Protokoll der Sitzung vom 27.01.2010

Sehr geehrte Damen und Herren Abgeordnete, die vom Bundesgesetzgeber geschaffene Strafprozessordnung enthält zahlreiche Regelungen zum Schutz der von einer Telekommunikationsüberwachung betroffenen Personen. Danach richten sich selbstverständlich auch die Thüringer Strafverfolgungsbehörden. Besonders streng sind die Voraussetzungen für die Anordnung und Überwachung der Aufzeichnung des Inhalts der Telekommunikation. Bestimmte Tatsachen müssen den Verdacht begründen, dass jemand eine bestimmte, ihrer Art nach in einem

gesetzlichen Katalog abschließend aufgeführte, schwere Straftat begangen hat, in strafbarer Weise zu begehen versucht oder diese vorbereitet hat. Die Tat muss zusätzlich im Einzelfall schwer wiegen und die Erforschung des Sachverhalts oder die Ermittlung des Aufenthaltsorts des Beschuldigten auf andere Weise wesentlich erschwert oder aussichtslos sein; also ein genauer Katalog, der hier vorliegt.

Besonders geschützt ist der Kernbereich privater Lebensgestaltung der Bürgerinnen und Bürger. Liegen tatsächliche Anhaltspunkte für die Annahme vor, dass durch eine Telekommunikationsüberwachung allein Erkenntnisse aus diesem Bereich erlangt würden, ist die Maßnahme von vornherein unzulässig. Werden gleichwohl durch eine Maßnahme derartige Erkenntnisse neben anderen erlangt, dürfen Erkenntnisse aus dem Kernbereich nicht verwertet werden. Aufzeichnungen hierüber sind unverzüglich zu löschen.

Sowohl für die Telekommunikationsdatenüberwachung als auch für die Telekommunikationsverkehrsdatenerhebung gelten zum Schutz der Bürgerinnen und Bürger außerdem folgende Regelungen: Bei Wegfall der Anordnungsvoraussetzung sind andauernde Maßnahmen unverzüglich zu beenden. Die Maßnahme darf nur gegen bestimmte Personengruppen gerichtet werden, nämlich nur gegen Beschuldigte und sogenannte Nachrichtenmittler. Letztere sind Personen, von denen aufgrund bestimmter Tatsachen anzunehmen ist, dass sie für den jeweiligen Beschuldigten bestimmte oder von ihm herrührende Mitteilungen entgegennehmen, weitergeben oder dass der Beschuldigte ihren Anschluss benutzt. Maßnahmen, die sich gegen Geistliche, Verteidiger oder Abgeordnete richten und voraussichtlich Erkenntnisse erbringen würden, über die diese Personen das Zeugnis verweigern dürften, sind, soweit diese Personen nicht selbst in die entsprechenden Straftaten verstrickt sind, unzulässig. Von Geistlichen, Verteidigern oder Abgeordneten dennoch erlangte derartige Erkenntnisse, zum Beispiel aus Maßnahmen, die sich nicht gegen diese, sondern zum Beispiel gegen den Beschuldigten richten, dürfen nicht verwertet werden und sind zu löschen. Richten sich Telekommunikationsüberwachungsmaßnahmen gegen andere zeugnisverweigerungsberechtigte Personen, zum Beispiel gegen Rechtsanwälte oder Ärzte, und werden dadurch voraussichtlich Erkenntnisse erlangt, über die diese das Zeugnis verweigern dürften, ist dies im Rahmen der Prüfung der Verhältnismäßigkeit besonders zu berücksichtigen.

Telekommunikationsüberwachungsmaßnahmen unterliegen zudem grundsätzlich dem Richtervorbehalt - auch dazu wurde vorhin schon gesprochen - sie dürfen nur auf Antrag der Staatsanwaltschaft

durch das Gericht angeordnet werden. Wegen Gefahr im Verzug ausnahmsweise durch die Staatsanwaltschaft angeordnete Maßnahmen treten dann außer Kraft, wenn sie nicht binnen drei Tagen vom Gericht bestätigt werden. Maßnahmen der Telekommunikationsüberwachung sind zudem immer befristet, und zwar auf zunächst höchstens drei Monate. Erforderliche Verlängerungen dürfen jeweils höchstens drei Monate betragen. Die Beteiligten der betroffenen Telekommunikation sind grundsätzlich zu benachrichtigen. Die Beteiligten der Telekommunikation können dann auch noch binnen zwei Wochen nach ihrer Benachrichtigung die gerichtliche Überprüfung der Rechtmäßigkeit der Maßnahmen sowie der Art und Weise ihres Vollzugs beantragen. Auf diese Möglichkeit ist bei der Benachrichtigung hinzuweisen.

Meine sehr verehrten Damen und Herren, der 4. Thüringer Landtag der letzten Legislaturperiode hat bei der letzten umfangreichen Novellierung des Polizeiaufgabengesetzes eine Angleichung vor allem der Schutzvorschriften bei Überwachungsmaßnahmen mit denen der Strafprozessordnung angestrebt. Daher sieht auch für die Telekommunikationsüberwachung das Polizeiaufgabengesetz im Grundsatz vor, dass eine solche Maßnahme nicht angeordnet werden darf, wenn von vornherein anzunehmen ist, dass sie nur Inhalte aus dem Kernbereich privater Lebensgestaltung erfassen würde. Kommt es dennoch zu einer Erfassung solcher Inhalte, dürfen diese nicht verwertet werden und sind unverzüglich zu löschen. Die für die Strafverfolgung dargestellten Grundsätze zum Schutz von Berufsgeheimnisträgern sind ebenfalls identisch im Polizeiaufgabengesetz abgebildet.

Sehr geehrte Damen und Herren Abgeordnete, Gegenstand des heutigen Antrags für die Aktuelle Stunde ist auch die praktische Anwendung der geschilderten Vorschrift. Zunächst möchte ich darlegen, wie sich das Zusammenwirken von Polizei und Staatsanwaltschaft bei der Telekommunikationsüberwachung im Strafverfahren gestaltet. Die Beantragung einer Telekommunikationsüberwachung bei Gericht auf der Grundlage der Strafprozessordnung erfolgt durch die Staatsanwaltschaft. Der dann ergangene Überwachungsbeschluss des Gerichts wird in der Praxis allerdings durch die Polizei vollzogen. Die Polizei setzt das zur Mitwirkung verpflichtete Telekommunikationsunternehmen in Kenntnis, übernimmt die von dort übermittelte Kopie der Telekommunikationsinhalte und wertet diese dann aus. Dann entscheidet die Staatsanwaltschaft über die weitere Verwendung der Inhalte im Verfahren. Über die Verwertbarkeit im gerichtlichen Verfahren entscheidet zu gegebener Zeit das Gericht. Stellt die Polizei bei der Auswertung fest, dass einzelne Gespräche den Kernbereich privater Lebensgestal

tung oder ein geschütztes Vertrauensverhältnis zu einem Berufsgeheimnisträger betreffen könnten, werden diese Passagen besonders gekennzeichnet und die Entscheidung eines Staatsanwalts eingeholt. Für die Überwachungsmaßnahmen nach dem Polizeiaufgabengesetz, das ist der zweite Komplex, hat das Innenministerium durch Verwaltungsvorschrift festgelegt, dass bei der Feststellung möglicher Kernbereichsrelevanz eine umgehende Entscheidung des Leiters der Polizeibehörde herbeizuführen ist.

Sehr geehrte Damen und Herren Abgeordnete, ich hoffe, Ihnen hiermit einen Überblick über die Praxis zum Schutz der Bürgerinnen und Bürger bei der Telefonüberwachung gegeben zu haben.

Lassen Sie mich zum Abschluss noch kurz auf die Novellierungsabsichten im Polizeiaufgabengesetz und in der Strafprozessordnung zu sprechen kommen. CDU und SPD haben in ihrer Koalitionsvereinbarung folgendes Ziel festgeschrieben: „Das Polizeiaufgabengesetz wird novelliert, dabei wird insbesondere auf den unantastbaren Schutz des Kernbereichs geachtet. Gemeinsam mit Betroffenen sollen die Möglichkeiten eines besseren Schutzes von Berufsgeheimnisträgern besprochen und unter Berücksichtigung der Rechtsprechung überarbeitet werden.“; so der Text der Koalitionsvereinbarung. Es ist, glaube ich, auch kein Geheimnis, dass dies ein Hinweis auf die Rechtsauffassung des Justizministers zur bisherigen Regelung im Polizeiaufgabengesetz ist. Damit befinden wir uns im Übrigen auch in Übereinstimmung mit entsprechenden Überlegungen der Bundesregierung. Im Bundeskoalitionsvertrag heißt es unter Punkt 4, Rechtspolitik: In § 160 a der Strafprozessordnung gibt es derzeit eine Differenzierung nach verschiedenen Berufsgeheimnisträgern. Diese sollen im Bereich der Anwälte beseitigt werden, die als einheitliches Organ der Rechtspflege zu betrachten sind. Im Übrigen will die Koalition auf Bundesebene prüfen, ob die Einbeziehung weiterer Berufsgeheimnisträger in den absoluten Schutz des § 160 a der Strafprozessordnung angezeigt und im Hinblick auf die Durchsetzung des Strafverfolgungsanspruchs des Staates vertretbar ist.

Mit Interesse werden wir somit neben den bereits erwähnten und demnächst zu erwartenden Urteilen aus Karlsruhe und Weimar zu dieser Regelungsmaterie auch einen Gesetzentwurf der Bundesjustizministerin zum Schutz von Rechtsanwälten und ihrem Vertrauensverhältnis zu Mandanten vor staatlichen Überwachungsmaßnahmen zu berücksichtigen haben. Dieser Gesetzentwurf zur Stärkung des Schutzes von Vertrauensverhältnissen zu Rechtsanwälten im Strafprozessrecht ist vor wenigen Tagen im Thüringer Justizministerium eingegangen und sieht einen Schutz für jede anwaltliche

Beratung, nicht nur für die Strafverteidigertätigkeit, vor. Dies wäre dann möglicherweise auch kompatibel mit der Koalitionsvereinbarung von CDU und SPD in Thüringen.

Ich danke für Ihre Aufmerksamkeit.

Vielen Dank, Herr Minister Dr. Poppenhäger. Gibt es weitere Wortmeldungen? Ich sehe, das ist nicht der Fall. Damit beende ich die Aussprache zum ersten Teil der Aktuellen Stunde. Ich rufe auf den zweiten Teil der Aktuelle Stunde

b) auf Antrag der Fraktion DIE LINKE zum Thema: „Zukunft der Straßenausbaubeiträge in Thüringen“ Unterrichtung durch die Präsidentin des Landtags - Drucksache 5/354 -

Als Erster hat sich Abgeordneter Kuschel, Fraktion DIE LINKE, zu Wort gemeldet.

Jetzt funktioniert es. Also jetzt sind schon 18 Sekunden weg. Frau Präsidentin, meine sehr geehrten Damen und Herren, Herr Innenminister, das Thema „Straßenausbaubeiträge“ beschäftigt uns seit 19 Jahren, ohne dass die CDU, die über diesen gesamten Zeitraum die politische Verantwortung in diesem Lande hatte, eine Lösung präsentieren konnte, mit der die Beteiligten umgehen können, sowohl die Bürger als auch die Kommunen, als auch die Rechtsaufsichtsbehörden. Im Gegenteil, wir haben unsere drei Verwaltungsgerichte und das Thüringer Oberverwaltungsgericht beschäftigt. Aber die konnten letztlich auch nicht dazu beitragen, dass es zu einer Lösung in dieser Frage kommt. Vor wenigen Tagen hat die Landesregierung nun endlich das lange angekündigte Gutachten zur Zukunft der Straßenausbaubeiträge in Thüringen von Prof. Brenner veröffentlicht. Das hat fast eineinhalb Jahre gedauert. Aus Anfragen, die an die Landesregierung gerichtet wurden, war zu entnehmen, dass es auch einen Dialog zwischen dem Gutachter und der Landesregierung gab. Insofern kann man davon ausgehen, dass der Gutachter natürlich auch Hinweise der Landesregierung in seinem Gutachten berücksichtigt hat, umso bedauerlicher und enttäuschender ist das Ergebnis.

Das Gutachten gibt letztlich eine Dokumentation der gegenwärtigen Rechtslage wider, untersucht aber nur im Ansatz tatsächlich die Möglichkeiten, die wir als Gesetzgeber im verfassungsrechtlichen und ge

setzlichen Rahmen hätten, also die zu begutachten und uns Empfehlungen zu geben. Da findet man ein bisschen etwas zwischen den Zeilen, aber das war es.

Insbesondere sind wir als DIE LINKE davon überzeugt, dieses Gutachten bietet nicht die Voraussetzung, um in diesem Jahr tatsächlich eine Lösung zu finden. Da ist jetzt der Innenminister gefordert, einen Vorschlag zu unterbreiten, dass man nicht nur das Gutachten zum Gegenstand der Diskussion nimmt, sondern darüber hinausgehende Dinge, insbesondere auch Vorschläge, die unsere Fraktion schon in den zurückliegenden Jahren immer wieder hier im Landtag unterbreitet hat. Wir bieten Ihnen an, auch diese Vorschläge in die Diskussion einzubeziehen und sicherlich auch die Vorschläge, die von BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN gekommen sind, von den anderen Parteien und Bürgerinitiativen.

Die Proteste gegen die Straßenausbaubeiträge kommen von der kommunalen Ebene, wenn ich jetzt die Bürgermeister sehe, nicht von Bürgermeistern mit Mandat der LINKEN, sondern kommen aus den eigenen Reihen, wenn ich mal auf den Bürgermeister der Stadt Schleusingen verweisen darf. Da gibt es sogar einen offenen Brief, meines Wissens an die Ministerpräsidentin, in dem angemahnt wird, das Problem nun endlich zu lösen, aber nicht in der Hinsicht, wie das jetzt das Gutachten in der Tendenz vorgibt, nämlich Straßenausbaubeiträge müssen unabhängig von der Finanzlage der Kommunen und rückwirkend bis zum Jahr 1991 erhoben werden.

Sie müssen sich mal vorstellen, was Sie diesem Rechtssystem antun, wenn Sie jetzt fordern, dass im Jahr 2010 rückwirkend bis ins Jahr 1991 - das sind 19 Jahre - Straßenausbaubeiträge erhoben werden müssen.

Wir sind überzeugt, das wird zu Recht den Protest der kommunalen Ebene und der Bürger hervorrufen. Das Bundesverfassungsgericht hat schon 1961 Grundsätze für die Rückwirkung entwickelt. Danach ist unstrittig, der Staat darf nicht in abgeschlossene Tatbestände eingreifen. Da kommen wir auch nicht weiter, wenn wir rechtlich konstruieren, dass der Tatbestand noch nicht da ist, weil es noch keine Satzung gibt usw., sondern für die Bürger spielt es eine große Rolle, wie das tatsächliche Leben stattfindet, also die normative Wirkung des Faktischen. Da waren die Straßen gebaut, waren über die Haushalte finanziert und da stellt sich die Frage: Warum jetzt diese Diskussion? Wir fordern als Mindestlösung die sächsische Regelung, die hat der Gutachter überhaupt nicht in seine Betrachtungen einbezogen, auch nicht, weshalb in Baden-Württemberg Mitte der 90er-Jahre es möglich war, die Straßenausbaubeiträge abzuschaffen; warum im Saarland

bereits seit Jahren unter CDU-Regierung den Kommunen ein hohes Ermessen eingeräumt wurde; in Bremen und Hamburg kennt man dieses Instrument der Straßenausbaubeiträge überhaupt nicht. All diese Bundesländer unterliegen den Regelungen unserer Verfassung, dem Grundgesetz der Bundesrepublik Deutschland. Das müssen wir hier erörtern, um tatsächlich den Entscheidungsrahmen für uns zu eröffnen. Da ist jetzt der Innenminister gefordert, praktikable Lösungen zu unterbreiten. Wir werden uns nicht verweigern, sagen aber deutlich, eine Fortsetzung

Herr Abgeordneter, ich bitte Sie, zum Ende zu kommen.

- ja, danke - dieses Systems wird es für uns nicht geben. Wir brauchen eine zukunftsfähige Lösung. Da müssen wir auch den Mut haben, Straßenausbaubeiträge grundsätzlich infrage zu stellen. Danke.

(Beifall DIE LINKE)

Danke, Herr Abgeordneter Kuschel. Als Nächste spricht aus der SPD-Fraktion Frau Abgeordnete Mühlbauer.

Sehr geehrte Frau Präsidentin, sehr geehrte Damen und Herren, man könnte fast meinen, ich spreche aus einem Grund, weil ich eigentlich täglich diesen Satz brauche: die normative Kraft des Praktischen. Höre ich ihn nicht, bekomme ich Entzugserscheinungen, das muss ich jetzt mal deutlich sagen. Vielen Dank, Frank Kuschel, diesbezüglich, ich hatte den heutigen Satz. Aber, ich muss sagen, es ist wichtig und es ist richtig, heute über die Zukunft der Straßenausbaubeiträge zu sprechen. Der Innenminister hat angekündigt, das Beitragsrecht neu zu regeln. Dies haben wir auch im Koalitionsvertrag festgelegt. Auch ich bin Bürger, auch ich bin betroffen, da spreche ich auch aus eigener Erfahrung; wir sind in der Pflicht, Regelungen zu entwickeln, die für die Bürger gerecht, verständlich und nachvollziehbar sind. Ja, wir müssen - und meine Damen und Herren, damit meine ich uns alle - die Gesetzgebung transparent und verständlich machen.

(Beifall DIE LINKE)

Wir sind aber auch in der Pflicht, Gesetze umzusetzen. Spätestens seit dem OVG-Urteil, am 31.05.2005

war es übrigens, muss dies eigentlich jedem in diesem Haus klar sein. Versäumnisse in zurückliegenden Legislaturen haben hier zu einer Situation geführt, die im bundesweiten Vergleich wohl einmalig ist. In Thüringen wurde geltendes Recht über Jahre ignoriert. Es wird höchste Zeit, dass die Probleme im Sinne von Rechtssicherheit und Rechtsfrieden ein für allemal gelöst werden. Wir brauchen Gleichbehandlung für alle Betroffenen und wir brauchen eine maßvolle, verträgliche Lösung für die Finanzierung künftiger Maßnahmen.

Im Zusammenhang mit den bereits durchgeführten Investitionen haben die Fragen nach Gerechtigkeit und Gleichbehandlung einen zentralen Stellenwert. Wir müssen sicherstellen, dass alle Grundstückseigentümer in allen Gemeinden gleichgestellt werden. Ein Erlass für diejenigen, die bisher keine Beiträge zahlen mussten, kann nicht infrage kommen. Es kann keine Lösung geben, bei der die Mehrzahl der Betroffenen in denjenigen Gemeinden, die sich gesetzestreu verhalten haben, am Ende die Dummen sind. Ein Beitragserlass ist außerdem schon deshalb nicht möglich, weil wir dafür keine notwendigen finanziellen Spielräume haben. Die Beibehaltung der Beitragserhebungspflicht ist aber nicht nur ein Problem der Gleichbehandlung, sondern hat auch einen sozialen Gesichtspunkt. In der Tat besteht die Beitragserhebungspflicht auch deshalb, weil der Bürger auch ein Recht auf Bildung, Kultur- und Sportangebote in den Kommunen hat. Es kann nicht in dem Sinne sein, dass Kommunen ihren gesamten Finanzrahmen für den Straßenbau ausgeben. Dies ist nicht gerecht, dies ist nicht sozial. Es ist eine Binsenweisheit, dass jeder Euro nur einmal ausgegeben werden kann. Zumindest, denke ich, einem Großteil der Abgeordneten in diesem Haus ist das klar. Jenseits der Frage der Beitragserhebung hat die SPD-Fraktion eine klare Zielstellung bei der Überarbeitung des Straßenausbaubeitragsrechts. Unzumutbare Belastungen müssen verhindert werden. Das Rechtsgutachten von Prof. Brenner bietet hier gute Ansätze. Wo eine Beitragserhebung zu unvertretbaren Härten führt, müssen wir über Billigkeitsregelungen nachdenken. Sie können von der Festsetzung von Höchstsätzen, über Stundungen, Ratenzahlungen, Verrentungen, bis hin zum Erlass reichen. Ein weiterer Ansatz muss aus meiner Sicht sein, die Betroffenen mitzunehmen und sie nicht zu überfordern. Der Dialog mit den Bürgern muss intensiv und ehrlich geführt werden. Hier müssen wir auch über neue Wege nachdenken. Warum sollen die Bürger nicht über Priorität, den Ablauf und die Qualität unserer Straßengestaltung mitbestimmen? Diese Faktoren sind primär kostenrelevant. Nur so, und dies finde ich legitim, hat der Bürger Einfluss auf die Baukosten und damit direkt auf seinen Beitrag. Wir brauchen mehr direkte Demokratie. Die Bürger haben ein Recht mitzubestimmen, wo

und in welcher Qualität unser aller Geld eingesetzt werden soll. Aus diesem Grunde werden wir anregen, Beiräte einzuführen. Sie sollen den Dialog und die direkte Mitbestimmung der Bürger fördern, kommunale Entscheidungen transparenter gestalten, so dass diese von breiten Mehrheiten getragen werden. Dies ist unser Ziel.

Frau Abgeordnete Mühlbauer, ich bitte Sie, zum Ende zu kommen.

Ich frage mich: Will DIE LINKE, will Herr Kuschel auf Bildung, Kultur- und Sportangebote in den Kommunen verzichten oder, meine Damen und Herren, sind Sie jetzt Lobbyisten

(Zwischenruf Abg. Kuschel, DIE LINKE: Das ist aber jetzt eine Stammtischargu- mentation.)

von Schwimmbadbesitzern oder von Eltern, die sich Privatschulen leisten können?

(Zwischenruf Abg. Adams, BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN: So ein Quatsch.)

Ich bitte Sie heute alle in diesem ehrwürdigen Haus, in aller Regel sind wir Abgeordneten das ja auch, wir sind in der Verantwortung und in der Pflicht, geltendes Recht umzusetzen und geltendes Recht mit den Bürgern zu diskutieren und direkte Mitsprache für die Bürger zu ermöglichen. Ich bedanke mich.

(Beifall SPD)

Danke, Frau Abgeordnete. Als Nächster spricht Abgeordneter Bergner von der FDP-Fraktion.

Sehr geehrte Frau Präsidentin, liebe Kolleginnen und Kollegen, da ich zu jenen Zeiten noch nicht Mitglied dieses Hauses war, erlaube ich mir an die Thematik mal ein bisschen mit der Brille des ehrenamtlichen Kommunalpolitikers ranzugehen. Da ist vieles von dem, was Kollege Kuschel gesagt hat, durchaus nichts aus dem Leben heraus. Seit Mitte der 90er-Jahre ist es nicht gelungen, den Gemeinden und Städten in diesem Land eine rechtssichere Vorlage zu bieten. Ehrenamtliche Kommunalpolitiker sind gezwungen, eine Rechtslage durchzusetzen, von der sie oftmals selber gar nicht überzeugt sind. Ehrenamtliche Kommunalpolitiker sehen sich einer

Bürgerschaft gegenüber, die oft gar nicht so grundlos aufgebracht, verunsichert und wirklich in Angst um ihr berechtigtes Eigentum ist. Wir haben Mustersatzungen, die nur allzu oft regelmäßig der Überprüfung nicht standhalten und den ehrenamtlichen Kommunalpolitikern, die nun wirklich auch noch etwas anderes zu tun haben, als sich ständig nur mit Satzungen zu beschäftigen, um die Ohren gehauen werden. Das Ergebnis dieses Gutachtens, welches uns vorliegt, macht die Situation mutmaßlich nicht besser. Insofern müssen wir in der Gesetzgebung vorankommen. Aus der Sicht der FDP-Fraktion muss es dabei auf jeden Fall darum gehen, die Bürger zu entlasten.

Frau Kollegin Mühlbauer, ich denke schon, dass man Kollegen, die Menschen von Abgaben entlasten wollen, nicht irgendeinen Lobbyismus vorwerfen darf.

(Beifall DIE LINKE)

Es ist notwendig, dass wir zu mehr Entscheidungsfreiheit vor Ort kommen, zu mehr Wettbewerbsgerechtigkeit zwischen den Kommunen, zu mehr Verantwortlichkeit der kommunalen Entscheidungsträger. In diesem Sinne werden wir uns auch in den bevorstehenden Prozess einbringen. Ich danke Ihnen, meine Damen und Herren.

(Beifall FDP)

Vielen Dank, Herr Abgeordneter Bergner. Als Nächster hat das Wort der Abgeordnete Fiedler, CDU-Fraktion.

Frau Präsidentin, meine sehr geehrten Damen und Herren, wir haben heute ein Thema, was uns nicht das erste Mal beschäftigt. Ich freue mich immer wieder, wenn ich die verschiedenen Redebeiträge höre, die hehren Worte, die in den Raum geworfen werden: Wir müssen es gerecht machen und es muss dem Bürger helfen usw. Das ist alles richtig. Bloß am Ende dürfen wir auch nicht vergessen, Frau Kollegin Mühlbauer und auch in Richtung des Kollegen Bergner, wir vertreten hiermit in erster Linie das Land. Wir haben auch die Finanzen des Landes zusammenzuhalten, damit das Land weiter handlungsfähig ist. Natürlich müssen wir das andere mit beachten, aber wir sollten nicht vergessen, dass wir insbesondere das Land vertreten.