Protokoll der Sitzung vom 27.03.2015

(Unruhe DIE LINKE)

Von Namen tanzen steht da nichts. Den Kernbereich von Schule, den haben Sie unter den Tisch fallen lassen, Frau Ministerin. Die Kernaufgabe von Schule ist und bleibt die Bildung. Herzlichen Dank.

(Beifall CDU, AfD)

(Unruhe DIE LINKE, BÜNDNIS 90/DIE GRÜ- NEN)

(Zwischenruf Abg. Dittes, DIE LINKE: Das war Ihr zweites Argumentationsfeuerwerk!)

Für die Fraktion der AfD – das machen wir jetzt geschlossen – hat sich die Abgeordnete Muhsal zu Wort gemeldet.

Sehr geehrte Frau Präsidentin, sehr geehrte Abgeordnete, sehr geehrte Frau Ministerin Klaubert, ich wollte eigentlich nur noch einen kleinen Punkt ergänzen, meine Kollegen haben sich ja schon zu Wort gemeldet.

(Zwischenruf Abg. Dittes, DIE LINKE: Wollen Sie jetzt genauso wenig sagen wir Ihre Kolle- gen?)

Und zwar haben Sie, Frau Ministerin Klaubert, vorhin behauptet, wir hätten in unserem Antrag nicht nach den Schülerinnen gefragt. Da möchte ich Sie bitten, doch unsere schöne deutsche Sprache von Ihrer Ideologie zu trennen. Für jeden, der die deutsche Sprache noch vernünftig sprechen kann, ist klar, dass die Bezeichnung „Schüler“ männliche und weibliche Schüler meint. Denn für die Rechtschreibung – das geht auch aus dem Kontext hervor – ist es relativ egal, was die Schüler zwischen den Beinen haben.

(Unruhe BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)

(Heiterkeit und Beifall AfD)

Für denjenigen, der sich fachmännisch damit beschäftigt, nennt man das dann das „grammatische Geschlecht“.

(Unruhe BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)

Sie da vorne, Frau Rothe-Beinlich, kippen Sie jetzt nicht vom Stuhl, wenn ich das jetzt sage:

(Heiterkeit und Beifall CDU, AfD)

Früher, als man noch vernünftig sprechen durfte, hat man das den „männlichen Überbegriff“ genannt. Danke schön.

(Zwischenruf Abg. Rothe-Beinlich, BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN: Ich brauche keinen männ- lichen Überbegriff!)

(Beifall AfD)

Für die Fraktion Bündnis 90/Die Grünen hat Abgeordnete Rothe-Beinlich das Wort.

Meine sehr geehrten Damen und Herren, liebe Gäste, ich habe Lehramt Deutsch studiert und ich bin trotzdem oder gerade deshalb mehr oder weniger entsetzt über das Niveau der Debatte, was ich

(Abg. Höcke)

hier gerade von den letzten drei Rednerinnen und Rednern im Landtag erleben musste.

(Beifall DIE LINKE, SPD, BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)

(Unruhe AfD)

Niveau ist nichts, was es in blauen Dosen gibt, liebe Frau Muhsal.

(Zwischenruf Abg. Heym, CDU: Stimmt, das merkt man bei Ihnen!)

Ihre Einstellung zur Frage, ob man Schülerinnen und Schüler auch in beiden Formen anspricht, weil es Mädchen und Jungen sind, über die wir hier reden und die selbstverständlich auch die Rechtschreibung in unseren Grundschulen lernen, sollten wir an dieser Stelle hier, denke ich, jedenfalls nicht auf dem Niveau, was Sie bemüht haben, diskutieren, meine sehr geehrten Damen und Herren.

(Beifall DIE LINKE, SPD, BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)

Ich bin zunächst unserer Ministerin ausgesprochen dankbar, auch wenn das offenkundig von der antragstellenden Fraktion nicht wertgeschätzt wird, dass sie hier einen sehr umfassenden und sachlichen Sofortbericht der Landesregierung abgeliefert hat. Sie hat die Studien zitiert, auf die wir uns beziehen, nämlich der Schulforschung der letzten Jahre. Sie hat die Kompetenztests erwähnt, die immer wieder durchgeführt werden. Der nächste Kompetenztest gerade auch mit Blick auf die Rechtschreibung findet meines Wissens für die vierten Klassen im nächsten Jahr statt. Dann werden wir auch wieder ganz aktuelle valide Daten zur Verfügung haben. Frau Dr. Klaubert hat deutlich gemacht, was im Lehrplan steht, und da findet sich eben keine Leerstelle, sondern da findet sich jede Menge Inhalt ab den Seiten 14 im Lehrplan für die Grundschule und Förderschule mit dem Bildungsgang für Deutsch. Sie hat dies umfassend ausgeführt und dafür unser herzlicher Dank, liebe Frau Dr. Klaubert.

(Beifall DIE LINKE, SPD, BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)

Meine sehr geehrten Damen und Herren, man muss sich schon fragen, was die AfD mit einem solchen Antrag will. Ich glaube, sinnstiftend war hier die Einbringungsrede des Abgeordneten Brandner, der mit einem scheinbaren Witz seine Rede begann, indem er betonte, er sei rechts – lange Kunstpause. Wenn es Ihnen nur darum geht, sehr geehrter Herr Brandner, muss ich Ihnen sagen, tun Sie all denen unrecht, die eine ganz wichtige und wertvolle Arbeit beispielsweise in unseren Grundschulen leisten. Frau Rosin als Grundschullehrerin hat hier dargestellt, wie wichtig selbstverständlich der Spracherwerb in unseren Grundschulen ist und wie viel Wert auch auf Rechtschreibung gelegt wird.

Sie wollen offenkundig doch gar nicht wissen, was es tatsächlich mit Diktaten auf sich hat. Auch das können Sie im Übrigen im Lehrplan sehr genau nachlesen. Wir wissen alle, dass ein Diktat mitnichten umfassend Aufschluss darüber gibt, ob eine Schülerin oder ein Schüler ein Wort vielleicht richtig schreiben kann, aber vielleicht nicht versteht. Das ist, glaube ich, das grundlegende Problem. Sie insistieren darauf, richtig schreiben zu können. Uns ist es noch sehr viel wichtiger auch zu verstehen, was dort geschrieben steht, meine sehr geehrten Damen und Herren.

(Beifall BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)

Denn „es ist nicht genug, zu wissen, man muss auch anwenden; es ist nicht genug, zu wollen, man muss auch tun“, sagte Johann Wolfgang von Goethe einmal sehr treffend, und genau das passiert an unseren Schulen. Das heißt nicht, dass sich hier irgendjemand hinstellt und sagt, alles sei bestens. Natürlich gibt es auch Schwierigkeiten, das wissen wir, beim Spracherwerb. Natürlich gibt es auch Probleme, die sich bei einigen Schülerinnen und Schülern beispielsweise in der mangelhaft beherrschten Rechtschreibung zeigen. Aber ich versichere Ihnen, das ist ein Problem, das alle Fachleute im Blick haben, an dem die Grundschullehrerinnen und Grundschullehrer genauso wie die weiterführenden Lehrerinnen und Lehrer arbeiten und dessen sich auch die Eltern sehr bewusst sind, meine sehr geehrten Damen und Herren. Ich glaube, was sehr spannend ist, liebe Frau Muhsal, und das wird Ihnen jetzt nicht gefallen, ist, dass es besondere geschlechtsspezifische Unterschiede in der Rechtschreibfähigkeit gibt. So haben Mädchen im Kompetenzbereich Orthografie einen wesentlichen Vorsprung gegenüber Jungen. Das muss uns zu denken geben. Was heißt das? Es braucht also geschlechtssensibel ausgestaltete Bildungskonzeptionen. Ganz so egal ist es also nicht, ob wir über Mädchen oder Jungen und die richtige Rechtschreibung reden, sondern wir müssen überlegen, wie wir Mädchen und Jungen eine gute, eine sichere Rechtschreibung beibringen.

(Beifall DIE LINKE, BÜNDNIS 90/DIE GRÜ- NEN)

Meine sehr geehrten Damen und Herren, eines ist hier noch nicht erwähnt worden. Es gibt nämlich außer dem Lehrplan, außer den gesetzlichen Vorgaben und all den Studien, die schon zitiert wurden, auch noch den Thüringer Bildungsplan für die Kinder von null bis zehn Jahren. Wenn Sie sich den anschauen, können Sie dort auf 15 Seiten detailliert nachlesen, wie sprachliche und schriftsprachliche Bildungsprozesse gestaltet sein sollen und auch umgesetzt werden sollen. Ich glaube, da haben wir eine wirklich gute, weitere Grundlage, meine sehr geehrten Damen und Herren. Unsere Lehrpläne sind kompetenzorientiert gestaltet. Kompetenz

spielt eine entscheidende Rolle und da hilft auch Ihr Versuch nicht, dies lächerlich zu machen, sehr geehrter Herr Brandner.

Meine sehr geehrten Damen und Herren, die KMK hat erst kürzlich beschlossen, dass in den zukünftigen IQB-Ländervergleichen Orthografie ein fester Bestandteil werden soll. Insofern sehen wir in der Tat keine Notwendigkeit, dass Thüringen hier aus der Gemeinschaft der Länder ausschert. Mit den zukünftigen Ergebnissen – ich habe es schon angesprochen und auch Frau Ministerin hatte es erwähnt – werden wir uns selbstverständlich intensiv befassen. Bis dahin werden wir jedenfalls als Vertreterinnen und Vertreter der Koalitionsfraktionen dafür sorgen, dass wir in Thüringen, und das ist ganz entscheidend, eine hervorragende Lehrerinnenaus- und -fortbildung sicherstellen. Dazu werden wir im Laufe der Legislatur das Lehrerbildungsgesetz modernisieren. Das haben wir uns fest vorgenommen. Insbesondere aber werden wir Sorge dafür tragen – und das finden wir ganz besonders wichtig –, dass der im Schulgesetz verankerte Grundsatz der individuellen Förderung an unseren Schulen entsprechend umgesetzt wird, um tatsächlich auch die bestmögliche Förderung aller Schülerinnen und Schüler zu garantieren. Und das braucht verlässliche Personalstrukturen, die wir schaffen werden, ebenso wie gut ausgebildete Lehrkräfte, die wir fortbilden und entsprechend einstellen, aber ganz bestimmt keinen Populismus, wie wir ihn hier von der AfD erleben mussten. Vielen herzlichen Dank.

(Beifall DIE LINKE, SPD, BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN)

Für die Fraktion der CDU hat sich Abgeordneter Bühl zu Wort gemeldet.

Sehr geehrte Präsidentin, sehr geehrte Abgeordnetenkollegen, liebe Besucher auf der Tribüne! Sehr geehrte Frau Ministerin, erst einmal vielen Dank für Ihren Sofortbericht. Ich denke, eine Sache kann man aus dem Sofortbericht erkennen: Das dreigliedrige Schulsystem, wie wir es in Thüringen haben und wie es in den letzten Jahren seit der Wiedervereinigung aufgebaut wurde, ist ein Erfolg und den sollten Sie auch berücksichtigen und so fortschreiben.

(Beifall CDU)

Der Bildungsauftrag der Grundschulen liegt in der Vermittlung der grundlegenden Kulturtechniken unserer Gesellschaft, in der Vermittlung von Bildungsinteresse und der wachsenden Teilhabe der Kinder an unserer Gesellschaft. Hier – das haben wir heute gehört – leisten unsere Thüringer Grundschulen

Hervorragendes und das kann sich auch im Bundesvergleich sehen lassen. Sie haben eine höchst anspruchsvolle Stundentafel, eine hohe Wochenstundenanzahl und eine enge Verzahnung zwischen unterrichtlichen und außerunterrichtlichen Angeboten, wie man am heutigen Tage auch hier sehen kann mit den Besuchern aus Schulen. Auch bei den internationalen und bundesweiten Schulleistungsuntersuchungen liegt Thüringen im Grundschulbereich immer weit vorne. Das sichere Erlernen orthografischer und grammatikalischer Regeln ist nicht nur eine wichtige Voraussetzung für den späteren Erfolg in der Schule und im Beruf, sondern auch ein wichtiger Bestandteil, um überhaupt an unserer Gesellschaft teilhaben zu können. Leider stammen sowohl die letzte IGLU-Studie als auch der letzte Ländervergleich der Kompetenzstandards durch das IQB aus dem Jahr 2011, wir haben es heute auch schon von den Vorrednern gehört. Da das IQB aber im Auftrag der Kultusministerkonferenz alle fünf Jahre die Kompetenzstandards an Grundschulen testet, dürfen wir uns im nächsten Jahr auf eine umfassende Datenbasis freuen. Im Bereich Orthografie wurde durch den Ländervergleich 2011 zunächst länderübergreifend die Verteilung der Viertklässlerinnen und Viertklässler auf die Kompetenzstufen untersucht. Für diese Teilkompetenz wurde daher eine bundesweite repräsentative Stichprobe in die Studie einbezogen, die jedoch keine Auswertung für die einzelnen Länder zulässt. Dies soll 2016 erstmals an Viertklässlern in einem regelmäßig vorgenommenen Ländervergleich zum Leistungsniveau getestet werden. Dies wurde auf der Sitzung der Kultusministerkonferenz im März 2015 in Leipzig beschlossen. Hier sagte die Präsidentin der Kultusministerkonferenz, es gibt zwar Rechtschreibprogramme, aber diese Rechtschreibprogramme können eine gute Rechtschreibung nicht ersetzen. Ich finde, das ist ein ganz, ganz wichtiger Punkt und hieran müssen wir arbeiten, damit man auch in Zukunft trotz Computer noch per Hand gut schreiben kann.

In einer bundesweit einzigartigen Längsschnittstudie haben der Siegener Germanistikprofessor Wolfgang Steinig und seine Mitarbeiter über einen Zeitraum von 40 Jahren untersucht, wie sich die Schreibfähigkeiten von Viertklässlern in Deutschland verändert haben. Neben der Orthografie haben die Bildungsforscher auch Textgestaltung, Grammatik und Wortschatz getestet. Erstes Ergebnis: Die Fähigkeit der Schüler, Texte orthografisch korrekt und grammatikalisch normgerecht zu schreiben, hat im Durchschnitt stark abgenommen. Vor 40 Jahren machten Viertklässler auf 100 Wörter durchschnittlich 7 Fehler, in derselben Untersuchung im Jahr 2012 waren es mehr als doppelt so viele, nämlich 16 Fehler. In den letzten Jahren hat sich an vielen Grundschulen die offene Methodik des Schreibenlernens in Form des Spracherfahrungsansatzes und/oder des Lesens durch Schrei

(Abg. Rothe-Beinlich)

ben durchgesetzt. Sie sieht vor, dass Kinder beim Einstieg in die Schriftsprache keine Regeln lernen, sondern ausschließlich so schreiben, wie sie hören und sprechen. Wie ein Wort wirklich geschrieben wird, spielt zunächst keine Rolle. Auch Fehler werden in der ersten Zeit nicht korrigiert. Die umstrittene Methode wird an deutschen Grundschulen seit den 90er-Jahren eingesetzt. Prof. Steinig konnte in seiner Studie zum Schreibverhalten von Grundschülern jedoch nachweisen, dass insbesondere Schüler aus sozial schwachen Elternhäusern unter der offenen Unterrichtsmethodik leiden. Gerade die offene Methodik des Schreibenlernens in Form des Spracherlernungsansatzes oder des Lesens durch Schreiben haben unter anderem dazu geführt, dass die soziale Bildungsschere gerade in der Kernkompetenz der Beherrschung von Wort und Schrift dramatisch auseinandergegangen ist.

(Beifall AfD)

(Zwischenruf Abg. Rothe-Beinlich, BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN: Das ist doch völliger Quatsch!)

So ist es unseres Erachtens eine Frage der Bildungsgerechtigkeit, diese experimentellen Methoden an Grundschulen auf ein angemessenes Maß zurückzuführen. Wir stehen für Kontinuität in der Bildung und damit für Unterrichtsmethoden, die sich über Jahre bewährt haben. Wir begrüßen den Beschluss der Kultusministerkonferenz zum Ländervergleich im Bereich Orthografie ausdrücklich, denn nur mit einer guten Datenbasis kann es gelingen, die richtigen bildungspolitischen Schlussfolgerungen in den Ländern zu ziehen. Entgegen der Auffassung der AfD bedarf es unserer Ansicht nach darüber hinaus allerdings keiner jährlichen Erhebung von Thüringer Zahlen.

Ferner spricht sich die CDU-Fraktion auch eindeutig für das weitere Erlernen der Schreibschrift als elementare Kulturtechnik in den Thüringer Grundschulen aus.