplatz wegen schulischer oder sozialer Defizite versorgt werden können. Mit fast 7 Prozent hat Thüringen immer noch eine überdurchschnittlich hohe Förderschulquote. 53 Prozent aller Regelschulen und 76 Prozent aller Gymnasien in Thüringen haben keinerlei zusätzliches Angebot über den Unterricht hinaus, also keinerlei Ganztagsangebot. Fehlende Unterstützungsangebote für Schulen heißt ein Schulsozialpädagoge auf zehn Schulen, heißt ein Schulpsychologe auf 68 Schulen. Die Zwei-Klassen-Gesellschaft in Lehrerzimmern durch Ungleichbehandlung der Lehrer und Differenzierung in Angestellte, Beamte, Teilzeit und Vollzeit usw. sei nur festgestellt und erwähnt. Aus allen diesen Gründen hätten wir einen Aufbruch für längeres gemeinsames Lernen auf den Weg bringen müssen. Statt also eine Gemeinschaftsschule anzustreben, hätten wir die Trennung nach der Grundschule Klasse 4 aufgeben und bis zur Klasse 8 den Lernprozess organisieren müssen,
hätten wir die Lehrerausbildung auf die Veränderung der pädagogischen Ansätze hin neu ausrichten müssen und eine moderne und zukunftsorientierte Lehrerausbildung etablieren müssen. Thüringen hätte Vorreiter und Modell für Lehrerausbildung für ganz Deutschland werden können. Auch die Erwähnung der Ganztagsschule ist zu begrüßen, doch wir müssen sie so weiterentwickeln, dass in ihr auch eine andere Form des gemeinsamen Lernens ermöglicht wird.
sondern es muss eine vom sozialen Status unabhängige Regelleistung für jeden sein. Hier hätten wir den Maßstab, um mit allen Bundesländern endlich einen nationalen Bildungspakt verabreden zu können und die Forderung aufstellen zu müssen, dass in Zukunft 7 Prozent des Bruttoinlandsprodukts für Bildung auf der ganzen Breite aller Bildungseinrichtungen ausgegeben werden muss. Dazu gehört auch ein deutliches Aufstocken der bundesweiten Bildungsausgaben für Hochschulen und Universitäten. 1 Prozent des Bruttoinlandsprodukts gibt Deutsch
land für Hochschulen und Universitäten aus. Das ist viel zu wenig im Verhältnis zu allen europäischen Nachbarländern. Der Bildungsstreik ist ein Alarmzeichen, bei dem wir nicht einfach nur unsere Unterstützung verbal äußern dürfen. Wir müssen dafür sorgen, dass Master- und Bachelor-Studien wieder hin zu einer wissenschaftlichen Ausbildung entwickelt werden. Das heißt aber auch, studienbegleitende Grundlagen ermöglichen,
das heißt ausreichendes Material, das heißt Bibliotheken, das heißt technische Voraussetzungen - und dann könnten wir mit dem Stichwort „Studienstandort Thüringen“ in Gänze werben, um jungen Leuten den Weg nach Thüringen zu erleichtern. Mit einem ausfinanzierten und dauerhaft abgesicherten Studentenwerk müssen wir auch Angebote entwickeln, die uns deutschlandweit attraktiv machen. Eine integrierte Studentenkarte, ein Semesterticket, mit dem sämtliche Nahverkehrsmittel in Thüringen in Gänze benutzt werden können, wären zum Beispiel ein solches Angebot. Aber auch ein preiswertes Wohnen für junge Leute, Kinderbetreuung auf dem Campus und weitere solche Beispiele ermöglichen es uns, ein Spitzenland beim Thema Bildung zu werden. In Westdeutschland muss man den Kopf nach uns drehen und über unsere ungewöhnlichen Maßnahmen staunen. So würde es gelingen, die innerdeutsche Grenze, die zum Glück nicht mehr in der Landschaft steht, aber in den Köpfen immer noch vorhanden ist, zu überwinden. Zu viele junge Menschen in Westdeutschland denken nicht über Thüringen als Studienstandort nach. Deshalb brauchen wir eine andere Sicht auf unsere Universitäten und Fachhochschulen.