Protokoll der Sitzung vom 27.03.2015

Meine Damen und Herren, 1994 wurde die Pflegeversicherung ins Leben gerufen. Damals waren die Rahmenbedingungen für die Pflege andere, wie sie heute, 2015, sind. Der erste Makel der Pflegeversicherung war damals, dass es, wie man damals so schön gesagt hat, keine Vollkaskoversicherung ist, sondern eine Teilkaskoversicherung, und in § 1 der Pflegeversicherung steht, dass die Leistungen der Pflegeversicherung immer nur ergänzende Leistungen zu den Leistungen der Familienangehörigen und der Nachbarn sind.

Nun haben sich aber in dieser Zeit die Familienbilder und die demografische Entwicklung verändert. Wir haben nicht mehr – auch im ländlichen Raum nicht mehr – das typische Familienbild, wo die Angehörigen sich um ihre pflegebedürftigen Eltern kümmern, weil die Kinder in der Regel weggezogen sind. Das heißt, also auch hier haben sich die Bedingungen geändert, worauf die Pflegeversicherung reagieren muss.

Wo wir alle gefragt sind, ist, die gesellschaftliche Akzeptanz des Pflegeberufs zu erhöhen. Wenn ich dann nur Medienberichte höre, wenn in einem Pflegeheim schludrig gearbeitet wurde, was Ausnahmen sind, aber diese Sache aufgebauscht wird, so trägt das nicht dazu bei, dass der Pflegeberuf akzeptiert wird. Wenn die Rahmenbedingungen so sind, dass Pflege und Familie nicht vereinbar sind, dann trägt das nicht zur Akzeptanz der Pflege bei.

Und eins kommt hinzu – jetzt gucke ich mal in das Rund dieses Hauses, was die Teilnahme an diesem Thema betrifft –, eigentlich muss ich sagen, das Hauptübel ist – das ist aber auch menschlich –: An Pflege denke ich eigentlich erst, wenn es mich selber betrifft, wenn ich selber ein Pflegefall werde oder wenn ein Angehöriger von mir in die Pflege gerät. Bis dahin, solange alles in Ordnung ist, da schimpfe ich sogar noch darüber, wenn der Pflegeversicherungsbeitrag erhöht wird. Ich bekomme das ganze Dilemma erst mit, wenn es mich selber betrifft. Aber da, meine Damen und Herren, ist es meistens zu spät. Jetzt könnte ich die Schlussfolgerung ziehen, das trifft auch auf dieses Haus zu, wenn ich so die leeren Stühle hier in diesem Rund sehe. Zu dieser Schlussfolgerung muss ich ganz einfach kommen. Aber gesellschaftliche Akzeptanz für die Pflege bedeutet, dass wir vor allem klären müssen: Was ist uns Pflege in dieser Gesellschaft wert, was sind uns vor allem das Alter, das Älterwerden in dieser Gesellschaft wert? Deshalb sind wir hier ganz demokratisch und sagen auch an dieser Stelle, bei dem Antrag, da freue ich mich auf die Diskussion im zuständigen Ausschuss. Aber wir sollten dann im Ausschuss so umgehen, dass wir uns wirklich Gedanken machen, wie Rahmenbedingungen verändert werden können. Das möchte ich noch mal sagen: Das betrifft auch die Haushalte unserer Kommunen. Ich danke Ihnen.

(Beifall DIE LINKE, BÜNDNIS 90/DIE GRÜ- NEN)

Herr Kubitzki, vielen Dank. Nun hat Abgeordnete Herold für die Fraktion der AfD das Wort.

Sehr geehrter Herr Präsident, sehr geehrte Damen und Herren Abgeordnete, sehr verehrte Gäste,

(Abg. Kubitzki)

Thüringens Pflege, nicht zuletzt die Altenpflege, ist seit Längerem in der Krise.

(Beifall AfD)

Diese Krise scheint nicht etwa allmählich überwunden zu werden, sondern sich angesichts des demografischen Wandels in Zukunft eher zu verschärfen. Denn die absolute Zahl und der Anteil von Pflegebedürftigen werden in den kommenden Jahren zunehmen. Vor diesem Hintergrund kommt die Krise nicht zuletzt darin zum Ausdruck, dass es in Thüringen an Fachkräften für die Pflege mangelt. Dieser Mangel wird nach allem, was wir wissen, in Zukunft eher größer als geringer, allem Schulterklopfen ehemaliger und gegenwärtiger Landesregierungen zum Trotz. Es kursieren diesbezüglich zwar unterschiedliche Zahlen und Prognosen im Sofortbericht der Landesregierung, die Studie zitiert, die von der ehemaligen SPD-Sozial- und heutigen Finanzministerin Taubert in Auftrag gegeben worden war. Danach ist bis zum Jahr 2030, also zu einer Zeit, in der viele von uns dann in Rente gehen oder vielleicht auch schon die eine oder andere Hilfestellung im Alltag benötigen, ausgehend vom Jahr 2012 mit einem zusätzlichen Bedarf von etwa 8.000 Altenpflegekräften in Thüringen zu rechnen. Gegenüber 2012 wäre dies ein Zuwachs um etwa 83 Prozent. Angesichts einer mit solchen Zahlen zu veranschaulichenden Situation bleibt die Politik in der Pflicht.

So hat man in den zurückliegenden Jahren manches unternommen, um dem drohenden Pflegenotstand zu begegnen. Die Bilanz ist nach dem Sofortbericht der Landesregierung insgesamt bestenfalls durchwachsen. Dabei möchte ich die Erfolge über den Anstieg an Absolventenzahlen keineswegs kleinreden. Aber die Opposition hat die Aufgabe, Defizite und Schwachstellen der Regierungspolitik offenzulegen, und solche Defizite und Schwachstellen sind durchaus vorhanden. Das weiß Sozialministerin Werner allzu gut. Schließlich muss sie jetzt eine Politik bilanzieren und verantworten, die ihre eigene Linksfraktion und die ihr bündnisgrüner Koalitionspartner bis vor wenigen Monaten als unzureichend kritisiert haben. Das ist natürlich für die Ministerin Werner bitter. Weil das so ist, zeigt sie in der Öffentlichkeit gern mit dem Finger auf andere, die an den Schwierigkeiten in der Pflegepolitik die Schuld tragen. In einem Interview, das der MDR Ende Januar ausstrahlte, verkündete Frau Werner, wer alles etwas tun müsste, damit sich die prekäre Situation in Thüringens Pflegesektor verbessern könnte. Das sind die Gewerkschaften und die Arbeitgeber und die Bundesregierung und natürlich die Pflegebetriebe, die sich einen Wettbewerb auf dem Rücken der Beschäftigten leisten usw. usw. Aber hat die Landesregierung alles getan, was sie selbst zur Verbesserung der Lage und zur Anwendung des drohenden Pflegenotstands tun könnte? Desjenigen Pflegenotstands, den Ministerin Werner

befürchtet. Hier einfach nur zu sagen, die Löhne für die Pflegefachkräfte müssen steigen – das genau sagt Frau Werner auch auf der Internetseite ihres Ministeriums –, das ist ja wohl ein bisschen einfallslos und klingt wie das laute Singen im dunklen Wald. Denn selbst wenn die Pflegeberufe finanziell attraktiver werden – das ist in der Tat wünschenswert –, so bleibt doch angesichts der Bevölkerungsentwicklung Thüringens noch immer die Frage, ob es in den nächsten Jahren überhaupt genügend junge Menschen gibt, die für eine entsprechende Ausbildung oder Umschulung überhaupt zur Verfügung stehen. Und hier betritt der berühmte Thüringer Pflegepakt vom November 2012 die Bühne, über den die Landesregierung gerade berichtete.

Zwei Aspekte möchte ich hier ansprechen zur sogenannten Imagekampagne des Pflegepakts. Zunächst entwickelte sich der Pflegepakt eher schleppend. Die TLZ titelte im Oktober 2013 kurzerhand, dass der Pflegepakt gescheitert sei. Allgemein wurde bilanziert, dass der Pakt nicht wirklich viel erreicht habe. Dann aber wurde im Mai 2014 der Öffentlichkeit die groß angekündigte, aber mit Steuergeldern finanzierte Imagekampagne des Pflegepakts vorgestellt. „Pflege braucht Helden“ heißt es da auf Plakaten, Flyern oder einer Internetseite. Das soll aussagefähig sein? Ich bezweifle, allen Ausführungen der Staatssekretärin Feierabend zum Trotz, dass sich genau bilanzieren lässt, was diese Kampagne gebracht hat.

(Beifall AfD)

Es bleibt Spekulation, ob die Kampagne wirklich eine Wirkung hatte. Imagekampagnen werden ja von manchen heute als Allheilmittel betrachtet, aber am Ende entscheidet eben doch nicht der Schein, das Image, sondern das Sein, die Wirklichkeit.

(Beifall AfD)

Da ist es sehr fraglich, ob der Ansatz der Kampagne nicht ein wenig zu naiv ist. „Pflege braucht Helden“ – ach ja? Wen will man denn so ernsthaft von der Attraktivität irgendeiner Sache überzeugen? Die Sozialwissenschaften erzählen uns, dass wir in einer postheroischen Gesellschaft leben. Heldentum, das ja immerhin eine soldatische Tugend darstellt, ist da nicht gerade ein attraktiver Wert.

(Zwischenruf Abg. Adams, BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN: Heldinnen, die keine Soldaten sind!)

Fragen Sie mal Verteidigungsministerin von der Leyen. Beim Heldentum geht es auch um das Erbringen von Opfern. Wieder so eine Sache, die gerade bei jungen Leuten nicht so sehr hoch angesehen ist. Der Politikwissenschaftler Münkler meinte einmal, dass der Begriff des Opfers bei uns nicht wirklich durchdacht und praktiziert wird. Wir neigen dazu, Opfer in Tausch aufzulösen, so Münkler. Und wenn der Mann damit recht hat, sind wir wieder

beim Anfang, nämlich dabei, dass für eine bessere Entlohnung von Pflegekräften gesorgt werden muss.

(Beifall AfD)

Damit ist die Frage noch immer nicht geklärt, ob dann alles gut ist, wenn das erreicht ist. Das führt mich zum zweiten Punkt: Alle Szenarien in der Thüringer Pflege gehen mehr oder weniger unreflektiert davon aus, dass die statistischen Trends wie unabwendbare, alternativlose Entwicklungen verlaufen. Zu diesen Trends gehört demnach auch, dass die Frauenerwerbstätigkeit ebenso weiter zunehmen wird wie auch die Familienstrukturen noch brüchiger werden. Auch daher nehme die Pflege durch Angehörige in Zukunft ab. Die vom Sozialministerium in Auftrag gegebene, schon angesprochene Studie drückt das so aus, Zitat: „Aufgrund steigender Frauenerwerbsquoten und der Zunahme kleinerer und eher instabiler Familienformen wird sich die Bereitstellung von Gesundheits- und Versorgungsleistungen innerhalb der Familien entsprechend schwieriger gestalten.“ Auch hieraus ergebe sich ein zunehmender Bedarf an professioneller Pflege, also an Fachkräften. Auch die moderne Wunderwaffe, sozusagen das Penicillin gegen das Demografieproblem, die Zuwanderung, hat in diesem Zusammenhang in Thüringen schon versagt. Vor einigen Jahren hat die AWO 29.000 Euro für 24 Chinesinnen an einen Headhunter bezahlt, die Damen teuer als Pflegekräfte ausgebildet und schlussendlich 20 davon an andere Bundesländer verloren, wo besser bezahlt wird, oder an ihre alte Heimat China. Die Damen sind davongezogen mit der Maßgabe, in China eine Pflege nach deutschen Standards zu etablieren. Schön für die Chinesen.

(Beifall AfD)

Wenn wir nun bedenken, dass die Pflegemisere insgesamt Resultat nicht zuletzt der Bevölkerungsentwicklung und der rückläufigen Geburtenrate ist, wenn wir andererseits bedenken, dass aber nach wie vor der größte Teil der Pflegebedürftigen ausschließlich von angehörigen Familienmitgliedern versorgt wird, wäre es da nicht an der Zeit darüber nachzudenken, wie wir die Familie stärken? Es gibt nämlich einen Zusammenhang zwischen Pflegeund Familienpolitik. Den übersieht man aber, wenn man beim Stichwort Familie allenfalls danach fragt, wie die Erwerbstätigkeit von Frauen mit Kindern oder auch von Frauen mit Pflegetätigkeit zusammengebracht werden kann – dabei immer im Hinterkopf haben, dass Frauen erwerbstätig zu sein haben. Das ist viel zu eng und zu einseitig und in Kategorien der Alternativlosigkeit gedacht.

(Beifall AfD)

Es mag hilfreich sein, wenn jetzt durch die neu in Kraft getretenen Regelungen des Familienpflegezeitgesetzes die sogenannte Vereinbarkeit von Fa

milie, Pflege und Beruf verbessert wird. Aber man muss hier viel weiter denken. So muss darüber nachgedacht werden, ob man heimische Pflege durch Familienmitglieder besser honoriert, namentlich auch durch Familienmitglieder, die ansonsten keiner Erwerbstätigkeit nachgehen möchten. Grundsätzlich müssen die Rahmenbedingungen für Familiengründungen verbessert werden, sodass jungen Leuten die Entscheidung für Kinder erleichtert wird. Nur wenn wir eine starke nachwachsende Generation haben, haben wir auch eine Zukunft.

(Beifall AfD)

(Zwischenruf Abg. Höcke, AfD: Bravo!)

Ohne eine Politik der Familienförderung also – hier kann eine Landesregierung so manches tun – bleiben alle Projekte, Pakte, Pläne und Maßnahmen der Pflegepolitik unvollständiges Stückwerk, die dann allenfalls solche skurril hilflosen Einfälle wie die Heldenkampagne hervorbringen. Wo immer Gesetze und Maßnahmen die Situation und die Qualität in der Pflege tatsächlich verbessern, finden Sie die Unterstützung der AfD-Fraktion. Für uns liegt auf der Hand, dass wir auch in der Pflegepolitik mehr erreichen, wenn wir einseitige, verengte und ideologische Sichtweisen überwinden. Ein offener Blick auf die Gegebenheiten bedeutet für die Pflegepolitik, dass man deren familienpolitische Dimension erkennt. Von den Regierungsfraktionen ist diesbezüglich allerdings nicht viel zu erwarten und das sind keine rosigen, sondern leider nur rot-grüne Aussichten für die Pflege in Thüringen. Die AfDFraktion wird den vorliegenden Antrag unterstützen. Vielen Dank.

(Beifall AfD)

Es liegen mir jetzt keine weiteren Wortmeldungen vor. Kann ich davon ausgehen, dass das Berichtsersuchen zu den Nummern I und II des Antrags erfüllt ist oder erhebt sich Widerspruch? Das kann ich nicht erkennen.

Es ist Ausschussüberweisung beantragt und ich frage, ob auch der Sofortbericht mit beraten werden soll. Das ist beantragt.

Dann die Ausschussüberweisung an den Ausschuss für Soziales, Arbeit und Gesundheit: Wir stimmen zunächst über die Überweisung des Sofortberichts ab. Wer damit einverstanden ist, den bitte ich um das Handzeichen. Gegenstimmen? Stimmenthaltungen? Das kann ich nicht erkennen. Damit ist der Sofortbericht an den Ausschuss für Soziales, Arbeit und Gesundheit überwiesen.

Wir stimmen nun zur Nummer III des Antrags ab, zur Ausschussüberweisung auch an den Ausschuss für Soziales, Arbeit und Gesundheit. Wer dem zustimmt, den bitte ich um das Handzeichen.

(Abg. Herold)

Gegenstimmen? Stimmenthaltungen? Damit ist der Antrag einstimmig überwiesen.

Ich schließe den Tagesordnungspunkt und rufe auf den Tagesordnungspunkt 12

Rechtschreibfähigkeit der Thüringer Schüler Antrag der Fraktion der AfD - Drucksache 6/361

Wünscht die Fraktion der AfD das Wort zur Begründung? Herr Abgeordneter Brandner, bitte, Sie haben das Wort.

Meine Damen und Herren, liebe Schülerinnen und Schüler, ein Thema für Euch auf der Tribüne. Ich bin Rechts

(Zwischenruf Abg. Rothe-Beinlich, BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN: Ja!)

(Zwischenruf Abg. Warnecke, SPD: Ja, stimmt!)

anwalt in Gera und bilde als solcher Auszubildende aus.

(Beifall AfD)

Ich leide sehr darunter, dass viele nicht mehr richtig schreiben können. Das ist Folge daraus, dass der Freistaat Thüringen zu den Ländern in Deutschland gehört, die immer mehr Grundschüler trotz massiver Rechtschreibdefizite in weiterführende Schulen und Schüler weiterführender Schulen, also von Gymnasien, trotz dieser Defizite an die Universitäten entlassen.

Nach den derzeitigen Thüringer Lehrplänen werden Diktate als Lernzielkontrolle grundsätzlich kaum noch geschrieben. Sie stellen eine Rarität im schulischen Alltag dar. Aber auch das betrifft nicht nur Thüringen, sondern nahezu sämtliche Bundesländer. In den Kultusministerien weiß man von dieser selbst verschuldeten, aus unserer Sicht desaströsen Entwicklung. Daraus folgt nun aber nicht, dass versucht würde, die Orthografie bei den Schülern zu verbessern; nein, man erhebt dazu einfach keine Daten mehr und alles soll gut sein.

Evaluiert, also überprüft und statistisch erfasst, wird in Deutschland und auch in Thüringen so gut wie alles und jedes zu jeder Zeit. Die Daten aber, die sich auf die Orthografiekenntnisse beziehen, stammen noch aus dem vergangenen Jahrzehnt, nämlich aus dem Jahr 2009.

Und selbst im Jahr 2009 – Sie von der linken Seite können das gleich richtigstellen – ging es nicht um die Grundschüler, bei denen die Vermittlung der Rechtschreibung zunächst einmal Priorität besitzen sollte. Es wurde lediglich erfasst, ob Schüler die

Mindeststandards – so war es geschrieben – für den Mittleren Schulabschluss in Deutsch, Englisch und Französisch erreichen. Man hat also den Eindruck, als sei den Schulministern diese fatale Entwicklung, dass Schülern nicht einmal mehr das Grundrüstzeug, also die deutsche Rechtschreibung, beigebracht wird, entweder peinlich oder egal.