Wir müssen diskutieren, was sich ändern muss und dies aus einem zentralen Punkt. Da komme ich zurück zum Anfang. Menschen, die Angst haben, Opfer einer Neonazigewalttat zu werden, die das Gefühl haben und bekommen haben, dass ihre Sorgen auch von uns - von denen, die über Innenpolitik diskutieren - nicht ernst genommen werden, diese Menschen erwarten Antworten und keine Fragen.
Sie geben einige Antworten, aber der überwiegende Teil sind Fragen. Zu den Antworten, die Sie geben, so viel: Sie sagen, Neonazis müssen entwaffnet werden; da sind wir bei Ihnen. Sie sagen, Staatsanwälte und Ermittlungsbeamte müssen zu Fragen rassistischer Gewalttaten, zu Fragen der Motive zu diesen rassistischen Gewalttaten sensibilisiert werden; da sind wir bei Ihnen. Und natürlich wissen Sie auch um unsere Unterstützung, die NPD zu verbieten.
Aber auch bei diesen drei Themen werden wir drängend bleiben. Wir werden nachfragen in den nächsten Monaten, was die konkreten Umset
zungsschritte sind, wann zu diesen Fragen auch tatsächlich politisch und behördlich die eine oder andere Entscheidung fällt und tatsächlich auch eine Veränderung in Thüringen erfolgt, wann NPD-Funktionäre legale Waffen verlieren, wann entsprechende Fortbildungsmaßnahmen bei Polizei und Staatsanwaltschaften greifen und was Thüringen tatsächlich tut, damit wir bald ein erfolgreiches NPD-Verbotsverfahren haben. Und - da wissen Sie auch um uns und unsere Position - wir bleiben dabei, wir müssen diskutieren um die Existenzberechtigung eines Geheimdiensts in einer Demokratie. Wir müssen diskutieren um die unsägliche Extremismusdoktrin, die in Thüringen fatale Folgen für die Fehlentwicklung in den Sicherheitsbehörden
und der herrschenden Innenpolitik hatte, und zu einer Leerstelle in Ihrer Regierungserklärung. Bei Ihnen fehlt der Hinweis auf die Dominanz rassistischer Einstellungen in Thüringen. Bei Ihnen fehlt ein Wort zu der weiten Verbreitung neonazistischer Ideologieversatzstücke.
Wir kennen doch die Debatten zum Thüringen-Monitor. Warum geht hier eigentlich immer ein ungläubiges Raunen durch den Saal, wenn die Zahlen zum Thüringen-Monitor diskutiert werden, nachdem die Hälfte der Thüringer Bevölkerung rassistischen Aussagen zustimmt. Ich glaube, dieses Raunen, dieses Nichtakzeptieren dieses Problems ist ein Teil der Fragen, die wir hier auch für uns klären müssen. Wir dürfen diese Problematik der Einstellungsebene, der weiten Verbreitung rassistischer, antisemitischer und neonazistischer Einstellungen nicht mehr verdrängen, sondern wir müssen diese Herausforderung annehmen, und hier muss etwas verändert werden.
Hier haben wir in der Politik Handlungsbedarf und bisher habe ich dazu kein Konzept von Ihnen gehört. Wir halten es auch für einen analytischen Fehler, der schließlich auch in unzureichenden Handlungskonzepten mündet, immer nur von Straftaten von Neonazis zu sprechen, und nicht über die zugrunde liegenden weit verbreiteten Vorstellungen der Ungleichheit der Menschen. Wir müssen daher streiten über die Ursachen von Rassismus, Antisemitismus und Neonazismus und über die Stärkung zivilgesellschaftlicher Gegenkonzepte. Und da werden wir streiten über die Neujustierung eines bisher profillosen Landesprogramms, in dessen Rahmen selbst ein Geheimdienst Veranstaltungen abhält. Das hat nichts mit Demokratieförderung zu tun.
Herr Geibert, Sie sagen, Politik und Gesellschaft haben die Gefahr des Rechtsextremismus unterschätzt. Das ist zum Teil richtig und zum anderen
falsch. Seit Jahren warnten antifaschistische Initiativen, Bürgerbündnisse vor den Gefahren, die aus der Verbreitung neonazistischer Einstellungen und aus der Verfestigung neonazistischer Strukturen erwachsen. Diesen öffentlich immer wieder vorgetragenen Einschätzungen wurde mit Beschwichtigungen und Verharmlosungen begegnet. Durch regierungstreue Politik wurden die Gefahren nicht nur unterschätzt, sondern bewusst in Abrede gestellt und konkrete Fakten wahrnehmbarer Erscheinungen verharmlost. Die erste Anhörung im Untersuchungsausschuss mit Fachleuten aus der Wissenschaft, aber auch mit Akteuren der Zivilgesellschaft hat hier genau den Finger in die Wunde gelegt. Auch hierzu hätten wir gerne eine Aussage heute gehört.
Herr Geibert, Sie stellen zu Recht die Frage nach dem Versagen der Behörden im Zusammenhang mit der rassistischen Mordserie. Ein rechtsextremistischer Hintergrund wurde nicht ernsthaft in Erwägung gezogen, so Ihre Worte. Zu einer Analyse und zu der Frage der Konsequenzen gehört es aber auch, sich die Frage zu stellen, warum das so war?
Warum hat die SOKO den Namen „Bosporus“ bekommen? Warum wurden die Morde zu „Dönermorden“? Warum wurden Drogendelikte vermutet, Schutzgelderpressungen und organisierte Kriminalität? Warum wurden in Heilbronn Roma unter Generalverdacht gestellt? Ich will eine Antwort versuchen: Weil in dieser Gesellschaft rassistische Einstellungen, Vorurteile und Stereotype weit verbreitet sind
und daher eben auch Handlungsgrundlage für behördliches Handeln bilden können. Bilden können dann, wenn es keinen klaren antirassistischen Konsens in Ausbildung und Praxis polizeilicher Arbeit gibt.
Im Mittelpunkt der Regierungserklärung steht zu Recht der Schäfer-Bericht. Wir erneuern an dieser Stelle unseren Dank an Herrn Schäfer und die Kommission. In kürzester Zeit wurde hier detailliert und kritisch Behördenhandeln in den Jahren 1998 bis 2003 dezidiert geschildert, aber auch hinterfragt, Behördenhandeln, das schließlich zum Versagen beim Erkennen, Verfolgen und Festsetzen des Trios und seines Unterstützerumfeldes geführt hat.
In diesen Tagen bleibt aber die Frage - und da werden wir in den nächsten Tagen und Wochen mit Sicherheit mit Vehemenz weiterfragen -, ob die Akten, die die Schäfer-Kommission erhalten hat, vollständig sind. Wir haben das Gefühl, dass das Landesamt gegenüber der Schäfer-Kommission nicht vollumfänglich geliefert hat. Wenn dies so ist - und hier steht die „Operation Rennsteig“ infrage -, dann muss auch die Frage erlaubt sein, ob der Bericht der Schäfer-Kommission an der einen oder anderen Stelle zu einer differenzierteren oder gar anderen Schlussfolgerung gekommen wäre, wenn alle Akten des Landesamts für Verfassungsschutz auf dem Tisch gelegen hätten.
Meine Damen und Herren, ich glaube, es ist bei dieser Regierungserklärung, aber auch angesichts der Vorfälle der letzten Tage angezeigt, ein paar deutliche kritische Worte in Richtung Innenministerium zu richten. Herr Innenminister Geibert, Sie tragen Verantwortung für all das, selbst wenn Sie - so haben wir manchmal das Gefühl - von dem einen Vorgang auch erst erfahren, wenn wir davon Kenntnis erlangen. Keine Personaldiskussion, ob jetzt Herr Sippel geht oder Herr Jakstat oder beide oder keiner, ersetzt die Debatte, die um die Verantwortung des Innenministeriums ansteht.
Wieso hat das Landesamt die „Operation Rennsteig“ gegenüber der Parlamentarischen Kontrollkommission und der Schäfer-Kommission verschwiegen?
Warum wird zeitgleich mit dem Beginn der Geheimdienstaktion, also der „Operation Rennsteig“, die bis dato ausgelastete und auf Eröffnung von Strafverfahren orientierte Soko Rex im Landeskriminalamt abgewickelt und die Zahl der Verfahren gegen Rechts damals dramatisch reduziert?
Die Gründe für das Ende der Soko Rex kennt nicht einmal der damalige LKA-Präsident, so die Aussage in der Vernehmung durch den Untersuchungsausschuss. Wer hat das entschieden und warum?
Warum saßen im Thüringer Verfassungsschutz so viele zwielichtige Gestalten? Da wurden Mitarbeiter aus dem Landesamt Hessen geholt und hier zum Abteilungsleiter Beschaffung, die dort ein Ermittlungsverfahren hatten wegen schwerwiegender Vorwürfe, Geheimnisverrat und Strafvereitelung.
Die Bundesanwaltschaft durchsuchte die Diensträume dieses Beamten in Hessen und er wird hier Abteilungsleiter Beschaffung. Das kann doch nicht sein und das ist nur ein Einzelbeispiel.
Diese Personen, Sicherheitsrisiken im Amt, die zum Teil an anderer Stelle schon gegenüber den Strafverfolgungsbehörden aufgefallen waren, kamen hier in Verantwortung. Wer trug hierfür eigentlich auf politischer Ebene damals die Verantwortung? Dies werden wir fragen müssen. Ich denke, da die Fragen im Untersuchungsausschuss schon aufgeworfen waren, hätte man heute hierzu etwas sagen müssen.
Auch hätten Sie etwas sagen müssen zu der Frage, warum die Rechts- und Fachaufsicht ausgeschaltet wurde, als gegen Gesetze und Vorschriften verstoßen wurde. Auch das passiert nicht en passant und das ist auch nicht die Entscheidung einer einzelnen Person. Dafür trägt jemand Verantwortung. Wer ist das und welche Konsequenzen ergreift das Innenministerium, aber auch die Ministerpräsidentin mit Blick auf diese Vorgänge? Das wäre die Frage gewesen, die wir heute hier hätten erörtern wollen.
Nun weg von der „Operation Rennsteig“, hin zur AG Kommission. Warum wurde eine als rein organisatorische Schnittstelle gegründete Gruppe - wofür wir Verständnis haben, dass man Personen abstellt, Beamte abstellt, die Akten sichten, zusammenstellen, kopieren und dann den Untersuchungsausschüssen und den Kommissionen zuleiten -, eine als rein organisatorische Arbeitsgruppe gegründete Kommission, die im LKA sitzt, in einer Gestalt tätig, dass Ladungen des Untersuchungsausschusses nicht direkt an die Zeugen gereicht wurden, sondern über diese Kommission weitergereicht werden?
Warum wurde diese AG Kommission in der Gestalt tätig, dass Zeugen Gesprächsangebote bekommen, wenn man noch Fragen hätte vor der Verneh
mung? Warum wurde diese AG Kommission in einer Art tätig, dass Zeugen sogar mitgeteilt wurde, dass man sie zu Vernehmungen des Bundeskriminalamtes begleiten wird?
Als der Zeuge dann ablehnt, wird ihm gesagt, das sei zu seinem Schutz. Als er sagt, nein, das ist das Gegenteil von Schutz, bekommt er ein Gespräch bei Herrn Jakstat. Was ist das? Was macht diese AG Kommission?
Dazu wollen wir Aussagen hören. Die Krönung des Ganzen war dann wohl die Erkenntnis des Untersuchungsausschusses, dass einer der zentralen Zeugen selbst in dieser Kommission tätig ist und dort auch noch die Funktion ausübt, mit anderen Zeugen ins Gespräch zu kommen.