Protokoll der Sitzung vom 20.05.2011

Über die schulischen Unterrichtsfächer Religionslehre und den Ethikunterricht, deren Inhalt sich am Grundgesetz orientiert, wirkt der Freistaat nach Maßgabe seines in der Thüringer Verfassung und im Thüringer Schulgesetz konkretisierten staatlichen Bildungs- und Erziehungsauftrags vermittelnd in Werte bildender Hinsicht. Darüber hinaus ist dem weltanschaulich neutralen Staat von Verfassungs wegen aber nicht möglich, innerkirchlich geführte Diskussionen etwa um das rechte Verständnis von christlicher Ökumene zu bewerten. Ebenso ist die einseitige Parteinahme für eine bestimmte religiös begründete Werteordnung rechtlich ausgeschlossen, wie sich der weltanschaulich neutrale Staat der Identifikation mit einer bestimmten Religion enthalten muss. Der moderne freiheitliche Staat ist ein religiös und weltanschaulich neutraler, aber kein wertneutraler, sondern ein wertgebundener Staat.

(Beifall CDU)

Die Landesregierung respektiert den Freiraum der Kirchen, die in Deutschland öffentlich-rechtlichen Status haben, dass in einem Staat Werte gelebt werden, setzt einen freien Konsens in einer offenen Gesellschaft voraus. Und Werte gehen uns alle an.

(Ministerin Walsmann)

„Der Wertekonsens ist in einem freiheitlichen Staatswesen das Werk der Freiheit.“, so Prof. Hans Maier vom Romano-Guardini-Lehrstuhl der Universität München. Ich darf das bekannte BöckenfördeZitat anführen: „Der freiheitliche, säkularisierte Staat lebt von Voraussetzungen, die er selbst nicht garantieren kann.“, sprich, die moralische Substanz eines Staatswesens kommt vom einzelnen Bürger, von der Gesellschaft her. Dem Grundgesetz und der Thüringer Verfassung folgend ist der Staat Religion und Weltanschauung gegenüber neutral, nicht aber indifferent eingestellt, das möchte ich betonen. Die Bundesrepublik Deutschland ist eben gerade kein laizistischer Staat wie etwa Frankreich.

(Beifall CDU)

Kirche und Staat leben bei uns in Deutschland als selbstständige Kräfte nebeneinander, beide grundsätzlich frei in ihrem Bereich, aber auch durch zahlreiche Formen der Zusammenarbeit, vor allem im sozialen Bereich, im Bildungswesen miteinander verbunden. Beide sind dem Gemeinwohl verpflichtet. Ihr gegenseitiges Verhältnis ist nicht nur vom Geist des Nebeneinander, sondern vom Geist der Partnerschaft bestimmt. Diese Partnerschaft praktizieren wir mit den einzelnen Konfessionen und wir praktizieren sie mit den großen, in christlicher Ökumene verbundenen Konfessionen. Wir alle wissen, wie viele Menschen auch an politisch bedeutsamen Tagen, wie beispielsweise dem Tag der Deutschen Einheit, das religiöse Bedürfnis verspüren, ihren Dank und ihre Hoffnung auszudrücken. Wir wissen, dass kein Staat der Welt im Zusammenhang mit Katastrophen und mit tragischen Ereignissen den Menschen auch nur annähernd den Trost und die Hilfe geben kann, den gläubige Menschen im Gebet und im Gottesdienst erfahren.

(Beifall CDU)

Deswegen bleiben Gebet und Gottesdienst natürlich private Angelegenheit jedes Einzelnen und individuelles und gemeinsames Freiheitsrecht der Kirchen und Religionsgemeinschaften. Dennoch halte ich es im Zusammenhang mit den vorliegenden Anträgen für einen wirklich geeigneten Anlass, den Kirchen einmal Dank zu sagen für die seelsorgerische Begleitung im Zusammenhang mit manchen politischen und gesellschaftlichen Ereignissen.

(Beifall im Hause)

Stichwortartig, um sie in Erinnerung zu rufen, kann man zum Beginn einer jeden Wahlperiode, zum Tag der Deutschen Einheit, in Katastrophen- und in Unfallseelsorge, der Polizei- und Militärseelsorge und vielen anderen Bereichen an der Schnittstelle zwischen Glaube, Staat und Gesellschaft ganz viele Beispiele in unserem Land finden.

Fazit: Meine Damen und Herren, ich möchte festhalten, dass die Landesregierung den Papstbesuch im Freistaat als Privileg versteht. Der Besuch des

Heiligen Vaters ist eine Ehre und eine große Freude für unser Land und er gibt uns wertvolle Impulse zur aktuellen Wertediskussion und leistet darüber hinaus in der Lutherdekade einen unschätzbaren Beitrag zum versöhnlichen Geist der Ökumene. Thüringen ist ein urchristliches Land. Große Persönlichkeiten, große Christen haben Thüringen seit jeher geprägt. Ich nenne stellvertretend den heiligen Bonifatius, die heilige Elisabeth und Martin Luther. Diesem christlichen Erbe fühlt sich die Landesregierung verpflichtet. Papst Benedikt XVI. widmet seinen Besuch ausdrücklich zwei Aspekten: dem Dank und Respekt für die aufrechte Haltung vieler Menschen in der DDR, Christen und Nichtchristen, und für ihren Beitrag bei der Überwindung des Kommunismus und dem ökumenischen Dialog mit dem Protestantismus in Deutschland gerade auch in der Reformationsdekade 2017. Für beide sind wir dankbar, aber auch wir haben allen Grund, den Anlass des Papstbesuches zu nutzen, unseren Dank und unseren tiefen Respekt für den Beitrag zum Ausdruck zu bringen, den der vormalige Papst Johannes Paul II. im Prozess der Überwindung des Kommunismus und der Teilung geleistet hat.

(Beifall CDU)

Ob die Gründung der Solidarnosc im Sommer 1980 erfolgreich verlaufen wäre ohne diesen Papst und ohne seinen ersten Polenbesuch im Jahr 1979, das wissen wir nicht. Was wir aber seither sagen können, ist, dass sein Pontifikat die Menschen ermutigt und bestärkt hat. Kein Geringerer als Michael Gorbatschow schrieb in seinen Memoiren: „Ohne Johannes Paul II. hätte es diese Entwicklung nicht gegeben.“ Als Kirchenführer und in der Diplomatie mit den Machthabern dieser Welt hat er den Menschen- und Freiheitsrechten die Schlüsselposition eingeräumt. Wenige Jahre nach der Unterzeichnung der KSZE-Schlussakte von Helsinki hat er völlig unmissverständlich klargemacht, dass es bei einer glaubwürdigen Menschenrechtspolitik nicht um den Buchstaben, sondern um den Geist der Menschenrechte geht. In all diesen Fragen war sein engster Berater damals Kardinal Ratzinger, der heutige Papst. Wenn Benedikt XVI. Anlass sieht, Dank zu sagen, so sehe ich diesen Anlass umgekehrt allemal. Es ist eine besondere Ehre, in Thüringen den Papst begrüßen zu können, der sich in gleicher Weise wie sein Vorgänger, für die Einhaltung der Menschenrechte einsetzt.

(Beifall CDU, SPD, FDP)

Der Besuch und eine tiefgehende Wertediskussion in unserem Land geben uns dazu die Gelegenheit. Und meine Damen und Herren, wir werden sie nutzen. Danke schön.

(Beifall CDU, SPD, FDP, BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)

(Ministerin Walsmann)

Vielen Dank, Frau Ministerin Walsmann. Ich frage Sie, wird die Weiterberatung des Sofortberichts zu den Nummern I und III und den Nummern 1 und 4 gewünscht? Ja, ich sehe überall Nicken. Vielen Dank.

Ich eröffne die Aussprache. Das Wort hat Frau Dr. Klaubert für die Fraktion DIE LINKE.

Sehr geehrte Frau Präsidentin, meine sehr verehrten Damen und Herren Abgeordneten! Vielen Dank, Frau Ministerin Walsmann, für diesen umfänglichen Bericht. Ich denke, die Worte, die Frau Walsmann für das Parlament gesprochen hat, sind auch die Worte, die für das Parlament tauglich sind, denn es geht insbesondere darum, dass wir uns um das kümmern, was gesellschaftliche oder staatliche Angelegenheit ist, und sich Kirche um das kümmert, was innerreligiöse Angelegenheit ist.

Ich möchte aber trotzdem mit einigen Zitaten beginnen, ohne dass ich die Quelle zunächst nenne. Frau Präsidentin Sie gestatten? Ich zitiere:

„Die Aspekte der Krise und ihre Lösungen wie auch die einer zukünftigen neuen möglichen Entwicklung sind immer mehr miteinander verbunden, sie bedingen sich gegenseitig, erfordern neue Bemühungen um ein Gesamtverständnis und eine neue humanistische Synthese.“

„Ohne solidarische und von gegenseitigem Vertrauen geprägte Handlungsweisen in seinem Inneren kann der Markt die ihm eigene wirtschaftliche Funktion nicht vollkommen erfüllen. Heute ist dieses Vertrauen verlorengegangen, und der Vertrauensverlust ist ein schwerer Verlust.“

„Die Wirtschaft braucht nämlich für ihr korrektes Funktionieren die Ethik, nicht irgendeine Ethik, sondern eine menschenfreundliche Ethik.“

„Man muss vermeiden, dass die finanziellen Ressourcen zur Spekulation verwendet werden …“

(Beifall DIE LINKE)

„Der langzeitige Ausschluss von der Arbeit oder die längere Abhängigkeit von öffentlicher oder privater Hilfe untergraben die Freiheit und die Kreativität der Person sowie ihre familiären und gesellschaftlichen Beziehungen, was schwere Leiden auf psychologischer und spiritueller Ebene mit sich bringt.“ „Die Verhaltensmuster, nach denen der Mensch die Umwelt behandelt, beeinflussen die Verhaltensmuster, nach denen er sich selbst behandelt und umgekehrt. Das fordert die heutige Gesellschaft dazu heraus, ernsthaft ihren Lebensstil zu überprüfen, der in vielen Teilen der Welt zu Hedonismus und Konsumismus neigt und gegenüber den daraus entstehenden Schäden gleichgültig bleibt.“

(Beifall DIE LINKE)

Ich glaube, wenigstens einer in diesem Saal, vielleicht auch mehrere wissen, woraus ich zitiert habe, es sind nämlich einige der Kernsätze aus „Caritas in veritate“, die dieser Papst, der nun Thüringen besucht, anlässlich des G-8-Gipfels 2009 in seiner damals aktuellen Enzyklika - der dritten Enzyklika seiner Amtszeit - an die Menschheit gerichtet hat. Und nun möchte ja - Frau Tasch, das glaube ich, dass Sie das auch wissen - die FDP insbesondere mit der Überschrift ihrer Antragsstellung einen Werteimpuls auslösen. Dieser Werteimpuls wird damit begründet, dass wir anlässlich des Papstbesuches innehalten in unserem Tun und uns einmal dazu verständigen, welche ethischen Grundwerte uns miteinander verbinden. Da denke ich, dass das für diejenigen, die in der Politik tätig sind, etwas Selbstverständliches sein muss, denn Artikel 1 des Grundgesetzes beruht darauf und sagt „Die Würde des Menschen ist unantastbar.“ Und wenn man sich in eine Wertedebatte begibt, dann kann der Papstbesuch bestenfalls ein Anlass sein. Bestenfalls ein Anlass,

(Zwischenruf Abg. Bergner, FDP: Das be- streiten wir ja nicht.)

aber in Richtung von FDP möchte ich schon sehr deutlich sagen, es wäre auch gut, wenn Sie sich jene zitierte päpstliche Enzyklika einmal vor Augen halten würden, denn es ist damals sehr deutlich gesagt worden, dass der Papst vor dem Hintergrund von Wirtschafts- und Finanzkrise

(Beifall SPD)

sehr deutlich mit der Art des Liberalismus, nicht des politischen Liberalismus, des Wirtschaftsliberalismus abrechnet, den insbesondere Ihre Partei nun auch in die Bundespolitik eingebracht hat und unter der Folge leiden wir auch in Thüringen. Das müssen Sie sich auch gefallen lassen.

(Beifall DIE LINKE, BÜNDNIS 90/DIE GRÜ- NEN)

Ich möchte aber auch … Bitte?

(Zwischenruf Abg. Bergner, FDP: So leidend wirken Sie gar nicht.)

Ich bin auch nicht leidend. Ein weiteres Zitat möchte ich anfügen, weil auch ein bisschen Ökumene gestattet sein soll. Dieses wiederum ist aus dem Jahre 1994 und dort heißt es in der Schrift, das ist die Entwurfsschrift „Zur wirtschaftlichen und sozialen Lage in Deutschland“, am Ende: „Dabei muss die Wirtschaft auch ihre Grenzen wahren. Ihre ökonomischen Zwänge dürfen nicht in andere gesellschaftliche Lebensbereiche eindringen, in denen sie störend und zerstörend wirken. Dabei würde nämlich das wichtigste Gut, die zwischenmenschlichen Beziehungen, die Liebe und Treue, die Hingabe und Opferbereitschaft unter die Räder geraten.

Eine Gesellschaft, in der nur noch Verdienst und Gewinn zählen, in der Wettbewerb und Macht die allein bestimmende Größe sind, ist auf dem Wege, die Menschlichkeit, die Solidarität und die Verantwortung füreinander preiszugeben.“ Dieser Entwurf des gemeinsamen Wortes ist dann miteinander diskutiert worden und ich kann mich erinnern, insbesondere in den Jahren 1996 und 1997 gab es zahlreiche Gespräche und Kommunikationsmöglichkeiten zwischen Politik und Kirche, um über die Werte in einer sich rasch verändernden Welt miteinander zu diskutieren und dort gehen christliche Wurzeln genauso ein, wie andere Wurzeln von Religionsgemeinschaften oder auch eines Humanismus, der auf atheistischer Grundlage fußt. Und das muss gesagt sein in einem Land, in dem

(Beifall SPD)

Sie hatten die Zahlen genannt, Frau Ministerin, ich habe 26 Prozent evangelische Bevölkerung gefunden, aber vielleicht hatten wir nur zwei unterschiedliche Ausgaben des Statistischen Jahrbuches - etwa drei Viertel der Menschen nicht konfessionell gebunden sind. Ich möchte aber ausdrücklich, auch vor dem Hintergrund des Papstbesuches, welcher natürlich ein besonderes Ereignis für Thüringen ist, sagen, dass ein solcher Besuch in Thüringen integrierend, einschließend wirken muss, dass der Staat natürlich seine organisatorischen Aufgaben zu erledigen hat, dass viele Dinge auch miteinander - also mit der katholischen Kirche in diesem Fall und mit der evangelischen Kirche - besprochen werden müssen, aber dass man immer auch daran denken muss, dass zum Beispiel der Tag der Deutschen Einheit auch ein Tag der offenen Moscheen ist. Nun haben wir keinen so großen Anteil an islamischer Bevölkerung in Thüringen. Aber wenn man über diese Gemeinsamkeiten spricht, die letzten Endes auch alle in humanistischem Verständnis von Politik münden sollen, dann gilt dieses Gebot der Integration von Menschen unterschiedlicher Glaubens- und weltanschaulicher Herkünfte.

(Beifall DIE LINKE)

Das möchte ich ausdrücklich vor diesem Ereignis sagen.

(Beifall BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)

Frau Ministerin Walsmann, Sie haben viele Dinge genannt, die natürlich auch den Bereich der Wirksamkeit des Papstbesuchs für den Tourismus ausdrücken. Ich muss wieder in Richtung FDP eine kleine Anmerkung machen, weil Sie so ausdrücklich mit der Überschrift auf diese Wertegeschichte abheben. Als Sie diesen Antrag gestellt haben das ist ja schon eine Weile her, wir haben ihn in der letzten Plenarsitzung nicht behandeln können -, fand zum gleichen Zeitpunkt in der FDP der Stadt Erfurt die Debatte statt, dass man aus touristischen Gründen die Bettensteuer an diesem Tag abschaf

fen soll und dass man über längere Einkaufszeiten spricht.

(Beifall DIE LINKE)

Also da bleiben Sie sich dann wieder völlig treu. Ich denke schon, natürlich wird die Welt

(Beifall BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)

auf Thüringen schauen. Aber da fällt - ich sage jetzt keine Namen, aber es kann sich ja jeder denken, wer in der FDP Erfurt aktiv unterwegs ist - in der FDP einem Kollegen des Landtags, und, ich glaube, im Stadtrat ist er auch, zuallererst ein, wie man das wirtschaftlich vermarkten kann.