Protokoll der Sitzung vom 13.10.2011

Dem ist nichts hinzuzufügen außer vielleicht noch einem eindrücklichen Beispiel, dem Blick nach Sachsen-Anhalt. Nach der Gebietsreform gibt es in unserem Nachbarland Kreise, die so groß sind wie das Saarland, und Städte, die in der Fläche größer sind als Düsseldorf oder München. Nehmen Sie die Stadt Gardelegen - in der Wiederholung, lieber Kollege, liegt die Mutter der Pädagogik, deswegen sage ich es hier gern noch einmal - in der Altmark. Gardelegen ist seit der Gebietsreform in SachsenAnhalt die drittgrößte Kommune der Bundesrepublik Deutschland. Eine Stadt, von der die meisten wahrscheinlich überhaupt noch nichts gehört haben, ist die drittgrößte Stadt in der Bundesrepublik, 632 km² groß. 632 km² müssen Bürger und auch kommunale Mandatsträger, Ehrenamtler usw. durchfahren, um ihre Kreisstadt zu erreichen, um das Zentrum zu erreichen. Halten Sie sich diese Größe einmal vor Augen und verraten Sie mir, warum beispielsweise ein Stadtrat 60 bis 70 km hin und zurück zwei bis dreimal pro Woche fahren soll, um sich in einem Ehrenamt im Stadtrat zu engagieren für seine Gemeinde Gardelegen?

(Beifall FDP)

(Zwischenruf Lieberknecht, Ministerpräsiden- tin: Gardelegen?)

Gardelegen, jawohl. Hier geht Bürgernähe verloren, hier geht regionale Identität verloren und hier geht Frau Ministerpräsidentin, Sie haben es selbst ausdrücklich gewürdigt und auch zu Recht gewürdigt; das bürgerschaftliche Engagement, was wir brauchen, das ist der Kitt, der unsere Gesellschaft zusammenhält - solches ehrenamtliches Engagement für die Heimat verloren.

(Zwischenruf Lieberknecht, Ministerpräsiden- tin: So eine Stadt wollen wir auch nicht.)

Da nützt es auch nichts, liebe Damen und Herren von der Landesregierung, die alten Kfz-Kennzeichen wieder einzuführen. Das ist ein reines Ablenkungsmanöver, weil hinter dieser Fassade am En

de die Heimatverbundenheit zwangsläufig sterben muss, wenn die Strukturen in dieser Weise abstrakt werden, wie ich das eben beschrieben habe.

(Beifall FDP)

Finanzmittel werden sich im Zentrum konzentrieren, ganz logisch. In den Hauptsitzen der großen Gemeindegebilde wird genau dasselbe passieren, weil niemand aus dem Umfeld, aus dem Umland motiviert ist, da noch hinzufahren und sich an Sparbemühungen oder ähnlichen Dingen in irgendeiner Weise zu beteiligen. So weit, liebe Damen und Herren, meine lieben Kolleginnen und Kollegen, dürfen und wollen zumindest wir - das sage ich für die FDP-Fraktion - es nicht kommen lassen hier in Thüringen.

(Beifall FDP)

Gerade Thüringen hat heute schon genügend Kommunen, die gut und effizient wirtschaften. Deshalb sagen wir, überlassen wir den Kommunen die Entscheidung darüber, ob sie zusammengehen wollen oder nicht. Eine Strukturreform des Wollens und nicht des Müssens, das muss unser Ziel sein.

(Beifall FDP)

Zwang ist der falsche Kitt für diese Vorhaben. Verlässlichkeit, gewachsenes Vertrauen und der Wille zur Zusammenarbeit, das sind die Dinge, die Strukturreformen tatsächlich voranbringen können. Das Land sollte sich darauf beschränken, diese Dinge zu moderieren, zu unterstützen, zu begleiten und natürlich auch die Sinnhaftigkeit und die Einhaltung von bestimmten notwendigen Regeln - wenn wir an die Erreichbarkeit von Rettungsdiensten oder den Katastrophenschutz denken - berücksichtigen. Diese Dinge sind notwendig und müssen geprüft werden. Alles Weitere, liebe Kolleginnen und Kollegen, sollte den Kommunen überlassen bleiben.

Frau Ministerpräsidentin, was die realen Effekte betrifft, könnten Sie sich schließlich auch von Ihrem eigenen Finanzminister sicherlich ein paar Erfahrungen berichten lassen, er hat in Sachsen eine Gebietsreform mitgestaltet. Der stellvertretende Vorsitzende der SPD-Fraktion im sächsischen Landtag hat selbst bei einer Veranstaltung der Friedrich-Ebert-Stiftung vor einigen Monaten in Greiz die Kosten taxiert auf eine halbe Milliarde Euro. Das hat mit Sparen nicht mehr viel zu tun, meine sehr verehrten Damen und Herren.

(Beifall FDP)

Vor diesem Hintergrund erhält auch die Debatte um den Kommunalen Finanzausgleich eine weitere interessante Facette. Halten wir uns vor Augen, die Aufgabenstellung lautet ganz einfach, straffe die kommunalen Strukturen möglichst geräuschlos, also so, dass die Kommunen von selbst darauf kommen, durch Druck, durch Zwang sich zusammenzuschließen. Die Lösung ist ganz einfach, massive

Kürzungen bei den finanziellen Zuwendungen. Den Gemeinden steigt das Wasser bis zum Hals, sie sind allein nicht mehr überlebensfähig, sie sind auf Partner angewiesen und glauben, die einzige Rettung sei ein Zusammenschluss. Die gewünschte Folge wäre aus Sicht der Landesregierung wahrscheinlich eine Gebietsreform ohne großes Tamtam, ohne Parlamentsbeschluss, quasi durch die Hintertür.

(Beifall FDP)

Aber zum Glück fallen unsere Kommunen auf so etwas nicht rein, sondern sie wehren sich. Sie haben erkannt, dass der Kommunale Finanzausgleich ein Angriff auf die kommunale Selbstverwaltung ist und ich kann die Kommunen nur ermuntern, in ihrem Widerstand gegen diesen Kommunalen Finanzausgleich stark zu bleiben, weiterzumachen und sich das nicht unwidersprochen gefallen zu lassen,

(Beifall FDP)

was wir hier in den nächsten Wochen auch bei den Haushaltsberatungen beraten sollen. In der Frage der Gebietsreform, Frau Ministerpräsidentin, können Sie es sich nicht so einfach machen, wie Sie es gern hätten und Sie haben die Fraktionen ja eingeladen, in Ihrem Beirat mitzuarbeiten. Wir werden dieses Angebot annehmen, das sage ich ganz deutlich, aber wir sind auch aufmerksam und sehen Parallelen. Wenn Sie versuchen sollten, uns in der Manier Ihres Wirtschaftsministers für alles mit zu verhaften

(Zwischenruf Lieberknecht, Ministerpräsiden- tin: Trauen Sie mir das zu?)

- ich rede gar nicht darüber, ob ich Ihnen das zutraue, verehrte Frau Ministerpräsidentin, ich ziehe nur eine Parallele in Ihrer eigenen Regierung und sage, wenn sich diese Parallele so auftut -, dann werden wir da natürlich auch genauso konsequent handeln, wie das die Wirtschaft am Ende auch getan hat, wir werden uns nicht mit verhaften lassen für alles, was da geplant ist, um uns dann hinterher sagen zu lassen, na Sie waren doch bei allem beteiligt.

(Zwischenruf Lieberknecht, Ministerpräsiden- tin: So sieht es aus.)

Ein Verfahren, was der Wirtschaftsminister mit den Kammern sehr weit entwickelt hat, will ich mal sagen, was er sehr weit getrieben hat, eben bis dahin, dass die Kammern gesagt haben, wir machen das nicht mit. Ich warne davor, bei der Gebietsreform einen ähnlichen Versuch zu machen, das wird nicht funktionieren, aber unsere Mitarbeit werden wir natürlich an dieser Stelle ausdrücklich auch nicht verwehren.

Lassen Sie mich, meine sehr verehrten Damen und Herren, zum Ende noch auf ein Ergebnis eingehen, das tatsächlich bedenklich stimmt, und das ist die

zunehmende Offenheit gegenüber dem rechtsextremistischen Gedankengut. Für jeden ehrlichen und aufrichtigen Demokraten müssen diese Zahlen, muss der Zuwachs an Ausländerfeindlichkeit, an Nationalismus und die wachsende Verharmlosung in der Erinnerung an die nationalsozialistische Diktatur ein Weckruf sein.

(Beifall FDP)

Das kann man gar nicht anders sehen. Eine wehrhafte Demokratie muss wachsam sein und sie muss es bleiben, gegen ihre Feinde vorgehen. Toleranz darf an dieser Stelle nicht mit Schwäche verwechselt werden, meine sehr verehrten Damen und Herren,

(Beifall FDP)

das ist völlig klar. Deswegen muss die Demokratie restriktiv und natürlich auch präventiv gegen extremistisches Gedankengut und gegen extremistische Leitbilder vorgehen. Das Landesprogramm für Demokratie, Toleranz und Weltoffenheit ist hier ein wichtiger Baustein. Vor diesem Hintergrund ist es durchaus interessant, dass in dem Thüringen-Monitor nicht abgefragt wurde, wie es sich denn mit dem Extremismus auf der anderen Seite verhält, der links oder auch religiös motiviert ist. Hier ist bedauerlicherweise der Thüringen-Monitor genauso blind wie das Landesprogramm.

Warum fragt der Thüringen-Monitor die Bereitschaft zur politischen Partizipation inklusive der Bereitschaft Gewalt einzusetzen nur für das rechtsextreme Spektrum ab? Ich glaube, die Autoren täten durchaus gut daran, diesen Makel in Zukunft zu beseitigen, denn ausweislich des aktuellen Verfassungsschutzberichts aus Thüringen, umfasst das linksextremistische Potenzial im Freistaat mehrere Hundert bekennende Anhänger, fast 500 sind es, darunter auch mehr als 100 gewaltbereite Autonome, Mitglieder der Kommunistischen Plattform der Partei DIE LINKE, DKP, MLPD, die Rote Hilfe und was da alles so an Dingen aufgezählt wird.

(Beifall FDP)

Und wenn, das muss ich sagen, das finde ich schon besonders bemerkenswert,

(Unruhe DIE LINKE)

die Ministerpräsidentin hier über die Vorgänge in Berlin berichtet, die Kollege Ramelow in seiner unnachahmlichen Art am Ende dann ja auch noch einmal aufgerufen hat und für seine Fraktion versucht hat, ins richtige Licht zu rücken, aber eben nicht ganz gelungen, in das richtige Licht gerückt, denn es sind keine, wie Sie genannt haben A-Löcher, sondern es sind extremistische Kriminelle und Terroristen, aber es war interessant, als die Ministerpräsidentin dies vorgetragen hat, hat sich auf dieser Seite des Plenarsaals bei den LINKEN, aber insbe

sondere auch bei den Kollegen von den GRÜNEN nicht eine Hand zum Applaus gerührt.

(Beifall FDP)

Das will ich hier mal festhalten. Das folgt natürlich der Logik, dass es ein GRÜNER ist, der in Berlin, nämlich Herr Ströbele, diese Anschläge, diese versuchten Anschläge, ausdrücklich rechtfertigt. Ihr Verhalten hier passt an dieser Stelle deutlich ins Bild.

(Beifall FDP)

Deshalb und gerade deshalb ist es aus meiner Sicht notwendig, dass in Zukunft auch der Thüringen-Monitor durchaus beide Augen aufmacht oder alle Augen aufmacht, wenn es um die Bewertung von extremistischen Tendenzen in unserem Land geht.

Meine sehr verehrten Damen und Herren, der vorliegende Thüringen-Monitor hinterlässt mindestens ebenso viele Fragen wie er Antworten gibt. Es ist die Aufgabe der politisch Verantwortlichen, der Landesregierung, aber, ich glaube, auch des gesamten Parlaments, dass wir mit diesen Hausaufgaben nach Hause gehen und uns um diese Hausaufgaben auch entsprechend kümmern. Denn eines zeigt der Thüringen-Monitor ganz deutlich: Die Thüringer sind bereit, durchaus auch schwierige Wege mitzugehen, sofern sie ihnen richtig erklärt werden. Machen wir uns in diesem Sinne ans Werk. Vielen Dank.

(Beifall FDP)

Viele Dank, Herr Abgeordneter Barth. Es hat jetzt das Wort der Abgeordnete Mohring von der CDUFraktion.

Frau Präsidentin, meine sehr verehrten Damen und Herren, der 11. Thüringen-Monitor liegt vor. Ich will deshalb zunächst einen Rückblick wagen: Es ist der 20. April im Jahr 2000, an dem Jugendliche mit einen Molotowcocktail mit einem Wurf auf die Rückseite der Erfurter Synagoge einen Brandanschlag verübt haben, mit einem Brandsatz, den mein Vorredner Bode Ramelow eben noch relativierend nicht als links, wohl aber als Straftat dargestellt hat.

Ich will eines sagen, in Thüringen hat Gewalt keinen Platz,

(Beifall CDU, SPD)

mit Molotowcocktails nicht, mit Fäusten nicht und durch Extremisten erst recht nicht.

Deshalb, meine sehr verehrten Damen und Herren, weil das der Ausgangspunkt ist, diese unbegründbare Tat im April im Jahr 2000, reden wir Jahr für

Jahr darüber, wie halten es die Thüringer mit Demokratie, mit Rechtsstaatlichkeit und wie ist das Wertefundament unserer Thüringer Bürgerinnen und Bürger. Es war Bernhard Vogel, der als Ministerpräsident in einer Regierungserklärung sofort folgend - bis zum heutigen Tag hat es auch Frau Christine Lieberknecht so gehalten - auf diesen Brandanschlag auf die Erfurter Synagoge und in der Auswertung zum Thüringen-Monitor reagiert hat.

Deshalb ist es wichtig, dass wir uns Jahr für Jahr auch vergewissern, wie steht es um die Demokratiefestigkeit, wie steht es um die Gewaltbereitschaft einiger weniger in diesem Land und was müssen wir tun, damit wir alle auf einem guten Wertefundament dieses Land gestalten können.