Protokoll der Sitzung vom 20.05.2011

An dieser Stelle will ich auch Folgendes deutlich machen - der Bericht der Landesregierung hat das auch gezeigt: Die Thüringer Politik wird nicht erst mit dem Papstbesuch in einen besonderen Dialog mit den Kirchen treten, sie ist bereits seit 1990 kontinuierlich im Dialog mit den Kirchen. Kirchen sind wichtige Rat- und Impulsgeber für die Politik in vielen gesellschaftlichen Fragen. Kirchen haben große Erfahrung als Träger sozialer und kultureller Einrichtungen. Kirchen sind Träger von Kindergärten, Schulen und anderen Bildungsstätten und Träger von Krankenhäusern und Pflegeheimen. Diese Erfahrung brauchen wir in Thüringen.

Ganz nebenbei, ohne die Kirchen und ihre einzigartige Rolle in der friedlichen Revolution von 1989 säßen wir heute nicht hier und könnten uns auch nicht über dieses Thema streiten.

(Beifall CDU, SPD)

Deshalb will ich - ähnlich wie meine Kollegen - den Kirchen heute und von dieser Stelle ausdrücklich für ihre Leistungen in und für unser Gemeinwesen danken. Das gilt sowohl für ihre wichtige Rolle bei der friedlichen Revolution von 1989, das gilt auch für die Leistungen beim Aufbau unseres Sozialstaates und für ihre Leistungen in der heutigen Zeit. Ihr Dienst in der Gesellschaft ist unverzichtbar.

(Beifall CDU)

Noch eine Anmerkung in Richtung FDP: Es hätte für Sie schon sehr viel Gelegenheit gegeben, mit den Kirchen in einen intensiven und fruchtbaren Dialog um Werte und Ethik einzutreten. Ich nenne nur ein Stichwort: Ladenöffnung. Aber vielleicht können wir alle, da schließe ich mich natürlich ein,

über den Schutz des Sonntags, auch und gerade in der Adventszeit, noch einmal nachdenken,

(Beifall CDU)

vielleicht und auch gerade im Hinblick auf Familienfreundlichkeit für die Bediensteten, der Beschäftigten in den Einrichtungen.

(Beifall SPD)

Zum Thema Familie: Nach den Hinweisen der Kirchen müsste die FDP ihren Antrag auf Abschaffung der Stiftung FamilienSinn eigentlich wieder zurückziehen.

(Beifall CDU)

So sehe ich das jedenfalls. In allen Fragen des Lebenschutzes sowohl des ungeborenen als auch des alternden Lebens sind die Kirchen für uns immer wieder wichtige Ansprechpartner. In der aktuellen Debatte um PID - das ist die Präimplantationsdiagnostik - sollten die Politiker genau hinhören, was christliche Kirchen zu diesem Thema zu sagen haben.

Sie sehen, werte Kollegen von der FDP-Fraktion, man muss nicht erst auf den Papst in Thüringen warten, um eine Wertedebatte mit christlichen Kirchen zu führen. Aber selbstverständlich gebe ich Ihnen recht, man kann ihn natürlich auch nutzen.

Es ist mir wichtig, in der Debatte um christliche Werte - in der Politik auch - auf unsere heutigen Sozialstaatsprinzipien hinzuweisen, die in unserem Grundgesetz verankert sind. Sie stammen alle aus der christlichen bzw. katholischen Soziallehre. Die katholische Soziallehre wurde in der Enzyklika pro Verum Novarum von Papst Leo XIII. von 1891, also vor 120 Jahren, entwickelt. Sie wurde 40 Jahre später in der berühmten Sozialenzyklika Quadragesimo anno von Papst Pius dem XI. von 1931 fortgeschrieben. Die katholische Soziallehre fordert hier unter anderem, und das sind Themen, die wir heute genauso immer wieder diskutieren, nämlich die Sozialbindungen und die Sozialverpflichtungen des Eigentums, sie fordern soziale und Chancengerechtigkeit für alle Menschen. In der katholischen Soziallehre steht die Wahrung der Rechte für die Frau, weltweite gerechte Verteilung von Wirtschaftsgütern und Ressourcen. Es geht um die Mitverantwortung und Mitbestimmung in Unternehmen. Es geht um Interessenausgleich zwischen Kapital und Arbeit. Es geht um den Schutz der Familie. Es geht um Eigentumsbildung bei Arbeitsnehmern. Aber als wichtigstes Prinzip der katholischen Soziallehre gilt das Personalitätsprinzip. Wer gestern bei der Morgenandacht anwesend war, konnte eine Lehrstunde von Ordinariatsrat Weinrich zu diesem Thema erhalten. Er hat nämlich auf diese Thematik insbesondere hingewiesen, weil der Mensch als Gottes Ebenbild geschaffen wurde, hat der Mensch seine eigene unantastbare Würde. Daraus leitet sich die

Pflicht ab, diese besondere Würde zu achten und zu schützen. Das ist Aufgabe allen staatlichen Handelns. Und Sie hören daraus unschwer den Artikel 1 des Grundgesetzes unseres Landes. Dieses als christliches Menschenbild bezeichnete Fundament ist die Grundlage unseres Werteverständnisses schlechthin.

Weitere Begriffe der katholischen Soziallehre sind die Solidarität, das ist der mitmenschliche Zusammenhalt, die Subsidiarität, das ist die Verantwortung und Selbsthilfe der kleineren gesellschaftlichen Einheiten, beginnend bei der Familie, das ist die Nachhaltigkeit, also die Langfristigkeit menschlichen Handelns, und es ist das Gemeinwohlprinzip. Ich will hier nicht die gesamte katholische Soziallehre erörtern, das würde den Rahmen sprengen.

Ich will nur auf ein Prinzip noch einmal hinweisen, weil angesichts der feierlichen Unterzeichnung der Vereinbarung zwischen Landtag und Landesregierung gestern wir vielleicht, ich habe nicht mitgezählt, aber 50 mal das Wort Subsidiarität gehört haben im Vortrag aller, die hier geredet haben. Ich denke, wenige von Ihnen werden den Ursprung dieses Prinzips in der katholischen Soziallehre bemerkt haben. Das Subsidiaritätsprinzip ist eine wichtige Grundlage der Europäischen Union, um die Organe der EU in der europäischen Gesetzgebung auf das Sinnvolle und Wesentliche zu beschränken.

Vielleicht noch eine Ergänzung: Das Subsidiaritätsprinzip wurde von Oswald Nell-Breuning, einem deutschen katholischen Theologen und Jesuiten entworfen und er gilt als Nestor der katholischen Soziallehre.

Meine Damen und Herren, ich komme zum Schluss: Alle Sozialstaatsprinzipien haben Eingang in unser Grundgesetz gefunden. Deshalb sage ich voller Überzeugung, dass dieses Grundgesetz der Bundesrepublik Deutschland auf den christlichabendländischen Wurzeln und deren Fundamenten ruht. Ich sage das ausdrücklich nicht, um Menschen und Bürger muslimischen Glaubens auszuschließen. Ich sage das deshalb, weil wir uns dieser Wurzeln öfters in der Wertedebatte besinnen sollten. Gerade das wird uns ja von Menschen islamischen Glaubens vorgeworfen, dass wir unsere eigenen Werte nicht vertreten und damit dem Zeitgeist oft genug nachlaufen.

Nicht zuletzt hat Bundespräsident Wulff bei seiner Rede am Tag der Deutschen Einheit im letzten Jahr die christlichen Wurzeln des deutschen Staats und der deutschen Gesellschaft hervorgehoben.

Zusammengefasst also: Ich freue mich auf den Besuch des Heiligen Vaters am 23./24. September in Thüringen. Er wird sicher viele Impulse für eine nachhaltige Wertediskussion in unserer Gesellschaft bewirken. Dieser Besuch von Benedikt dem

XVI. ist ein einzigartiger Höhepunkt für den Freistaat, der im eigenen Interesse würdig begleitet werden muss. Vielen Dank.

(Beifall CDU, SPD)

Für die FDP erhält der Abgeordnete Bergner das Wort.

Vielen Dank, Frau Präsidentin. Liebe Kolleginnen und Kollegen, meine Damen und Herren, ich möchte zunächst mit einem Dank beginnen an Frau Ministerin Walsmann für den sehr umfangreichen Bericht, so wie ich Ihnen auch ganz besonders dafür danken möchte, dass Sie - was ich nach dem Alternativantrag nicht erwartet hatte - in Ihrem Bericht auf die Ökumene eingegangen sind. Ich denke, um das gleich vorwegzunehmen, es geht dabei ausdrücklich nicht um das Einmischen einer staatlichen Institution in kirchliche Belange, sondern Ökumene, meine Damen und Herren, hat ganz klar und deutlich auch etwas zu tun mit Frieden und Friedensarbeit. Daran muss uns schon sehr gelegen sein, wenn ich daran denke, wie das Nichtfunktionieren des Zusammenlebens von Konfessionen in anderen Teilen dieser Welt zu Konflikten führt.

(Beifall FDP)

Ich möchte auch Ihnen, liebe Kolleginnen und Kollegen, danken für die sehr lebendige Debatte, auch wenn mich das eine oder andere vielleicht etwas verwundert hat. Aber das gehört dazu, dass man offen und ehrlich miteinander diskutieren darf.

Lieber Herr Dr. Zeh, ich glaube, uns muss niemand auffordern, mit den Kirchen in Dialog zu treten. Mit denen sind wir längst im Dialog und dabei darf ich, Herr Dr. Zeh, die Stichworte bringen „freie Schulen“, die übrigens auch ein Hort der Wertevermittlung sind wie andere Schulen auch,

(Beifall FDP)

und auch erinnern an unser Eintreten für die Lutherdekade. Ich glaube schon, dass unser Engagement das Ganze seinerzeit befördert hat.

(Beifall FDP)

Immer wieder, meine Damen und Herren, erschrecken dramatische Ereignisse die Menschen und werfen die Frage nach einem Verfall von Werten in unserer Gesellschaft auf. Ich denke da an Amokläufe oder auch Verbrechen unglaublicher Brutalität, organisierte Kriminalität oder auch nur Kleinkriminalität bis hin zu einer zumindest gefühlten Verrohung von Sitten und Umgangsformen. Das nehmen Menschen als Verhaltensweisen und Erscheinungsformen wahr, die meist in der Frage münden: „Wer macht so etwas?“ und die Frage

(Abg. Dr. Zeh)

nach den Werten der modernen Gesellschaft aufwerfen. Dabei ist historisch sicher unbestreitbar, dass ungeachtet der persönlichen Überzeugungen und Auffassungen des Einzelnen ein erheblicher Anteil unseres heutigen Wertekanons auf den Wurzeln der christlichen Ethik beruht. So liegt es auf der Hand, so herausragende Ereignisse wie den Besuch des Papstes zu nutzen, um uns einerseits dieser Wurzeln bewusst zu werden, andererseits aber die möglichen Impulse für eine breit angelegte Debatte über die Werte unserer modernen Gesellschaft zu gewinnen.

(Beifall FDP)

Dabei, meine Damen und Herren, ist für uns völlig selbstverständlich, diese Debatte frei zu führen, frei von Zwang oder Denkverboten. So, wie wir für Glaubensfreiheit stehen, stehen wir für die Freiheit des Gewissens. Humanistische Überzeugungen und Werte stehen für uns gleichwertig neben den Werten, die aus dem Glauben erwachsen. Unverkennbar sind dabei ohnehin die wechselseitigen Impulse. Übrigens finden sich viele dieser Werte auch in der jüdischen oder auch in der muslimischen Ethik wieder. In diesem Zusammenhang, meine Damen und Herren, bin ich persönlich ein großer Freund der Ringparabel Lessings. Dass den Religionen in dieser Debatte ein hoher, aber nicht dominierender Stellenwert einzuräumen ist, heißt natürlich nicht, sie als fehlerfrei zu idealisieren. Natürlich wissen wir von fürchterlichen Missbräuchen, Fehlinterpretationen und Fehlverhalten, die in keiner Weise mit christlicher bzw. religiöser Ethik in Einklang zu bringen sind. Wir wissen von den Kreuzzügen des Mittelalters, von der Inquisition, von den deutschen Christen innerhalb der evangelischen Kirche, von religiös begründeten Kriegen, von religiösem Fanatismus und auch davon, dass Kirchen gegen Übergriffe gegen Schutzbefohlene nicht besser gefeit waren als die Gesellschaft in Gänze. Doch meinen wir, meine Damen und Herren, dass Menschen, die ihren Glauben leben, ihren Beitrag zur Wertedebatte leisten können, müssen und sollen.

(Beifall FDP)

Dabei haben wir heute auch wieder unterschwellig die Frage gehört, warum gerade wir diesen Antrag stellen, wo wir uns doch als liberale Partei nicht über ein religiöses Bekenntnis definieren. Meine Damen und Herren, wer so fragt, sollte sich viel lieber selbst die Frage stellen, warum er nicht einen solchen Antrag gestellt hat.

(Beifall FDP)

Dabei, meine Damen und Herren, teilen wir nicht das Gebaren mancher, die für sich reklamieren, dass christlicher Glaube automatisch zu einer bestimmten politischen Richtung oder Couleur führen müsse. Vielmehr erkenne ich ausdrücklich an, dass

die unterschiedliche Wichtung und Auswertung von Glaubensinhalten auch zu unterschiedlichen politischen Präferenzen führen kann, selbst wenn die eine oder andere Richtung mit meinem Glaubensverständnis kollidiert. So kommt es, meine Damen und Herren, dass ich für mich ganz persönlich sage, gerade weil ich Christ bin, bin ich Liberaler geworden. Für mich waren die Erlebnisse mit fehlender Glaubensfreiheit in meiner Kindheit und Jugend prägend, in einer Zeit - das Zitat fiel heute -, in der das leninsche Wort von der Religion als Opium des Volkes wie eine Monstranz vorangetragen und als Legitimation für eine Inquisition der Atheisten in scheinreligiösem Pathos missbraucht wurde.

(Beifall FDP)

Wir haben heute das Zitat aus „Caritas in veritate“ gehört. Frau Dr. Klaubert, ich gebe Ihnen da vollkommen recht und ich glaube, dass wir gerade auch diese Debatte brauchen und dass wir das mahnende Wort auch der Religionen brauchen, um innezuhalten und um an der einen oder anderen Stelle auch Positionen zu überprüfen, zu überdenken. Ich denke, dass dort ein bisschen Selbstreflexion und auch Bereitschaft zur Selbstkritik kein Fehler ist. Ich möchte aber an der Stelle auch sagen, dass gerade eine Politik, die dazu beiträgt, Menschen in Arbeit zu bringen, damit wieder zu einer Selbstschätzung zu bringen, damit wieder zu einem Maß an Menschenwürde zu führen, genau in diesem Sinne steht.

(Beifall FDP)

Ich möchte auf den Vorwurf eingehen, der unseren Kollegen aus der Erfurter Stadtratsfraktion unterbreitet worden ist, nämlich den Vorwurf, den wir gehört haben, als der Antrag kam zu längeren Öffnungszeiten und dass das Ganze auch gebraucht worden sei, um über die Bettensteuer zu diskutieren. Natürlich ist der Antrag gestellt worden, längere Öffnungszeiten zu haben. Das hat auch etwas damit zu tun, dass in dieser Zeit viele Menschen hier in diesem Land und hier in dieser Stadt sein werden und dass diese Menschen selbstverständlich auch irgendwo aufgenommen sein wollen und es ist auch eine Frage eines Willkommensgrußes für Gäste.

(Beifall FDP)

Ich möchte an dieser Stelle nicht vergessen, daran zu erinnern, dass in einem urkatholischen Land wie Italien Gäste auch nachts einkaufen können, es hat nichts mit Missachtung von Religion oder dergleichen oder von Werten zu tun. Auch das in aller Deutlichkeit.

(Beifall FDP)

Der Antrag zur Bettensteuer belief sich ganz konkret auf eine Woche vor dem Papstbesuch und eine Woche nach dem Papstbesuch und das auch ge