Protokoll der Sitzung vom 02.05.2012

(Beifall DIE LINKE)

Vielen Dank. Für die SPD-Fraktion hat das Wort die Frau Abgeordnete Dorothea Marx.

Frau Präsidentin, liebe Kolleginnen und Kollegen, wozu diese Aktuelle Stunde? Zehn Bundesländer verschiedener Farbenordnung, möchte ich dazusagen - haben zusammengesessen und sich Gedanken darüber gemacht, ob es nicht Sinn machen könnte, Übereinstimmungen in den in Länderverantwortung stehenden Regeln des jeweiligen Strafvollzugs anzustreben. Ergebnis war ein Musterentwurf für Länderstrafvollzugsgesetze, an dem sich die Länder im Interesse einer ähnlichen Ausgestaltung ihrer Haftbedingungen, ihrer Haftordnungen nun orientieren können oder auch nicht. In Thüringen gibt es derzeit noch keine Umsetzung. Ein Thüringer Strafvollzugsgesetz hat bisher weder das Licht des Kabinettstisches erblickt und schon gar nicht die Nähe des Landtags erreicht.

Warum diskutieren wir aber heute trotzdem hier darüber? Zum Anlass haben Sie genommen ein Presseosterei der größten deutschen Boulevardzeitung, in dem fälschlich unterstellt wurde, künftig sollten Schwerverbrecher nach fünf Jahren Strafvollzug automatisch drei Wochen Hafturlaub bekommen können. So war die Intention dieser Schlagzeile. Alle Klarstellungen, dass an einen solchen Automatismus überhaupt niemand denkt, waren bisher vergebens.

(Zwischenruf Abg. Berninger, DIE LINKE: Wollten auch nicht gehört werden.)

Bisher hat niemand ein solches Recht geschaffen oder will es schaffen. Es gibt nur einen Vorschlag, der in der Musterverordnung den Langzeitinsassen schon nach fünf Jahren statt bisher erst nach zehn Jahren das Stellen eines Antrags auf Gewährung von Urlaub ermöglichen sollte.

(Zwischenruf Abg. Fiedler, CDU: Viel zu zei- tig.)

Einem solchen Antrag könnte natürlich auch, wenn man den wirklich umsetzen wollte, was für Thüringen vollkommen offen ist, nur dann stattgegeben werden, wenn erstens der Inhaftierte bis dahin durch einwandfreie Führung und Bewährung geglänzt hat und zweitens

(Zwischenruf Abg. Mohring, CDU: Wir wollen keine vorgezogenen Anträge.)

Sie müssen jetzt gar nicht dazwischenreden, weil, es ist das, was der Kollege Scherer auch gesagt hatte. Da weiß ich nicht, warum Sie es bei mir nicht anhören wollen und bei ihm schon.

(Zwischenruf Abg. Fiedler, CDU: Weil er es schon gesagt hat.)

Gut, ich komme gleich zu Dingen, die Sie noch nicht gehört haben. Aber dann sagen sie nichts und sind selber schuld.

Zweitens muss es selbstverständlich eine gesicherte Prognose dafür geben, dass der Inhaftierte in der Zeit seines Urlaubs nicht ausreißt oder neue Straftaten begeht. Da, Kollege Scherer, wenn da eine Unterstellung kommt, im Zweifel macht er es dann doch, also wenn irgendwelche Zweifel bestehen, dann wird niemand Hafturlaub gewähren. Das ist viel zu brenzlig, viel zu knifflig und den kriegt dann keiner. Da geht Ihre Vermutung, dass die bloße Antragsmöglichkeit schon den Missbrauch im Gepäck hat, denke ich, fehl. Das ist auch eine Unterstellung einer mangelnden Sorgfalt derjenigen, die über so einen Antrag entscheiden müssten, die wir hier nicht vornehmen sollten.

Wie gesagt, die unterstellende Schlagzeile, künftig automatisch nach fünf Jahren drei Jahre Urlaub für Schwerverbrecher - liebe Kollegen, alles heiße Luft. Es wurde Ihnen nun schon mehrfach erklärt. Der Staatssekretär wird es, wenn ich ihn in seiner Seriosität richtig einschätze, noch einmal versuchen. Aber nein, es ist anscheinend doch zu verlockend und zu schön, mit diesem Schreckgespenst auch heute noch einmal in einer Aktuellen Stunde herumzuwedeln und mit Oh-weh-Rufen auf den Beifall von denen zu schielen, die noch nicht mitbekommen haben, dass dieses Osterei eine Ente gewesen ist.

(Beifall Abg. Berninger, DIE LINKE)

Liebe Koalitionskollegen, jetzt kommt der neue Teil. Herr Fraktionsvorsitzender, ich habe mich dafür entschieden, Ihre heutige Aktion mit Humor zu nehmen. Könnte es vielleicht sein, dass Ihr Eierlauf in dieser Aktuellen Stunde ein Glückwunsch zum heutigen 100. Geburtstag des Verlegers und Gründers jener Boulevardzeitung sein soll, dem wir diese und andere Enten verdanken?

(Beifall DIE LINKE, SPD, BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)

In dem Fall verzeihe ich Ihnen das. Und es passiert ja tatsächlich im Ernst auch häufiger, dass Politiker auf die Tageszeile in dieser Zeitung anspringen.

(Zwischenruf Abg. Fiedler, CDU: Die große Zeitung hat schon Bundespräsidenten ge- schafft.)

Und viele dieser Schlagzeilen haben ja auch für Spaß gesorgt, denken wir mal an „Iltis erschoss

(Abg. Hauboldt)

Kreisrat“ oder „Aus dem Jenseits: Curd Jürgens mit Stimme im Radio“ oder „Terroristin: Brustkrebs wegen Pistole im BH“. Gut gefallen hat mir auch „Lottozahlen immer blöder“ oder „Wachmann aß Hund Chappi weg - entlassen“. Bevor Sie mich jetzt für meinen Humor unter Beschuss nehmen, muss ich Ihnen doch ans Herz legen: Vorsicht vor Respektlosigkeiten, denn Sie erinnern sich doch hoffentlich auch noch an diese, die bisher wohl allerschönste Schlagzeile: „Wir sind Papst.“

Lassen Sie uns also gelassen und sachnah mit dem Thema umgehen, statt Gespenster durch das Hohe Haus zu jagen. Vielen Dank.

(Beifall DIE LINKE, SPD, BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)

Vielen Dank. Für die FDP-Fraktion hat das Wort Abgeordneter Heinz Untermann.

Frau Präsidentin, meine Damen und Herren, sehr geehrte Kolleginnen und Kollegen, die FDP-Fraktion bekennt sich uneingeschränkt zu den Aufgaben und Durchführung des Strafvollzugs, zum einen dem Schutz der Allgemeinheit durch konsequente Umsetzung der Urteile und zum anderen zu einer Resozialisierung der Strafgefangenen. Das kann man nicht anders sagen.

(Beifall FDP)

Im Jahr 2006 ist die Zuständigkeit für die Strafvollzugsgesetzgebung im Rahmen der Föderalismusreform auf die Bundesländer übergegangen. Die FDP-Fraktion vertritt trotzdem die Auffassung, dass sich die Bundesländer auch in Zukunft über einen gemeinsamen Rahmen in der Strafvollzugsgesetzgebung verständigen sollten. Dahin gehend unterstützt die FDP-Fraktion den Grundgedanken der Initiative von zehn Bundesländern, inhaltliche Normen gemeinsam zu erarbeiten und den Strafvollzug zeitgemäß weiterzuentwickeln. Die Fundamente unseres Rechtsstaates würden erschüttert, wenn ein einheitliches Bundesgesetz in Zukunft durch 16 grundsätzlich verschiedene Länderstrafvollzugsgesetze ersetzt werden müsste. Ich warne vor einem Strafvollzugsflickenteppich verbunden mit einem bundesweiten Durcheinander, bei der der Umgang von Strafgefangenen in Zukunft vom Tatort abhängig ist. Das geht nicht.

(Beifall FDP)

Mit Blick auf die Überlegungen bezüglich der Anwendung von Haftlockerungen und die damit verbundene Diskussion in den Medien und anderen Landesparlamenten in den vergangenen Wochen ist es in der Sache jedoch nicht zielorientiert, in der Öffentlichkeit emotional den Eindruck zu erwecken,

die Politik würde eine Form von Gnadenrecht für Strafgefangene einführen. Das geht ebenfalls nicht.

(Beifall FDP)

Der Diskussionsprozess über den zukünftigen Umgang mit Strafgefangenen erfordert keine Stammtischparolen der klaren Kante und vor allem keinen bundesweiten Scharfmacherwettbewerb, sondern vielmehr eine verantwortungsbewusste Entscheidungsfindung, welche die Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts widerspiegelt.

(Zwischenruf Abg. Fiedler, CDU: Heinz, wenn Du so weitermachst, sackt ihr auf 2 Prozent.)

Mal sehen.

Die verfassungsgemäße Aufgabe der Resozialisierung von Strafgefangenen im Strafvollzug lässt sich nicht auf den Zeitpunkt eines ersten Langzeitausgangs reduzieren. Das ist zu wenig. Dazu bedarf es keiner blauäugigen Politik, welche vorrangig das Ziel verfolgt, Häftlinge so früh wie möglich auf freien Fuß zu setzen, sondern einer verantwortungsvollen Politik, die die Rahmenbedingungen in den Haftanstalten so setzt, dass eine effektive Umsetzung von Resozialisierungsmaßnahmen überhaupt möglich ist.

(Beifall FDP)

Dabei sind Vollzugslockerungen kein Selbstzweck. Denn unabhängig vom festgelegten Zeitpunkt, ab dem die Häftlinge die Möglichkeit haben, einen Hafturlaub genehmigt zu bekommen, besteht gesetzlich kein allgemeingültiger zwingender Anspruch eines Inhaftierten auf Langzeitausgang. Und das ist hier auch entscheidend.

(Beifall FDP)

Die Entscheidung ist stets das Ergebnis einer konkreten Überprüfung und Abwägung im jeweiligen Einzelfall. Nach § 13 des Strafvollzugsgesetzes im Einklang mit der Rechtsprechung zahlreicher Gerichtsinstanzen ist es bereits möglich, einen Hafturlaub vor Ablauf der Zehnjahresfrist zu gewähren, wenn die Voraussetzungen für den offenen Vollzug vorliegen. Momentan ist das das Recht. Hier könnte ich mitgehen, dass das mit der Zehnjahresfrist eingehalten wird. Das wäre auch ein vernünftiger Weg und dafür würden wir auch stehen. Ein zu lebenslanger Freiheitsstrafe verurteilter Gefangener kann nach erfolgter Einzelfallprüfung ohne Rücksicht auf die Dauer des Freiheitsentzugs in den offenen Vollzug verlegt werden. Die Entscheidungskriterien für die Genehmigung des Hafturlaubs sind dann die Einhaltung der Mindestvollzugszeit von sechs Monaten sowie die Prüfung, dass eine Flucht und ein Missbrauch des Freigangs ausgeschlossen werden kann.

(Abg. Marx)

Sehr geehrte Kolleginnen und Kollegen, selbstverständlich haben ergänzend bei der Prüfung des Einzelfalls die Haftgründe, der Verlauf des bisherigen Strafvollzugs, das Bestehen von gefestigten sozialen Beziehungen nach außen sowie mögliche Folgen für Opfer und deren Angehörige einen vordringlichen Stellenwert einzunehmen.

(Beifall FDP)

Das Rechtsempfinden der Opfer beziehungsweise deren Angehörige sowie das Sicherheitsgefühl der mündigen Bürgergesellschaft darf in keiner Weise erschüttert werden. Das sagt eigentlich auch schon alles. Ein Hafturlaub ist nur zu genehmigen, wenn ohne Zweifel von betroffenen Strafgefangenen keine Gefahr ausgeht und gesamtgesellschaftlich eine positive Entwicklung zu erwarten ist. Im Zweifelsfall hat immer Opferschutz Vorrang vor Täterschutz.

(Beifall FDP)

Abschließend lässt sich sagen, sehr geehrte Kolleginnen und Kollegen von der CDU, der Anlass und Titel Ihrer Aktuellen Stunde hat wenig Substanz, da bereits in der heutigen Gesetzesregel ein früherer Hafturlaub für Schwerverbrecher möglich ist.

(Zwischenruf Abg. Mohring, CDU: Heinz, wer hat Dir das aufgeschrieben? Lies doch mal den Satz richtig vor.)

(Zwischenruf Abg. Höhn, SPD: Jetzt kommt er zum Kern der Sache.)

Die bisher bundesweit gültige Gesetzesregelung …

(Unruhe CDU, SPD)

Darf ich ausreden, Herr Abgeordneter Mohring?