Protokoll der Sitzung vom 13.10.2011

Frau Lieberknecht, damit möchte ich auch beginnen. Sie sagen, die Demokratie in Thüringen steht auf festem Grund. Ja, aber 19, fast 20 Prozent befinden sich auf den Flächen, wo sich der Treibsand befindet, nämlich die, die gefährliche Trittflächen sind und die die Demokratie eben nicht als beste Staatsform anerkennen.

(Beifall BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)

Meine sehr geehrten Damen und Herren, 20 Prozent sagen, der Nationalsozialismus hatte auch seine guten Seiten. Und was, wenn nicht das - Herr Barth hat es vorhin auch gesagt - sollte uns alarmieren. 20 Prozent sind 20 Prozent zuviel. Das heißt auch, dass wir noch entschlossener eintreten müssen für den Kampf gegen Rechtsextremismus und für diese Demokratie, die es zu stärken gilt.

(Beifall BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)

Meine sehr geehrten Damen und Herren, nur zur Erinnerung, es war nach dem Anschlag auf die Erfurter Synagoge im Jahr 2000, dass die Messungen begannen. Wir haben Werte über die vergangenen 11 Jahre aufgenommen und können vergleichen, wie es um die Demokratie bestellt ist. Ja, es stand schon besser. Deswegen auch ganz klar der erste Handlungsauftrag, das kann man nicht wegwischen, hier gibt es viel zu tun. Wir haben diese Legislatur damit begonnen, dieses Ausrufezeichen zu setzen. Wir alle, die wir hier im Plenarsaal saßen, haben unserer Erleichterung Ausdruck darüber verliehen, dass es fünf demokratische Parteien sind, die hier sitzen, mit der gemeinsamen Erklärung für ein demokratisches, tolerantes und weltoffenes Thüringen. Wir sind uns, meine Damen und Herren, einig, demokratiefeindliche, antisemitische und volksverhetzende Parolen haben hier in diesem Raum, haben nirgendwo etwas verloren.

(Beifall DIE LINKE, BÜNDNIS 90/DIE GRÜ- NEN)

Aber, meine sehr geehrten Damen und Herren und das zeigt auch der Thüringen-Monitor -, machen wir uns doch nichts vor. Sie leben auch in Thüringen, die Menschen, die großen Vereinfacher,

(Abg. Mohring)

die die Demokratie infrage stellen. Das spiegeln die Zahlen eindeutig. Es beginnt mit harmlosen Parolen, es fängt an, geht weiter über eindeutig rassistische Parolen. Das zeigt der Thüringen-Monitor, dass diese Steigerung dieser Parolen, diese Menschen, die diese Parolen auch hegen und pflegen, tatsächlich vorhanden ist. Wer, meine Damen und Herren, so tut, als ginge uns das alles nichts an, der braucht sich bloß bei den Kolleginnen und Kollegen in den Kommunalparlamenten umzuhören, umzuschauen. Fragen Sie mal, meine sehr geehrten Damen und Herren, Ihre Kollegen in den Stadträten in Gera, in Greiz, in Erfurt, in Eisenach, in Sondershausen, in Nordhausen, in Weimar, in Sonneberg und in den Kreistagen in Gotha, Greiz, Eichsfeld, Hildburghausen, im Kyffhäuser-, im Nordhäuser-, im Sonneberger- und im WartburgKreis. Sie sehen an dieser Aufzählung, das sind alles Parlamente, wo die NPD sitzt, wo diejenigen ihre braunen Parolen verbreiten können und wo es Handlungsbedarf gibt. Von allein kommt das nicht, es kommt aus der Mitte der Gesellschaft.

(Beifall BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)

Es sind die netten Nachbarn, die Freunde von nebenan, nehmen Sie das zur Kenntnis.

Meine sehr geehrten Damen und Herren, allein im September waren viele Hundert Menschen, viele Hundert Thüringerinnen und Thüringer, viele auch aus benachbarten Bundesländern auf der Straße und demonstrierten gegen rechts. Allein im September waren es vier Demonstrationen. Viermal haben die lokalen Bündnisse gegen rechts aufgerufen, Gesicht gegen rechts zu zeigen. MOBIT war mit dabei - an dieser Stelle herzlichen Glückwunsch noch einmal zum Zehnjährigen.

(Beifall DIE LINKE, BÜNDNIS 90/DIE GRÜ- NEN)

Viele Bündnisse riefen auf, weil es nötig war, weil allein im September viermal in Weimar, in Leinefelde, in Eisenach und dann hier vor dem Thüringer Landtag die NPD und andere meinten, zeigen zu müssen, dass ihre Ansichten salonfähig sind. Nein, sie sind es nicht. Ich will an dieser Stelle mich ausdrücklich dem Dank an die Landtagspräsidentin anschließen, die beherzt und angemessen auf den winzigen, ja jämmerlichen, wie sie eben sind, Aufmarsch hier vor dem Thüringer Landtag reagiert hat - danke an Frau Diezel.

(Beifall SPD, BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)

Aber, an dieser Stelle lohnt auch der Blick über den Tellerrand. Die Frage ist doch: Wie maßvoll ist im Vergleich zu dem, wie ungestört diejenigen, die dann hier ihre braune Soße ausschütten, ein Polizeieinsatz mit Datensammelwut gegen friedliche, demokratische Demonstrantinnen und Demonstranten wie in Dresden?

(Beifall BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)

Wie kann es sein, dass die einen quasi ungestört demonstrieren können, bei den anderen Daten aufgenommen werden? Das ist Zermürbungstaktik in unserer Demokratie, das dürfen wir nicht zulassen. Ich sage Ihnen auch, wir lassen uns auch nicht zermürben, auch nicht von übereifrigen Innenministern - fehlgeleiteterweise - wie Herrn Ulbig aus Sachsen.

(Beifall DIE LINKE, BÜNDNIS 90/DIE GRÜ- NEN)

Meine Damen und Herren, Dresden ist doch mittlerweile ein Synonym für das, was falsch läuft bei der Bekämpfung des Rechtsextremismus.

(Beifall DIE LINKE, BÜNDNIS 90/DIE GRÜ- NEN)

Natürlich, Herr Mohring und Herr Barth, müssen wir uns gegen jede Form des Extremismus stellen, natürlich müssen wir gewaltbereite und gewalttätige Extremisten mit allen Mitteln des Rechtsstaats bekämpfen, des Rechtsstaates! Ich denke, das ist doch Konsens in diesem Haus, da gibt es null Toleranz, darüber muss man doch nicht reden.

(Beifall DIE LINKE, BÜNDNIS 90/DIE GRÜ- NEN)

Aber, wie man sich im Fall Dresden, im Falle der Aufhebung von Immunität, die politisch motiviert ist, im Falle von Datensammelwut, wie man sich dermaßen verrennen kann, wie man sich am Ende in Jena auf einen Pfarrer einschießt, das ist mir völlig schleierhaft. Ich werde es nicht verstehen, an dieser Stelle brüskiert man im Übrigen auch die Thüringer Polizei, die offenbar

(Beifall DIE LINKE, BÜNDNIS 90/DIE GRÜ- NEN)

aus sächsischer Sicht nicht imstande ist, gute Arbeit zu leisten. Meine Damen und Herren, die Thüringer Polizei leistet gute Arbeit, lassen Sie mich das an dieser Stelle ganz eindeutig sagen.

(Beifall BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)

Meine Damen und Herren, wir stehen an dem Punkt, dass wir die Daten auch auswerten müssen, die vorliegen. Da kommen wir als Bündnisgrüne zu einem Schluss, wo ich mir auch heute ein klares Signal der Ministerpräsidentin gewünscht habe, ein Signal zur Frage, wie Thüringen aufgestellt wird in zehn Jahren, was die Menschen, die hier leben und leben wollen, angeht. Ich sage, Thüringen braucht nicht nur ein Ende der Abwanderung, Thüringen braucht auch Zuwanderung

(Beifall DIE LINKE, BÜNDNIS 90/DIE GRÜ- NEN)

und nicht nur, aber auch gerade angesichts des drohenden Fachkräftemangels. Wir müssen etwas tun, Politik muss den Bürgerinnen und Bürgern er

klären, warum es nötig ist, muss erklären, welche Rahmenbedingungen dafür nötig sind und muss etwas tun, damit Integration auf beiden Seiten gelingt. Dazu habe ich heute nichts gehört.

Meine Damen und Herren, es ist erst wenige Tage her, überall in Thüringen fand die interkulturelle Woche statt. Viele Menschen haben sich getroffen, haben miteinander geredet, haben aus verschiedenen Nationen miteinander einen Abend oder Zeit miteinander verbracht und darum geht es auch. Begegnung soll Nähe schaffen. Ich selbst war bei der interkulturellen Woche in Schmölln, hatte einen wunderbaren Abend und habe gesehen, diese Nähe bringt auch viel, bringt gegenseitig viel, bringt unserer Kultur auch etwas.

Meine Damen und Herren, bei einem Anteil ausländischer Mitbürgerinnen und Mitbürger von 1,6 Prozent in unserem Land halten wir nach wie vor den Negativrekord, der Bundesschnitt liegt bei 8 Prozent. Ich hätte mir einfach ein klares Signal dazu gewünscht, wie sich angesichts dieser Zahlen, angesichts der Tatsache, dass wir hier im Bereich des Rechtsextremismus etwas tun müssen, wie Sie hier vorgehen wollen. Offenbar ist die Frage der Willkommenskultur nach wie vor mindestens in der Thüringer Landesregierung kein Thema.

(Beifall BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)

Meine Damen und Herren, die guten Wirtschaftsdaten, die Sie heute gelobt haben, die der ThüringenMonitor aufzeigt, werden wir angesichts des Kampfes um kluge Köpfe nur dann gewinnen, wenn wir an der Lebensqualität in unserem Land arbeiten für diejenigen, die hier wohnen, für diejenigen, die hier vielleicht einmal leben wollen. Darüber haben Sie nicht geredet. Ich finde das schade, ich bedauere das. Wir haben bereits eine Initiative vorgelegt. Wir wollten damit beginnen, dass unsere Ausländerbeauftragte für Integration zuständig ist und auch so heißt. Das heißt, Frau Heß heißt weiterhin Ausländerbeauftragte, hat auch die gleichen Kompetenzen wie vorher, so viel zum Thema weltoffenes und modernes Thüringen.

(Beifall BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)

Wir als GRÜNE sagen, wir brauchen eine bessere Anerkennung von ausländischen Abschlüssen, aber was passiert in Thüringen? Bürokratie und Vorschriften gehen vor Beteiligung und Flexibilität. Das ist genau so ewig gestrig wie das Ignorieren der Tatsache, dass ausländische Fachkräfte auch Ansprüche haben. Natürlich haben sie den Anspruch, z.B. an Forschungsinstituten nicht als Wissenschaftler zweiter Klasse behandelt zu werden oder vielleicht einen Arbeitsvertrag vorgelegt zu bekommen, den man beim ersten Lesen versteht, weil er zweisprachig ist. Oder einen Kitaplatz für das Kind zu bekommen, damit die Familie nachziehen kann. Oder, um ein aktuelles Beispiel aus Jena zu

nennen, wie es nicht mehr laufen darf, beim Arbeitgeber bekommt man erst den Arbeitsvertrag, wenn man den Mietvertrag vorgelegt hat und umgekehrt. Dieses Dilemma ist nicht aufgelöst, Sie haben auch nicht vor, es aufzulösen. Jedenfalls habe ich davon nichts gehört, weder heute noch in den vergangenen Wochen oder Monaten.

Zu dieser notwendigen Willkommenskultur, die wir einfordern, gehört auch, die Bündnisse vor Ort zu stärken.

(Beifall BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)

Wir haben in der Debatte beim Landesprogramm für Demokratie, Toleranz und Weltoffenheit gesagt, holen Sie die Bündnisse zurück an den Tisch, Frau Taubert, daran müssen wir arbeiten. Eine Kultur des Hinhörens, Hinsehens, eine Kultur des Miteinanders wächst von unten, aber nur gemeinsam und nicht, wenn man einmal darüber redet oder so tut, als sei alles gut. Zu dieser Willkommenskultur gehört auch, dass wir, wenn wir über Demokratiebildung an Schule reden, bei den Jüngsten anfangen und darüber reden, wie Kinder und Jugendliche miteinander leben wollen. Das ist der erste, der wichtige, einer der zentralen Handlungsaufträge des Thüringen-Monitors.

(Beifall BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)

Frau Ministerpräsidentin, Sie haben in Ihrer Rede gesagt, es stärkt die politische Kultur im Land, wenn die Menschen ernst genommen und beteiligt werden. Das ist zweifelsohne richtig und ich teile das ausdrücklich. Es ist ein gutes Zeichen, dass drei von vier Thüringern schon einmal an einer Demonstration teilgenommen haben, in einer Bürgerinitiative mitgearbeitet oder sich in einer politischen Partei engagiert haben. Das ist ein gutes Zeichen. Dieses Interesse an demokratischer Willensbildung ist ein gutes Zeichen.

(Beifall BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)

Denn, meine Damen und Herren, schlussendlich geht es um Folgendes, es geht um Vertrauen, eine riskante Vorleistung kann man es nennen, Vertrauen, das man bewusst oder unbewusst bekommt. Um dieses bewusste Vertrauen der Bürgerinnen und Bürger müssen wir werben, jeden Tag. Wir dürfen es nicht hinnehmen, dass wir es haben, sondern wir müssen uns darum bemühen und immer wieder darum ringen.

Meine sehr geehrten Damen und Herren, je transparenter politische Entscheidungen sind, je besser die Menschen politische Entscheidungen verstehen, desto stärker wird unser demokratisches Gemeinwesen, desto mehr Vertrauen gibt es. Das ist eine große Aufgabe, die wir zu stemmen haben. Deshalb sagen wir als BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN auch Ja zur Bürgerbeteiligung und mehr direkter demokratischer Teilhabe.

(Beifall BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)

Wir sagen Ja zu Beteiligungsformen wie Bürgerhaushalte in den Kommunen. Wir sagen Ja zu konsultativen Bürgerbeteiligungsprozessen wie in der Schweiz. Wir sagen Ja zu Bürger- und Volksbefragungen. Wir sagen auch Ja zum Wahlalter ab 16 Jahren in den Kommunen, Sie kennen unseren Gesetzentwurf,

(Beifall BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)

damit Jugendliche sich so früh wie möglich in die Politik einmischen und sich beteiligen können. Wir sagen Ja zu mehr Transparenz in der Politik, denn das ist es, was die Bürgerinnen und Bürger in Thüringen tatsächlich wollen. Das ist der dritte Handlungsauftrag.

Meine sehr geehrten Damen und Herren, die Menschen in Thüringen sind Ihnen, das zeigt der Thüringen-Monitor - und ich komme damit zum zweiten Teil des Berichts - nicht nur um ein paar Schritte, sie sind Ihnen um Meilen voraus, sie laufen Ihnen davon, weil sie wissen, was für das Land gut ist. Ich will Ihnen an dieser Stelle beim Thema Haushalt gern sagen, wie wir die Lage einschätzen. Frau Ministerpräsidentin, Sie sagten, die Richtigkeit der Politik zeigt sich oft erst Jahre später. Ich sage Ihnen, was die Richtigkeit der Politik ist: Die Richtigkeit der Politik ist auch, dass man über seine Fehler redet. Die Fehler der CDU der vergangenen 20 Jahre sind über 16 Mrd. € Schulden.