Als Sie auf der Messe waren bei der außerordentlichen Mitgliederversammlung des Gemeinde- und Städtebunds, da standen, als wir hochkamen, Mitglieder Ihrer Fraktion vor der Messe mit einem Plakat „Schutzschirm für Kommunen“ und hatten eine kleine Wundertüte dabei, die sie jedem Bürgermeister mitgegeben haben, wo auch drauf stand „Schutzschirm für Kommunen“. Der Inhalt der Wundertüte bestand aber nur aus Gebietsreform, meine sehr verehrten Damen und Herren, nichts anderes war da drin.
Meine sehr verehrten Damen und Herren, das ist eine Wundertüte der besonderen Art. Einmal abgesehen vom Sinn einer solchen Reform, ist es, glaube ich, gerade aus Sicht des Landes vor allem notwendig, dass das Land seine eigenen Hausaufgaben macht. Die haben Sie nicht gemacht, weder beim Personalabbau noch bei der Verwaltungsreform.
(Zwischenruf Abg. Ramelow, DIE LINKE: Wir fordern nicht eine isolierte Gebietsreform, aber Sie geißeln dieses Phantom.)
Sie haben nicht einmal einen einigermaßen erkennbaren Fahrplan, wo Sie in dieser Frage hinwollen. Sie haben monatelang uns allen hier eine Posse geboten, über ein Gutachten oder zwei Gutachten gestritten und letztlich jetzt eine Stabsstelle eingerichtet, die unter Federführung der Ministerpräsidentin eine Richtung finden soll. Ich bin gespannt.
Aber ich warne ganz ausdrücklich vor allem vor den negativen Folgen einer Gebietsreform. Ich warne davor, in einer Gebietsreform quasi die Wunderwaffe gegen alle Fährnisse des Thüringer Landeshaushalts im Speziellen und in der Landespolitik im Allgemeinen zu sehen. Sehen Sie sich, liebe Kolleginnen und Kollegen, Frau Ministerpräsidentin, und wer sich sonst in dieser Stabsstelle noch berufen fühlt, die Erfahrungen der Menschen in Sachsen und Sachsen-Anhalt und auch in Mecklenburg-Vorpommern an.
Landkreise größer als das Saarland sind der sichere Tod für ein funktionierendes, ehrenamtliches Engagement in unseren Gemeinden, in den Kreistagen und in den Stadt- und Gemeinderäten.
Auf Gemeindeebene, meine sehr verehrten Damen und Herren, haben wir schon jetzt diese Entwicklung zu beobachten. Die Stadt Gardelegen - ich weiß nicht, wer die kennt - in der Altmark, meine sehr verehrten Damen und Herren, ist seit der jüngsten Gemeindereform in Sachsen-Anhalt die drittgrößte Kommune der Bundesrepublik Deutschland, 632 km², das ist doppelt so groß wie München. Halten Sie sich diese Ausmaße mal vor Augen und verraten Sie mir, aus welchem Motiv ein Stadtrat 70 oder 80 km weit fahren soll, zwei Fahrstunden in Kauf nehmen soll, um sich für ein derart abstraktes, bürgerfernes und überhaupt nicht fassbares Gebilde noch in irgendeiner Weise zu engagieren.
Sie führen Autokennzeichen wieder ein von vor der letzten Gebietsreform, um die regionale Identität zu stärken und wollen gleichzeitig Strukturen schaffen, die so abstrakt und groß sind, dass sie jegliche regionale und lokale Beziehung zu den Menschen verlieren lassen.
Diese Geschichte mit den Kennzeichen, das ist weiße Salbe auf einer Wunde, die noch nicht verheilt ist. Es ist ein Verhalten, das ist so ähnlich, als ob Sie einem fußkranken das Bein abhacken. Dem wird der Fuß nicht mehr wehtun, außer vielleicht ein bisschen Phantomschmerz, das ist richtig. Aber lahmen wird der schlimmer als zuvor und gesund ist der hinterher ganz bestimmt ebenso wenig.
Wenn Sie das tun, dann stirbt unter dem Vorwand von Einspareffekten, die bis heute von keiner Seite verifiziert sind, zivilgesellschaftliches Engagement in unseren Gemeinden. Gerade in Thüringen haben
wir schon viele Gemeinden, viele Kommunen, die gut und effizient wirtschaften und Sie, Frau Ministerpräsidentin, werden im „Freien Wort“ vom Juni dieses Jahres zitiert mit dem Satz „Wenn ich mir die Strukturen, speziell in Südthüringen, anschaue, dann kann ich nur den Hut ziehen.“
Und Sie, Herr Finanzminister, müssten doch gerade aus Sachsen am besten wissen, was die finanziellen, was die haushalterischen Effekte einer Gebietsreform sind. Nach Informationen Ihres Kollegen Buttolo, das ist der Innenminister gewesen, hat sie das zunächst mal 300 Mio. € Anschubfinanzierung gekostet. Der stellvertretende Fraktionsvorsitzende der sächsischen SPD im dortigen Landtag hat auf einem Forum der Friedrich-Ebert-Stiftung, das ist die SPD-nahe Stiftung, im Frühjahr dieses Jahres die Kosten für die Gebietsreform auf eine halbe Milliarde Euro taxiert. Das ist schon eine ganz spezielle Definition von Sparen, meine sehr verehrten Damen und Herren.
Die Gebietsreform, meine Damen und Herren, ist kein Ausweg aus der Schuldenfalle. Aus dieser Wundertüte wird es kein Geld regnen, vielleicht ein bisschen wertloses Konfetti. Aus zwei Armen wird kein Reicher.
Mein Opa hat immer gesagt, wo sich nichts mit nichts verbindet, ist und bleibt die Summe klein. Das wird auch bei der Gebietsreform nicht anders werden.
Zurück noch einmal zu den Zahlen: Herr Minister, meine sehr verehrten Damen und Herren, 250 Mio. € Minus bei den Kommunen, 40 Mio. € beim Bauministerium für die genannten Kosten für die Gemeinden und Städte, 300 Mio. € weniger Durchlaufmittel aus der EU, da habe ich schon fast 600 Mio. € geringeres Volumen zusammen. Dazu der Landesforst mit 100 Mio. €, der hatte bisher 60 Mio. € bei den Einnahmen, 40 Mio. Zuschuss sind es jetzt noch, das sind also 60 Mio. weniger Zuschuss, 660 Mio. € habe ich da weniger an Volumen ohne eine einzige echte Einsparung im Haushaltsentwurf stehen, aber nur 490 Mio. € weniger Volumen. Meine Hoffnung verwandelt sich, muss ich ehrlich sagen, so langsam ein bisschen in Unruhe. Herr Minister, das werden, da bin ich sicher, bestimmt interessante und auch spannende Wochen, die da vor uns liegen, wenn wir diese Punkte im einzelnen beraten werden.
Noch unruhiger werde ich, wenn ich daran denke, dass es ja auch Mehreinnahmen gibt, über die haben wir noch gar nicht geredet, die in dem Haushalt
ja auch irgendwo verschwinden. Ich will mich jetzt nicht an irgendwelchen Steuerschätzungen hier beteiligen, da gibt es Sachverständige dazu, aber dass wir Mehreinnahmen aufgrund der wirtschaftlichen Entwicklung zu erwarten haben, das ist, glaube ich, allen Beteiligten hier bewusst und klar. Gleichzeitig hat auch dieser Landtag, obwohl er nach dem, was der Kollege Mohring gesagt hat, ja in Steuerfragen gar keine Hoheit hat, so ein bisschen hat er die schon und die hat er auch gleich genutzt, eine Steuererhöhung beschlossen. Herr Kollege Mohring, es ist mir egal, wo Sie Ihre Zielgruppe sehen und wenn Ihnen die kleinen und mittleren Einkommen, die den größten Teil zum Steueraufkommen übrigens beitragen, egal sind, dann sage ich, mir sind sie nicht egal, weil es nämlich die sind, die das Geld erarbeiten, das Sie hier ausgeben wollen.
Aber wenn Sie dann das bisschen Spielraum, den Sie haben, auch noch dazu nutzen, um jungen Familien, um Unternehmern dreist in die Tasche zu greifen, indem Sie die Grunderwerbssteuer auch noch erhöhen, dann müssen Sie sich auf der anderen Seite aber mindestens die Frage gefallen lassen, was machen Sie denn mit dem Geld, was Sie da mehr einnehmen? Das sind round about 22, 23, 24 Mio. €, die aus dieser Situation kommen.
Man könnte doch wenigstens erwarten, dass Sie diese Mehreinnahmen dazu verwenden, die Schulden des Landes abzubauen. Das ist etwas, was zu Hause jeder machen würde, aber leider auch hier Fehlanzeige.
Ein paar Details zu den Ministerien: Ihre Vorgängerin im Amt des Finanzministers, die sich vorhin übrigens erkennbar gefreut hat, als Herr Mohring Ihnen gratuliert hat, weil sie nämlich wahrscheinlich ganz froh ist, den Posten nicht mehr ausfüllen zu müssen, so will ich es einmal vorsichtig formulieren, aber sie hatte die Haushalte 2010/2011 als Übergangshaushalte bezeichnet. Deswegen ist es ja legitim, wenn man den Vergleich mal bei 2009 ansetzt. Das ist ja auch Ihr eigener Anspruch - verschuldungsfreier Haushalt. Sie haben ja auch immer gesagt, das war, als wir noch allein regiert haben, die goldene Zeit. Gegenüber 2009 geben Sie in den Ministerien - jetzt sind wir weg vom KFA und allem - 140 Mio. € mehr aus. Damit ist die Forderung des Kollegen Mohring - der mal gesagt hat, wir gehen zurück aufs Los - also zurück zu den Haushaltsansätzen von 2009 - an dieser Stelle ebenso Makulatur. Das Konsolidierungsversprechen löst sich auch im unmittelbar eigenen Zuständigkeitsbereich in Luft auf. Sie sind in Wahrheit damit beschäftigt, die Ausgabensünden der letzten Jahre ein bisschen auszubügeln, als Sie alle mit dem Füllhorn durchs Land gezogen sind und Wohltaten ver
teilt haben. Aber trotzdem ist es schon auch bemerkenswert, dass es innerhalb der Koalition unterschiedliche Rollen gibt. Während die CDU-geführten Häuser 61 Mio. € unter den Ansätzen von 2009 sind, geben die SPD-geführten Häuser 200 Mio. € oben drauf. Nur einmal ein paar Beispiele: Das sind alles alte Bekannte, aber sie sind, trotzdem sie bekannt sind, immer noch richtig. Erziehungsgeld 29 Mio. €, Stiftung FamilienSinn, das ist mehr als ein Einmaleffekt, wenn ich sehe, dass eine Stiftung für 100 € Fördermittel 120 € eigene Verwaltungsmittel braucht, um das zu bewilligen und auszugeben, dann wird da eine strukturelle Einsparung daraus, wenn man die auflöst, aber die Auflösung bringt schon mal 17 Mio. €. Das Landesarbeitsmarktprogramm, was mit 6,5 Mio. € in diesem Jahr noch dabei ist, Greentech-Agentur, Tausend-Dächer-Programm, Standortmarketing kosten nach wie vor 2 Mio. €. Auch der Zuschuss für die Stiftung ist noch einmal dabei. Die ganzen Beauftragten, viele Dinge, ich komme mit wenigen Positionen auf 60 Mio. € und das sind genau die Stellen, wo diese Regierung in den letzten Jahren - das ist das, was ich eingangs sagte - Verbindlichkeiten eingegangen ist, wo, Herr Minister, der Appell, den Sie vorhin an sich selbst, an die Regierung und an den Landtag gerichtet haben, ein Moratorium hier zu verabreden, dass wir keine in die Zukunft wirkenden Verbindlichkeiten mehr eingehen. Das ist genau der Punkt, wo Sie das in den letzten zwei Jahren gemacht haben, langfristige Bindungen für den Haushalt einzugehen. Darüber müssen wir reden. Sie haben gesagt, kehren Sie erst einmal vor Ihrer eigenen Tür. Dazu hat Herr Mohring ja auch aufgerufen. Also dann fangen Sie damit an, indem Sie in den Ministerien - wenigstens dort - mal mit Sparen anfangen und dort die Ansätze entsprechend auch mal verringern.
Ein Thema muss noch sein, liebe Kolleginnen und Kollegen. Die Ministerpräsidentin wird in dem eingangs schon zitierten Interview mit den Worten zitiert: „Anderenorts wird die Schuldenbremse sogar in die Landesverfassung geschrieben; da wäre es abenteuerlich, sie in Thüringen wieder aus dem Gesetz zu streichen.“ Angesichts der fehlenden Haushaltsdisziplin, Frau Ministerpräsidentin, gehört das Thema „Schuldenbremse in die Verfassung“ tatsächlich auf die Tagesordnung.
Herr Minister, Sie haben ganz zutreffend beschrieben, was eine Schuldenbremse leisten kann. Die „Thüringer Allgemeine“ von Anfang dieses Jahres zitiert Sie: „Thüringen hat im Jahr 2020 nach unseren Berechnungen mit etwa 2 Mio. Einwohnern nur
noch etwa 6,5 Mrd. € zur Verfügung - in heutigen Preisen wohlgemerkt. Derzeit gibt das Land noch etwa 3 Mrd. € mehr aus. Hier wäre natürlich eine Schuldenbremse, die mit Verfassungskraft ab 2014 neue Kredite verbietet, ein starkes und richtiges Signal.“ Warum erst ab 2014, das werden Sie uns vielleicht noch erklären, 2013 würde ja auch schon gehen oder 2012 vielleicht sogar, je eher, desto besser. Aber im Grundsatz haben Sie natürlich recht. Eine verfassungsrechtlich normierte Schuldenbremse wäre eben genau das richtige Signal. Wir sollten, wir müssen dieses Signal geben, liebe Kolleginnen und Kollegen, wir müssen das Signal geben, dass es der Thüringer Politik mit den Konsolidierungsvorhaben ernst ist und dass wir sie mit Konsequenz voranbringen.
Herr Mohring hat einen Beitrag auf seiner Homepage, in dem er sagt, dass „die verfassungsfeste Schuldenbremse dazu beitragen kann, Thüringen unabhängig von Wahlausgängen seine finanzielle Handlungsund politische Gestaltungsfähigkeit wahren zu lassen.“ Auch die Fraktion BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN hat grundsätzlich sich offen erklärt für eine Diskussion über die Verfassung, in Summe also drei Fraktionen; eine hat sich auch bekannt, die hier ganz links sitzt. Jetzt bleibt noch die SPD. Deswegen rufe ich Ihnen, liebe Kollegen, zu, Sie haben 2009 noch vor der Einführung einer Schuldenbremse gewarnt, indem Sie gesagt haben, in einer Wirtschaftskrise geht das nicht, da darf man über eine Schuldenbremse das Land nicht in den Abschwung reden. Inzwischen haben wir Aufschwung, die Wachstumsraten sind beachtlich und deswegen sollte doch auch jetzt für Sie die Zeit reif sein, sich mit der Schuldenbremse anzufreunden. Der Kultusminister, stellvertretender Ministerpräsident, hat in der „Südthüringer Zeitung“ im letzten Jahr im August verkündet: „Wir müssen auch den Mut haben zu sparen.“ Richtig, recht hat er. Herr Kollege Höhn, hören Sie auf ihn, hören Sie mal nicht zu sehr auf das andere M, hören Sie auch Ihren Landesvorsitzenden, trauen Sie sich. Sie haben ja auch die Unterstützung Ihrer eigenen Haushaltspolitiker. Wenn man mal nur zwei Jahre zurückgeht, Herr Pidde, hier im Hohen Haus, Zitat: „Ich denke, es ist richtig, dass eine Schuldenbremse gemacht wird. Wir wollen die auch.“ Also, was steht dem im Weg?
Meine sehr verehrten Damen und Herren, wir haben heute auch die erste Lesung des Haushaltsbegleitgesetzes. Hier will ich mich nur auf einen einzigen Punkt konzentrieren, der aus unserer Sicht einen ganz wesentlichen Kritikpunkt beinhaltet. Sie wollen das Widerspruchsrecht der Bürger gegen Entscheidungen in bestimmten Verwaltungsverfah
ren einschränken. Durch Einschränkung dieses Widerspruchsverfahrens sollen der Verwaltungsaufwand verringert und die Verwaltungsverfahren beschleunigt werden. Die Landesregierung versucht damit auf Kosten von elementaren Bürgerrechten Einsparungen zu erzielen. Natürlich wird das Verfahren hier oder da vielleicht zunächst beschleunigt, den Effekt vermag ich durchaus zu erkennen. Es ist aber mindestens ebenso klar abzusehen, meine sehr verehrten Damen und Herren, dass Richter und Geschäftsstellen durch die Abschaffung von Widerspruchsverfahren zusätzlich belastet werden.