Protokoll der Sitzung vom 19.11.2009

gremium eines Rechnungshofs. Auf diesen Rekord hätten wir gern verzichten können.

(Beifall BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)

Das hat zu deutlichen Kontrollverlusten geführt, wie z.B. die fehlende schnelle Prüfung der Hubschrauberflüge des Ministerpräsidenten Dieter Althaus im Wahlkampf. Ich erinnere mich noch an die sogenannte Dienstwagenaffäre von Frau Schmidt im Bundestag, da hat der Bundesrechnungshof schnell geprüft und Klarheit geschafft. In Thüringen sah sich der Landesrechnungshof nicht einmal zur Prüfung in der Lage, weil nicht genügend Kollegiaten da waren, Prüfung ausgefallen mangels Präsenz. Ich halte das schlicht für einen Skandal.

(Beifall DIE LINKE)

Hier ist bei der Besetzungsfrage eine Verfahrensänderung dringend notwendig. Ich habe die Hoffnung, dass entweder ein transparentes Verfahren zur Ermittlung einer geeigneten Person gewählt wird, an der die Fraktionen ausreichend beteiligt sind, oder dass wir als Parlament die Kraft haben, denn wenn es nicht eintritt, die Zuständigkeit schlicht als Vorschlagsrecht auf das Parlament zu übertragen. Zu einer parlamentarischen Demokratie und zu einem gegliederten Rechtsstaat gehört eine unabhängige Wahrnehmung der Aufgaben. Hier hat der Rechnungshof schon aus Gründen der politischen Hygiene eine zentrale Bedeutung. Ein Rechnungshof darf nie nach Kriterien der guten Laune versehen oder besetzt werden.

(Beifall DIE LINKE, BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)

Deshalb gilt es ernsthaft, das Vorschlagsrecht der Opposition für den Rechnungshof im Blick zu haben.

Ein Letztes: Zu den Selbstverständlichkeiten zählt für mich auch die anstehende Besetzung des Landesverfassungsgerichts. Es sollte, so wäre dies mein Wunsch, eine ähnliche kulturvolle Diskussion und Vorschlagserörterung geben wie bei der letzten Besetzung, bei der es gelungen ist, ein hohes Maß an Akzeptanz für sämtliche Vorschläge im Hohen Haus zu bekommen, dass wir ein solches Klima auch bei der Besetzung der anstehenden Veränderung im Verfassungsgerichtshof bekommen. Rechnungshof und Verfassungsgericht müssen entsprechende Quoren hier im Parlament erreichen. Wir sollten das Ziel haben, diese Quoren sogar noch zu übertreffen, damit deutlich wird, Rechnungshof und Verfassungsgericht haben die Unterstützung und den Respekt des ganzen Parlaments. Deswegen verbieten sich kleingeistige Spielereien.

(Beifall DIE LINKE, BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)

Damit sind wir wieder bei den Hoffnungen, die man hat und die man aufgeben muss. Da wir nicht an der Regierung beteiligt sind, werden wir die Rolle als Opposition annehmen und als Opposition gestaltend, kritisierend oder auch helfend den Prozess begleiten. Bei dem Gestalten muss man aber wollen, dass wir mitgestalten, und das ist eine Frage des parlamentarischen Selbstverständnisses. Es gibt weitere Punkte, bei denen meine Partei bisher dauerhaft in Thüringen diskriminiert worden ist. Auch hier mahne ich Fairness an und endlich eine sachliche, diskriminierungsfreie Entscheidung bis hin zur Korrektur von Fehlentscheidungen. Es gab zum Beispiel den Umgang mit unserem Jugendverband und unserer Landesstiftung, bei denen man einfach aus dem Grund, weil wir es sind, andere Maßstäbe anlegt als bei den anderen Parteien. Dies wollen, können und werden wir nicht mehr akzeptieren und fordern ab sofort einen fairen, gleichberechtigten Umgang.

(Beifall DIE LINKE)

Deshalb verstehe ich den Anspruch der FDP und der Fraktion BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN, hier im Parlament nicht schlechter behandelt oder diskriminiert zu werden. Wir müssen darüber reden. Ich finde die Anregungen, die Notwendigkeit und die Hinweise sinnvoll und richtig. Da wir selber die Diskriminierung über fast 19 Jahre hier gespürt haben, wollen wir einen Strich ziehen und bieten an, gemeinsam mit allen, die wollen, nach vorn zu schauen.

Die vorgenannten Punkte und Positionen sind geeignet, hier ein gemeinsames Fundament parlamentarischer Arbeit aufzubauen. Für mich war es deshalb sehr positiv, dass wir uns mit unserer ersten parlamentarischen Deklaration gemeinsam gegen Faschismus, Rassismus und Antisemitismus positioniert haben.

(Beifall DIE LINKE, BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)

Ich gebe auch denen recht, die mahnend sagen, eine Selbstlegitimation von Gewalt darf es unter gar keinen Umständen und keinen Vorzeichen geben. Unser gemeinsames Handeln sollte immer die Perspektive haben, rassistischen, faschistischen und antisemitischen Tendenzen gemeinsam entgegenzutreten. Dies sollten wir auch im parlamentarischen Raum immer bedenken, denn so sehr ich mich freue, dass sich weder NPD noch DVU hier mit platten Parolen haben einnisten können, so sehr muss man mahnend darauf hinweisen, dass die alltägliche Gefahr um uns herum keinesfalls gebannt ist. Die aktuellen Entwicklungen in Kirchheim, Pößneck oder Frettero

de, aber auch das ständige Auftauchen von Herrn Mahler in Mosbach oder das Verbreiten von Schulhof-CDs zeigen, dass hier eine Entwarnung überhaupt nicht angezeigt ist. Deshalb möchte ich uns bei aller Unterschiedlichkeit der politischen Bewertung ermuntern, dass wir uns weiterhin ein Maß an Zusammenarbeit gestatten, bei dem wir im Kampf gegen Rechtsextremismus ein höheres Maß an Gemeinsamkeit erreichen und durchhalten. Aus diesem Grund begrüße ich ausdrücklich, dass Frau Lieberknecht beim Schulterschluss der Demokraten in Pößneck persönlich sehr deutlich und öffentlich wahrnehmbar Flagge gezeigt hat. Das war ein neues Signal in Thüringen und für Thüringen. Dafür meinen Dank und meine Anerkennung.

(Beifall DIE LINKE, BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)

Im Jahr 20 nach dem Mauerfall, der Grenzöffnung und der deutschen Einheit möchte ich auch wiederholen, dass wir uns als Partei DIE LINKE nicht einer kritischen Debatte zum Thema Vergangenheit und Verantwortung für die SED als Staatsmachtspartei verweigern, weder verweigern wollen noch verweigert haben, noch verweigern werden. Begangenes Unrecht in der DDR im Namen des Fortschritts oder des Sozialismus wollen und werden wir nicht verklären oder kleinreden. Das Prinzip „Macht vor Recht“ hat der Idee eines demokratischen Sozialismus schwersten Schaden zugefügt. Aber, werte Kolleginnen und Kollegen, nur weil wir das Wort „Sozialismus“ weiterhin in den Mund nehmen wollen und in den Mund nehmen werden, wollen wir deshalb nicht zurück in die staatssozialistische Zeit. Wir stehen deshalb zur Verantwortung und wir wollen und werden Aufarbeitung, Bewertung und Dokumentation auch der DDRZeit den notwendigen Respekt und die notwendige Unterstützung zollen. Pauschales Ausgrenzen oder pauschales Brandmarken hilft hier wirklich nicht weiter. Wir bieten deshalb unsere Bereitschaft zur Diskussion an und verweisen darauf, dass wir in den Sondierungsgesprächen zwischen SPD, GRÜNEN und uns das Thema intensiv beraten haben. Dies sollte kein Endpunkt sein, sondern auch der Beginn einer Debatte, bei der wir einbezogen und nicht länger stigmatisiert werden wollen. Wir bitten Sie, mit uns diesen Diskurs auch zu führen und nicht weiter eine Stigmatisierung oder Ausgrenzung zu betreiben, weil wir nur so im Jahr 20 auch nach vorn blicken können, ohne das Vergangene zu vergessen oder zu leugnen.

Wir formulieren unsere Hoffnung an die neue Landesregierung, dass sie Zeichen setzt, wie wir nach 19 Jahren real existierender Opposition mit einem Diskurs in diesem Fall mit einbezogen werden, bei dem wir daran gemessen werden, was wir in der Demokratie und im Parlament bislang geleistet ha

ben und was wir leisten wollen. Daran wollen wir gemessen werden, auch daran. Wir sind keine Fundamentalopposition. Wir sind keine Fraktion, die sich gegen alles oder gegen jedes ausspricht, nur weil es von der Regierung kommt. Wir wollen Sie an Ihren eigenen Ansprüchen messen, aber vor allen Dingen wollen wir Sie messen an den Aufgaben, die vor diesem Land stehen.

Die Realität macht sich für Menschen in diesem Land fest an den Erfahrungen in den Familien, in den Freundschaften, in den Verwandtschaften, in den Nachbarschaften. Wenn im Oktober 2009 120.448 Menschen offiziell als arbeitslos registriert sind, sind das 1.624 Menschen mehr als im Vorjahr. Das ist ein Zuwachs von statistisch 4,5 Arbeitslosen pro Tag in Thüringen, die dazukommen. Rund 80.000 davon sind Bezieher von Arbeitslosengeld II, wobei 171.500 Menschen in Gänze Arbeitslosengeld II beziehen und von denen zusätzlich über 90.000 nicht arbeitslos gemeldet sind, also Aufstocker sind zu ihren Niedriglöhnen. Wir in Thüringen sind trauriges Schlusslicht der Tariflöhne in Deutschland. Wir sind das Land mit dem höchsten Anteil an prekärer Beschäftigung.

Die Dynamik des demographischen Wandels und der Zu- und Abwanderung in Thüringen verschärft das Problem. Im Jahr 2008 sind 46.353 Menschen aus Thüringen fortgezogen, das sind durchschnittlich täglich 127 Menschen, die dem Land den Rücken gekehrt haben. Rechnet man die Zuzüge dagegen, verlassen täglich 35 Menschen das Land. Das ist eine Busladung Menschen, die wir täglich in Thüringen verlieren. Das ist unerträglich.

(Beifall DIE LINKE)

Es gehen vor allem die Jungen, die für sich keine Perspektive mehr sehen. Wir sind mittlerweile in der Situation, dass wir für Arbeits- und Ausbildungsstellen und Ausbildungsplätze, gerade im technischen Bereich, schon in osteuropäischen Ländern anfangen, Anwerbung zu organisieren. Diesen Prozess müssen wir deshalb stoppen, damit Perspektiven für junge Menschen hier geschaffen werden, damit Menschen hierbleiben.

Thüringen wird älter und wir müssen für die Regionen insgesamt neue Antworten finden. Zuwanderung ist die Herausforderung, die wir meistern müssen, damit die Abwanderung gestoppt wird. Das heißt aber, Zuwanderung erfordert auch einen Mentalitätswandel den Menschen gegenüber, die zuwandern. Das ist eben mehr als eine Bratwurst und mehr als der geographische Geburtsort, aus dem man kommt. Das heißt, Zuwanderung muss man wollen und Zuwanderung muss man leben. Eine Leitpositionierung der gleichen Arbeits- und Lebensbedingungen, die

in der Föderalismusdebatte leider Gottes unter die Räder gekommen ist, also die grundgesetzlich verankerte Leitpositionierung, gleiche Arbeits- und Lebensbedingungen in ganz Deutschland durch das Grundgesetz zu garantieren, ist leider durch die stärkeren Länder in der Föderalismusdebatte zerstört worden. Das müssen wir wieder auf die Tagesordnung und als Gegenstand wieder in die politischen Gespräche bekommen, dass gleiche Arbeits- und Lebensbedingungen ein Ziel sein müssen in Nord und Süd, in Ost und West. Wir dürfen nicht zulassen, dass uns die westdeutschen Länder als der negative Ballast am Bein prosperierender Regionen betrachten. Wenn 38 Prozent der Wirtschaftsentscheider in Westdeutschland mittlerweile sagen, der Nachteil für Deutschland seien die neuen Bundesländer, zeigt das, wie die Mauer in den Köpfen noch da ist, wenn solche Mentalitäten angetroffen werden, die mittlerweile statistisch gemessen werden können. Darauf müssen wir Antworten geben. Deshalb müssen wir neue Antworten geben auf Probleme, bei denen die Westdeutschen mit Spannung in unsere Richtung schauen würden, ob wir hier neue Lösungen für alte Probleme haben.

Nehmen wir den ländlichen Raum mit dem Thema Gesundheitspolitik, dann bleibt die Frage: Wie lange lässt sich gesamtdeutsch die ideologisierte Trennung von ambulant und stationär wirklich noch vertreten? Wie müssen heute integrierte Gesundheitsversorgungseinrichtungen aussehen, wie müssten sie geschaffen werden und was wäre mit der Gemeindeschwester? Wird es wieder reduziert auf die Poliklinik à la DDR und damit gleich ins Abseits gestellt oder begreifen wir im Jahr 20, dass wir auf spezielle Probleme der demographischen und der Abwanderungsentwicklung eigene Antworten mutig geben müssen.

Bei einer älter werdenden Gesellschaft müssen wir aber auch über Pflege reden. Da geht es um Pflegepersonal. In Westdeutschland wird Pflegepersonal gesucht und besser bezahlt. Solange unsere Pflegetarifverträge so schlecht sind und solange wir im Pflegebereich ein Zweiklassensystem haben, brauchen wir uns nicht zu wundern, wenn unsere gut ausgebildeten Pflegekräfte das Weite suchen. Hier kann sich der demographische Wandel mit einer Zukunftschance verbinden, wenn wir sie mit Pflegeeinrichtungen dem ländlichen Raum und einer aktiven Krankenhausplanung kleiner und großer Einrichtungen verbinden. Die derzeitige Krankenhausplanung muss gesetzlich sowieso fortgeschrieben werden, also lassen Sie es uns als Herausforderung begreifen, diese Diskussion zu führen. Das setzt aber voraus, dass wir den Mut haben, über die Trennung oder die Überwindung von ambulant und stationär einmal trefflich die Klingel zu führen, und eine integrierte Gesundheitsversorgung flächendeckend als

Ziel auch hinbekommen, bei der die Frage des Landarztproblems durch neue, kreative Lösungen auch beantwortet wird. Das wäre ein mutiger Schritt, der den Begriff der Reformorientierung einer Landesregierung rechtfertigen würde. Hier haben wir Erwartungen an die Diskussion, wie Reformen angepackt und wohin sie entwickelt werden. Ich sehe da in der Koalitionsvereinbarung und in der Regierungserklärung heute allerdings zu wenig Mut, um das Ziel zu verfolgen, das modernste Verwaltungsland, das modernste Bildungsland, das modernste Energieland Deutschlands wirklich werden zu wollen.

(Beifall DIE LINKE)

Der Mut scheint hier nicht den Federhalter geführt zu haben. Mit diesen drei Leitbildern haben wir jedenfalls im Wahlkampf mit der Bevölkerung darüber geredet und wir haben Rede und Antwort gestanden. Diese drei Leitbilder fehlen uns als herausgearbeitete Punkte.

Ein weiterer Punkt, den ich feststellen muss, dass er nicht ausreichend erwähnt ist, ist die demokratische Teilhabe, also mehr Partizipation der Bürger, die mutige Handschrift, die sagt, mehr direkte Demokratie. Das wäre eine Antwort, die man hätte geben müssen. Ich komme darauf noch einmal zurück.

Beim Bürokratieabbau oder bei der Weiterführung der Verwaltungsreform im Koalitionsvertrag von Kontinuität zu sprechen, verheißt die Fortführung des Stillstandes.

(Beifall DIE LINKE)

Das würde unserem Land schwer schaden. Die Verwaltungsreform, die wir als Gesamtansatz sehen, ist eben mehr als nur eine kosmetische Korrektur an Gebietsgrenzen. Wir sagen, Verwaltungsumbau braucht einen Kompass, braucht Zielgrößen. Eine Zielvorgabe, die wir geprägt haben, war die Zweistufigkeit in der Verwaltung und die Einräumigkeit in der Verwaltung. Das Verwaltungswirrwarr in Thüringen muss aufhören und die nicht aufeinander abgestimmten Korrekturansätze müssen endlich unter einem gemeinsamen Maßstab oder Kompass entwickelt werden. Die Berufung von Herrn Carius in das Bauministerium und damit seine Zuständigkeit für den Demographiebericht lässt allerdings befürchten, dass dieselbe Stillstandsmentalität, die schon aus der Enquetekommission für den Verwaltungsumbau von Herrn Carius zu spüren war, weiterhin um sich greifen wird.

(Beifall DIE LINKE)

Wir sind deshalb sehr gespannt, ob die Landesregierung den Mut und die Kraft hat, die Zielstellung

einer zweistufigen Verwaltung mit den Prämissen der Bürger und einer wirtschaftsfreundlichen Ausprägung zu formulieren und dann auch in diese Richtung zu agieren. Die Regierungserklärung und der Koalitionsvertrag verheißen außer Floskeln allerdings dazu nichts. In den Sondierungsgesprächen hatte die SPD die klare Formulierung für ein Leitbild „Kulturland Thüringen“ vorgeschlagen. Ein solches Leitbild ist sehr zu begrüßen. Denn immerhin ist Thüringen eines der großen wirklich traditionsreichen Kulturländer. Das setzt aber voraus, dass wir den Mut haben, eine Kulturfinanzierung zu bekommen, die endlich den Trägern der Thüringer Kultur ein höheres Maß an Planungssicherheit und Existenz ermöglicht. Die Kündigung aller Mitarbeiter bei dem Jugendtheater Schotte löst bei uns Alarmglocken aus und der lapidare Satz in der Regierungserklärung, es finde nun eine Förderung jugendkultureller Arbeit statt, ist für uns noch lange keine Entwarnung.

(Beifall DIE LINKE, BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)

Wir müssen gemeinsam über den Kulturbegriff reden. Wie soll nach den Vorstellungen der Landesregierung der Kulturraum Thüringen abgesichert werden? Wir schlagen Ihnen deshalb ein Kulturfördergesetz vor, wenn Ihnen unsere Initiative zum Kulturlastenausgleich in der letzten Legislatur nicht gefallen hat. Über „Kulturraum“, „Kulturförder-“ oder „Kulturlastenausgleichsgesetz“ möchten wir als Wörter nicht streiten. Aber über die Finanzierung aller Glieder in der großen Kette unseres Kulturschaffens muss jetzt dringend geredet und dazu dringend gehandelt werden. Wir können im Koalitionsvertrag und in der Regierungserklärung leider nicht erkennen, ob da wirklich Handlungsbedarf gesehen und das lösungsorientiert angepackt wird.

Ich will einen Inhalt erwähnen, da geht es um das Bibliotheksrechtsgesetz. Hier ist im Kern die Frage zu beantworten, ob es sich hierbei um eine freiwillige oder um eine Pflichtaufgabe der öffentlichen Träger handelt. Die SPD hat in der letzten Legislatur gefordert, Bibliotheken zur Pflichtaufgabe zu machen. Nun, werter Herr Kulturminister Matschie, sind wir gespannt, wie Sie dieses Thema zügig anfassen. Erinnert sei hier an die Rede von Bundespräsident Horst Köhler, Frau Lieberknecht hat darauf hingewiesen, die bei der Wiedereröffnung der Anna Amalia Bibliothek vor uns allen die Ansprüche formuliert hat, dass Bibliotheken rechtlich geschützt sowie rechtlich und finanziell abgesichert werden müssen. Wir sind gespannt, ob wir die Pflichtaufgabe Bibliothek und Bibliotheksrechtsgesetz bekommen, lieber Herr Matschie.

Im Kontext zum Kulturland erwähnte ich bereits den Tourismus. Wir bedauern ausgesprochen, dass der Koalitionsvertrag keine aktive Antwort gibt, um die

Kleinstaaterei bei den Tourismusanbietern und den Tourismusvermarktern zu überwinden. Das Gegeneinander zwischen Thüringer Wald, Hainich, unserem kulturellen Erbe und das kleinteilige ängstliche Belauern der Tourismusverbände scheint uns eines der Probleme zu sein, warum wir im Tourismusgewerbe zu wenig Innovation und zu wenig Wertschöpfung im Vergleich zu allen anderen Bundesländern haben.

(Beifall DIE LINKE, BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)

Sie antworten in Ihrem Koalitionsvertrag lediglich mit einer Imagekampagne und wir fragen uns ängstlich, ob das wieder der Fisch in einer alten Zeitung ist oder ob zu den vielen Imagekampagnen, die wir schon haben, weitere dazukommen sollen. Dies wäre schlicht grundfalsch. Tourismus muss man in Gänze entwickeln und die Angebote für Touristen muss man aus einer Hand gestalten. Wandern und Kultur, Technik und Natur müssen zusammengedacht werden. Deshalb ist es zwar schön, dass Oberhof erwähnt ist - ich mache jetzt keine Bemerkungen über Thermen und Thermensanierungen -, weniger schön ist aber, dass das Wort „Weltkulturerbe“ nicht einmal vorkommt. Wir sehen den Tourismus eben auch als Arbeitsmarktansatz. Wir sehen dort die Vielfalt von kleinen und Kleinstbetrieben, denen es helfen würde, wenn die Politik dazu beitragen würde, dass eine gemeinsame Tourismusvermarktung optimaler präsentiert wird. Beispiele wie die BodenseeCard, die sogar drei Nationalstaaten umfasst, zeigen, dass man ein interessantes Angebot für ein ganzes Bundesland auf den Weg bringen muss und dass das Gegeneinander von Karten und Kartenanbietern in Thüringen schlicht in die Sackgasse führt.

(Beifall DIE LINKE)

Wir liegen nach den Maßstäben des Bruttoinlandsprodukts in der Wertschöpfung des Tourismus deutlich zu niedrig. Schuld daran ist auch ein Denken in kleinststaatlichen Strukturen. Touristen suchen Thüringen als Ganzes und haben dann unterschiedliche Wünsche, die zusammen bedient werden müssen. Da spielt eine gezielte Werbung in unseren Nachbarregionen, in Ballungsregionen eine große Rolle und nicht irgendeine Imagekampagne irgendwo. Arbeitsplätze werden die entscheidende Frage der Zukunft unseres Landes sein, deshalb haben wir das Kulturthema und das Tourismusthema verbunden mit dem Wirtschaftsthema. Bei der Betrachtung Wirtschaft haben Sie sich in Ihrem Koalitionsvertrag allerdings auf die Industriepolitik konzentriert. Im Koalitionsvertrag heißt es, Sie wollen die Absatzerfolge an internationalen Märkten stärken und die Industriepolitik sei im Zentrum der Betrachtung. Das heißt, Sie ignorieren 75 Prozent der gesamten Wirtschaft

im nichtindustriellen Bereich in Thüringen; denn unser Industriebesatz in Thüringen ist leider viel zu gering.

Die Entindustrialisierung der 90er-Jahre ist nicht mehr zu korrigieren. Selbstverständlich freuen wir uns über jeden Industriebetrieb, der nach Thüringen kommt, und selbstverständlich muss man den Industriebetrieben die Chance ermöglichen, sich hier ansiedeln zu können. Dabei darf man aber den heimischen Bestand an nichtindustrieller Wirtschaft nicht ignorieren. Für uns gilt die Prämisse: regional vor global. Für uns steht die Wertschöpfungskette deutlich im Mittelpunkt und die ist in Thüringen schlicht zu gering.

(Beifall DIE LINKE)

Das heißt, mit den bestehenden Klein- und Kleinstbetrieben müssen wir eine viel höhere Verclusterung erreichen, damit die Klein- und mittelständische Wirtschaft sich wechselseitig unterstützen kann. Deshalb ist das, wie Sie schreiben, Prüfen von Spielräumen im Vergaberecht - wie Sie es im Koalitionsvertrag umschrieben haben -, einfach schlicht zu wenig.