In dieser Situation ist zu fragen, ob es sich tatsächlich nur um eine Art Generationenkonflikt handelt oder ob die Problematik nicht viel komplexer gesehen werden muss. Letzteres scheint der Fall. Leis
tungsvergleiche über Generationen scheitern vielfach an der ungenügenden Berücksichtigung objektiver Vergleichsdaten.
Für den Primarbereich kann ich festhalten, dass bereits seit 2004 – die Ministerin hat es auch schon ausgeführt – von der Kultusministerkonferenz beschlossene Bildungsstandards im Fach Deutsch für den Primarbereich existieren.
Sie sind von allen Bundesländern verpflichtend umzusetzen und beschreiben die Lernziele in verschiedenen Niveaustufen, die für alle Thüringer Grundschüler gelten. Diese Bildungsstandards enthalten ganz konkrete Vorgaben darüber, über welche orthografische Kompetenz Viertklässler zu verfügen haben. So wird bei dem Punkt „richtig schreiben“ unter anderem als Standard definiert, die Schüler sollen Rechtschreibstrategien verwenden, Zeichensetzung beachten, über Fehlersensibilität und Rechtschreibgespür verfügen, Rechtschreibhilfe verwenden und Texte auf orthografische Richtigkeit überprüfen und korrigieren. Die hier erwartete orthografische Kompetenz geht also weit darüber hinaus, als die bloße Rechtschreibfähigkeit es erwarten lässt. Und dies lässt sich eben nicht, wie die AfD das gern hätte, durch bloßes regelmäßiges Trainieren im Diktatschreiben erwerben. Das hat PISA uns gelehrt: Deutschland braucht denkende, reflektierende Schüler und keine Taschenrechner und Abschreibtechniker.
Anders als die AfD im Antrag vorgibt, basieren und orientieren sich Thüringer Lehrpläne an diesen eben benannten Bildungsstandards. Sie finden sich dort sogar teilweise wortwörtlich wiedergegeben. Und ebenso ist es selbstverständlich, dass Thüringen sich wie alle andere Bundesländer an den von der KMK vereinbarten jährlichen Vergleichsarbeiten in der Klassenstufe 3 beteiligt. In Thüringen heißen diese Vergleichsarbeiten zwar nicht „VERA 3“ wie in anderen Bundesländern, sondern „Kompetenztest“. An unseren Grundschulen wird wie im übrigen Bundesgebiet Jahr für Jahr durch diesen Kompetenztest die Umsetzung dieser Bildungsstandards im Fach Deutsch überprüft. Dass es dabei auch um die orthografische Kompetenz der Drittklässler geht, versteht sich von selbst.
Die von der AfD ausgemachten erheblichen Rechtschreibdefizite sind allerdings beim Kompetenztest bislang nicht festgestellt worden. Schaut man sich
den Bund-Länder-Vergleich an, so ist festzustellen, dass bisher lediglich eine Studie existiert, die eine länderübergreifende Einordnung der von Thüringer Schülern erzielten orthografischen Kompetenz erlaubt. Es handelt sich um die im Jahr 2010 publizierte Untersuchung „Sprachliche Kompetenzen im Ländervergleich“, für die bundesweit Schüler der Klassenstufe 9 getestet wurden. Deren Auswertung zeigt, dass die orthografische Kompetenz der Thüringer Neuntklässler im Bundesdurchschnitt liegt. Das ist natürlich kein Grund zum Jubeln, aber eben auch kein Indiz für vermeintlich erhebliche Rechtschreibdefizite bei den Thüringer Schülern, insbesondere bei den Grundschülern. Noch in diesem Jahr wird es in einem ersten Bund-Länder-Vergleich zur orthografischen Kompetenz von Grundschülern einen Vergleich geben. Er nimmt die Klassenstufe 4 in den Fokus. 2016 folgt dann der zweite Bund-Länder-Vergleich für die Klassenstufe 9. Sollte sich aus diesen beiden Studien tatsächlich eine mangelnde orthografische Kompetenz der Thüringer Schulen ergeben, sind wir gern zu einer bildungspolitischen Fachdiskussion bereit.
An einer Debatte basierend auf reinen Mutmaßungen und inhaltsleer wird sich die SPD nicht beteiligen. Dieser Antrag bringt uns bildungspolitisch in Thüringen nicht weiter – im Gegenteil. Die tägliche Arbeit der Kolleginnen und Kollegen in den Grundschulen wird damit verunglimpft. Grundschullehrkräfte haben es verdient, mehr Wertschätzung ihrer täglichen Arbeit an der Bildungsfront zu erfahren. Die SPD-Fraktion wird deshalb diesem Antrag nicht zustimmen.
Frau Klaubert, wenn ich Sie richtig verstanden habe – Sie können mir gern widersprechen –, dann ist alles gut bis bestens mit der Rechtschreibung in Thüringen, ist das richtig so weit?
Handlungsbedarf besteht nicht, ja? Und der weitverbreitete Eindruck, dass die Rechtschreibkompetenz der Thüringer Schüler nicht weit von einer Katastrophe entfernt ist, der ist ersponnen, erlogen oder erdichtet? Das muss ich Ihnen sagen, ich habe selten eine Rede gehört, die so weit an der Wirklichkeit vorbeiging wie Ihre, die Sie hier gehalten haben, muss ich ganz ehrlich sagen.
(Zwischenruf Abg. Rothe-Beinlich, BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN: Die war sehr faktenbasiert, im Gegensatz zu Ihrer!)
Sie haben genau wie die werte Kollegin Rosin viel gesagt und dabei natürlich auch nicht davor zurückgescheut, uns hier mit unserer Forderung nach ordentlicher Rechtschreibung wieder als Populisten hinzustellen. Allein dann, wenn mir aus dieser Ecke da oder aus diesem linken Halbrund der Populist entgegengerufen wird,
Wenn Sie keine Argumente mehr haben, dann holen Sie die Populismuskeule raus, mir haben jetzt noch der Faschismus, der Nazismus und der Rassismus gefehlt, aber Sie waren schon nah dran. Also wir haben recht.
Frau Rosin, gestatten Sie mir eine Bemerkung zu Ihrer Rede: Dass die Eltern und Großeltern durch unsere Frage verunsichert sind, das können Sie nicht wirklich behaupten. Die Eltern und Großeltern sind verzweifelt, weil die Kinder und die Enkel nicht mehr richtig schreiben können, das ist der Stand der Dinge.
Das habe ich nie behauptet. So eine Hybris habe ich nicht, Herr Kuschel. Aber ich bin natürlich Lehrer und diese Profession bringe ich mit ein.
Sehr verehrte Kollegen Abgeordnete, sehr verehrte Zuhörer auf der Empore, sehr verehrte Frau Präsidentin! Ja, ich melde mich hier als Lehrer zu Wort und als solcher sehe ich mich weiterhin, auch wenn ich gerade ein Mandat im Thüringer Landtag habe.
Ich muss hier wirklich mal bedauern, Frau Ministerin Klaubert, Sie haben hier ausschweifende Ausführungen gemacht und haben die heute gebräuchlichen Begriffe immer wieder hier in den Raum gestellt: Ganzheitlichkeit, Nachhaltigkeit, integrativer Ansatz. Ich kann dieses ganze Geschwurbel nicht mehr hören, Frau Ministerin Klaubert.
Ich kann das ganze Geschwurbel nicht mehr hören. Ich sage Ihnen eins: Wenn ich den Begriff „Kompetenz“ höre, dann stehen mir die Nackenhaare zu Berge.
Frau Ministerin, ich habe Ausführungen zur Kompetenzkompetenz bei Ihnen vermisst. Das ist doch ein zentrales Anliegen von Bildung, nicht wahr?
Ich sage Ihnen auch in aller Deutlichkeit: Wenn unsere Kinder – das habe ich in Ihren Ausführungen auch vermisst, Frau Ministerin Klaubert – die Grundschule verlassen, dann müssen sie lesen, rechnen und schreiben können, basta!