Protokoll der Sitzung vom 18.12.2009

Jetzt lassen Sie mich zum Antrag sprechen, den wir im Übrigen gut finden. Wir finden es auch gut, dass sich damit hier beschäftigt wird. Die schwarz-gelbe Bundesregierung hat einen folgenschweren Beschluss gefasst für die rund 6,5 Mio. Arbeitslosengeld-II-Bezieher. Sie will die Jobcenter auflösen und die Betreuung von Arbeit Suchenden künftig wieder in getrennter Trägerschaft durchführen.

(Unruhe im Hause)

Ich bin jetzt beim Antrag und fände es schön, wenn dem gefolgt werden könnte. Die Agenturen für Arbeit wären dann für die berufliche Wiedereingliederung und für die Auszahlung des Arbeitslosengeldes II zuständig, die Kommunen für die sozialen Komponenten. Wir sehen, wie gut oder schlecht das funktioniert in Schmölln, ich finde, man kann da in Thüringen ruhig auch die Beispiele benennen. Ich hätte das auch bei der Einbringung durch die SPD jetzt eben hier erwartet. Ich sage Ihnen aber gern, dass wir GRÜNE genau das unterstützen, was die SPD hier eben erwähnt hat, nämlich die Änderungen des Grundgesetzes, denn der Weg, den wir jetzt seitens der Bundesseite auf uns zuschweben sehen, ist eigentlich ein Gang zurück in die Steinzeit. Getrennte Trägerschaft ist ein Gang in die Steinzeit, das unterstützen wir nicht. Was wir brauchen, ist eine Änderung des Grundgesetzes. Wir brauchen ein dezentrales und bürgerfreundliches Hilfesystem. Dazu braucht es natürlich auch Druck aus Thüringen. Den können wir gern bei uns auslösen, mit Unterstützung der Koalition sind wir dabei.

(Beifall BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)

Deswegen ist es auch richtig und wichtig, die Debatte hier zu führen. Mit diesem Vorschlag senden wir natürlich auch ein Signal an andere unionsregierte Länder und schließen uns da gern an, die sich traditionell - das wissen Sie vielleicht alle - für eine kommunale Trägerschaft eingesetzt haben. Unseren Vorschlag sollen Sie ernsthaft prüfen, nämlich der Vorschlag der Grundgesetzänderung. Da muss man sich ernsthaft einsetzen. Bereits jetzt ist klar, dass die Vorschläge der Bundesarbeitsministerin zur getrennten Trägerschaft nicht die volle Unterstützung der Länder finden werden. Das sehen wir hier, das freut uns sehr. Die wichtigsten Fragen sind aber ungeklärt. Weitere Konflikte wird es dazu geben. Eine Lösung ist es nicht. Die echte Lösung ist,

dass es eine Verfassungsänderung gibt. Sie sehen, wir sind da nahe bei Ihnen und ich freue mich auf die Debatte dazu im Ausschuss. Vielen Dank.

(Beifall BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)

Danke schön. Als Nächste spricht Abgeordnete Ina Leukefeld von der Fraktion DIE LINKE.

Frau Präsidentin, guten Morgen, meine Damen und Herren, nach der Rede von Herrn Baumann, in der er von „Desaster“ und „Supergau“ gesprochen hat, will ich noch mal ganz klar sagen, DIE LINKE meint, fünf Jahre nach Einführung von Hartz IV ist zu konstatieren, Hartz IV ist in dieser Form gescheitert.

(Beifall DIE LINKE)

(Zwischenruf Abg. Baumann, SPD: Auch für Sozialhilfeempfänger …)

Ja, das können wir später noch mal diskutieren.

Ich denke, es gibt ein paar Fakten: Langzeitarbeitslosigkeit hat sich verfestigt, mit Hartz IV wurde Armut und Ausgrenzung per Gesetz geschaffen, wir hören von einem riesigen bürokratischen Aufwand und Klagen - darüber ist hier heute noch zu reden -, es gibt für Hartz-IV-Empfänger relativ wenig Integration in gute Arbeit, aber dafür wurde für schlecht bezahlte Arbeit, für prekäre Beschäftigung Tür und Tor geöffnet.

(Beifall DIE LINKE)

Deswegen bleibt es bei unserer Forderung, Hartz IV in dieser Form muss überwunden werden, Herr Baumann, was nicht heißt, dass wir Sozialempfänger wieder rausnehmen wollen und dass die keine Vermittlungschancen haben. Wir sind auch für einen ganzheitlichen Ansatz, aber wir sind nicht dafür, Arbeitslose erster und zweiter Klasse zu haben.

(Beifall DIE LINKE)

(Zwischenruf Abg. Baumann, SPD: Wie denn? Das habt ihr nicht gesagt.)

Das Ganze könnte einhergehen mit einer Überwindung der beiden Rechtskreise SGB III und SGB II. Aber das ist heute nicht das Thema und diese Forderung ist auch derzeit nicht mehrheitsfähig. Deswegen will ich es an der Stelle bewenden lassen. Aber über Inhalte wäre zu reden im Sinne der Betroffenen statt über Organisation und Form; das ist

ja schon schlimm genug. Aber angesichts der angekündigten Vorhaben der schwarz-gelben Koalition, dieses Modell der Leistung aus einer Hand zu zerschlagen, muss gehandelt werden. Deswegen ist der Antrag richtig. Die getrennte Trägerschaft ist kreuzgefährlich aus meiner Sicht und ich darf das hier sagen im Namen meiner Fraktion: Alles ist besser als getrennte Trägerschaft.

(Beifall DIE LINKE)

Warum? Wir befürchten, dass mit der getrennten Trägerschaft eine deutliche Verschlechterung der Hilfsangebote einhergeht und dass Maßnahmeplanungen sich dabei noch weniger an den betroffenen Menschen orientieren, sondern noch mehr an der Erfüllung von Statistiken. Es geht hier nicht um Verwaltung und Bürokratie, sondern es soll vor allen Dingen dazu beigetragen werden, dass Hilfesuchende Chancen und Perspektiven erhalten und diese nutzen können, um auf dem Arbeitsmarkt tatsächlich eine Zukunft zu haben. Es wäre für alle Beteiligten sinnvoller, in die Betreuung der Leistungsbezieher zu investieren als in deren Verwaltung. Für die betroffenen Leistungsbezieher bedeutet eine getrennte Aufgabenwahrnehmung, dass sie künftig zwischen zwei Behörden stehen, mit zwei unterschiedlichen Bescheiden rechnen müssen und natürlich auch in beiden Behörden unterschiedliche Ansprechpartner haben. Dies widerspricht der Idee einer bürgerfreundlichen Verwaltung, die unnötige Doppelarbeit vermeidet. Da sollte abgebaut werden statt wieder neu geschaffen werden. Besonders in Zeiten leerer Kassen ist eine Optimierung von Verwaltungsabläufen unabdingbar. Wenn wir nachher noch mal über Sozialgerichte und rechtliche Konsequenzen aus dem schlecht gemachten SGB II diskutieren, dann kann ich Ihnen nur versichern, das, was hier die schwarz-gelbe Bundesregierung anvisiert, wird noch zu mehr Widersprüchen, zu mehr Verunsicherung und in der Folge auch zu mehr Klagen führen.

(Beifall DIE LINKE)

Lassen Sie mich auch sagen, was es für die Kommunen bedeutet. Für die Kommunen bedeutet die getrennte Trägerschaft, dass sie nur noch zahlen dürfen, ohne Einfluss direkt auf Maßnahmen der Förderung und Entwicklung ihrer Bürgerinnen und Bürger nehmen zu können. Denn die Integrationsfrage läge ja bei der Bundesagentur für Arbeit. Es ist hier schon eine ganze Menge dazu gesagt worden, dass das Bundesverfassungsgericht ja bereits am 21.12.2007 - also es ist fast auf den Tag genau 2 Jahre her - festgestellt hat, dass Arbeitsgemeinschaften gemäß § 44 b SGB II dem Grundsatz eigenverantwortlicher Aufgabenwahrnehmung widersprechen. Ich meine, es wäre - und es gab ja auch

Bemühungen, das muss man ja auch sagen - dringend nötig gewesen, das schon viel früher zu diskutieren und ernsthaft auch in Entscheidungsvarianten zu bringen, sich zu entscheiden, um dann auch zügig die Grundgesetzänderung, die wir auch favorisieren, vorzunehmen. Wir haben im März dieses Jahres mit den Praktikern, mit der LAG der ARGEn hier in Thüringen gesprochen und haben sie befragt, wie sie das sehen. Fazit war, ich will das schlaglichtartig sagen, ARGEn dürfen nicht zerschlagen werden, sie sind nicht das Nonplusultra - wir wissen, dass es da auch eine ganze Menge Probleme gibt -, aber da ist etwas aufgebaut und etwas gewachsen.

Man braucht, so die Praktiker, eine einheitliche, übergreifende Organisation zur Umsetzung des SGB II, aber mit einer gewissen Flexibilität und Selbstständigkeit auch in der individuellen Aufgabenwahrnehmung. Man braucht mehr Handlungsfähigkeit und Stärkung des sozialen Charakters des SGB II. Es geht also nicht nur um Integration. Das haben vor allen Dingen auch die kommunalen Vertreter hier besonders in den Mittelpunkt gestellt. Ich glaube, das ist auch sehr wesentlich, Arbeitsagenturen und Kommunen müssen auf Augenhöhe miteinander arbeiten. Das ist auch in der derzeitigen Konstellation letztendlich nicht der Fall. Ein Ergebnis war - das haben die Praktiker auch gesagt, und haben also damit auch mit unserer Auffassung übereingestimmt: Ohne eine generelle Gesetzesänderung, dass man auch in dem SGB II schaut und Schwachstellen noch mal ausmerzt und ausbessert, dass man die inhaltliche Debatte auch noch mal führt, wird es jetzt nicht gehen, aber das ist ja jetzt nicht gewollt.

Frau Abgeordnete, lassen Sie sich bitte ganz kurz unterbrechen. Herr Minister Machnig, Sie sind kein Abgeordneter, aber wenn Sie Abgeordneter wären, müsste ich Sie darauf aufmerksam machen, nicht zu telefonieren hier im Raum.

(Beifall CDU, DIE LINKE, BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)

Bitte schön.

Meine Damen und Herren, im Grunde genommen liegt das Dilemma also nicht darin begründet, woher die Betroffenen letztendlich Arbeitslosengeld II bekommen, sondern dass und wie arbeitslose SGBII-Empfänger mangels existenzsichernder Arbeit letztendlich auch behandelt werden, auch behandelt werden müssen, weil das Gesetz so ist.

Mit der geplanten Verfassungsänderung werden beide Rechtskreise zementiert. Das ist der Punkt, den wir kritisch sehen. Aber nichtsdestotrotz geht es heute hier um den Antrag. Ich kann Ihnen sagen, den Punkten I und II des vorgelegten Antrags von CDU und SPD können wir vor dem Hintergrund, dass bis Ende 2010 eine Lösung für die Neuorganisation der Organisationsstrukturen im SGB II entwickelt werden muss, um die Auswirkungen auf Betroffene so gering wie möglich zu halten, zustimmen. Das tun wir insbesondere auch deshalb, weil es schließlich um 6 Millionen Betroffene in diesem Land geht.

Bei der anstehenden Organisationsreform der Verwaltungsstrukturen des SGB II muss sichergestellt werden, dass einheitliche Bescheide ergehen, bei denen für die Betroffenen die behördlich Verantwortlichen für die getroffenen Entscheidungen klar erkennbar bleiben.

(Beifall DIE LINKE)

Diese klare Erkennbarkeit und Nachvollziehbarkeit der Verantwortlichkeit, die ist ja auch ein Hauptargument des Bundesverfassungsgerichts bei der Entscheidung gegen die ARGEn gewesen. Aber, und das muss man hier auch sagen, dieses Argument gilt für alle Formen der sogenannten Mischverwaltung. Deshalb ist die Mischverwaltung nach dem Grundgesetz prinzipiell eigentlich ausgeschlossen. Daher muss bei einem Erhalt der Leistungen aus einer Hand ein Modell gefunden werden, was diesem Prinzip genügt.

Die Arbeits- und Sozialministerkonferenz hat in ihrem Beschluss vom Sommer des letzten Jahres einstimmig festgelegt, dass eine konsensfähige gemeinsame Lösung nur im Rahmen einer bisherigen ARGE-modellorientierten Lösung möglich sei. Damals hat noch das SPD-geführte Bundesministerium die Forderung aufgenommen und eine Grundgesetzänderung vorgeschlagen, nämlich die Einführung eines zusätzlichen Artikel 86 a im Grundgesetz, die eine gemeinsame Verwaltung bei der Umsetzung des SGB II rechtlich ermöglicht. Das ist sozusagen die Geburt der Idee, dass als ARGE-Nachfolger ein rechtlich vorgeschriebenes Zentrum für Arbeit und Grundsicherung (ZAG) fungieren soll, gewesen. Diese Zentren wären rechtlich selbstständige Verwaltungseinheiten mit eigenem Haushalt und eigenem Personal. Die Grundstruktur der ARGE würde weiter bestehen. Träger wären die Bundesanstalt für Arbeit im Auftrag des Bundes und die Kommunen. Beide Träger wären vor Ort auf der Grundlage von Vereinbarungen in einer gemeinsamen Struktur zusammen und gewährleisten damit eine einheitliche Verwaltung zur Umsetzung des SGB II. Das ist ja im Kern der Punkt III hier im Antrag von CDU und SPD. Ich denke aber, dass wir bei der Frage der Er

richtung der Zentren für Arbeit und Grundsicherung tatsächlich noch weiter die Diskussion brauchen, weil - und das will ich Ihnen und uns jetzt hier allen ersparen - natürlich auch da noch eine ganze Reihe offener Fragen zu diskutieren wäre. Deswegen kann ich Ihnen sagen, wir würden dem ersten und zweiten Punkt zustimmen - deswegen bitte ich auch um getrennte Abstimmung -, würden den Punkt III gerne überweisen an den Ausschuss für Wirtschaft, Technologie und Arbeit, um dort die Diskussion weiterzuführen. Aber der Auftrag, dass die Landesregierung jetzt aktiv wird, sollte meines Erachtens heute hier erteilt werden. Ich bedanke mich.

(Beifall DIE LINKE)

Frau Abgeordnete Leukefeld, gestatten Sie eine Zwischenfrage des Abgeordneten Baumann?

Herr Abgeordneter Baumann.

Frau Leukefeld, Ihr Beitrag, der hat mich jetzt ziemlich verwundert.

(Zwischenruf Abg. Kuschel, DIE LINKE: Das wundert mich nicht.)

Ich habe in den letzten Monaten immer gehört, immer auf Ihren Plakaten gesehen; „Weg mit Hartz IV!“

(Beifall DIE LINKE)

Ich habe jetzt in Ihrem Beitrag keinen einzigen Satz dazu gehört, was anstelle von Hartz IV kommen soll,

(Zwischenruf Abg. Korschewsky, DIE LINKE: Arbeit.)

wie Ihre Vorstellungen sind. Stattdessen machen Sie Veränderungs- und Verbesserungsvorschläge am jetzigen SGB II. Das passt irgendwo nicht.

Die Frage, Herr Baumann.

Sie sagen, weg mit Hartz IV, dann müssen Sie auch sagen, wie.

Ja, Herr Baumann, es ist sehr schön, ich bedanke mich ausdrücklich für Ihre Frage, denn da kann ich es noch einmal ganz laut und deutlich sagen; es war in der Rede allerdings schon enthalten. Wir bleiben dabei, wir wollen Hartz IV überwinden,

(Beifall DIE LINKE)

das können wir postulieren, aber im Moment gibt es dafür keine Mehrheiten. Wie wir das machen wollen, das kann ich Ihnen auch sagen - das hatte ich auch in der Rede drin -, es gibt eine Vorstellung, die beiden Rechtskreise SGB III und SGB II zu einem zusammenzuführen, alle Instrumente der Arbeitsförderung, der Integration, der Qualifizierung allen Arbeitslosen zugänglich zu machen. Das bedeutet, wir haben dann auch keine Arbeitslosen erster, zweiter Klasse mehr und für die, die in einem bestimmten Zeitraum - da können wir dann gerne noch einmal diskutieren - keine Integration, keine Qualifizierung erhalten, wollen wir eine Mindestsicherung, die armutsfest ist.