Protokoll der Sitzung vom 23.02.2018

(Beifall DIE LINKE, SPD, BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)

Wir brauchen ein starkes Sicherungsnetz nach unten. Wer sein Leben lang gearbeitet hat, soll im Alter nicht von Sozialleistungen abhängig sein müssen. Deswegen sagen wir, wir brauchen eine steuerfinanzierte Mindestrente. Sie muss armutsfest sein, sie muss deutlich über dem Niveau der Grundsicherung im Alter liegen und sie darf Menschen nicht dazu zwingen, zum Amt zu gehen und eine Bedürftigkeitsprüfung vorzunehmen. Dann ist das keine Mindestrente, sondern dann ist das nichts anderes als die Grundsicherung im Alter. Das wollen wir für diejenigen einfach nicht.

(Beifall DIE LINKE, SPD, BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)

Wenn man sich jetzt die Anträge der Koalitionsfraktionen auf der einen Seite und die der CDU auf der anderen Seite ansieht, könnte man mit Blick auf die Analyse tatsächlich den Eindruck bekommen, dass wir relativ nah beieinander und in der Sache gar nicht so weit voneinander entfernt sind. Das stimmt in Bezug auf die Analyse. Wie man aber angesichts der Analyse, die Frau Holzapfel schon vorgetragen hat, zu dem Ergebnis kommen kann, dass man mit einer Erhöhung des Schonvermögens bei Grundsicherung im Alter, mit einer Verbesserung der Erwerbsminderungsrente und mit einer stärkeren Berücksichtigung von Pflege- und Erziehungsleistungen all diese Probleme lösen könnte, ist mir nicht klar.

Das ist wahrscheinlich auch der CDU aufgegangen, deswegen haben Sie heute eine Neufassung Ihres Antrags vorgelegt, der im Prinzip ein Bekenntnis

zum Koalitionsvertrag ist. Sie sagen jetzt auch, wir brauchen eine Mindestrente. Sie sagen auch noch mal, das Rentenniveau darf bis 2025 nicht unter 48 Prozent fallen, das Beitragsniveau darf nicht über 20 Prozent steigen. Zur Wahrheit gehört aber auch: Das ist schon Realität. Das ist auch jetzt schon Teil der Vereinbarung der gesetzlichen Rente. Das kann der Koalitionsvertrag noch mal festschreiben, aber er schafft keine Veränderung, sondern er sagt einfach nur: Wir wollen an dem, was bisher gilt, nichts ändern. Das reicht meiner Meinung nach nicht.

(Beifall DIE LINKE, SPD, BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)

Das ist auch keine Stärkung aller Säulen, sondern die Stärkung der Säule der gesetzlichen Rentenversicherung lässt Ihr Antrag komplett außen vor. Das ist für die Menschen, die nach der Wende fast 30 Jahre lang zu niedrigsten Löhnen gearbeitet haben, auch keine Lösung. Ich will, dass die, die dieses Land in den letzten 30 Jahren aufgebaut haben, auch eine gute Alterssicherung haben. Das kann die Grundsicherung nicht sein. Wir brauchen dafür vernünftige Ansprüche aus der gesetzlichen Rentenversicherung. Wir dürfen die Menschen im Alter nicht noch einmal für ihre schlechten Löhne bestrafen. Mit diesem Antrag bitten wir die Landesregierung, sich auf der Bundesebene dafür einzusetzen, dass es ein Rentensystem gibt, das tatsächlich Sicherheit bietet und finanzierbar und die Grundlage für ein gutes Leben im Alter ist. Die SPD wird auf allen Ebenen dafür kämpfen. Vielen Dank für Ihre Aufmerksamkeit.

(Beifall DIE LINKE, SPD, BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)

Danke schön. Als Nächster hat Abgeordneter Höcke für die AfD-Fraktion das Wort.

Sehr geehrter Herr Präsident, sehr geehrte Kollegen Abgeordnete, sehr geehrte Besucher auf der Tribüne! Sehr geehrter Herr Kollege Thamm, ich bin nicht der Meinung, dass es die in der DDR geschiedenen Frauen diskriminieren würde, wenn wir heute die Punkte 8 und 16 hier zusammen beraten. Im Gegenteil: Ich habe diesem Ansinnen auch zugestimmt, weil ich glaube, dass dieses wichtige und seit Jahrzehnten vernachlässigte Thema auch mit der Zusammenziehung dieser beiden Tagesordnungspunkte dort hingestellt wird, wo es eigentlich schon seit Jahrzehnten hingehört, nämlich in das Zentrum der Rentendiskussion in Thüringen und in Deutschland.

(Beifall AfD)

Sehr geehrte Kollegen Abgeordnete, sehr geehrte Besucher auf der Tribüne, ich bin der festen Überzeugung, dass am und im zentralen Feld der Sozialpolitik das Parteiengefüge Thüringens und Deutschlands in den nächsten Jahren neu ausgerichtet wird. Nicht nur ich bin dieser festen Überzeugung, sondern zahlreiche Kommentatoren, die in den letzten Wochen in den Ihnen bekannten Medien dazu eine Stellungnahme abgegeben haben. Und ich bin willens, die AfD im Geiste eines solidarischen Patriotismus dahin zu bringen, die führende sozialpolitische Kraft in Thüringen und Deutschland zu werden.

(Beifall AfD)

(Zwischenruf Abg. Adams, BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN: Niemals!)

Die Rede, die ich heute vortrage, halte ich als Sozialpolitiker.

(Heiterkeit DIE LINKE, SPD, BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN)

(Zwischenruf Abg. Kuschel, DIE LINKE: Der war gut!)

Ich halte Sie als Fraktionschef der AfD im Thüringer Landtag, weil wir als AfD-Fraktion zeigen wollen, dass die Sozialpolitik bei unserer Partei und bei unserer Fraktion zur Chefsache erklärt worden ist.

(Beifall AfD)

(Zwischenruf Abg. Kuschel, DIE LINKE: Sie machen nationale Sozialpolitik!)

Und ich freue mich, diese Rede zu halten, weil ich ganz besonders die Gelegenheit ergreifen werde, Sie, sehr geehrte Kollegen von den Grünen, und Sie, sehr geehrte Kollegen von der SPD, heute direkt anzusprechen. Der Rentenantrag, den Sie als Teil der Regierungskoalition in Thüringen mit in dieses Plenum eingebracht haben, sollte Ihnen eigentlich die Schamesröte ins Gesicht treiben.

(Zwischenruf Abg. Rothe-Beinlich, BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN: Vielleicht sollten Sie sich mal schämen!)

Nicht, weil er sich zu 100 Prozent mit Bundespolitik beschäftigt, also das tut, was Sie, sehr geehrte Kollegen Abgeordnete, in den letzten drei Jahren der AfD immer mal wieder vorgehalten haben, wobei wir noch eine Entschuldigung hatten, da wir als Landtagsfraktion damals noch ohne Bundestagsfraktion eben auch über die Länderparlamente mit Bitten an die Landesregierung, sich im Bundesrat für entsprechende bundespolitische Themen einzusetzen, die Rückwirkung auf unseren Freistaat haben, entsprechend vorgehen mussten. Aber Sie haben Vertretungen im Bundestag, und zwar nicht erst seit drei Monaten wie unsere junge Partei AfD,

(Abg. Lehmann)

sondern schon seit Jahrzehnten. Und Sie alle gemeinsam, die Sie heute wieder hier vorn am Rednerpult die Krokodilstränen in den Augen haben und die große sozialpolitische Vision verkünden, sind dafür verantwortlich, dass seit Jahrzehnten in diesem Land eine verfehlte Sozialpolitik betrieben wird und wir einen chaotischen bzw. sehr bedenklichen Zustand in der Rentenversicherung haben.

(Beifall AfD)

Ihr Antrag ist nichts anderes als das Eingeständnis des politischen Totalversagens im Bereich der Sozialpolitik und in seinem Zentrum, der Rentenpolitik, sehr geehrte Kollegen Abgeordnete von den Grünen und von der SPD.

(Beifall AfD)

Ich werde darüber hinwegsehen, dass dieser Antrag zu 100 Prozent Bundespolitik tangiert. Das will und werde ich gern machen. Aber ich werde über dieses Totalversagen im zentralen Bereich der Sozialpolitik mit Sicherheit heute hier nicht hinwegsehen.

(Beifall AfD)

Seit 20 Jahren, sehr geehrte Kollegen Abgeordnete von der SPD und von den Grünen, bestimmen Sie über Ihren Einfluss im Bundesrat und als Koalitionspartner der CDU die Regierungspolitik in diesem Lande entscheidend mit. Und wenn Sie, Frau Lehmann, hier vorn stehen und die CDU halb der Lüge bezichtigen, halb suggerieren, wir hätten mit der CDU eine vernünftige Rentenpolitik gemacht, aber die CDU wollte nicht, sie hat da rumlaviert, sie hat sich nicht klar positionieren wollen, wie es typisch für die CDU ist, dann haben Sie jetzt, sehr geehrte Kollegin Lehmann, die Gelegenheit, in der Abstimmung Ihrer Partei endlich mal den Inhalt über die Taktik zu setzen. Und das rate ich Ihnen dringend, denn sonst wird diese einstmals so stolze SPD, für die ich in ihrer 150-jährigen Geschichte durchaus Sympathie habe, den Weg in die politische Bedeutungslosigkeit antreten, und das wünsche ich Ihnen tatsächlich nicht.

(Beifall AfD)

Wofür, sehr geehrte Kollegen Abgeordnete von den Grünen und der SPD, haben Sie Ihren Einfluss im Bundesrat und im Bundestag in den letzten zwei Jahrzehnten genutzt? Wofür? Ich will es Ihnen in Erinnerung rufen, weil Sie dies augenscheinlich – jedenfalls das waren die Äußerungen der Redner, die bisher hier am Rednerpult standen – vergessen haben: Sie haben 2004 den Ihnen bekannten Nachhaltigkeitsfaktor eingeführt. Das bedeutete zum damaligen Zeitpunkt nichts anderes als das dauerhafte Absenken des Rentenniveaus um 15 Prozent.

Sie, sehr geehrte Kollegen Abgeordnete von der SPD und von den Grünen, haben als Regierungspartner dieser CDU die Rente mit 67 eingeführt

bzw. unterstützt. Das bedeutete umgerechnet eine Rentenbarwertkürzung um sage und schreibe 7,2 Prozent.

(Beifall AfD)

Mit diesen von Ihnen beschlossenen bzw. von Ihnen unterstützten Maßnahmen haben Sie das Rentenniveau perspektivisch um etwa 20 Prozent nach unten gedrückt. Sie waren es also, die aus der lebensstandardsichernden gesetzlichen Rentenversicherung eine zweite Sozialhilfe gemacht haben.

(Beifall AfD)

Im Übrigen, sehr geehrte Kollegen Abgeordnete – jetzt spreche ich auch mal die CDU an und ihren möglichen Koalitionspartner SPD und ich verweise auf die Inhalte bezüglich der Rente im neuen Koalitionsvertrag –: Auch das ist nichts anderes als Augenwischerei, was da produziert wird, denn nicht umsonst hat man das Rentenniveau von 48 Prozent lediglich bis zum Jahr 2025 festgeschrieben und verkauft uns das alles als großen rentenstabilisierenden Entwurf. Das ist doch Kindergartenniveau, sehr geehrte Kollegen Abgeordnete. Denn Sie wissen alle ganz genau, dass nämlich genau in diesem Jahr 2025 – und das ist aus den Statistiken eindeutig abzulesen – etwas passiert, das tatsächlich dann die Frage „Quo vadis, Rentensystem?“ in Deutschland stellt. Dann gehen nämlich die Babyboomer dieses Landes, die gleichzeitig hart gearbeitet haben, und zwar Jahrzehnte, und noch ihre Kinder groß gezogen haben, in den wohlverdienten Ruhestand, und zwar mit der besorgniserregenden Perspektive, in eine Armutsrente entlassen zu werden. Und das ist ein Skandal!

(Beifall AfD)

Sie merken, sehr geehrte Kollegen Abgeordnete und sehr geehrte Besucher auf der Tribüne, dieses Thema ist ein wichtiges Thema und es emotionalisiert mich – gar keine Frage. Aber es muss in der gebotenen Deutlichkeit hier und heute im Thüringer Landtag artikuliert werden. Und heute, sehr geehrte Kollegen Abgeordnete, stellen Sie sich hierher und wollen mit einem zweiseitigen Antrag jene Rentenlücke schließen, die Sie mit Ihrer Politik in 20 Jahren gerissen haben. Sie sollten sich wirklich in Grund und Boden schämen!

(Beifall AfD)

Doch die Zerstörung – anders kann man das nicht nennen – des gesetzlichen Rentensystems reichte Ihnen augenscheinlich noch nicht aus. Mit den sogenannten Arbeitsmarktreformen – Sie wissen, was ich meine; Hartz I, Hartz II, Hartz III, Hartz IV – zerrieben Sie die Arbeitnehmer auf dem deutschen Arbeitsmarkt. Es entstand unter Ihrer Ägide – Sie und Sie und Sie: CDU, SPD und Grüne – in den letzten 20 Jahren der größte Niedriglohnsektor Europas. Das Reallohnwachstum war im Verhältnis zur Pro

duktivitätsentwicklung eines der miesesten aller Industriestaaten.

(Beifall AfD)

Diese schlimme Entwicklung, die von unseren europäischen Partnern – vor allen Dingen den Franzosen – zu Recht kritisiert wird, haben Sie gemeinsam zu verantworten. Wären die Reallöhne – das wissen Sie auch – seit Mitte der 1990er-Jahre entsprechend der Arbeitsproduktivität angestiegen, dann hätten die Arbeitnehmer in unserem Land über 2 Billionen Euro mehr Lohn erhalten. Sie hätten dann auch in entsprechender Höhe in die Rentenkasse einzahlen können. Der Rentenkasse sind durch diese Niedriglohnpolitik Ausfälle in Höhe von 200 Milliarden Euro entstanden, und zwar allein durch den Ausfall der Arbeitnehmerbeiträge. Wie viele Rentnerinnen in diesem Land, die Kinder großgezogen und parallel gearbeitet haben und doch nur Minirenten erhalten, hätten wir mit diesen Summen aus der Altersarmut befreien können?

(Beifall AfD)

Doch von diesem von jedem politischen Laien klar erkennbaren Zusammenhang liest man in Ihrem Antrag nichts. Und das ist die entscheidende Frage, die wir beantworten müssen, sehr geehrte Kollegen Abgeordnete: Wie kriegen wir das Lohnniveau dieses Landes auf ein Niveau, das die Menschen in die Lage versetzt, Rentenbeiträge abzuführen,

(Zwischenruf Abg. Hey, SPD: Da sind wir doch dabei!)

die ihnen dann auch ein würdiges Leben im Alter ermöglichen? Diese Frage muss endlich beantwortet werden.