Thüringen überhaupt keine Kompetenz hat oder kein Angebot machen kann, sondern überlegen Sie es sich, verhindern Sie, dass Menschen, die jahrelang hier waren, ins Kosovo oder nach Serbien zurückgeschoben werden. Danke.
(Zwischenruf Abg. Hey, SPD: Müssen wir uns entschuldigen, wenn wir hier Spenden sammeln, oder wie? Unglaublich!)
Ich wiederhole das ungern, Frau Kanis ist aufgerufen und wird für die SPD-Fraktion den Beitrag zum entsprechenden Tagesordnungspunkt halten und ich bitte, das auch mit dem nötigen Respekt aus dem Haus zu begleiten.
Frau Präsidentin, meine sehr geehrten Damen und Herren, nicht alles, was man hier mit ernsthafter Miene und mit viel Nachdruck vorträgt, muss auch so der Wahrheit entsprechen. Das habe ich vorhin schon bei der Diskussion zum Petitionsbericht gehört. Sie behaupten mit fester Stimme, es gebe bestimmte Sachen nicht, ich denke nur an die Parallele von Härtefallkommission und Petitionen, und doch können wir es belegen und wissen es ganz genau. Deswegen muss man bestimmte Sachen nicht ganz so ernst nehmen, die von hier vorn verkündet werden. Ich finde auch, es ist eine Frechheit, eine gut gemeinte Aktion so in den Schmutz zu treiben.
Ich finde es auch eine Unverfrorenheit, die Reise hier als Vorwand darzustellen. Sie hatten letzten Endes...
Frau Berninger, ich habe Ihnen zugehört und erwarte eigentlich erst mal gar nichts anderes. Das Gift spritzen können Sie in Ihrem nächsten Beitrag.
Ich würde jetzt gern das sagen, was uns als Fraktion viel Mühe und Zeit gekostet hat. Wir wissen, dass das nicht immer Ihre Intention und Ihre Meinung trifft. Wir wissen auch, dass wir nicht alle in der SPD damit zufriedenstellen, aber wir können mit ruhigem Gewissen sagen, wir haben uns sehr intensiv mit dem Thema auseinandergesetzt und der gemeinsame Alternativantrag ist ein Ergebnis dieser Arbeit.
weil es die gesetzlichen Rahmenbedingungen dazu gibt. Das individuell zu prüfen und zu schauen, wie man dem einzelnen Menschen dabei so gut wie möglich helfen kann, das ist ein Ziel von uns.
Ich würde jetzt gern trotzdem mit der Rede noch mal von Anfang an beginnen, denn im März haben wir uns zu dieser Reise entschlossen. Dort waren die Abgeordneten und Mitarbeiter einiger Fraktionen, aber auch der Innenminister ein paar Tage, aber auch Mitarbeiter von der Landtagsverwaltung zur Unterstützung. Vor Ort haben wir uns im Kosovo über die dortigen Lebensbedingungen informiert und - wir haben es schon ausführlich auch von Frau Holbe und Frau Berninger gehört - in vielen Gesprächen mit Regierungs- und Nichtregierungsorganisationen informiert. Die Gespräche wurden geführt mit Verantwortlichen in Schulen, mit Verwaltung und Unterstützern. Ich fand, dass gerade bei den zwei unterschiedlichen Schulen, die wir besucht haben - einmal das private Gymnasium und dann diese staatliche Schule, in die 1.600 Kinder gehen - noch mal der Unterschied zwischen Möglichkeiten für wenige und Möglichkeiten für alle ganz deutlich wurde. Meine Mitarbeiterin hat unter anderem vier Tage in einer kosovarischen Familie
gewohnt. Diese haben wir kennengelernt, als sie bei uns in Blankenstein in einer Gemeinschaftsunterkunft gelebt hat. Sie ist vor ungefähr 11 Jahren in den Kosovo freiwillig zurückgekehrt. Seitdem haben wir Kontakt zu dieser Familie. Viele Informationen haben wir schon immer gehabt, aber dann dort vier Tage mal zu leben und zu sehen, wie schwer es für die Menschen im Kosovo ist, ihr Leben dort jeden Tag zu meistern mit allen Widrigkeiten der Kinderbetreuung, der Arbeit, aber auch der Heizung und des oft fehlenden Stroms, das hat, denke ich, noch mal viele Sachen ins rechte Licht gerückt. Es bestätigt, was wir eigentlich schon aus den vielen Berichten gewusst haben: Die Reise hat gezeigt, dass sich die Lebensbedingungen im Kosovo ganz generell von dem, was wir in Deutschland hier haben, unterscheiden. Das betrifft viele Bereiche, aber näher eingehen möchte ich eigentlich nur auf Wohnung, Bildung, Arbeit und Gesundheit. Das Wohnen im Kosovo mit nur zeitweise vorhandenem Strom, im Winter nur wenige Stunden, im Sommer fast durchgängig mit Unterbrechung von wenigen Stunden, das unterschiedliche Heizen, wo man sagt, es ist schwierig in der Stadt, sich mit Holz zu versorgen, wenn man nicht ausreichend Geld dafür hat. Auf dem Land, wenn es noch eigene Flächen gibt, wo man auch Holz machen kann, ist das einfacher. Aber viele heizen mit Strom. Es wurde uns noch einmal gesagt, wenn der nicht da ist, bleiben die Wohnungen kalt. Dazu kommt der bauliche Stil. Ich war schon erschrocken bei dem einen oder anderen Haus, wo ich dachte, was hält da eigentlich die Dachziegel noch oben drauf. Daneben standen Häuser, die hatten quasi goldene Spitzen am Gartenzaun. Diese krassen Gegensätze zeigen schon, wie schwierig es ist und welchen Entwicklungsweg das Land noch vor sich hat. Auch die Ausstattung ist mit der in Deutschland nicht zu vergleichen.
Danke schön, Frau Kanis. Die Situation, die Sie beschreiben, heißt das nicht, dass man nicht Einzelfälle prüfen sollte, sondern dass, bis sich die Lage dort stabilisiert hat und die Menschen in einer besseren Situation leben, generell von zwangsweisen Rückführungen abgesehen werden müsste?
Zwangsweise Rückführungen, so wie Sie das ausdrücken, umfasst im Prinzip alle. Ich mache da schon ein paar ganz klare Unterschiede, wo ich sage: In welchem Fall sollte von einer zwangsweisen Rückführung abgesehen werden und in welchem Fall vielleicht nicht?
Ich möchte gern noch zur Ausstattung bei den Wohnungen kommen. Auch da unterscheiden sich die Einrichtungen der Häuser doch sehr deutlich, von dem, was wir hier in Deutschland haben. Wir haben bei der Familie gesehen, meine Mitarbeiterin hat es berichtet, in der Regel spielt sich das Leben in einem beheizten Raum ab. Mehr ist im Winter gar nicht möglich. Man versucht gerade dort eng zusammenzurücken, auch die Familie, wo meine Mitarbeiterin gelebt hat, hat im Prinzip keine Betten, sie schlafen in dem geheizten Wohnzimmer auf großen Schlafcouchs, das ist für uns hier im Prinzip gar nicht richtig nachzuvollziehen, aber dort durchaus üblich. Bei der Bildung haben wir in der staatlichen Schule das Schichtsystem gesehen, wo die Kleinen früh und die Großen nachmittags zur Schule gehen, mit nur wenigen Stunden. Da erinnere ich noch einmal an den Rektor des privaten Gymnasiums, der gesagt hat, das Niveau der Bildung, das den Kindern dort in den wenigen Stunden vermittelt werden kann, ist mit dem, was in Deutschland passiert, nicht zu vergleichen. Trotzdem sage ich, wichtig ist es für alle Kinder, zur Schule zu gehen, so viel wie möglich zu lernen, auch wenn die Bedingungen sehr schwierig sind. Ich denke an die fehlende technische Ausstattung. Ich habe in der staatlichen Schule nicht ein einziges Buch gesehen, wenn ich mal von den Klassenbüchern im Lehrerzimmer absehe. Aber ganz bewusst ist mir noch diese doch sehr große Kälte in den Klassenzimmern in Erinnerung. Ich fand es dort sehr spartanisch und da ich selber von Beruf Grund- und Förderschullehrerin bin, ist das mit dem, was wir hier im Schulsystem haben, um unseren Kindern möglichst eine hohe Bildung zu geben, nicht zu vergleichen.
Bei der Arbeit, es wurde schon angesprochen, ist die Chance auf eine Erwerbstätigkeit meist nur durch eine Selbstständigkeit und durch starke Unterstützung der Familie gegeben. Im Angestelltenverhältnis, insbesondere im öffentlichen Dienst, Frau Berninger hat es noch einmal angesprochen, gibt es so gut wie keine Menschen, die zur Gruppe der Roma, Ashkali und Ägypter zählen. Die Begründung, die uns bei den Gesprächen mit der Regierung mitgeteilt wurde, war, dass es oft an der passenden Ausbildung mangelt. Das deckt sich für mich so ein bisschen mit den Aussagen des Schulleiters des privaten Gymnasiums, der sagt, der Stand der Bildung ist auch aufgrund der großen Kriegsereignisse und der ganzen politischen Ereignisse in den 90er-Jahren im Moment nicht so.
Wichtig ist bei der Arbeitsfindung, dass man Beziehungen hat, und natürlich ganz schwierig ist es, wenn man diese nicht hat. Die Arbeitslosenzahlen zeigen da noch einmal ganz klar die Realität.
Beim Thema Gesundheit, ja, es besteht die Möglichkeit, einen Arzt für 1 € aufzusuchen, dies besteht insbesondere bei Kindern, aber sobald man spezielle Untersuchungen, Operationen oder Medikamente benötigt, muss man die zum Teil oder ganz selbst bezahlen. Das ist für manche Familien mit diesem geringen Einkommen fast unmöglich zu leisten. Dann gehen die Menschen eher noch mit ihren Kindern zum Arzt und nutzen das, als dass sie ihre eigene Gesundheit mit finanziellen Mitteln wieder herstellen. Es wurde uns auch noch mal ganz deutlich gesagt, dass es insbesondere einen Mangel an speziellen medizinischen Professionen gibt. Das heißt, man kann fast alles für viel Geld kaufen, wenn man es hat. Ich höre auch noch ganz deutlich, dass es im Kosovo nicht einen einzigen Psychotherapeuten gibt, der auf Traumata spezialisiert ist. Darum zielt ein Teil unseres Antrags auch noch mal in diese Richtung.
Die Reise hat uns verdeutlicht, das Land hat sehr knappe finanzielle Möglichkeiten. Die eigene Wirtschaftsleistung ist noch sehr gering, aber es waren auch die Anstrengungen deutlich zu erkennen, die Forderungen der EU zu erfüllen. Nicht alle Menschen profitieren im Moment gleichermaßen davon. Aber das Problembewusstsein der staatlichen Stellen habe ich erkannt, es ist mir deutlich geworden, wenn auch die Motivation, diese Probleme anzugehen, zum Teil sehr unterschiedliche Gründe hatte.
Wie schon im Plenum im Dezember dargestellt, hat sich die bundesrechtliche Gesetzeslage nicht geändert. Ich erinnere nur noch mal an die Diskussionen nach der Reise des Petitionsausschusses in Baden-Württemberg und Diskussionen in anderen Bundesländern, wo man sich vor Ort ein Bild gemacht hat. Spielräume, die zweifelsohne bei einer individuellen Prüfung vorhanden sind, sollen nach Meinung von mir und meiner Fraktion noch mehr genutzt werden. Dies geschieht auch in anderen Bundesländern in unterschiedlicher Art und Weise. Aber auch in Thüringen werden sie bereits genutzt, selbst wenn wir uns manchmal persönlich eine andere Entscheidung wünschen. Dies bezieht sich vor allem auf die Einzelfallprüfung und die damit zu berücksichtigenden individuellen Umstände. In unserem Alternativantrag weisen wir auf die Nutzung dieser Spielräume noch mal hin.
Wir konnten bei unserer Reise erkennen, dass Jugendliche und Heranwachsende mit einer abgeschlossenen Schul- oder Berufsausbildung deutlich bessere Chancen hatten, später ihren Lebensunterhalt zu erarbeiten. Wir konnten in den Gesprächen erfahren, dass es für ältere Menschen, kranke Menschen, Menschen mit Behinderungen, Alleinerzie
hende mit Kindern besonders schwer ist, für sich den Lebensunterhalt zu erarbeiten und die notwendige Unterstützung zu bekommen. Erschwerend kommt dazu, wenn es keine familiären Bindungen gibt, die als Unterstützung zur Seite stehen. Wenn man also ganz allein auf sich selbst gestellt ist, dann potenzieren sich im Prinzip die Schwierigkeiten. Dann ist es natürlich auch deutlich schwieriger, im Kosovo Fuß zu fassen, wenn man die Amtssprache nicht oder kaum beherrscht.
Niemand von uns verleugnet die schwierigen Lebensbedingungen im Kosovo oder die in den anderen Balkanstaaten, weder für die dort lebende Bevölkerung noch für die, die dahin zurückkehren sollen oder müssen.
Den vollziehbar Ausreisepflichtigen werden insbesondere durch eine eigene Rückkehr Möglichkeiten eröffnet, Hilfe und Unterstützung in Anspruch zu nehmen. Dies wollen wir noch verbessern. Es ist nur eine kleine Hilfe, aber, ich denke, jede Unterstützung zählt. Wir wollen und werden uns nicht der historischen Verantwortung, auch nicht gegenüber den Roma, entziehen. Deutschland leistet einen Beitrag, dieser Verantwortung gerecht zu werden, und auch das Land Thüringen zeigt Anstrengungen. Über den Umfang und die Ausgestaltung werden wir sicher unterschiedlicher Meinung sein. Wie Frau Rothe-Beinlich schon im Dezember in ihrer Rede darstellte, wir können nicht - ich zitiere „die grundsätzliche Problematik der Roma in Europa lösen, die Diskriminierung und Ausgrenzung, die sie erfahren oder die Armut, in der sie vielfach leben“. Da stimme ich ihr zu, das können wir nicht - Frau Berninger hat es vorhin schon mal thematisiert -, aber wir können durch das Thematisieren der Problemlagen dafür sorgen, dass es immer wieder im Fokus der Öffentlichkeit steht, im Kosovo wie auch in Deutschland, und damit in den Anstrengungen nicht nachlassen. Darauf bezieht sich der erste Teil unseres Alternativantrags.
Im zweiten Teil erkennen wir die gesetzlichen Regelungen an, wir fordern aber eine verstärkte Einzelfallprüfung. Die hier festgeschriebenen Kriterien, die zu berücksichtigen sind, sind die dringenden humanitären und persönlichen Gründe, das ist ein erhebliches öffentliches Interesse. Das Dritte ist die jahreszeit- und witterungsbedingte Ausnahmesituation im Aufnahmeland. Besonderen Wert legen wir auf die Berücksichtigung der Belange von Jugendlichen und Heranwachsenden, denen der Abschluss einer schulischen und beruflichen Ausbildung oder auch eines Studiums ermöglicht werden soll, so dass sie bessere Startchancen bekommen.
In unserem Antrag geht es aber auch um die Prüfung eines asylunabhängigen Aufenthaltsrechts. Kommt dies alles aus nachvollziehbaren Gründen
nicht infrage, soll zumindest eine Duldung ausgesprochen werden. Aber auch hier haben wir noch einmal die Kriterien ganz klar festgeschrieben, die den Ausländerbehörden bei ihrer Entscheidung einen klaren Rahmen vorgeben sollen.