Protokoll der Sitzung vom 26.03.2015

Dies kann man für die Kommunen ebenso rechnen. Gemeinden und Gemeindeverbände beschäftigen zur Erfüllung ihrer kommunalen Aufgaben ungefähr 35.000 Personen, das Landesamt für Statistik ist auch hier wieder meine Quelle. Das mal fünf Tage ergibt 175.000 Arbeitstage, davon maximal 20 Prozent, das sind 35.000 Arbeitstage. Das führt letztendlich wieder zu 160 Stellen mehr, mal 45.000 Euro, das sind rund 7 Millionen Euro Mehrkosten im Jahr für die Kommunen, auf fünf Jahre gesehen 45 Millionen Euro. Damit belasten Sie die öffentlichen Haushalte in Thüringen mit 105 Millionen Euro in dieser Wahlperiode mehr.

Es stellt sich uns die Frage, wie das zum Stellenabbaukonzept der Landesregierung passt, an dem die neue Landesregierung laut Koalitionsvertrag festhalten will.

Ein weiterer Kritikpunkt bezieht sich auf formale Fehler im Gesetzgebungsverfahren. Die Landesregierung hat es versäumt, die kommunalen Spitzenverbände im Gesetzgebungsprozess zu beteiligen. Dies schreibt sowohl die Thüringer Kommunalordnung in § 127 als auch die Geschäftsordnung der Landesregierung in § 20 vor.

(Zwischenruf Abg. Kuschel, DIE LINKE: Gilt nur für das Gesetzgebungsverfahren, die parlamentarische Gesetzgebung!)

Die Landesregierung kann sich nicht damit herausreden, dass die Beteiligung in der letzten Legislaturperiode durchgeführt wurde und damit erfolgt sei, denn es handelt sich um einen anderen Gesetzentwurf, der in weiten Teilen von dem Gesetzentwurf der damaligen Landesregierung abweicht.

(Beifall CDU)

Der Gesetzentwurf der damaligen Landesregierung, der als Referentenentwurf im November 2013 dem Landtag offiziell zugeleitet wurde, umfasste beispielsweise keine Freistellung für ehrenamtsbezogene Bildung, außerdem umfasste er einen Erstattungsanspruch, welcher im Gesetzentwurf der jetzigen Landesregierung nicht mehr enthalten ist.

Meine sehr geehrten Damen und Herren, für das folgende parlamentarische Beratungsverfahren wird die CDU weiter an ihren Forderungen festhalten. Für uns bleibt es dabei: Zur Entlastung kleiner Unternehmen braucht es höhere Schwellenwerte bei der Betriebsgröße. Das heißt, das Gesetz darf nicht für kleine Betriebe gelten, sondern erst ab 50 Beschäftigten. Arbeitgeber und Arbeitnehmer sollten gemeinsam ihren Beitrag leisten, beispielsweise dadurch, dass der Freistellungsanspruch zu gleichen Teilen durch Urlaub des Arbeitnehmers und Freistellung des Arbeitgebers gewährleistet wird. Der Anspruch soll auf berufsbezogene Fortbildungen beschränkt werden, wie das in Sachsen-Anhalt geregelt ist. Das Arbeitsverhältnis muss länger als ein Jahr bestehen, so ist es im Saarland geregelt. Die Übertragung des Anspruchs auf das nächste Kalenderjahr soll nur mit Zustimmung des Arbeitsgebers erfolgen.

Sehr geehrte Kolleginnen und Kollegen, Maßstab unseres politischen Handelns ist und bleibt Freiheit und Gerechtigkeit. Wir setzen auf Freiwilligkeit vor staatlicher Regulierung und wir sind für wirtschaftliche Autonomie statt für Sozialismus durch die Hintertür. Seitens meiner Fraktion beantrage ich Überweisung an den Ausschuss für Bildung, Jugend und Sport, den Ausschuss für Wirtschaft und Wissenschaft und den Ausschuss für Migration, Justiz und Verbraucherschutz. Danke schön.

(Beifall CDU, AfD)

Vielen Dank, Herr Abgeordneter Tischner. Das Wort hat nun der Abgeordnete Torsten Wolf für die Fraktion Die Linke.

(Zwischenruf Abg. Rothe-Beinlich, BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN: Das hat jetzt keiner ver- standen!)

Herr Wolf hat es verstanden.

Sehr geehrter Herr Präsident, sehr geehrte Kolleginnen und Kollegen! Sehr geehrter Herr Tischner, es ist ja nun bekannt und nichts Neues, dass man mit Blick auf denselben Sachverhalt von unterschiedlichen Voraussetzungen ausgeht. Wirtschaft ist in Thüringen maßgeblich geprägt durch Mittelständler, maßgeblich geprägt durch einen intensiven Austausch, durch ein gutes Miteinander von Ar

beitnehmerinnen und Arbeitnehmern und den Unternehmen. Es ist eben nicht so, dass der Bildungsfreistellungsanspruch von Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmern gegen die Unternehmen ausgesprochen wird, sondern dass es eine Erweiterung ist, eine Fortentwicklung. Sie haben gesagt, hier wird durch die Hintertür der Sozialismus eingeführt, da müssten wir ja in 12 Bundesländern Sozialismus …

(Zwischenruf Abg. Rothe-Beinlich, BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN: 13!)

Baden-Württemberg dann entsprechend auch.

(Zwischenruf Abg. Kuschel, DIE LINKE: Ich wusste es!)

Das ist eine interessante These, die Sie da vertreten, dass die Bundesrepublik Deutschland dem Sozialismus anheimgefallen ist.

(Zwischenruf Abg. König, DIE LINKE: Den Sozialismus in seinem Lauf…)

(Beifall DIE LINKE)

Ich denke, wir werden im weiteren Verfahren und in weiteren Diskussionen feststellen können, dass gerade mit der Bildungsfreistellung, mit der Modernisierung des Arbeitsmarkts über Bildungsfreistellung eine Weiterentwicklung der sozialen Marktwirtschaft passiert und nicht ein Stillstand, nicht eine Rückentwicklung.

Aber lassen Sie mich zu meiner Rede kommen. Marie Curie sagte einmal: „Was man zu verstehen gelernt hat, fürchtet man nicht mehr.“ In diesen Worten ist viel des emanzipatorischen Charakters von Bildung als Wert an sich festgehalten. Bildung ist der Schlüssel von individueller Freiheit und Selbstbestimmung.

(Beifall DIE LINKE)

Nicht ohne Grund war eines der ersten Anliegen der Arbeiterbewegung im 19. Jahrhundert der allgemeine und gleiche Zugang zu Bildung – unabhängig von der sozialen Herkunft. Die Arbeiterbildungsvereine waren die Keimzelle der organisierten Arbeitnehmerschaft und der Sozialdemokratie. Auch die Frauenbewegung ist ohne den gleichmäßigen Zugang zu Bildung nicht denkbar. Unser gesellschaftlicher Zusammenhalt ist geprägt von der Teilhabe und dem Engagement aller Menschen, welche durch den freien Zugang zu Bildung ihre Potenziale erkennen und entfalten. Letztlich fußt unser Wohlstand auf dem Schatz in den Köpfen der Menschen, welche ihr Wissen und ihre Kenntnisse in wettbewerbsfähige Produkte umsetzen und unser Land zu einem Global Player machen. Nun wird oft gefragt, wie und durch was sich Parteien in politischen Spektren unterscheiden. Ich sage, hier haben wir einen klassischen Fall. Während Die Linke, die SPD und die Grünen seit Jahren Seite an Seite mit Gewerkschaften, Volkshochschulen und Bil

(Abg. Tischner)

dungsinteressierten für einen individuellen Rechtsanspruch jedes und jeder Einzelnen auf Bildungsfreistellung streiten, um die emanzipatorische Wirkmächtigkeit des freien Zugangs zu Bildung realisieren zu können, will die Thüringer CDU möglichst gar nicht, dass dieser individuelle Rechtsanspruch auf Bildung vollzogen wird, da sie eben nicht davon ausgeht, dass zur individuellen Entwicklung,

(Zwischenruf Abg. Mohring, CDU: Bleib doch bei der Wahrheit!)

zur gesellschaftlichen Stabilität und zur Weiterentwicklung unseres Gemeinwesens beiträgt, wenn Menschen ihre eigenen Entwicklungsmöglichkeiten erkennen und realisieren wollen. Stattdessen ist die CDU der Ansicht, dass nur das nützt oder nützlich ist, nur das umgesetzt werden soll, was der Wirtschaft nützt.

Herr Mohring, Ihre Bundeskanzlerin hat die Lehren Ihres Leipziger Programms mit dem anschließenden Wahlergebnis offensichtlich besser begriffen als Sie, indem der Slogan „Sozial ist, was Arbeit schafft“ bei Ihnen in abgewandelter Form „Gut ist, was der Wirtschaft nützt“ nach der Wahlniederlage 2005 nicht wieder zu hören war.

(Zwischenruf Abg. Mohring, CDU: Absurd! Welche Wahlniederlage 2005 denn?)

Nun ist es ja nicht so, dass wir nicht – und Frau Ministerin hat das schon ausgeführt – mit den Wirtschaftsvertretern über das Bildungsfreistellungsgesetz gesprochen hätten.

(Zwischenruf Abg. Mohring, CDU: Blech, was du erzählst!)

Oh, jetzt sind wir per Du. Das ist interessant.

Ich würde die Wirtschaft hier nach meinen persönlichen Erfahrungen und intensiven Gesprächen in drei Gruppen einteilen. Einerseits diejenigen, die sagen, wir haben damit gar kein Problem, da in unseren Unternehmen Weiterbildung regelmäßig und in Absprache mit dem Betriebsrat und den Beschäftigten stattfindet. Die werden sich in ihrem Anspruch mit unserem Bildungsfreistellungsgesetz bestätigt fühlen. Dann haben wir eine Gruppe – auch von Verbandsvertretern –, die sagt, jetzt – also ohne die CDU – können wir das nicht mehr verhindern, lasst uns nun also darüber reden. Dem stehen wir offen gegenüber, verweisen aber auf den Charakter des Gesetzes, nämlich den individuellen Rechtsanspruch auf Bildungsfreistellung. Und dann gibt es diejenigen – leider auch Verbandsvertreter –, die von übermäßiger Belastung sprechen, von bedrohter Wettbewerbsfähigkeit und die den individuellen Rechtsanspruch mit aller Kraft verhindern wollen, weil es ihrem Weltbild auf Wirtschaft widerspricht, was da heißt, sie wollen selbst Herr und Frau im eigenen Haus sein.

(Zwischenruf Abg. Höcke, AfD: Glauben Sie doch mal an die Selbstentwicklungsfähigkei- ten der Menschen!)

(Zwischenruf Abg. Heym, CDU: Ich glaube, er weiß selbst nicht, was er da erzählt!)

Insbesondere der letzten Gruppierung sei Folgendes gesagt: Der Rechtsanspruch auf individuelle Bildungsfreistellung fußt auf einem 39 Jahre alten ILO-Abkommen über den bezahlten Bildungsurlaub. Derzeit haben zum Teil mit 35-jähriger Erfahrung 12 von 16 Bundesländern Freistellungsregelungen. Weiterhin wird argumentiert, das seien keine Kosten, die den Arbeitgebern überantwortet werden könnten. Dazu hat sich das Bundesverfassungsgericht 1987 abschließend geäußert, indem festgestellt wurde, dass es im Sinne des Gemeinwohls ist und auch vom Betrieb bezahlt werden muss, wenn Betriebe ihre Beschäftigten zu beruflicher, gesellschaftlicher und politischer Weiterbildung bezahlt freistellen, auch mit dem Hinweis – nun zitiere ich –: „Unter den Bedingungen des fortwährenden und sich beschleunigenden technischen und sozialen Wandels wird lebenslanges Lernen zur Voraussetzung individueller Selbstbehauptung [...]. Dem Einzelnen hilft die Weiterbildung, die Folgen des Wandels beruflich und sozial besser zu bewältigen. Wirtschaft und Gesellschaft erhält sie die erforderliche Flexibilität, sich auf veränderte Lagen einzustellen.“

(Beifall DIE LINKE, BÜNDNIS 90/DIE GRÜ- NEN)

Das sagt das Bundesverfassungsgericht und das sagt nicht der DGB-Bundesvorstand. Ich möchte das hier auch noch mal betonen.

Richtig ist natürlich, dass Betriebe heute schon ihren Beschäftigten Weiterbildung anbieten und die Thüringer Betriebe – das ist besonders positiv herauszustellen – tun dies im besonderen Umfang, nämlich 35 Prozent. Das IAB-Betriebspanel Thüringen sagt, 35 Prozent der Beschäftigten können betriebliche Weiterbildung absolvieren. Aber es trifft eben gerade die gut Qualifizierten. Dort sind es 53 Prozent der gut Qualifizierten, die nach IAB-Betriebspanel betriebliche Weiterbildung genießen konnten. Von den gering Qualifizierten war es gerade jeder Fünfte, das sind 22 Prozent. Da ist also eine Schieflage.

Es geht bei der Bildungsfreistellung primär nicht um betrieblich verwertbare Weiterbildung, sondern um einen umfassenden Bildungsbegriff, der gesellschaftliche, kulturelle und politische Bildung mit einschließt. Und es geht drittens um den individuellen Rechtsanspruch, ein verbrieftes Recht jeder und jedes abhängig Beschäftigten, sich weiterzubilden.

(Beifall DIE LINKE, SPD, BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)

Kommen wir nun zum Kritikpunkt einzelner Arbeitgeber, individuelle Bildungsfreistellung sei zu teuer und obendrein würde durch den Entzug von Beschäftigten als Produktivkräfte dieser Bildungsfreistellungsanspruch die Wettbewerbsfähigkeit schmälern.

(Zwischenruf Abg. Heym, CDU: Woher wol- len Sie denn wissen, was der Einzelne macht! Sie haben doch nicht mit der Wirt- schaft gesprochen!)

Sie können doch gern Zwischenfragen stellen.

(Unruhe CDU, DIE LINKE)

Nun schauen wir uns die Kostenentwicklung doch einmal genauer an.

(Zwischenruf Abg. Adams, BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN: Sie sind doch nur traurig, dass die mit uns reden!)

Nimmt man die Angaben des IAB-Betriebspanels Thüringen 2013 zu den durchschnittlichen Verdiensten – je nach Betriebsgröße sind die zwischen 1.930 Euro brutto und 2.720 Euro brutto plus Arbeitgeberanteil – und setzt den durch das Bildungsfreistellungsgesetz in Ansatz zu bringenden Anteil an der Jahresbruttolohnsumme der Unternehmen an, kommt man darauf, dass in einem Betrieb mit sieben Mitarbeitern gerade einmal 0,3 Prozent der Jahresbruttolohnsumme bei Inanspruchnahme davon betroffen sind. In einem Betrieb mit 15 Mitarbeitern sind dies 0,14 Prozent. In einem Unternehmen mit 30 Mitarbeitern und einer Beteiligung von durchschnittlich 3 Prozent – das sagen nämlich alle Studien – sind das 0,07 Prozent, in einem Unternehmen mit 60 Mitarbeitern auch 0,07 Prozent. Wir hatten gestern einen Handwerksmeister, der gesagt hat, das wären so und so viel Tage, es sind tatsächlich 0,07 Prozent der Jahresbruttolohnsumme. Bei einem Unternehmen mit 100 Mitarbeitern wären es noch 0,0625 Prozent der Jahresbruttolohnsumme.

(Zwischenruf Abg. Dr. Voigt, CDU: In der An- nahme, dass es 3 Prozent sein werden!)