Protokoll der Sitzung vom 28.01.2010

durch längere Öffnungszeiten. Auch das ist hinreichend geklärt. Da kann man mal auf den Gewerkschaftsbund zugehen und mal fragen, Herr Barth.

Ich hatte mich aber eigentlich gemeldet, um Ihnen einen Aspekt zu nennen, der häufig nicht kommt, auch nicht von der CDU, von der ich natürlich schon gehofft hatte, dass der Beitrag kommt zum Thema „christliches Selbstverständnis des Advents“ völlig zu Recht. Ich möchte Ihnen heute wenigstens noch den Aspekt und die Argumentation für Atheisten nachliefern. Die soll es ja in diesem Haus auch geben, in allen Fraktionen.

(Beifall DIE LINKE, SPD)

Auch Atheisten haben einen guten Grund, dafür zu sorgen, dass beispielsweise wenigstens die vier Sonntage im Advent, soweit es möglich ist, ohne Kaufstress zu Ende gehen. Was Herr Barth unter Einkaufsbummel beschreibt, dafür habe ich andere Worte übrig.

(Beifall DIE LINKE)

Die Tatsache, dass die Christen Advent und Weihnachten um diese Zeit haben, hat viel tiefere Wurzeln in der kulturhistorisch verbürgten Tatsache, dass der Mensch offensichtlich Zeiten im Jahr braucht, in denen er ruht und Zeiten, in denen er feiert. Die Feierzeiten liegen sinnvollerweise alle im Sommer und die Ruhezeiten in unserer Gesellschaft im Winter. Das ist anthropologisch-kulturhistorisch nachzuweisen und hat mit dem Christentum schon fast gar nichts mehr zu tun. Das war schon lange vor dem Christentum in dieser Gegend üblich und das aus gutem Grund und nicht nur, weil es nichts zu tun gegeben hätte. Die Menschen haben das Bedürfnis nach diesem Thema. Schon die, wie ich finde, etwas ausufernde Eventkultur zu Weihnachten mit den Weihnachtsmärkten und -basaren an den Sonntagen ist in dieser Hinsicht durchaus kritisch zu hinterfragen. Meiner Ansicht nach ist das ein Gesetzentwurf, der die FDP wieder einmal als Glaubensgemeinschaft zeigt. Ihr Credo heißt, mit Kaufen, mit Umsatz machen und mit der Erfüllung materieller Wünsche wird der Mensch glücklich. Dieses Credo ist nachweislich falsch.

(Beifall DIE LINKE, SPD, BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)

Das müssen Sie mir nicht unbedingt glauben. Warum sollten Sie mir auch glauben? Aber es gibt Glücksforscher, das gibt es tatsächlich, man kann versuchen, Glück zu messen. Das klappt auch. Wenn man es tut, stellt man fest, dass, nachdem die materiellen Grundbedürfnisse erledigt sind, Menschen durch mehr materielle Güter nicht glücklicher werden.

(Zwischenruf Abg. Siegesmund, BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN: Herr Barth, Sie müssen mal zuhören.)

Doch, ich habe, denke ich, schon zugehört.

(Zwischenruf Abg. Barth, FDP: Ich habe zugehört. Herr Adams muss zuhören.)

Ich glaube schon, dass ich das verstanden habe. Das Thema Schenken von materiellen Gütern zu Weihnachten - und dazu soll das Kaufen letztendlich dienen Ihrer Argumentation nach - macht die Menschen nicht glücklicher. Ich möchte aber gern mit meiner Fraktion, dass die Menschen zu Weihnachten glücklich sind, das ist unsere Auffassung. Und „glücklich“ heißt in diesem Fall auch „zur Ruhe finden können“.

(Zwischenruf Abg. Barth, FDP: Das wis- sen die Menschen selber besser, ob sie glücklich sind.)

Na ja, Herr Barth, das mit dem Thema, ob die das selber besser wissen, ich hatte mir noch ein Beispiel aufgehoben, das vielleicht auch in Ihre Richtung funktioniert; das weiß man ja immer nicht so genau, für welche Argumentation Sie zugänglich sind. Ich wollte Ihnen ein Beispiel für das Thema geben, dass materieller Überfluss nicht glücklich macht. Wir haben ja im Boulevard-Journalismus auch die Situation, dass es heilige Familien gibt. Die aktuellste heilige Familie, die ich kenne, sind Brad Pitt und Angelina Jolie. Aber vielleicht lese ich auch die falschen Zeitungen, kann ja sein. Ich würde mal ein bisschen polemisch behaupten: Wenn die weniger Zeit für Kaufen und für Jetset ausgegeben hätten, investiert hätten, wie sie das immer so nennen, und mehr Zeit - wie ich das nenne - nutzen für ihre Kinder, hätten sie vielleicht das Problem nicht, das jetzt gerade im Journal geistert, dass sie sich nämlich trennen wollen. Menschen brauchen für Beziehungsarbeit, für ihre Mitmenschen, für ihre Kinder Zeit und nicht für Kaufen. Dafür hat die christliche Kirche den Sonntag vorgesehen, das ist auch gut so und gerade im Advent umso notwendiger. Ich möchte nur erinnern an das Thema Suizidproblematik um Weihnachten herum. Das Thema wird mit Ihrer wirtschaftsliberalen Einstellung natürlich niemals diskutiert.

Meine Damen und Herren, wir halten das ganze Thema für überflüssig. Wir sind auch gegen die Überweisung an den Ausschuss. Vielen Dank.

(Beifall DIE LINKE, BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)

Vielen Dank, Herr Abgeordneter Meyer. Es spricht zu uns die Abgeordnete Leukefeld von der Fraktion DIE LINKE:

Frau Präsidentin, meine Damen und Herren, es ist eine spannende Diskussion, finde ich. Wir haben das Ladenöffnungsgesetz seit drei Jahren. Wir haben damals diskutiert. Herr Günther, wenn ich mich recht entsinne, haben wir sogar eine Anhörung im Wirtschaftsausschuss damals zum Ladenöffnungsgesetz gehabt. Wir haben uns aus gutem Grund so entschieden, was jetzt auch die Gesetzesnovellierung der FDP angeht.

Wie Sie wissen, auch das ist schon gesagt worden, hat es ja ein Bundesverfassungsgerichtsurteil zum 1. Dezember vergangenen Jahres gegeben, dass das Berliner Ladenöffnungsgesetz teilweise gegen das Grundgesetz verstößt. Ich höre schon, Sie werden sagen: Wer regiert denn in Berlin. Ich bin ganz froh, dass das so gekommen ist. Fragen Sie mal Bodo Ramelow, seinerzeit religionspolitischer Sprecher in unserer Bundestagsfraktion. Bodo hat mir erzählt, dass er mit einer CDU-Kollegin schon in Erwägung gezogen hatte, auch eine Verfassungsklage einzureichen.

(Heiterkeit SPD)

Das ist jetzt überflüssig. Aber ich denke, für die Debatte hier können wir alle miteinander etwas daraus lernen.

Wir sind der Meinung, meine Damen und Herren, dass alle Betroffenen - Kunden, Einzelhändler und Beschäftigte - sich mit der jetzt vorhandenen Thüringer Regelung arrangieren können. Natürlich hätten wir es gern, das will ich auch so deutlich sagen, wenn es hinsichtlich der Ladenöffnungszeiten an Adventssonntagen eine bundeseinheitliche Regelung geben würde.

(Beifall DIE LINKE)

Das ist eine Frage auch für die Herstellung von Wettbewerbsgleichheit statt Konkurrenz. Das hat auch mit Föderalismus, glaube ich, relativ wenig zu tun. Die Begründung der FDP in ihrem Antrag, erhöhter Nachfragebedarf in der Vorweihnachtszeit, den können wir so nicht nachvollziehen, zumal es um diesen einen Sonntag geht.

(Zwischenruf Abg. Kuschel, DIE LINKE: Aber Hartz-IV-Empfänger freuen sich.)

Ich weiß natürlich, dass auch aus den Reihen des Einzelhandelsverbandes und der Erfurter Industrie- und Handelskammer zum vorliegenden Gesetzentwurf der FDP-Fraktion Zustimmung signalisiert wurde. Aber man darf, glaube ich, einige Sachverhalte - einige sind ja jetzt schon gekommen, darauf will ich verzichten - hier nicht außer Acht lassen. Wer rein auf eine ökonomische Begründung abhebt, meine Damen und Herren von der FDP, liegt aus meiner Sicht falsch. Ich habe aus gutem Grund kürzlich erst eine Mündliche Anfrage zu den Ergebnissen dieses Ladenöffnungsgesetzes gestellt. Da wurden auch interessante Fakten gesagt, nämlich: Erstens, der Einzelhandelsumsatz in Thüringen sank entsprechend dem Thüringer Landesamt für Statistik von Januar bis Oktober 2009 real um 1,6 Prozent, nominal sogar um 2 Prozent. Auch im Bundesdurchschnitt liegen die Differenzen und der Rückgang noch viel höher. Für den Monat Dezember 2009 liegen allerdings bisher keine vergleichbaren Kennziffern vor, aber ich denke, das ist auch im Trend. Die Industrie- und Handelskammer hatte Ende Dezember 2009 darauf verwiesen, dass der Thüringer Einzelhandel hofft, im Weihnachtsgeschäft die negativen Umsätze des 1. Halbjahres 2009 kompensieren zu können. Ein ähnliches Bild, auch das war ein Argument, zeigt die Entwicklung der Teilzeit- und Vollzeitbeschäftigung im Thüringer Einzelhandel. Im Oktober 2009 lagen die Beschäftigungszahlen unter dem Niveau des Vormonats. Im Vergleich zum Oktober 2008 ging die Zahl aller Beschäftigten um 0,9 Prozent zurück. Die Zahl der Vollzeitbeschäftigten sank mit 1,7 Prozent wiederum deutlich stärker als die der Teilzeitbeschäftigten, die ist nämlich nur um 0,3 Prozent abgesunken.

Lassen Sie mich das noch mal so deutlich sagen: Im Einzelhandel waren im Oktober 2009 58 Prozent aller Arbeitnehmer - vorwiegend Frauen - Teilzeitbeschäftigte. Von dem Lohn, den sie da verdienen, will ich jetzt an der Stelle gar nicht reden. Meine Damen und Herren, es bestätigt sich also all das, worauf wir bereits in der Phase der Diskussion zum Gesetzentwurf vor drei Jahren mit Nachdruck hingewiesen haben: Längere Ladenöffnungszeiten werden nicht zur Umsatzerhöhung im Thüringer Einzelhandel beitragen. Es wird vielmehr eine zeitliche Verlagerung erfolgen, wann die Menschen ihr Geld ausgeben.

(Zwischenruf Abg. Barth, FDP: Deswe- gen wollen wir auch nicht den 4. Advent. Es geht nicht um eine Erweiterung, weil Sie nicht mit den Gewerkschaften reden.)

Das ist richtig. Aber warum wollen Sie denn dann die zwei Sonntage auf den Advent festlegen? Sie haben ja auch von den vier verkaufsoffenen Sonntagen gesprochen. Ich kenne da nicht so sehr Probleme. Mittlerweile haben wir Stadtmarketinginitiativen, City

management, es wird mit der Kommunalpolitik sehr gut gemeinsam vereinbart, wann die vier verkaufsoffenen Sonntage sind. Im Übrigen verweise ich darauf, was der Kollege Meyer gerade auch zur Verteilung innerhalb eines Jahres gesagt hat.

Längere Ladenöffnungszeiten tragen auch nicht zur Erhöhung der Vollbeschäftigung im Handel bei, sondern vielmehr zum Zuwachs an Teilzeitbeschäftigung und geringfügiger Beschäftigung. Naturgemäß, das wissen Sie, haben wir dazu eine andere Meinung als Sie von der FDP. Wir haben auch erfahren müssen, dass längere Ladenöffnungszeiten dazu geführt haben, dass Arbeitnehmerrechte weiter abgebaut wurden, dass die Vereinbarkeit von Familie und Beruf gerade für alleinerziehende junge Frauen sich sehr verschärft hat. Arbeitsschutzrechte bleiben da auch auf der Strecke. Das ist alles nicht neu und wir haben das hier schon des Öfteren gesagt. Im Übrigen zeigt auch die Praxis, dass nicht alle Einzelhändler diese Auffassung teilen. Gerade wenn man sich den 1. Adventssonntag auch in der Erfurter Innenstadt angesehen hat, konnte man das deutlich sehen. Ich habe hier ganz praktisch, weil Sie mir sonst wahrscheinlich auch nicht glauben, ein Beispiel mitgebracht. Eine Drogeriefiliale, wo also an der Tür Folgendes hing: „Liebe Kundinnen und Kunden, bewusst öffnen wir sonntags unser Reformhaus nicht. Wir sind sicher, dass Sie dafür Verständnis haben, wenn wir nach 57 Öffnungsstunden von Montag bis Samstag unseren Mitarbeiterinnen und deren Familien einen gemeinsamen freien Tag gönnen. Sonntagsöffnung hieße zudem Überstunden und Mehrkosten und dadurch teurere Produkte und genau das wollen wir nicht. Am Montag freuen wir uns ab 9.00 Uhr wieder auf Ihren Besuch.“

(Beifall DIE LINKE)

Lassen Sie mich das noch sagen, viele Familien müssen ihr Geld ohnehin zusammenhalten. Es gibt, meine Damen und Herren von der FDP, auch noch etwas anderes als Shoppingtour und Kaufrausch in der Weihnachtszeit. Es ist hier über Glück philosophiert worden, ich glaube, Glück ist

Frau Abgeordnete, gestatten Sie eine Zwischenfrage des Abgeordneten Untermann?

- gleich, ich würde das gern zu Ende bringen - ein sehr individueller Wertmaßstab.

(Zwischenruf Abg. Barth, FDP: So ist es eben.)

Ja, da ist ja vieles geöffnet worden und Sie wollen jetzt noch eins drauflegen aus ökonomischen Gründen. Das habe ich Ihnen versucht gerade darzulegen, dass das keine Lösung ist. Lassen Sie uns doch vielmehr fragen: Was braucht der Mensch tatsächlich für ein Leben in Würde und Selbstbestimmung? Der braucht mit Sicherheit nicht einen weiteren kaufoffenen Sonntag im Advent, denn jenseits von Shoppingtouren gibt es noch etwas anderes. Ich glaube, da sollte wirklich Zeit für Familie, auch für Selbstbesinnung sein und der permanente Tanz um das Goldene Kalb, meine Damen und Herren, der muss nun nicht 24 Stunden am Tag im ganzen Jahr stattfinden. Wenn Sie sich von der FDP genauso engagiert für die Erhöhung von Löhnen einsetzen würden, beispielsweise, Herr Kemmerich, auch im Friseurhandwerk, dass die Leute ein bisschen mehr in der Tasche hätten,

(Beifall DIE LINKE, BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)

dann würden die das auch liebend gern ausgeben. Wer Montag schon überlegen muss, was er sich überhaupt leisten kann, der hat erst recht kein Geld, am zweiten Adventssonntag zum Großeinkauf in die Massenkultur unserer Innenstädte zu starten. Ich bedanke mich.

(Beifall DIE LINKE, SPD, BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)

Ach so, die Frage noch.

Die Frage des Abgeordneten Untermann.

Wir reden eigentlich an dem ganzen Thema vorbei. Was wir wollen, ist, dass die Leute einmal mehr im Dezember einkaufen können.

(Zwischenruf Abg. Sojka, DIE LINKE: Eine Frage.)

Eine Frage bitte.

Die Sache mit Ihrer Drogerie, das war super. Fahren Sie mal an eine Tankstelle, da ist ein Schild, auf dem steht „Kommen Sie am Montag wieder“. Die arbeiten nämlich am Sonnabend und Sonntag.

Aber Sie kennen schon den Unterschied zwischen einer Tankstelle und unseren Einkaufszentren...

Keinen Dialog, eine Frage. War das die Frage?

Nein, es war nur eine Feststellung.

(Unruhe DIE LINKE, SPD, BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)

Ich nehme an, dass er durchaus den Unterschied zwischen einer Tankstelle und einem Geschäft in der Innenstadt kennt. Danke schön.